The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen

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Title: Römische Geschichte Book 4

Author: Theodor Mommsen

Release Date: February, 2002 [Etext #3063]
[Most recently updated: January 15, 2020]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***




Römische Geschichte 

Viertes Buch
Die Revolution

von Theodor Mommsen

The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
words, nor is there any differentiation between the different accents of
ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

 Viertes Buch—Die Revolution
 KAPITEL I. Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit
 KAPITEL II. Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus
 KAPITEL III. Die Revolution und Gaius Gracchus
 KAPITEL IV. Die Restaurationsherrschaft
 KAPITEL V. Die Völker des Nordens
 KAPITEL VI. Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
 KAPITEL VII. Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution
 KAPITEL VIII. Der Osten und König Mithradates
 KAPITEL IX. Cinna und Sulla
 KAPITEL X. Die Sullanische Verfassung
 KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Ökonomie
 KAPITEL XII. Nationalität, Religion, Erziehung
 KAPITEL XIII. Literatur und Kunst




Viertes Buch
Die Revolution


“Aber sie treiben’s toll;
Ich fürcht’, es breche”.
Nicht jeden Wochenschluß
Macht Gott die Zeche.

Goethe




KAPITEL I.
Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit


Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit
Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den
Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern
gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete
mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu
lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in
hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem
ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse
Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der
Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu
entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den
schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den
noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen,
asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen
Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die
einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung
kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die
italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die
Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat
traf.

Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten,
wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig
unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und
Korsen fortwährend Gelegenheit zu “Dorftriumphen” lieferten, bestand
eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den
beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen
Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht
worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten,
Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander;
gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die
verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische
Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse
phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden
Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken
zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende
Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die
römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie
Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische
Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica
wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206),
für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen
gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur
als Marktort ^1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward
veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen
Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven,
tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen
freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia
als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach
der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575,
576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört
die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen
die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse
traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus
fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden
gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine
große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen
Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche
Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an
das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der
Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena)
zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die
Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195)
nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der
Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der
gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb
der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar
verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir
noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius
Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des
Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach
Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am
rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das
Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward
zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch
ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden
sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen
und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann
ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner
am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf
die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre
Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem
Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als
Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine,
den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte
Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten
beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln.
Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser
römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den
unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und
zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht
verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen
weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung,
nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß
suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien
Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken
Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich
befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig;
die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten
flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten
sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen.
Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius,
gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu
ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer
eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische
Bürger getötet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien,
blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall
ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia
(Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin
Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem
zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten
die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der
Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die
abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser
und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von
Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die
Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß
die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich
befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten,
freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen
wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius
in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die
erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit
demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten
Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo
die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika
gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In
die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer
beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle
des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon
als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei
Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung
und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis
ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der
Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt
werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach
Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die
Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig
erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner
Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen
Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung
wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der
ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden
mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren
Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den
Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der
Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß,
wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die
Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer
nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu
statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne
entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des
Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden
Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen.
Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg
beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte,
sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in
der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften
Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen
Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den
Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den
Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu
Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen
Rechte wiedereingesetzt wurden.

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^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et
conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae
in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden
beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig,
daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.

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Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere
eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits
durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und
vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür
gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der
Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation,
die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der
Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der
Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die
erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu
haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder
mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser
Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben
soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und
Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die
Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre
Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine
Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine
Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der
Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere
Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor
Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio
Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des
Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts
mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen,
infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und
Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen
Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward
auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus
begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius
Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte
schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus
im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im
folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus
errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba
richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten
Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze
überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker
wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen
geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils
niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit,
Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden
Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze
der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den
Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr,
wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung
zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein
heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.

Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien
erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des
Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die
spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen
Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas
Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche
turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius
Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte
auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe
rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie
abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie
einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden
Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter
Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas
zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches
Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen
wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den
Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in
einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten
Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und
zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug
der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte,
wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur
Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch
mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand
auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz
zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt
gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und
selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen
sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom
Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der
geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch
auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so
unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen.
Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt,
verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem
schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied
ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel
seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand
er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu
haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine
Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch
jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem
treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber
daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen
zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht
allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen
Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit
erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation
meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der
Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im
nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre
seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte
er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte
Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der
römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - später
ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde
vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen
wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz
- Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und
weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen
erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen
Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt
und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar
übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen
Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus
Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben
von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den
verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die
beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht
viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte
spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner
günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des
Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von
Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und
nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine
Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die
Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten
nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der
feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten
die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr
Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während
Viriathus’ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein
Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus
Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der
Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen,
allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam
abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf
das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die
Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer
Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach
Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff
Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und
Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge
Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die
Führer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus
römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die
übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg
bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer
ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von
Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es
gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich,
wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit
Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der
Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt
ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale
Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen
Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die
Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und
Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit
wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu
heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und
bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts
wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog
das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus
vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte
Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139)
nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der
nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus
Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder
Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm
übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die
Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben
hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht
genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen
anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern,
und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an
die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen
von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals
seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs
neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten
Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas,
Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt
noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit
Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen
Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben
des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das
Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer
Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem
Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier
ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele
fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern
an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn
ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern
Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines
Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition
scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang
über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben.
Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen
als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.

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2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es
steht fest, daß Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert
(App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam
(Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht
(App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv.
54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre
(Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige
Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p.
591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die
Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern,
mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der
nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht
ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also
nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner
Feldherrnschaft berechnen.

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Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner
heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den
keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg
ausgebrochen. Viriathus’ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144)
die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war
dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach
Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der
südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch
gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für
unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er
bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte;
nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche
Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia
und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit
diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der
größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur
Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus
jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes,
und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg
fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen
Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so
stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der
völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte
so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den
Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu
erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein;
auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen
zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen
günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr
beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß.
Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene
Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue
Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die
Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um
sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen
Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht
etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner
kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins
Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die
Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während
dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und
beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die
Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug
gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat
die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man
beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius.
Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner
den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht
minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die
Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als
die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die
Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit,
Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies
falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia
heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das
Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior
angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch
in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten
sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich
durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen
Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein
Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius
Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater,
dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den
Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen
Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der
Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch
nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag
zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die
Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf
diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen
hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen
hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen
gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten
Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu
büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den
feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen
verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig
anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände
auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia,
Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus’
Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus,
schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen
über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter
nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie
Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der
jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß
befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er,
unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten,
die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als
Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen
hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen
war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den
Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte
seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh
abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische
Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem
hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt.
Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius
Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und
da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim.
Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so
nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der
kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten
Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur
Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit
zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar
geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der
souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen.
Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und
Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen
Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf
diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward,
begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor
allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen - es fanden sich bis 2000
Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da
der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen
und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit
den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu
vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu
züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst
gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem
numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten
unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen
Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000
Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens
8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf
an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit
nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht,
und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam,
rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des
Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie
hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die
numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor
allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal
führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen,
den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von
reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so
ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache
Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den
Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte
zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu
stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr,
als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des
letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel
an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit
wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine
rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen,
war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer
Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten,
erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt,
mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer
der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern,
denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen
wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an
Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen
Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten
meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der
wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und
Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische
Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei,
auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft
angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie
um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der
Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu
gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie.
Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der
Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen
wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht,
ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621
(133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.

Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition
gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und
Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen
diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.

Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die
römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius
Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen
Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia
(Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog
ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische
Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des
Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen,
hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden
durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach
einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der
römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner
und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel
wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische
Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das
neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er
konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger
zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle
Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit
hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt
zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien
eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den
Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius
Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen
des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die
fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst
unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie
zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der
Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in
den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen
Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische
Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und
zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische
Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht
bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei
den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in
Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute
oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln
gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im
Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht,
diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen
lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege
nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder
leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln
niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der
Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das
blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die
Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und
die Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller
Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die
afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die
Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren
Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren.
Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu
teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein
muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens
einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor
seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder
Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und
Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der
römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder
Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein
die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger
Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten
Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch
Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der
Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache
und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern,
zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos
und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen
zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land
verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen
Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß
die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen
ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen
müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg
führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all
dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei
jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte
sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn
die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe
gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601
153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der
Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den
Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen,
drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit
aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle
war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin
führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer
als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu
richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte
Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des
Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft
aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen
Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische
Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt,
griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen,
hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer
so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche
die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der
Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und
Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der
vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten,
und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und
gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros,
welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte,
nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron
seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern
zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom
Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von
Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen
Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment
von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar
sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu
widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt
war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu
erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der
Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment
brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die
der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge
insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen
preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern
vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der
römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen
die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer
für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden
Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der
überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen
Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch
erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß
in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des
Augustus noch nicht am Euphrat standen.

Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das
einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in
römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische
Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand
des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der
Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was
von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig
war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen
war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es
fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder
ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen
und energisch durchzuführen.

Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen
gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des
Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter
Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte,
befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen
des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es
auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit
übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche
Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig
fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden
ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten
des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren
zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der
Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des
karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen
Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem
Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als
Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente
(860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß
Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der
Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen
Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als
abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach
langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine
zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne
genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu
fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten,
sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten
die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage
zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die
Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser
Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der
einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen
Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht
durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen
den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die
wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und
das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen
zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner
ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem
Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom
Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese
Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer
der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen
Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse
vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der
kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene
Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der
politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine
römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem
gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht
unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung,
sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es
scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren,
die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu
bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen
Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld-
und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität
beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten
forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung - den Krieg mit
Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.

Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden
Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in
Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der
Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran
dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens
die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa,
wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die
Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus
der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung
je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen
die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein
starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154).
Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich
wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch
der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem
Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer
gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und
Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte
einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des
Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago
überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen
Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen
Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die
Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine
Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in
der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte
Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung,
daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu
verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu
verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen.
Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter
Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die
Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern
einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und
auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes
Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der
gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu
nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein
Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war
der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen
in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und
Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des
Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an
Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische
Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge
herab “wie Zeus vom Ida” der Schlacht zuschaute, lieferten die
Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene,
obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen
zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde
überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten
sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und
Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag
zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen
Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das
Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen
des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte:
Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der
Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000
Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde
von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des
karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.

Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige
Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen
brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht
gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg
zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden
- und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die
italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe
zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein.
Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die
Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode
verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die
Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der
zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht
hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben - mit dieser
zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß
die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten
Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die
Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage,
was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt.
Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien
doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe
Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen
karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter
Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt
(Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch
versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu
beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der
karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr
Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie
den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in
Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen
und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach
ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid
zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende
Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur
begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und
daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu
sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat
verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab
er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich
kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen
Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als
man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche
Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte
weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich
der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln
sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die
karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne
Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel
verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von
Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten
die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der
Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten,
gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch
die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert,
daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der
Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen
Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz
befindlichen Waffen - man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle
Rüstungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob
sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in
Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt
zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst
wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom
Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl
rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder
wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander
und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die
Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen
vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und
Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der
Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung
der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und
Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne
Frage auch jetzt sich zu fügen - aber die Stimme der wenigen, welche
mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf
des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in
ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff,
welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils
die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt
heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils
die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens
an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man
beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies
von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen
entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal,
den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei
erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit
Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste,
Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das
ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine
unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in
dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt
phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der
Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die
Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer
Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die
Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten
noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der
natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der
Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und
verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt,
um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne
Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen
gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die
öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze
unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar;
in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder
bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen
entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten
wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja
dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des
Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern
die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen
und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große
volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen
gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu
verteidigen.

Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die
Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner.
In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap
Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine
Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen
Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der
schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im
ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in
den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen
die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe
von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago.
Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen
zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt
natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung.
Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen
Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst
vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der
Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt
haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts,
wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren
Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der
Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder-
und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten 4.
Dieser ungeheure, durchaus aus mächtigen Quadern zusammengefügte Wall
erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die mächtigen vier
Stockwerke hohen Türme ungerechnet, zu einer Höhe von 45 Fuß 5 und
gewährte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und
Futtermagazine für 300 Elefanten, in dem oberen Pferdeställe, Magazin-
und Kasernenräume 6. Der Burghügel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg),
ein verhältnismäßig bedeutender Fels von 188 Fuß Höhe und an der
Unterfläche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in
diese Mauer an ihrem südlichen Ende ein, ähnlich wie die Felswand des
Kapitols in den römischen Stadtwall. Die obere Fläche desselben trug
den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel
des Heilgottes. Die Südseite der Stadt bespülte teils der seichte
Tunesische See im Südwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel
südwärts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gänzlich von
dem Golfe schied, teils im Südosten der offene Golf. An dieser letzten
Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von
Menschenhand: der äußere oder der Handelshafen, ein längliches, die
schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuß
breiter Mündung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen,
und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das
Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den äußeren
gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa
ostwärts sich wendend, die Landzunge und den Außenhafen aus-, dagegen
den Kriegshafen einschloß, so daß die Einfahrt in den letzteren gleich
einem Tor verschließbar gedacht werden muß. Unweit des Kriegshafens lag
der Marktplatz, der durch drei enge Straßen mit der nach der Stadtseite
offenen Burg verbunden war. Nördlich von und außerhalb der eigentlichen
Stadt hatte der ziemlich beträchtliche, schon zu jener Zeit großenteils
mit Landhäusern und wohlbewässerten Gärten gefüllte Raum der heutigen
El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich
anlehnende Umwallung. Auf der gegenüberliegenden Spitze der Halbinsel,
dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Gräberstadt.
Diese drei, die Alt-, die Vor- und die Gräberstadt, füllten zusammen
die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus
und waren nur zugänglich auf den beiden Hauptstraßen nach Utica und
Tunes über jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer
geschlossen war, aber doch für die unter dem Schutze der Hauptstadt und
wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste
Stellung darbot.

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3 Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden,
daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur
unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap
Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu
Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der
Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.

4 Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten
Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):

Außenmauer

2 Meter = 6½ Fuß

Korridor

9 Meter = 6 Fuß

Vordermauer der Kasematten

1 Meter = 3¼Fuß

Kasemattensäle

4,2 Meter = 14 Fuß

Hintermauer der Kasematten

1 Meter = 3¼Fuß

Gesamttiefe der Mauer

10,1 Meter = 33 Fuß

oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½
Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die
eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu
haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer
Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche
Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die
Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist
und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer
vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwürfe (Carthage and
her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen
Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist.
Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um
die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern
von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite
des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu
stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und
Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben
jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden,
dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer
verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in
entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen
Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden - werden vermutlich
längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu
Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt
Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von
Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie
lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch
ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren
Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore
in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche
Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa
einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten
Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117;
Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.

5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung
der Zinnen, die Höhe auf 40 Ellen oder 60 Fuß. Der erhaltene Überrest
ist noch 12-16 Fuß (4-5 Meter) hoch.

6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenförmigen Säle haben
eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuß; die Weite der
Eingänge wird nicht angegeben. Ob diese Maße und die Verhältnisse des
Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenställe zu erkennen, bleibt
durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die
Säle voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3½ Fuß.

7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt
haben wird - 16 Stadien sind ungefähr 3000 Meter. Der Burghügel, auf
dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, mißt oben etwa 1400, auf der
halben Höhe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf
den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen.

8 Sie trägt jetzt das Fort Goletta.

9 Daß dieses phönikische Wort das kreisförmig ausgegrabene Bassin
bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der
die Griechen dasselbe verwenden. Es paßt also nur auf den inneren Hafen
Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es
eigentlich für die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p.
37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen
Vorhafen des Kothon als Teil desselben.

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Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde
noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst
und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der
Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die
zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb
freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die
Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches
Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der
Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von
den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.

Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen,
als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu
beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein
Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte
an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen
begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern
Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum
Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre
Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon
Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der
Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an
dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend
geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten,
einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die
römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht
weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie
fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark
besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust
zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben
würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des
tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern
zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch
viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus.
So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im
Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn
Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der
begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für
sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod
des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer
völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die
karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu
schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die
Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen
Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die
erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast
mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für
den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der
Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem
Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen
Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn
zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach
dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das
Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen
Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon
verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut.
Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre
Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer
zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen,
Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich,
nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter
dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das
Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen
Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher
empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und
doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte
als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager
wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato,
der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor
seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch
seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben -
auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische
Zeile an: “Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten
^10.”

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^10 Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.

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Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel
herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148)
und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den
der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun
gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der
Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen
Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel
Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den
ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal
verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar
genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort
war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig.
Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit
800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen,
mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen
Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die
inneren Zerwürfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den
gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner
Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen - als
die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere
Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der
afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der
außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den
libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für
diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben
sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit
das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des
Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in
einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral
Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der
Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit
entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite
der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche
Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die
Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon
einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war
der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als
sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und
fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die
Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte
Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt,
und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu
behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr
sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago
zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit,
um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die
Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien
Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten
abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher
die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der
Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel
der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen
Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf
die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe
gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein
Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die
Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den
Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung
an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst
dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen
bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen
Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels
sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft
eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich
selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig
abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken,
durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt,
und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu
stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes
Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte.
Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne
Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der
von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind
benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst
die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend
versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in
den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die
Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen
dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten
Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere
wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch
im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne
daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten
beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des
Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig
karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den
Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung
gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal
sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres
an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die
Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit
Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete
römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten
Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer
gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber
stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der
Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage
gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai,
welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem
angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf
der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit
beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen
durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die
Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine
eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die
Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen.
Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme
der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in
seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall
wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land-
wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den
äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu
sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes
befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche
Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose
Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter
herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger
und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar
die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet
hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen,
zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff
gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden
und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm
abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der
ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und
so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber
der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den
kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von
diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor - langsam, denn
von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines
nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die
Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser
festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor
und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage,
schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll
Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf
den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten.
Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten
Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher
Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger
Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg
zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward
ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und
25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig
die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal
mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel
des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für
den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als
nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel
anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen;
einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es
ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter
den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios
erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren
untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd,
seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann
sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager
wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im
stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden
größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker
verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische
Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das
bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk,
ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen
ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten
weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des
Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.

Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist
glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens
richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio
Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre
geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn,
die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu
machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago
gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der
Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und
Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch
Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn
Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der
karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit
einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken,
Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die
fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt
hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen
Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser
Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und
statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher
Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.

Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die
Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen
überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht
ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr
bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia
den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung,
Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür
verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die
karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das
heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von
Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena
gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die
übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter
beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten,
blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige
Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei
Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon,
daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago
verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa,
andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig
abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die
Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter,
dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte
dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den
Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im
ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf
seiten der Römer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestädte
Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die
Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistädte;
dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das
Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten
Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches
Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen
Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und
ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre
Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig
als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die
Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für
allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits
mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen
wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung
der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute,
welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten
und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis
dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften
auszubeuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe
der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit
des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in
sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande
zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo
der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf
Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die
Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach
griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden
Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151),
vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich
in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des
Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike.
Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier
behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu
haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem
Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König
Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige
Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den
König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich
wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf
Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten
festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des
Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte,
ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet
entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei
römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen
sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt
versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise
fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den
thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester,
und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer
Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und
obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über
das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und
darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz
Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so
entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus’ Sohn
achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger
als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker
Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu
sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden
und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den
Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der
römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste
Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne
Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und
pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen
die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor
Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen
Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging
fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt
des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in
grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres
römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und
drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein.
Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand;
allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer
ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine
Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen
leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach
Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach
einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.

Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten
nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt
gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor,
den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die
Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich
Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische
Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische
Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das
Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die
Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen
Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag
empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien
abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen
Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen
Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien
vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im
Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel
die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in
Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So
erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die
Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war
nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit
kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation,
jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch
wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als
Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte,
eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf
die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner
alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach
der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher
Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion
auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor
Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den
fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist
auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der
zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht
hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten,
als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation
der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.

Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen
Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen
Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit
unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden
Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die
große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’
Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und
Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch
weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die
natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils
für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen
Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme,
die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein
werden.

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^11 Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als
diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den
thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der
Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‘Von den merkwürdigen
Dingen’. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung
von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von
Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.

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Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst
der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten
wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen
Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum
Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden
Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der
Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer
ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes
Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten
Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des
allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604
(150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten
achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht
aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den
Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen
Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so
deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König
Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade
verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine
Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward;
wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den
Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen
aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei
zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg
und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung
der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte
wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend
nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die
Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische
Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich
Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum
Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere
Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den
gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war
keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie
wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so
sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um
nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit,
um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.

Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der
zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der
Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der
Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die
Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht,
Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den
Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die
Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer
bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand
wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder
vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward,
verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten.
Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur
Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides
berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß
der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der
soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen
Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und
politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter
ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von
Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische
Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu
erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner
fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht
als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward
abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs,
setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten
Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen
Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete
römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die
Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um
ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und
unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die
unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen
Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen.
Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt
Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen
auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte
Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im
Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder
auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie
dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den
Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen
Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel
einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende
Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht
habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise,
so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende
Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der
römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier
festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man
an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim
und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch
beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln
gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der
mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum
erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in
Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der
Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg
Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren
Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen
Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen
müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu
beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine
Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu
veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen
Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten,
erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die
allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei
und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten,
erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste
Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos’ Antrag
förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen
Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach
Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem
Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der
römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen.
Kritolaos’ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu
Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die
Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der
Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem
Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die
geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung
unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung
beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten
Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten.
Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die
Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu
Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um
Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der
Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu
bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu
senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm
es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als
dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward,
war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es
wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen;
eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die
Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte
die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei
Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war
beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine
Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen
Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst
um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische
Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde
geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden
Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den
Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum
Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum
Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen;
seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des
Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten
Führer. Diäos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl
übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl,
12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die
Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den
Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der
Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt.
Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische
Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief
sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf
dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul
Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier
eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer,
ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen
römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee
bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten
nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in
Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten
standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps
auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu
Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber
Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar
das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage
zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich
von den Römern besetzt.

Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft
mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen,
der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken
erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs-
und Siegestaten wegen den Namen des “Achaikers” annahm und dem Hercules
Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies
er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption
aufgewachsen, sondern ein “neuer Mann” und verhältnismäßig unbemittelt
war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß
von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen
seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward
aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen
des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen,
umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten
Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die
geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später
erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder
Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen
überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und
anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den
Landstädten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stücke auch den
isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der
definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die
Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte,
die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche
aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand
in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der
Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus
versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt
und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das
Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste,
nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem
Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als
oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine
Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur
Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen
Gemeinden die “Freiheit”, das heißt eine, freilich durch die römische
Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche
das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und
Gerichtsbarkeit in sich schloß ^13. Einige Jahre später ward sogar
nicht bloß ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet,
sondern auch die drückende Beschränkung in der Veräußerung des
Grundbesitzes beseitigt.

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^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in
Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt,
die einst solche Beutegaben trugen.

^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz
geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit
hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig “frei” blieben (CIG
1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist
ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland
damals von den Römern “in Besitz genommen ward” (Tac. arm. 14, 21; 1.
Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom
entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel
Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die
“Ruten und Beile” des römischen Statthalters fortan auch in
Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55)
und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543)
sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim.
2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die
makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war.
Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein
anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien
Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B.
Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z.
B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische
Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den
Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und
eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte
dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen
Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis
sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz
Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet
werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das
Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder
latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der
caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus
Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen
zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia
hervor; sie ist zunächst nichts als das “Kommando” und alle
Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind
ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen
Stellung.

Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien
Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse
des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht
änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß
statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden
Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit
Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt
der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen
Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche
oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des
Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der
ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.

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Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und
Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden
entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken
umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung
der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein
düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl
des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei
nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa
bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe
nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war,
sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder
Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an
Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des
isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu
römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der “Augapfel von Hellas”,
der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen
Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so
muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser
Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die
Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und
die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention
erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles
damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück
für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von
Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei
weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen
Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes
hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und
begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment
Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das
Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde
von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den
Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht,
welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht
in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben
Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren
grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser
Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit “für hart und
barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu
entreißen”. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde
die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der
numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche
durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten
ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts
weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor
aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius,
sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel.
Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei
erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie
anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen
Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei
der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift
man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und
weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch
die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für
die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen
Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos;
wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit
586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von
Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die
korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der
Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14.

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^14 Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen
griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne
Unterschied “korinthisches” oder “delisches Kupfer” genannt werden. Die
Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den
Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat.
34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße
auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.

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Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien
getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft
entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren
Weltteil.

In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich
von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die
Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf
das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und
strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie
sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die
Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen.
Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im
Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens
und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und
kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von
denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf
den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem
immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher
erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt;
es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem
Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine
diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon
schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb
freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen
Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der
Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach
dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen
und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich
gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller
Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und
Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer
zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche
eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer
Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im
Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von
Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte
keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und
Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz
schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die
eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes’ Bitte sich
herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner
wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch
die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und
obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten
Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß
vereitelt wurden ^15, hinterließ er dennoch trotz aller offenen
Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer
gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in
ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616
138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der
Vormundschaft über Eumenes’ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit
römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos
Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter
Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit
der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei
beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu
hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen
lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die
syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten
entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg,
den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? - 605 182-149), ein
Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich
vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention -
freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine
erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt
worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines
Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle
des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches
Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des
unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im
Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von
seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über
den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein
plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der
Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die
Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent
testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich
den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen
Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei
Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung
der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden.
Das Testament lag vor ^16; die Römer traten die Erbschaft an und die
Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer
Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien
entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die
Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein
natürlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen
Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa
und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem
festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre
Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen,
mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen;
da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen “Bürger der
Sonnenstadt” ^17, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen
Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis
sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen
thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft.
Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und
die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien,
Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht
erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein
und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des
Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr,
der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer
der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als
Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den
Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen
dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und
schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den
Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu
stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren,
die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben
(Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit
ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward
Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger
Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in
Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet.
Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die
definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas
plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im
karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den
Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit
von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien;
Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen
Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen;
das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der
gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils
beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt
worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde
behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste
kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.

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^15 Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene
Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von
Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20),
erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben
und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des
Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der
Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den
(sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu
entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König
als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen
Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu
denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als
Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch
fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb.
31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines
Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die
Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer
Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter
Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in
einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der
bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere
Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich
die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen
dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg
erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen
Verdacht aus, “den sie auch gegen den Bruder” (Eumenes II.) “gehegt
hätten”.

^16 In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die
“Freiheit”, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment.
Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches
Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des
Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also
konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen
der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und
den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das
städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis
in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die
Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser
umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der
römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den
fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten
innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu
benutzen.

^17 Diese seltsamen “Heliopoliten” sind, nach der mir von einem Freunde
geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten
Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur
gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem
in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.

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Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das
Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer,
die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte
Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten
Verhältnissen bestehen.

Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V.
Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsächlich durch Hilfe der
Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und
Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische
Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung
auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin
fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse,
wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden
Schauspielertruppen, der sogenannten “Künstler”. Zum Lohn der Treue
gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen
Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe
Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte
Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche
Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran
grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.

Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte “Kappadokien am Meer”
oder kurzweg der “Meerstaat”, Pontos, zu steigender Ausdehnung und
Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König
Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der
bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich
bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz
ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten
Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen
ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das
Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen;
allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein
Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue
Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen
Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind,
sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die
paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter
dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich
wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für
beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben
nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte.
Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das
:Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu
bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes
und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie
umfaßt zu haben, während Groß -Armenien und Sophene eigene unabhängige
Reiche bildeten.

Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das
Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen
geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen
die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis
hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der
Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der
Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat
nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der
politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn
dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und
Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das
syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene
Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie
und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in
Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort
stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom
lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und
des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos
Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170)
gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor
(573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den
Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um
seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide
Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und
wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward
Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als
König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den
königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat
beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse
regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag
von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den
militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß
Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist
ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens
zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben
abgefunden. “Könige sind, wen die Römer wollen”, schrieb nicht lange
nachher ein jüdischer Mann, “und wen sie nicht wollen, den verjagen sie
von Land und Leuten”. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal,
daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen
Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit
Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der
innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch
endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten.
Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel
erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent
von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent
Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten
Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach
Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen
Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten
und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat
zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im
Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe
schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle
ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens
daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten
verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet.
Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an
römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem
Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und
Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ
dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der
Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward
Demetrios als König des Landes anerkannt - man war ja jetzt so mächtig,
daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß
Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten,
sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte
und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat
auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der
römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und
entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der
Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig,
auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus
den Augen zu verlieren.

Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so
leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und
jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen
Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich
wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht
lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra
unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige
baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und
der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet.
Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos
dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont
bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und
das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener
König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der
Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat
angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der
Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der
beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien
im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre
Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen
Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte
namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen
Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines
Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte
Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem
Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der
Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die
wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan,
hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in
seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in
religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit,
auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem
solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und
durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste
Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die
eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen
Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst
tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang
zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den
Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit
gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und
Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht
zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine
Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation
sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die
Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der
Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags,
die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms
versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten
gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen,
blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen
Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen
Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des
Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere
Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den
syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die
Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald
darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn,
von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und
Fürst Israels förmlich anerkannt ^18 (615 139).

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^18 Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift “Shekel Israel”
und der Jahreszahl des “heiligen Jerusalem” oder “der Erlösung Sions”.
Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören
nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.

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Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die
gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene
Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die
Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem
und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser
gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in
weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis
eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion
gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser
Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große
Partherreich. Die “Parthwa” oder Parther, die als eine der zahllosen in
das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im
heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen
schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen
Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes
erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der
sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der
eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich
weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen
Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch
innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich.
Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der
großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der
verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch
die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste
zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia
und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der
nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte
der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im
nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von
Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich
unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine
Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete
Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art
waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter
ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch
die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen
zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der
Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte
unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die
Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische
Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur
stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die
Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von
Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen
Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen
Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf
die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte
Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern,
daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der
parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer
nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische
Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische
Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst
dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der
Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das
Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel
das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an
Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den
andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in
seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an
einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur
vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein
mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten
oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische
Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom
Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden
Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur
Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren
asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum
eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit
den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische
Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien
und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner
Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die
mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther
unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden,
noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den
vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den
Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche
Landschaften.

Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der
Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die
bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander
ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe.
Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien
und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben
mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das
seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der
römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik
Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte
Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von
Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis
bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch
Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat,
nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt
fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in
die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den
Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein,
was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit
Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen
Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.

Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen
Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als
daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet,
Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst
so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten
in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte
hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal
für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit
Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer.
Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und
wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten
ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen
Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die
vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den
furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene
Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien,
von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten
Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen
sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah
nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare
Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die
gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche
gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des
Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im
Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den
mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern
und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die
andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt
sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu
kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich
selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu
Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien
nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch
eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten
des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen
seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen
und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch
weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als
habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen,
was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein
schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war
ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der
ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein
achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für
schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus
führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: “Lügner sind
all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.” Die ewigen Bürgerkriege
verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten
“Insel der hundert Städte” eine blühende Ortschaft nach der andern in
Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und
die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für
die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr
geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn
zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische
Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem
Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel
zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine
letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie
gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen
die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es
scheint, ohne Erfolg.

Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft
eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der
syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos
Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte
(608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu
befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien,
mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein
gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die
hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte
ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und
Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens
durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der
Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach
Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was
sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer
machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere
Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten,
wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz
gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige
ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige
daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu,
die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem
Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten
Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und
freundlichem Geschäftsverkehr.

Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der
römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht
bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil
und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe,
die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm;
sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die
Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien
zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen,
ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen
und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses
Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare
Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch
und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen,
wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten,
wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der
unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar,
wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch
das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und
kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu
regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen.
Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in
Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines
Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der
Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein
schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die
Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die
angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung
auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse
Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen
der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die
spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier,
wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die
bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den
römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und
durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das
frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch
Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die
feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift,
sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen
Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden
Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine
seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den
Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah,
ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt
ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der
bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien
und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand
selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den
Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den
römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des
Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die
Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so
gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor
Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die
Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß
der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft
ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil
sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung
der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren
Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der
Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem
rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der
Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum
gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen
durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten
Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern
der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den
Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer
auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf
seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze
ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der
unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und
afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man
nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und
spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die
besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß
es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche
Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung
namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von
den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im
Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der
erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem
freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung
durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum
Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der
einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen,
erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal
ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen
veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem
verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es
ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen
Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward.
Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia
an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche,
Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten
Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale
ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und
werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien
regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der
Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein
Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia
eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits
den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe
die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser
selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen
ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie
seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene
Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal
behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu
bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er
gescheitert.




KAPITEL II.
Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus


Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der
römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche
bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der
Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in
dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller
Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und
geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit
Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen
Republik des Westens, “die die Königreiche bezwang fern und nah, und
wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und
Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war
bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte
keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn
machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch
Zwietracht.”

So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das
Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu
verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae
und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter
geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate
saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien
festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das
Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso
unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit
entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und
schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im
Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war
längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des
Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat
mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so
weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch
vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der
Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren
und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes
Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis
endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im
Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam
an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage
des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik
unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden.
Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff
vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht
als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit
überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der
regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung
ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes
Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes
Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz
der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu
verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die
Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der
Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der “neuen Menschen”; es
gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich
untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger
Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt
ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und
gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen.
Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den
lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem
man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem
bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger
Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings
fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis
zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege.
Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder
gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die
Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war
eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde
folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius
Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria)
niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die
vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen
Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß
der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen
Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der
Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das
Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische
(617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das
Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden
bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen,
bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf
den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu
verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem
regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die
sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates
erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit
des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das
mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging,
nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel
war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der
Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes
von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil
ward (um 609 145).

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^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat
beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551
203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind
Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162)
nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547,
554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169,
168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig
als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von
diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen
Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus
Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602
(152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der
gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv.
ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p.
55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.

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Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich
bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die
Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in
den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu
spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen
Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und
zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des
politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in
den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische
Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche
Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die
Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man
entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle
überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der
Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch
alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden
Koterien.

Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn
als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des
Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange
Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden
wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie
in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich
verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine
“Ehre”, und militärische, politische, juristische Kapazitäten
wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die
tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz
auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten
die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die
politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu
wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war.
Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige
Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in
den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene
und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen
aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das
übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel
ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel
fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem
Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder
Bewerber bei seinem “Umgang” (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei
Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme
Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat
kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich
der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von
feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die
Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und
beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die
Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen
Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben
einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften
Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener
Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und
recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es
geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der
politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die
Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller
Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung
zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595
(159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu
mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des
dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge
war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit
derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von
Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das
Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger
zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die
Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst
von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit
sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der
Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als
daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es
den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des
Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.

In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die
zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch
unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen
Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode
gehört werden, wollten die “Optimaten” den Willen der Besten, die
“Popularen” den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in
dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich
selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für
Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder
Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen
und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in
den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer
Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über
diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich
miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den
Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr
ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war.
Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die
Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen
Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment
aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen
des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern
viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie
konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es
gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich
politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und
ging seiner völligen Auflösung entgegen.

Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution
eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor,
sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die
römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche
also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt
ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit
uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich
suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der
Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit
dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen
Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und
demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne
eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen
Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen
Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben
Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter
veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende
Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft
vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine
Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier
seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die
Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man
schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das
heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in
strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise,
daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus
mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige
hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als
industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in
beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen,
die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen,
sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung
auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau;
schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in
Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war
als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine
Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue
Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften
Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts
auszurichten war.

Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von
Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und
den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten.
Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen
unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit
seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er
bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter
Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als
Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse
bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch
in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustände bevorzugter
Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft
mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im
karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während
für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und
die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese
Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch
betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der
Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung
beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den
Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten.
Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon
verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme
Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das
Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und
kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und
Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln
ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den
Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter
ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang,
daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den
verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen
Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen
Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware
an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu
10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft
gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven
geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot
überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen
Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß
dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem
Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr
Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch.
Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der
Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft
wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden
regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die
Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf,
Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher
sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese
wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern
einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward
allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen
Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht
worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den
Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation - so war
zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen
Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen
zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der
eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde
nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen
an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und
nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger
zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient
nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien
gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die
Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen
Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die
Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als
römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige
Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84
Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und
unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens
römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die
römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und
welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem
Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben
werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel
bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der
Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in
Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu
sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in
ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an
Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische
Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder
doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer
Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der
Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß
bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die
Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich
nicht beteiligten.

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2 Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst
durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand
eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist “den Syrerschlag, der mehr
verträgt als ein andrer sonst”.

3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum
von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß
diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets
und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern
zukam.

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Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller
Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick
in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der
römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein
Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft
selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat
brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß
dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch
geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies
nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären
als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr
für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die
Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei
abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats
durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische
Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.

Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden
Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten
Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen
Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man
in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven
aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es
begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu
Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die
aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg
gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen “Sonnenstädter” war
wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am
ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des
Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal
im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur
Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in
industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder
Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen
erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar
in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab
sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren,
töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon
ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen
Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave
Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der
Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer
syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia
selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere
“Feldherr” des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos,
durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von
nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die
den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven
gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein
kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber,
dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter
miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren
Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner
größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu
schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel
in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben
sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich
genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und
konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen
unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der
Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor
der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der
Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung
zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an
Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso
und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr
durch den Hunger als durch die Waffen 4.

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4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am
wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen
des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.

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Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem
römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen
gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die
ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft
übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für
jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die
Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr
bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der
Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht,
prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen
oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe
der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung
trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des
Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber
nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische
Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die
aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu
lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne
Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch
mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter
eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht
zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel
an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren
waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider
begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die
Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war
denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius
Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000
Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger
möglich, das Kapital zu schonen.

Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere
Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit
und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah
in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen
Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der
Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu
verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische
Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur
Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der
italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige
Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen
Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren
Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem
Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der
Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu
begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche
Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem
bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit
darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der
Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes
durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war
dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen
können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von
Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere
Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige
Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der
Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht,
sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung
segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung
gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich,
außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum
(Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange
hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der
Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues
Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land
zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen
Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm
war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet
zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen
unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die
Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht
fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die
Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts
übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also
geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer
auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne
Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging
- eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde
stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie
der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die
Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der
Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum
Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie
Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft
herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische
Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen
und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte
die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen
Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort
keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt
laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber
nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die
Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den
Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen
Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595
(159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache
wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen
Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000
waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken,
indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147)
auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt -
ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren
Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in
Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es
bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.

So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat
eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch
das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen
und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier
nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht;
aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und
sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der
Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen
nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius
Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem
Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am
Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß.
Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen
Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern
der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen
liebte er die Jagd - als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den
Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht
hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren
unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten - und vor allen
Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und
literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in
diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das
geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch
seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in
dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte
dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen
Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen
Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht
eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen
Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der
Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke
mustergültiger Prosa geschätzt - und zog mit Vorliebe die besseren
griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher
plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von
denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige
Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger
Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und
Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in
Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch
mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden
Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus
dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen
Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden
pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier
begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick
zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so
wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine
Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten
Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern
berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu
wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar
half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und
arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege.
Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein
tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen
den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz
durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der
Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung
einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen
mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer
der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als
Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu
den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder
zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als
Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen
Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft
ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten.
Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die
Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren
nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen
der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius
(Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer
Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des
unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes
vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden
italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem
Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war,
und ward fortan “der Verständige” genannt. Auch Scipio dachte also. Er
war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur
sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person
rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß
dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im
vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen
hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel
schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner
Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des
Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch
auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam,
nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der
Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit
hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter
angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der
Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten.
Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.

Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem
Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser
Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius
Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul
577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines
römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der
abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele
hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er
durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm
verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein
Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die
Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte
und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem
durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und
zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes
Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.

Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher
ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner
sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und
bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand
des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den
Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere
von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur,
sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher
bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und
Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine
griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister
teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner
Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die
Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des
strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der
tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an
Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die
Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit
aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und
steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute,
denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner
Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius
Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der
angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen
Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war
und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so
rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil
er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche
Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich
aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im
Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder
Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen
Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine
Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb
der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder
Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten
halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem
häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand
diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem
Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war
kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber
wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die
ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive
mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617
(147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus’ Werk; daß
der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden
ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem
gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der
Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen
und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende
Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern
philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer
Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich
trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es
nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte
den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu
gedenken.

Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat.
Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische,
militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen
eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln
dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die
aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit
Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen,
sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung
bedurfte, um Gracchus’ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in
diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden
Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man
durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz
vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte
Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines
Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des
Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach
die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten
Staatsländereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von
Capua, berührte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden,
jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und
für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu
bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in
Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen
Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen,
scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene
Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils
an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als
freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber
das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die
Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei
Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen
und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem
Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der
wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was
Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach
angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr
ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert
sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu
in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der
beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte
Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die
regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz
hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische
Anwendung geblieben war.

Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren
wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und
seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in
ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm
den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die
Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren.
Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von
der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich
überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht
werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war.
Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die
Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man
nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende.
Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung;
natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die
flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die
Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie
Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein
verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines
Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt
den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei
Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie
weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte
in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die
Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies
darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die
Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege
waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen
Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag
für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn
wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der
öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher.
Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform
überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das
letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß
entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und
diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von
ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf
diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben
dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu
gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und
wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der
Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und
die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja
zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande
hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich
interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die
Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die
Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter
allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten
Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes
nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem
Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die
Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an
den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu
erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24
Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward
immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte
Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den
Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen
Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz
vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene
Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die
Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben
Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde,
war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem
nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine
persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr
ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst
von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere
Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung
seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß
er erst am Anfang stand. Das “Volk” war ihm zu Dank verpflichtet; aber
er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte
als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich
blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer
neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch
das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und
Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk,
den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung
des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt,
gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue
Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über
Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über
die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als
Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen
Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet
haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich
nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung
darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein
zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese
verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in
Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen
zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen
aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen
für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für
Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich
wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache
aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward.
Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und
unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm
seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch
Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der
Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem
Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran;
die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der
Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die
Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward
geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die
sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein
Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel
der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des
Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach
der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu
geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute
auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul
Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als
der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso
unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der
Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher
Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie
könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast
niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander,
als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen
zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen
begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des
Kapitols und ward von einem der Wütenden - Publius Satureius und Lucius
Rufus stritten sich später um die Henkerehre - vor den Bildsäulen der
sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die
Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch
Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den
Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders
zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht
erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der
ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie
diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der
Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man
hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen
der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf
die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell
daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und
rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man
überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige
einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius
Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große
Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art
rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor
allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut
hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu
vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald
darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die
gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius
Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner;
Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte,
verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner
Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich
darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder
nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach
der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.

Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu
gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen
Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer
Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden
italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein
Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den
obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die
Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage;
sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die
bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend
erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung
die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten
Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in
der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich
zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß
gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die
Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des
Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle
Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der
bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich
schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt
durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl
in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm
zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene
Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt,
konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische
Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen
zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz
befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt
leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert,
war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen
Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen
Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den
Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen
Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat
konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden
Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr
klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen
Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua
und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten
tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten
Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch
Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog,
beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu
nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172).
Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung,
sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und
nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation;
dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des
Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene
Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger
bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß
für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit
festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die
Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr
wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern
von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten
Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle
der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln
festgestellt wurden.

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5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19)
teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des
Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind
dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm
festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen
Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren
nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.

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Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische
Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene
tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes
Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel
größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des
italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum
begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten
Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und
Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und
wünschten.

Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der
einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat
dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und
patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um
diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats
eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war
Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die
Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den
Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der
Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die
tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik
gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern
für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche
und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Für die Geschichte gibt
es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf
aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber
vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der
wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu
oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen
Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des
Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und
denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger
verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den
Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die
die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische
Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein
großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu
vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso
klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der
Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der
städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem
System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist.
Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in
England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler
Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von
allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der
die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die
Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu
fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen
Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar
hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig
aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand
sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen
Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in
den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden
dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß
nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die
Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und
Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige
obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten.
Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es
auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger
erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den
Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte,
Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes
bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht
abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die
Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas
darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward,
schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner
auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen
anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner
Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach
er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu
schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich
die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt
geschickt habe?

Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und
für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man
diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen,
Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur
Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese
sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt
Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse
und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf
einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen
Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken,
so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht
bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten
in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen
nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat
verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Männer des
Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den
ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des
Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der
Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende
gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch
die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie
festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß
redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden,
den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen.
Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht
unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist
für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß
dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische
Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab-
und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem
Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne
Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger,
durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht
wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den
Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis
die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die
demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den
Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und
Verzweiflung erpreßten weiteren “Reformen”, der Leibwache von der Gasse
und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für
Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten
Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und
verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet
sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging;
allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen
geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die
besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus
die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: “Also
verderb’ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!” Und als des
Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten,
schrieb ihm die eigene Mutter: “Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein
Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend
uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?” So sprach
nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der
Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod
ihrer Kinder.




KAPITEL III.
Die Revolution und Gaius Gracchus


Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung
wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen
Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber
nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes
benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz
selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch
gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen
begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623
131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei
des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war,
selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein
Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem
Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde
ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein
bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl
wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen
nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für
Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders
Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und
auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in
Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer
der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo.
Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der
Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und
Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an
Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius,
derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus
leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als “den
ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern
eingewiesen habe”, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die
Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen
Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch
Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die
Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes.
Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen
die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen
Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel
eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung
zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins
Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen
der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht
ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr
als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125)
statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000
hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die
Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch
bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt
hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte,
ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab
ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte.
Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und
durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten
rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge
forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des
Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde
zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte
Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch
vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht
genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und
großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die
Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die
Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses
Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte
dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war
nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken
desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks-
oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere
Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise
okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen
an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern
einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder
vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des
durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen
Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum
verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private
nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder
Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht
einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt
verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich
mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in
diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte,
so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es
politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch
zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr
entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche
Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die
Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen,
die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die
Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte
jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu
setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten
Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu
schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß ^1 ward
im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die
Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was
Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die
Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen
zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren
Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs
gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen
Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum
illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft
unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber
da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch
sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst
Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios
Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der
Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag
über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages
ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in
voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher
öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten
Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach
zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist,
kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn
gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand
den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei
nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es
ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch
überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch
anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der
Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist
einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die
aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten
nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius
Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten
verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung
einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr
einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache
ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner
mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform
gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich
abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners
zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt;
verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von
Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte
sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der
Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.

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^1 Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit
nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint
ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut
triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep.
28; oben S. 95).

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Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio
Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger
Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm
gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere
Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten
sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor
seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch
einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen,
in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica
gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder
verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst
gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des
Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von
gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese
Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte.
Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von
wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius
Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und
unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht
gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf.
Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der
Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber
mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld
für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den
Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer
nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern
gefallen wäre.

Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die
revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine
konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten
hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich
Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als
Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die
geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt,
soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den
bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um
dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das
Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war,
gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand
Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach
dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln,
wieder ein- und durchgebracht 2. Die hauptsächliche Absicht der Partei
ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten
Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die
Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben
entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu
beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu
begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius
Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt
beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des
Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen
Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit
dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen
Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen,
gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien
einzuräumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die
Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus
abwesend als Quästor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand
nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der
Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt
war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu
übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen
Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der
üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten
Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze
von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines
großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite
Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche
Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der
Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom
- seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht
durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen
die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er
andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken;
nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den
Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der
Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr
Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf
einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria
gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die
umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare
Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose
Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch
die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der
Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen
erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den
gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie
die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu
kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen
Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die
Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf,
bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich
zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631
(123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei,
immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch
notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu
Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als
Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft
berufen war.

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2 Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn
es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht
schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren
Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473),
sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.

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Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um
neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem
Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er
hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit
Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an
Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit
und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der
verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen
Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die
echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum
Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen,
die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens
und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene
Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit
geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die
innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das
Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese
furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner
geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn
wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen.
Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind
manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit 3,
und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las,
fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch,
sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der
Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß.
Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’
Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas
sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die
den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit
voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach
dem Ziel der Rache. “Auch mir”, schrieb ihm seine Mutter, “scheint
nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies
geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies
nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie
sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.” Cornelia
kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil.
Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis,
mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen - die
Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder,
trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich
auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese
tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat
die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran
getan.

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3 So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen
Worte: “Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler
Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun
niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius
Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu
lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und
ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches
mir von euch bereitwillig zugestanden werden.”

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Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die
Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge
einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung,
als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung
erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das
folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt
die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung
gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu
sichern, das heißt die hauptstädtische Menge - denn daß auf das nur von
Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte
sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Führer zu
knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen
Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den
Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an
die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem
persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine
bestimmte Quantität - es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den
öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As
(2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen
Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen
Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden.
Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt
lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des
Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische
Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie
abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei
bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache
und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer
Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den
Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf
Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben,
abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien
durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden
Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf
hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen
Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und
damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der
Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten
nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben
allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst
und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne
abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt
bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz
kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen
Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet
werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr
beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die
für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt.
Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von
römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits
verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten
Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung
des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen
wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er
die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor
allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen
verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur
Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem
bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren,
sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese
Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd
verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß
Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den
überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte,
wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen
Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte
Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer
römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger
noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit
für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat
eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der
Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das
ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich
regierte Land zu betrachten.

Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar
bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen
aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der
bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur
Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen.
Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine
andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach
vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst
pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst
anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein,
daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch
zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der
Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um
den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger
Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren
Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter
gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen
achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es
scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche
Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren
Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat
unentgeltlich geliefert.

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4 So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst
berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der
bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd.
6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen,
läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich
schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite
sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der
gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p.
68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.

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Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung
hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch
noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil
selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit
Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den
Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer
nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der
Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn,
Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen
beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu
suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das
Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu
bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß
Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu
Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der
Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies,
welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns
gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an
die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der
althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde
unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den
eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der
Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch
Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten;
denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den
Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige
Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst
gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius
Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren
Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des
Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem
Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich
von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und
höchstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig
befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur
förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem
freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur
Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.

Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch
behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf
Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn
es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln
beizuzählen ist.

Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine
materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing,
arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl
erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute
Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht,
die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse
zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die
Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus
erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen
Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie
Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich
geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der
unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren
Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille
Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der
zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer
dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte
im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon
dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des
sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die
Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem
kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius
Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand
zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der
gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem
Namen der “Ritterschaft” einen entscheidenden Einfluß auch in
politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die
ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich
allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle
diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000
Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff
also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische
Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die
Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes
gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen
ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen
genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die
Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat
eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen
Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja
die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien,
infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren,
vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.

Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden
Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat.
Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und
den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden
Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation
ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern
der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren
namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn
wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich
über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die
römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat
sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten
der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die
Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht
gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen
war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender
Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das
Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand.
Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von
Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden - der goldene
Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der
abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten -, der Ritterschaft
zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber
nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um
diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen
senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand
ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck,
der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen
Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls
geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies
haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie
viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr
gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die
Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch
keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus
erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen
zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so
bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.

Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten
Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben,
gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der
Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben
indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den
Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft
römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und
Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne
Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also
regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die
zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte
pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich
abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen
war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System
einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stieß diese Verfügung durch einen
Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie
Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben,
namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese
Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten -
eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich
ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und
Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler
Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus’ Bestreben,
den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch
die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme
nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden,
sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle.
Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den
Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung
imponierender Kern der hohen Finanz, ein “Senat der Kaufmannschaft”
konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den
Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen.
Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die
Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und
ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten
Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die
Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils
stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher
waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden;
Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den
ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an
den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der
Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich
neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der
senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze
von den Gerichten ausschloß 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die
Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in
den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und
sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein
sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen;
und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in
ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des
also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war,
daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die
Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als
legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren,
jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der
materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse
sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende
Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast
ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute
gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen
nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den
Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator
nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und
Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz.
Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen
Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den
bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der
Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt,
daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.

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5 Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt
jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11,
10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.

6 Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte
neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen
besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des
Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.

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Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand,
ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden
Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche
Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch
Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende
Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die
Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus
nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen
durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische
Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den
Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise
die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon
erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu
fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den
öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über
die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und
Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die
Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene
Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere
an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden
Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen
Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der
bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch
beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen
festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit
beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die
verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner
Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die
Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden
Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die
Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die
Konsulwahlen - kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein
Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung
des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes
persönliches Regiment.

Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die
senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene
beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion,
die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen
gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem
erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung außerordentlicher
Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen
war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu
Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat
die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das
Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven
Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie
wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es,
daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und
dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem
Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius,
genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag
nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch
- ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch
der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches,
aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius
gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe,
auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden,
nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die
Schande, durch die Legalisierung einer notorischen
Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem
Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der
Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt
hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als
diese Maßregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausführung
gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr
ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem
Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen - eine Pairskreierung im
umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit
von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.

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7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch
sein.

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Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und
während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in
ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne
auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur
Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in
der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten
Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende
Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht,
daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da
über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius
keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und
weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten,
umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen
vollständig realisierte.

Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter
und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue
demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der
Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch
unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut
gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit,
anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem
Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die
napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die
Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der
Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte
deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des
Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die
Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden
war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere
politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein
Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit
heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war
ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für
sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und
in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch
unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der
monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die
Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute
Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als
eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das
kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am
wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so
fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf
sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben
eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das
gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der
persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht,
für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden
Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine
Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde
Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein
hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich
groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des
Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius
Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit
schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben
Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine
Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ.
Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der
Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit
heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der
durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio
Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein
ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er
zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen
mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit
einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen
war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die
nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind
und menschlich heißen konnte - beides, weil er teils der Partei der
Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den
Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen
bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine
geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen
bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer
fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen;
dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit
irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch
außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in
den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser
Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr großen Teil
mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle
der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische
Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als
Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat
leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon
bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius
Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt
daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die,
den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das
Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine
Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie
abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den
Markt geworfen, damit die Bürger - die vornehmen, versteht sich - mit
ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer
Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm
datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius
Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes
entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten
hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden
von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig
demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald
pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von
Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem
römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und
doch - dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der
Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der
römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus.
Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten
Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser
praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß
aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des
Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem
Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie
es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es
in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der
Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen
her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende
Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und
zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die
Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor
allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den
Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich
bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte
Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den
Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen
Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem
seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht
und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier
sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem
Urteil zu verstummen.

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8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von
Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch
Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres
Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren
keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und
fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die
Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei
Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und
solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von König
Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien
die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige
bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen
werde.

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Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich
vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk.
Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen.
Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich
sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des
römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten
Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der
ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die
Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten
Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt
um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der
republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor.
Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und
vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was
sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem
einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen
wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr
handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und
gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die
Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus
entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl,
der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden
Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der
Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte
Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die
Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit
Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg
beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat
übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle
Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der
Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte
Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art
diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein
aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen
den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. “So meint ihr also”,
sprach der Optimat, “wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt,
eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der
Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz
finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck
besetzen werden?” Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an
einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher
Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine
Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis
der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß
der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem
entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte
das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der
Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz
einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus
nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des
Marcus Octavius zu bereiten.

Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den
Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren
wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte.
Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat,
zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem
militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die
Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der
Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen
mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue
Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas
zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat
völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend,
daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig
zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl
die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche
Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie
von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, für den Augenblick
wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner
eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in
Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein
Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle
anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges
nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das
jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags,
die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender
Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für
Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf
den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf
seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von
selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was
Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch
mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus
vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen
und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu
erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu
versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu
deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur
Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische
Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen
Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten,
wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes
Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint
nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich
einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem
latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von
dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die
allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste
zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die
Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere
gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die
Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die
italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn
man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte -, das für
zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften
erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge,
endlich Drusus’ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes
nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe
herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte,
war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht
entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles
ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und
sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein
heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände
arbeitete. Das “Volk” ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso
bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem
neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen
mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum
drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei
übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher
beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach
die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter
Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen
gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius
der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die
Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am
wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest
entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu
beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte
Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius
sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die
unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago.
Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die
lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische
Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die
römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und
Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der
gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen
gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der
Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung
derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien
an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft
berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu
bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern
nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes
hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der
Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den
Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der
ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden.
In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius
Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen
Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide
in der Hand, die “schlechten Bürger” an, die Halle zu räumen, und
schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger
Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand
ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen
und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich
abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund
mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem
eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein
verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste
Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln,
um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die
Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu
unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am
Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen
Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei,
den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft,
welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei
bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner
von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der
Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert
erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter
Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht;
der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des
Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam
überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein
zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu
beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre
Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum
Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit
dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol
und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide
sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der
Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus
dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im
Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in
das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu
vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie
unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats
an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen
Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus
wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und
wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen
Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der
beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich
einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen,
als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ
den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin,
indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt
des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe
buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem
Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit
gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der
tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den
fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist
geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein
Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden.
Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva
zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als
sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor,
womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich
bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu
entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich
den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden
Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin,
Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles
allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern
sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur
von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer
des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen;
es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber
den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der
Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes
des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene
Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe
Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden
in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge
preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im
großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft
worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an
dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner
Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem
Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus
geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete
Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen
niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten
Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert
ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer
glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet -
allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu
beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei
Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus,
dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen,
Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der
Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das
Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen.
Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für
die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten,
zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast
religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten,
wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz
fortfuhr zu zollen.




KAPITEL IV.
Die Restaurationsherrschaft


Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem
Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst
nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr
wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der
Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person
des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach
der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im
Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch
Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch
überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz
einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus
der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor
er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war
buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die
Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern
und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war
niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als
eben die gestürzte Regierung.

So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das
Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war
dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich
formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden
Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch
würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter
sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit
Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist
immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte
Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu
gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den
Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so
fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der
Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner
Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den
der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs
erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der
Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg;
wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach
Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu
bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für
den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die
Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst
Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch
kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine
Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von
den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ
ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden
Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So
erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere
Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der
Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff
die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die
Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte,
wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner
diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener,
als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil
die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange
nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung
wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs
vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward
dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle
diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des
öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich
begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung,
ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich
angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst
die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen
rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß
herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden
Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und
systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage
zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen
Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den
Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land
und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart
aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung
der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen
den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter
Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus’
Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der
Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei
beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose
den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf
einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht
wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus
Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie
Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im
Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der
Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat
gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die
beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat.
Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr
bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung
außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern.

In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die
italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und,
soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur
die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue
Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat.
Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits
verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im
Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und
Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die
noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den
Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden
in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen
Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv
zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden.
Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von
Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen;
allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese
Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein
möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst
getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von
Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus
zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats
der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre
635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester
Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam -
es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward:
noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der
Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab.
Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch
einen neuen Volksschluß ^1 das okkupierte Domanialland geradezu
umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen
Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt
nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine
Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung
eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück
Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen
tatsächlich ausschließe - verständige Bestimmungen, in denen die
Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems
nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst
getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine
Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie
also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren
Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie
zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an
dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie
genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh,
aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran
ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den
wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der
hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit
der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die
ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat
Schutz suchten und fanden.

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^1 Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit
dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen
Ackergesetzes.

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Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ,
die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden
waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen
von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig
ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in
anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand
ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses
Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es
waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden
nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das
Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die
verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen
einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der
senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der
Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung
der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an
senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber
auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu
verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine
Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation
der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl
aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige
Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und
dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der
Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder
durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft
des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen
Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben
Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine
Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte
die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen
Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der
Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie
die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde
zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den
kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf
dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den
Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur
planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der
eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der
kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes
Ideal der Mißregierung.

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2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend
gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats
genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was
daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres
648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder
in den berichteten Tatsachen.

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Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem
und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die
Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an
Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und
verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch
Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus,
Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und
wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in
der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem
Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann
wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der
Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht
und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so
hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den
Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß
fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment
der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch
unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die
nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß
die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des
Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und
(wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer
einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen
berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich
zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten,
von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und
grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er
desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder
Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die
Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in
ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich,
daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese
restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam
weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen
Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen
Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der
Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der
Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus.
Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt,
Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich
auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann
des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und
verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller,
sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem
Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht,
laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als
Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit
seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege
über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent
indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie
jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den
Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und
vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem
Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden
sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den
höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die
vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten,
schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen
Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu
führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando
einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter
Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor
der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre
Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser
restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und
sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die
zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein
treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser
Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen
ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten
Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum
Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren.

Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter
einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit
erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das
Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und
in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich
selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im
Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens
Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer
Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen
Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen
Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den
ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien
ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte
Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische
Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht
durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der
Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche
Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte,
sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem
wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu
ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der
Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die
Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die
seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden:
die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter
anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich
eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat
alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von
Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten
Sklaven zu den Waffen rief.

Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich
vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische
Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird
eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die
Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten
übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit
jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die
Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit
und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und
halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die
sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen
Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische
Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den
Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit
prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach
Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl
Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer
richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur
Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder
westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war
zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden
Provinz Kilikien 3. Die Absicht war löblich und der Plan an sich
zweckmäßig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die
Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewässern und
speziell in Kilikien, mit wie unzulänglichen Mitteln man von der neu
genommenen Stellung aus die Piraterie bekämpfte.

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3 Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien
erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676
f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App.
Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus
Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach
nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652
(102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge
der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen,
ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf
Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn
da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem
Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist
daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz
der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein
selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die
Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station
für Schiffe und Mannschaft.

Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem
Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten
Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien
und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches
(Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit
Antiochos zu Kappadokien.

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Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen
Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den
Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der
Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein
schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden
Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134)
als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution
aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger
Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten
Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen
ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die
Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten
längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten
zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz
dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den
dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist
charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der
Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu
steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die
freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die
Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand
gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten
ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter
die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom
Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von
Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht
nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in
achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die
Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die
erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem
römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu
erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und
die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie
sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und
augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren
nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und
gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln
nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich
zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten
Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener
Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den
Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr.
Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine
Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und
dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem
bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und
flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische
Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende
angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren
Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre
Landsleute daheim und - den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen
parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König
Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese
Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen
der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von
ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und
italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor
Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die
Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam,
wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern,
da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen
ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit,
ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig
auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den
Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren;
sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit
geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt
retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den
Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich
erzwungen von Rechts wegen kassierte.

Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um
sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze
stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter
Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als
Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger
versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch
Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und
einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die
ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den
kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die
Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht,
die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung
niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und
selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung,
daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch
diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen
König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten.
Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo
die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven
hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das
Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem
eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen,
welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die
Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das
Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann
sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein,
und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel
mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt
werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der
Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst
Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der
Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite
Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651
(103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die
überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel
zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb
Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere
militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für
tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala
werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den
Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war,
auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion,
der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die
Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus
unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen,
ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät
verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu
bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu
werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius
(652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind
später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden,
was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist.
Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein
übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen
Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor
unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und
Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten
Kämpfen - Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im
Zweikampf getötet haben - schlug der römische Feldherr endlich die
verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren
letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde
das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das
heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn
namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen
Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen
es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der
restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf
die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen
Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.

Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen
Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen
hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung
auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten,
gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika,
wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um
dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor
den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die
gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem
Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender
Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit
ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und
Insurrektion durchzuführen vermochte.

Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die
Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich
von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten,
und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich,
südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen
der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen
Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen
hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo
regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und
besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten
war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen
Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter
dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die
väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die
Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die
Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden
Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa 4, ein
schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten
sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschäftigte. Da
seine Söhne noch nicht erwachsen waren, führte tatsächlich die Zügel
der Regierung ein illegitimer Neffe des Königs, der Prinz Jugurtha.
Jugurtha war kein unwürdiger Enkel Massinissas. Er war ein schöner Mann
und ein gewandter und mutiger Reiter und Jäger; seine Landsleute
hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine
militärische Brauchbarkeit hatte er als Führer des numidischen
Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung
im Königreich und der Einfluß, dessen er durch seine zahlreichen
Freunde und Kriegskameraden bei der römischen Regierung genoß, ließen
es König Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in
seinem Testament zu verordnen, daß des Königs beide älteste leibliche
Söhne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt,
ebenso wie er selbst mit seinen beiden Brüdern, zu gesamter Hand das
Reich erben und regieren sollten. Zu größerer Sicherheit wurde diese
Verfügung unter die Garantie der römischen Regierung gestellt. Bald
nachher, im Jahre 636 (118) starb König Micipsa. Das Testament trat in
Kraft; allein die beiden Söhne Micipsas, mehr noch als der schwache
ältere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den
sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig
zusammen, daß der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Könige
aufgegeben werden mußte. Man versuchte eine Realteilung durchzuführen;
allein die hadernden Könige vermochten über die Landes- und
Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von
Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekümmerte wie gewöhnlich
um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und
Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen
und Jugurthas Miterbrecht überhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha
auftrat als Prätendent auf das gesamte Königreich. Noch während der
Verhandlungen über die Teilung ward Hiempsal durch gedungene
Meuchelmörder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha
kam es zum Bürgerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen
minder zahlreichen, aber besser geübten und besser geführten Truppen
siegte Jugurtha und bemächtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter
den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhängenden
Häupter. Adherbal rettete sich nach der römischen Provinz und ging von
da nach Rom, um dort Klage zu führen. Jugurtha hatte es erwartet und
sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er
hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die
römische Taktik: der numidische Prinz, eingeführt in die Kreise der
römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen
Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man römischen
Adligen zumuten könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode,
hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit
vornehmen römischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich
erinnern müssen, daß es fremden Prinzen anständiger sei, mit dem
römischen Staat als mit einzelnen römischen Bürgern Freundschaft zu
halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloß mit Worten
ausgerüstet; daß sie die richtigen diplomatischen Überzeugungsmittel
gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von
Adherbals gutem Recht überzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich
davon, daß Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen
umgebracht worden und daß der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha
sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken
vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der
Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daß die
beiden überlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen
erhalten und zur Verhütung neuen Haders die Teilung durch eine
Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular
Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn für seinen
Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission
stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und
nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta
(Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an
Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten
bestehende östliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare
und bevölkerte Westhälfte (das spätere Sitifensische und Cäsariensische
Mauretanien) zu teil.

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4 Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:


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Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege
der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte
Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die
gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet
ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu
führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch
ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward
Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt
Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen
mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der
Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern
täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf
Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge
unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen
Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß
Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die
Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung
annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen
schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der
Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre
Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte.
Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch
die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des
Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte
derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß - nicht etwa den
Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue
Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus
an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der
Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes
Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu
bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit
Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich
die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat
erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach
Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal
sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen
Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre
eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen
Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt.
Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern
hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt
aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642
112).

Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des
Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese
Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein
schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die
durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta
am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte
sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der
Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen
Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner
zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius
Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines
Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten
Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der
Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43
112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne
vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius
Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch
Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit
Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der
afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf
afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda)
hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem
Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis,
bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus
von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch
den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den
Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand
zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller,
als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der
König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern
vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb
versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer
Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen
Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine
Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu
unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten
Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß
der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche
Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch
war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form
halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen
und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden
war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber
übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine
mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der
Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später
wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen
Platzkommandanten und Offizieren.

Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt
wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu
haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen
Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat
ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er
wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in
Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich
der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der
beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte
sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht
als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich
sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in
Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam
bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der
cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum
hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer
seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu
schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der
Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen
gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben
abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius
Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in
der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde.
Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva,
seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat
geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs
Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen
Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der
Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue,
unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte
wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den
König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also
wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644
110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten
hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und
militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war
die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja
des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das
Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch
nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche
Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im
Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch
diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies
später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er
wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts
zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den
Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus
Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen
Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der
schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später
Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und
erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und
aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen
vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr
es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch
einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und
Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten,
eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils
waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor
sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des
römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen
numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten
Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen
wurden (Anfang 645 109).

Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die
plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen
Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien
Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste
in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene
wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem
Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft,
eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf
den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der
schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine
außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des
in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und
ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius
Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der
ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius
Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und
unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes
diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger
der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche
Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß
dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose
Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr
deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an
den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern
daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu
einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt
ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in
ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen,
dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden
Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl
selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.

Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag - den
Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie
dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen
Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig -, und die
Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man
übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten,
aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und
sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus
Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte,
seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als
Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des
Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat,
vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber
doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher
Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser
Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er
sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte,
sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen
seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und
verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt
ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen
Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren
begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul
und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so
zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt
hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand
fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz.
Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646
(108) 5 führte Metellus sie über die numidische Grenze. Wie Jugurtha
der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und
machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte
Vergleichsanträge, indem er schließlich nichts weiter begehrte, als daß
man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und
vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als
mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen
Klientelfürsten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den
Römern genügen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg über Albinus als der
Erlöser Libyens von der Herrschaft der verhaßten Fremden; rücksichtslos
und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die römische Regierung war,
konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den
Krieg entzünden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung
der afrikanischen Armee nicht eher möglich, als wenn König Jugurtha
nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die
Anträge des Königs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf,
ihren Herrn lebend oder tot an die Römer auszuliefern. Indes wenn der
römische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des
Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha
durchschaute den Plan und rüstete sich, da er nicht anders konnte, zur
verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des völlig öden Gebirgszugs, über den
der Weg der Römer in das Innere führte, erstreckte sich in der Breite
von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden
Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare
Nachbarschaft des Flusses wasser- und baumlos war und nur durch einen
mit niedrigem Gestrüpp bedeckten Hügelrücken in der Quere durchsetzt
ward. Auf diesem Hügelrücken erwartete Jugurtha das römische Heer.
Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie
und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Rücken auslief gegen den
Fluß, die andere, der Kern des Fußvolks und die gesamte Reiterei, höher
hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestrüpp. Aus dem
Gebirge debouchierend, erblickten die Römer den Feind in einer ihre
rechte Flanke vollständig beherrschenden Stellung und hatten, da sie
auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmöglich verweilen konnten
und den Fluß notwendig erreichen mußten, die schwierige Aufgabe zu
lösen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen
der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom
zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader
Richtung an den Fluß, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse
marschierte aus den Debouchés des Gebirges in schräger Richtung durch
die Ebene auf den Hügelrücken zu, um den Feind von demselben
herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben
des Heeres zu werden, denn während numidische Infanterie im Rücken der
Römer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie räumten, sah sich die
römische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern
umschwärmt, die von dem Hügelrücken herab angriffen. Das stete
Anprallen der feindlichen Schwärme hinderte den Vormarsch, und die
Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte
aufzulösen; während gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das
Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedrängten
römischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und
Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuß des Hügelrückens zu
erreichen; und das numidische Fußvolk, das die Höhen verteidigte, lief
trotz der Überzahl und der günstigen Stellung fast ohne Widerstand
davon, als die Legionäre im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen.
Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fußvolk gegen Rufus; es ward
bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem
durchschnittenen Terrain alle getötet oder gefangen. Spät am Abend
trafen die beiden römischen Heerhaufen, jeder für sich Sieger und jeder
besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplätzen
zusammen. Es war eine Schlacht, die für Jugurthas ungemeines
militärisches Talent ebenso zeugte wie für die unverwüstliche
Tüchtigkeit der römischen Infanterie, welche allein die strategische
Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der
Schlacht einen großen Teil seiner Truppen heim und beschränkte sich auf
den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die
beiden römischen Kolonnen, die eine von Metellus geführt, die andere
von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der
Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm,
durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Städte und machten, wo
eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geöffnet hatte, die erwachsene
männliche Bevölkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den
Städten im östlichen Binnenland, Zama, leistete den Römern ernsthaften
Widerstand, den der König nachdrücklich unterstützte. Sogar ein
Überfall des römischen Lagers gelang ihm, und die Römer sahen sich
endlich genötigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier
zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe,
unter Zurücklassung von Besatzungen in den eroberten Städten, in die
römische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen
anzuknüpfen, indem er sich geneigt zeigte, dem König einen erträglichen
Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits
hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja
sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000
römische Überläufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber
wurde des Königs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit
Unrecht besorgte, daß, wenn es zum Frieden käme, Jugurtha ihn als den
Mörder des Massiva den römischen Gerichten überliefern werde, von
Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit für jenen
Mord und großer Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den König den
Römern lebendig oder tot in die Hände zu liefern. Indes weder jene
offizielle Verhandlung noch diese Intrige führte zu dem gewünschten
Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrückte, daß der König
persönlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die
Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und
derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein
für diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Römer hatten
allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu
bemächtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder
weiterführen noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war,
beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Römern
besetzten Städten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte
römische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit
Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher später wegen
Einverständnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, läßt sich
nicht sagen, von dem römischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und
hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach
dem Abfall überrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts
preisgegeben; allein wenn die Gemüter der leicht erreichbaren und
verhältnismäßig fügsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie
mochte es da aussehen weiter landeinwärts und bei den schweifenden
Stämmen der Wüste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm
den doppelten Brudermörder gern übersahen über dem Retter und Rächer
der Nation. Zwanzig Jahre nachher mußte ein numidisches Korps, das für
die Römer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurückgesandt
werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man
mag daraus schließen, was er selber über die Seinen vermochte. Wie war
ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten
Eigentümlichkeiten der Bevölkerung und des Bodens einem Führer, der
sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den
Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine
Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer
Gewalt wiederzuerwecken?

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5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg
ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine
Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das
Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei,
und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon
645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und
die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen
erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in
Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84),
entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug
oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also
die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius
648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648
(106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die
Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in
dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das
Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der
Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar
noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.

Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10)
berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen
auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des
Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden
Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen
und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72,
7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften
beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat:
ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat
bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti
consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat -
oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante
senatus Metello Numidiam] decreverat.

6 Jetzt Bedschah an der Medscherda.

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Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha
ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit
entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden
über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward
geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen
hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die
unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am
Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7;
dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen
Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst
abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf
zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König
zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung;
allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem
Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten,
zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam,
der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen.
Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt
daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein
immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien
gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen
die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen
Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht
abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache
zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch,
mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend,
in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man
begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den
eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber
beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder
mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen,
wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst
nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen
Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er
durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen
Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser
übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er
verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von
ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen
Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat
aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie
sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus
nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei
nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts
in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann,
der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen
regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht -
vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern
behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der
tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt - Marius möge
mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus’ Sohn, ein
bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne - und kaum im letzten
Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als
Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er
das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der
gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika
in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise
kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von
geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen
der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen,
daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich
Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen
ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung
mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft,
verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die
Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde
nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm
auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die
Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat
zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den
Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien
der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im
Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und führte das Kommando
in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche
Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an
Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war
leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den
Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er
unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des
Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm
die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle
erwachsenen Männer darin töten - freilich das einzige Mittel, den
Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am
Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied,
belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte,
und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der
Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner
Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf
angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem
Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wüste durch
eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man
diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel,
worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge
behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite
gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie
der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition
aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet
streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es
lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder
ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag
ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber
versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das
römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich
eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und
numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen
eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein
leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich
schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit
entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen.
Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner
entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der
Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden
Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut.
Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer
Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben
von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer
Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm
gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren
Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus
warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten.
Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte
sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier
(648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man
römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs
verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem
er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen,
wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine
förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König
Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit
Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen
Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines
Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien,
erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur
Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden
möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo
er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war,
teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen
Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in
einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies
wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten
und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die
Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha
doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben
schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin
Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen,
überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der
bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf,
geleitet von König Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit
wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager
des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner
Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt
durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier
in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich,
ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem
Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er
von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein
Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große
Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius
Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das
römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg
zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem
Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König
Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar
650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste
wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten
Brunnenhaus am Kapitol, dem “eisigen Badgemach”, wie der Afrikaner es
nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt
zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ
sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den
geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der
Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war
und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling
einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern,
daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er
brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf
dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla
darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler
die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in
Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut,
seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die
Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur
Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen
Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen
Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius
den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei
Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die
militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen
hätte - wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen
in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben.

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7 Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß
Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich
und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit
östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet.

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Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats,
ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur
in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung
hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten
Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt;
offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die
Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint
war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich
deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den
Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das
spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des
Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf
den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an
Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher
bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche
bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gätulischen
Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den
Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen.

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8 Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der
sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das
einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas
Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht
historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden
Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda
Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr.
79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli
630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die
zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene
andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt
Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere
Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird
auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus’ Reich
bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß
Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis
(Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von
Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der
Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert
ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46)
nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die
Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten
Vergrößerung hinzugekommen.

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Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die
politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der
Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch
angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des
Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt
nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß
den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das
Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der
Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei
seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er
sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere
und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer
Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in
Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen
gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige
Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben
nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot
längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch
ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten
Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch
unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von
Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche
Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre
sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die
Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition
offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die
Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich,
wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre
645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das
heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung
wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen
Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht;
man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die
Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute
in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte
Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte;
daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab,
die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer
Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war,
um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft
höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete;
daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war,
als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht
war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so
völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus’ Niederlage
die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der
Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen
Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von
Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr
die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen
Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der
Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen
Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu
verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der
sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand
des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß
Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals
schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber
mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war
augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen
Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder,
was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war,
in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges
neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das
Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in
die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die
Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die
Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als
vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere
Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber
war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur
Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius
Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die
gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei
der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher
geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger,
wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die
Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen
Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es
nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer
nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in
der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet
ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die
nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die
Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im
Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten
sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das
Schwert aufgegangen.




KAPITEL V.
Die Völker des Nordens


Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische
Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer
hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich
innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den
Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und
Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen
römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung
zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in
der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits
der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete
der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des
politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was
römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu
sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen,
die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten,
anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die
griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie
mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den
Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des
Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der
ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen
bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe
(Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia
(Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie
den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren
merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland
hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes
gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von
den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen
Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen
Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan
stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von
Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des
massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der
italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen
ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen
der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von
Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern
unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser
geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den
Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker
entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete
Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie
alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte
endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des
Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100)
ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea)
angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch
Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren
Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius
Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629
(125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die
Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen
Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche
Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte,
der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein
und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint
danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu
stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um
Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem
nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis
nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter
ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit
wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des
Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden
Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden
Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines
Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge,
vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen
erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem
Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder
des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel
Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen
arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu
ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten
Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunächst nicht
auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet
zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen
Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten
und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung
entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer
oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen
ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme),
ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen
die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der
Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer,
Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber
in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes
nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang
Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet
ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem
Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig
Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen
Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen
mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die
Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet
anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge
hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe
erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer.
Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der
Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in
Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der
südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in
die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die
über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie
er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone
geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die
dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben,
daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu
sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht
dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter
der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des
größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen
ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und
denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen
sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach
Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen
Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich
erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und
nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person
des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des
Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann
festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus,
gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu
sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal
aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der
Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam.
Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich
die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf
bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem
Keltenland wiederhergestellt 3.

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^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129)
sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden
kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung
möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich
nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist;
ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4;
Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und
Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der
Stadt ist bekannt.

2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht
weit von Clermont.

3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator
und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge
führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils
dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7,
50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die
Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus
triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den
Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß
die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben
muß als die gegen die Arverner allein.

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Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer
neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die
sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von
den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten,
vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen
der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und
wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den
südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich
südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der
Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der
nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung
zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der
Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende
wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5
bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von
Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung,
die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu
den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von
ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie
gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen.
Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die
Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend
wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden;
hier entstand eine römische Ortschaft, die “Bäder des Sextius”, Aquae
Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich
an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in
geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon
vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen
Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae
erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen
Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die
Kelten gegründet, ward als “Marsstadt” römische Bürgerkolonie und der
gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen
Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz
Narbo.

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4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell
(Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1.
Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen
Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes
gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes
römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.

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Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen
Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und
unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das
dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den
Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen
Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte
freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und
mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem
Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das
gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher
Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu
bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger
des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen.
Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit
Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren
vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.

Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten
von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch
unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183)
kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem
ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits
geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins
Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem
Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der
in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von
Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten
Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger
Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um
die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die
Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren
wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher
Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine
Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen,
von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land-
und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese
Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen
Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren
insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die
Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem
Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und
waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den
Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd
abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft
gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich
der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und
der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen
Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer
zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine
Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß
die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch
künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul
Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein,
ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein
Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste
Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und
sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur
oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als
eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon
für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus
mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es
wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die
Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich
von Skodra festgestellt worden war 5.

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5 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz
Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes.
Gall. 5, 1).

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Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar
abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im
Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung
auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die
angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise
ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum
Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von
Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende
Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen,
gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das
Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt
ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und
der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die
Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen
Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches
der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean
sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und
nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau
ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins
die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich
unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden
Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die
heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit
ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen
gewesen sein mögen 6. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen
Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der
Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der
Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von
Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in
dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in
dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage
gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und
dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu
beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten
nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die
eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des
unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort
einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre
Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter
dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten
dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an
diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren
und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen
Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die
Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer;
dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei,
sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in
die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu
brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche
Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die
tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie
gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben
um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete.
Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen
und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist
die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise
eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in
den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen.
Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest
die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im
Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische
Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an
die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen
im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein
ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm.
An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe
Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland
dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor
allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den
Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren
Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die
führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und
Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen
Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war
das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save.
Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien
saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer;
nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in
den Rhodopegebirgen.

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6 “Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb),
dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier”, sagt Tacitus (Germ. 28),
“weiterhin die Boier.” Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an,
daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den
Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis
zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie “jenseits des Rheines” versetzt (Gall.
1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von
helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft
nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß
Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend
bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die
Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem
die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren
die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor
Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben
irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen
von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer
Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten
vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte “boische Einöde”,
den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2,
193 A.

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Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es
war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen
Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten;
was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen
Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An
Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben;
im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen
oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der
Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und
die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben
genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem
Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei
derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten,
ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen
Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der
Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.

Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um
die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte
mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den
Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.

Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die
unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der
Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig
offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck
eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere
reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619
(135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die
Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral
nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an
der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer
siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen
Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber
in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von
Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die
vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche
Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul
Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger
der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich
eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach
Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von
Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom
in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635
119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den
Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und
dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater
sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius
Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte
in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der
Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in
diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von
Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da
weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges
trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius
Scaurus, gegen die Taurisker 7; er überstieg, der erste unter den
Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen
Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft,
wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß
doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen
haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen
worden wären.

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7 Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn
so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei
Victor.

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Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen
kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen
Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung
deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in
diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos
(unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten
gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit
seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden
war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König
der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals
ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren 8.
Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde,
konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf
wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den
serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer
vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich
entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze.
Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642
113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische
Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647
110-107), der die Waffen längs der Morawa ^10 trug und die Skordisker
nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher,
im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische
Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte
Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und
trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem
beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem
Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste
Rolle zu spielen.

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8 Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete
(Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der
Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist
sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin
erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius,
mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde
werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius
aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente
aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren
zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine
faktisch stehende römische Besatzung erfordert.

9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien
gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z.
Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten
haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio
imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin
triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste
kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des
Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).

^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von
Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein
Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros
(die Maritza) nennt.

^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und
Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und
in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden.
Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις
Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem
zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern
verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach
der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem
die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil
sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen
Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus
Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98),
wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das
Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus
irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht
bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671
(83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich
verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.

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Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten.
Schon seit längerer Zeit irrte ein “unstetes Volk” an dem nördlichen
Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen
Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die
Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung
indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen
geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten
zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen.
Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die
Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt ^12 und kann auch durch keine
Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von
Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich
vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder
der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen
ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer
sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die
bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger
Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste,
der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen
Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des
Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels
gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen
Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars,
der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten
kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen
haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und
die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar
auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen
passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm,
nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und
auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden
Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge
keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn
Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die
Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu
kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch
nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht
ein “heiliger Lenz” in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern
ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog,
eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch
nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere
Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den
Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das
Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich
fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die
Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit
den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen
Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder
mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen
Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das
der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen,
barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit
kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen
Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der
lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug.
An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen
überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich
ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied
in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit
Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward
häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der
längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der
Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht,
auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum
Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten
Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein
entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und
die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel
nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem
Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war -,
allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste
Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern,
darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann
wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen
aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es
waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und
unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und
aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers
die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der
nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel
deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise,
nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und
leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen
werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein
ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher
Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht
unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich
belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein
übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit,
die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und
Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und
die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch
vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich
wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie
verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der
sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das
wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette
zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den
Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die
unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.

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^12 Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten
große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung
der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns
nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf
Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu
entscheiden.

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Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der
Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden
vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern
gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die
Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die
vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer
verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch
das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie
im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der
Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich
aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich
diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den
schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die
Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich
mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo
sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu
der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den
Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu
geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in
einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es
unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über
den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur
ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige
Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren
Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts
zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als
durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke
Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos
Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die
Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu
decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer
unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen,
wo sie friedlich sich niederlassen könnten - eine Bitte, die sich
allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort
sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert.
Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden,
stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die
Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die
Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze
bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu
verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von
Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint,
mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor
den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den
Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland
selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren
nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das
Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien
sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht
schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen
verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften
der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten)
den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen
an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius
Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in
einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der
Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod
fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich
in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug
unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen
mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich
standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der
wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische
Besatzung in Fesseln schlug.

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^13 Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den
Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7,
293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der
Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer
Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung,
völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf
ungefähre Richtigkeit.

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Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und
auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter
belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius
Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu
bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon
von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren - ein
erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die
Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der
schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und
spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses
Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen
beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive
und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den
Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre
649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen
Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der
Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter
ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular
Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig
geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier
gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des
gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen,
ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über
die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich
bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze
römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre
ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu
unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis.
Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem
stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten
prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein
dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und
gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie
vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des
römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche
Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen,
erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der
Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer
Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein
sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch
das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein
Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten
römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb
soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn
Mann entkommen sein - so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den
beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im
Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und
moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo,
des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen
Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit
Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand
so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich
zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das
den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde
Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen
als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende
Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus
diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen
Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des
Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung
und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen
Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange
zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch
Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt ^14. Die neuen Werbungen
stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen
Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der
in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen
dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was
hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg
durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie
überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren
Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der
Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die
Pyrenäen.

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^14 Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.

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Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich
selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt
eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die
Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle
Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und
doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum
geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur
ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den
afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die
afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es
mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr
einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung
erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der
Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des
Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte
sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein
jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an
der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die
Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne
Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich über den
Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel
schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645
(109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere
Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als
die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging
auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu
zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment
durch eine Diktatur zu stürzen.

Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten;
mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine
Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich
gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen
Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte,
wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte,
den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen
ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die
Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber
des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust
verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch
Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in
denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein
Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher
wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen
(650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem
Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an
ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus,
beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen
Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen;
trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der
Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die
Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen
und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch
tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die
einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt
und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch
Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der
Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor;
Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und
zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang
es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner
eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben
zu retten ^15.

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^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die
Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich
unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der
Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der
eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im
Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß
Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle
(Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob
eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito
[?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar
wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus
vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies
offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte
Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201)
oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten
Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung
einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der
kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die
Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3,
30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz,
wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche
Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die
Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die
über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die
Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen
Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an
Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn
anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird,
der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur
Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200.
part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn
der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet.
Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits
tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung
zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten
und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche,
sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn
Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher
zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als
Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er
aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus
wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius
Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese
zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie
aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken
zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros.
hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum
zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden
sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für
das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher
steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über
Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen
diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge
der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den
Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat
für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73,
5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend
und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten
afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus
übertragen worden sein.

Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von
ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen
Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf
etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz
schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz
gewesen.

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Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der
gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem
darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei
unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu
treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen
Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in
Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den
Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in
Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht
darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren
des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen
und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines
genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns
bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war
als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung
war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische
Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig
bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn
weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem
Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich
an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß,
was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich
wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus
Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat
mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste
Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der
Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der
Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch
fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das
Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter
Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen
Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität,
aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat
mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich
war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen
Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar
Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch
als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos
fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser
inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen
Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits
der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen
der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals
hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und
bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er
geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio
gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie
die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen
gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern
der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die
Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten
Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit,
einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen,
die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue
wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz
von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen,
wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern,
Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht
und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm
anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte
Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten
überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien
dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten für die ernstere
Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger
Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz.
Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der
Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der
eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen
hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am
Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich
unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der
Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf
ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet
der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug.
Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und
Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten
hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern,
sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter
ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus
ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16.
Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand
der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher,
mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug
nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher
zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier
zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus
denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker
an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen
Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die
Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine,
die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im
Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die
neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von
Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische
Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite
Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die
Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf
nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in
einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der
Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals
gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und
die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen
das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte
der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde
Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an
der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich
die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß
nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran
vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses
als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne
anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer
nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist
begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der
feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht
benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten
vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und
folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht
sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße
zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die
Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen
stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der
feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald
allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den
weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche
Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten
Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das
römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die
Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten
sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und
langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein
die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen
und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben
aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte,
entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze
Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande,
entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König
Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt
mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf
ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen
lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie
dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen,
sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).

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^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig
zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen
ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und
bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die
Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der
Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind
verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem
Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die
Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.

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So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon
standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern
verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das
obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß
überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch
hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus
Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig
kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut,
in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken
Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das
rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die
Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein
panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen
davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste
Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte
Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist
wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die
den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen
die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit
dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der
Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte
der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer
Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde
auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war
das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die
Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs
waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des
Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen
in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit
Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102),
um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae
Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff
ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage
geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch
diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten
Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen
Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu
lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften
in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische
General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan
des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt
wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche
Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo
er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der
Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen
ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter
dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen
gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein
scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten.
Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po ^17, ebenda,
wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte,
trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht
und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu
auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag - es
war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene,
auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum
fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend;
denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im
Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward
von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich
ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und
die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der
Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix;
glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich
selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen
mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des
schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner,
die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern
später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in
ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der
Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert
hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der
verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit
getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht
mehr.

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^17 Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das
Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß
zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein
ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus
nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer
zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.)
und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am
Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau,
doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.

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Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren
kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte
sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte,
ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms
Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die
Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner,
sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen
Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum
widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das
Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von
seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen
eingebracht seien - seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der
Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius
tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger
galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht;
nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden
Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und
Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor
allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich
geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der
damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den
Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’
Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein
feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut
seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher
Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher
Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann
des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber
des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild
gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese
Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen,
sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch
ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der
Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne.
Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche
den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der
restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem
Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister
erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und
viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache
und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn
des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der
neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?




KAPITEL VI.
Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus


Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599
(155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als
Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen
“Mariusheimat” (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so
dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von
Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er
später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und
Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter
es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der
schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier
emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals
dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die
saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine
Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war
heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit
dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen
Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den
politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch
der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne
Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche
Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem
altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen
Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis
zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens
seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand.
Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das
Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den
Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio
zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal
vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den
Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die
Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und
vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er
sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der
unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und
Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen
geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des
römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als
einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter
Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe
gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit
ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er,
soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten
Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden
Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen,
und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise
eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte
darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und
laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich
und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch
war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes
Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst
durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen
ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin
Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich
unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen
Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man
denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul,
daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre
ihm an. Er war nicht bloß - nach aristokratischer Terminologie - ein
armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter
Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er
nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren;
Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch.
Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die
griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den
griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war
vermutlich nicht der einzige -, aber daß er sich zu seiner Langenweile
bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die
Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen
Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das
wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte.
Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius
außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat
(635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der
Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden
Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden
an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den
der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und
Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer
von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein
können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das
Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier
auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und
demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war
dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des
allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein
eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48
(107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt.
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über
die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen
Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und
doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich
ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der
einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen
Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war
er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden
wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit
nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der
dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm
Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf
mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von
Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu
Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher - keinen von
den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war
ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung
des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer
politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius’ Werk schien
seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren
lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms,
dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum
zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das
hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so
schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern
der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die
klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an.
Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von
der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht
brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen,
seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der
Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem
Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die
inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen,
was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.

Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten
Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der
Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden
Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein
nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen
müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende
Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf
4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den
Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf
drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus
den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten
Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche
Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach
dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und
Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen
Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst
mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen
Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden
Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis
auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein
für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die
besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und
mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand
überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen
Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen
verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig
verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die
Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden
sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als
wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen
Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen
Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen
beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher
Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg
erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn
und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich
die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon
im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie
nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der
bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat
materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon
vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie,
die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die
leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der
bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer
Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren
mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten
Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger
ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des
arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den
ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die
Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts
als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung
des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des
Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die
leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen
bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien
Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige
Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen
Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst
Marius 647 (107) tat.

Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die
gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer
Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die
vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier
oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und
dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach
Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene
Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der
Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein
eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über
den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner
weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die
Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle
Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle
Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen
die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des
Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches
Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des
Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber
das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius
Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist
bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen
Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in
den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen
Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An
die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes
zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30
Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten,
traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu
sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich
gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200
Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf
5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb
bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper
gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die
Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu
verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer
der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen
Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die
bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren
Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die
Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der
gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der
Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen
Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein
soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige
Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte
Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des
Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den
bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn
gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende
Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden,
widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber
als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer
großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten
Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen
können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm
wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die
abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten,
aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche
Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus
den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des
Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des
Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem
(praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß
höheren Sold und größeres Ansehen.

Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint
allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und
überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines
berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene
Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist
wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch
Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie
manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des
ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten.
Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich
eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung
ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor
allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich
bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit
seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward
allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch
beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in
Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit
sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres
Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und
glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil
der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu
heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst
nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im
Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem
Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der
geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen
auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der
Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm,
wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu
verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine
einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg,
seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als
Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten
italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das
Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh,
rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die
Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in
wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in
verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen,
daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht
würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den
Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so
standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen
Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um
den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue
Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der
Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die
glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung
ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber
man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem
ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener
Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo
sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt
hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch
aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen
darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der
restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit
nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half,
und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer
blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen
Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten,
zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach
jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des
Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden
Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig
seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun
gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius
entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte
Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner
Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem
Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen
- wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten
sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich
oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den
höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die
Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch
im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den
Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des
Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können,
sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem
Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein
praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.

Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius
konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze
der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig
bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der
Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg
nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu
betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt
und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als
seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der
Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen
harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius,
im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollständigen
Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen
Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach
komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der
mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen
Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer
in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius
wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang
begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses
Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines
Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden
Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die
Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde.
Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den
ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man
war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten,
kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.

Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein
Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein,
vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die
Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit
angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen
Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die
zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus
nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer
Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem
langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich
verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische
Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen,
die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war
inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen
manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel
hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu
folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und
Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen
Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des
Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn
die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus
gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter
ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte.
Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es
wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen,
konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger,
die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als
sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder
minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei
bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts
zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten,
und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am
Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern
und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius
Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen
der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige
Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei
aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius
Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein
gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester
Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner
drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius
Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein
feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von
gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in
üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des
Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als
um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der
Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der
herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese
Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition
gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit
Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er
hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten
Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat
aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen
Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens
Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb,
einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten,
bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors
Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des
Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des
Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem
Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes
Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten
Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft
bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102)
durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des
Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit
Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner
vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit
Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.

Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die
mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es
war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch
schon bei Marius’ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs
entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden
sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat,
Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben
sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung
durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen
Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’
Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen
entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen.
Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in
Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche
Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht,
Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in
den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der
Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits
einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert
schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus
entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und
erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die
gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia
als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus
Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus,
erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran
gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633
(121) unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln
er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach
außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene
Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte
wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in
eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen
Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der
italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche
Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment
unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen
die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die
Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht
hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war
zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß,
sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die
unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen
und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem
fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz
Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische
Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland
in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der
rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das
gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles
Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung
der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden
weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber
von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden
Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger
bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne
jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen
Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen
hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die
Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel
die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten
vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und
doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf
Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn
das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser
ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich
derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der
Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens
Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so
Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte.
überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren
Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen
wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem
landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß
jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung
einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs
allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die
beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.

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^1 Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was
dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als
derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte.
Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‘De viris illustribus’
(73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der
erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das
zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das
Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651
(103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.

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Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich
vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch
welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der
Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine
Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat.
Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen.
Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre
Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine
verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende
Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den
Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte,
teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag
niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung
in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen.
Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher
bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende
Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße
Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den
Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so
ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich
nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen
Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so
ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der
vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen
Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.

Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen
bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man
bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen
Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man
erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus
ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an,
daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach
altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen;
Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich
ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel
folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich
der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich
seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen
ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die
derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach
Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die
städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld
die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der
Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel
des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen
Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf
getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten
diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus
Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen
Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann
unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.

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2 Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106)
Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um
oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß
jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht
nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im
Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.

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Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das
Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens
lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen
Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von
Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von
der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur
noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es
sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war
als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den
Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber
der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft
fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische
Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten
Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.

Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen.
Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon
ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte
dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit
eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen
Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen,
wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung
hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und
Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der
Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem
Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge
Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat
hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen;
die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100)
stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre
Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich
nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht
bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da
er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen
gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und
kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so
schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der
materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich
wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß
mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor
allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine
Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die
Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.

Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des
Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern
Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief.
Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von
seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig
leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der
militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen
einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor
den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als
seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht
billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht
erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise
politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen
Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich
zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in
zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem
Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der
Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das
Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die
Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der
Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei
- ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie
nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die
zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs
Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der
bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu
verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die
Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid
selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur
gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die
Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in
Frage gestellt ward.

Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten
Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht
deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die
Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und
aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den
Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit
überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand,
keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit
beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um
allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten
und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren
Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft
auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so
kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten,
ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren
erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun
selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten
nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren;
Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als
Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren
wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die
tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’
Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das
Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen,
was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür
des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph
durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun.
Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im
vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in
die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius
Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt
hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln
erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes
Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte
den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat
sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für
sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu
ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen
aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der
Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein
greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm
überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte
nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und
rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heißt
es wenigstens - den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem
Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10.
Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der
ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt
geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft.
Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo
man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu
ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen
ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut
rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im
Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren
Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an
diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge.
Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am
Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte
die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit
den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck
gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an
diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor,
zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten
Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen
Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man
dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer
im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos
unterzugehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten,
nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10.
Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier
entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag
ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige
Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich
selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß
die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das
Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das
Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse,
teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters
hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich
zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung
oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung
ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach
jener Katastrophe einnahm - nur um so kläglicher, weil man nicht anders
konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor
denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf
demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn
bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht
einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in
den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um
nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus
Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und
öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es
wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes
abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer
allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren,
Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl
wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß
der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er
getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie
er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben
Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es
geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache
bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und
unschädlich erschien.

Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die
tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die
Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen
zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die
Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich
bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines
Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause
gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das
Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte.
Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill
wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten
Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in
Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend
getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen
Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die
Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig,
sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio
ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für
Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich
nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn
auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft
befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende
Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und
staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen
und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen
relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge
einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus
Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu
suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum
Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar
in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon
flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg
rüstete gegen Rom.

Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich
günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf
den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig.
Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für
Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich
reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier
stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der
nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit
Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen
wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und
versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte
in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder
des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und
energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien
auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn
der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so
populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen,
Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung
der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen
Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen
Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus
Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker
war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin
bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das
Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte,
konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand
kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte;
den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren
Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln
eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen
Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot,
mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag
zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der
legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare
Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden.
Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die
den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und
die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten
schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der
Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle
bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das
unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem
Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende
Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt
wiedereinzusetzen.

Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die
Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des
senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich
von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden,
daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für
den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie
bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn
es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich
ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht
freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige
Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder
an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich
verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen
wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat
dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex
und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der
vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656
98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen,
statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist
und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius
Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen
Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen
zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen
Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen
Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und
rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden
wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz
schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte
sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie
sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten;
allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und
vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine
Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten
derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und
anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt
war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen
zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen
Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines
gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit,
den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die
falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich
kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten
die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt
und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter
Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die
angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von
sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines
Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen
Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber
keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher
Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen
Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht
mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war
Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit
zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus
Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach
aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig
war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig
betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter
schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die
Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre
schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur
seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der
erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder
Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und
Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die
römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem
kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das
Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In
furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, daß
mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich
selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der
Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß
Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch
edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen
gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede
Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die
skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung,
den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre
663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich
gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor
zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch
die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war
Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese
seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich
bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer
eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter
Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den
Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es
aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich
sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die
Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten
Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit
und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er
bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer
offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner
Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im
Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus
hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen
Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die
Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius
Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die
Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie
dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat
nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen
namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius
Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des
Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und
rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft
gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein
gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule
Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert
hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die
Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes
gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und
bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch
einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen.
Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse
mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele
zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom
Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher
zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt
werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur
Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich
schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene
Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck
erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben
und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes
Drusus’ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs;
seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein
umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die
Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die
dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen
plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch
unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische
Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von
Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen
Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das
römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von
aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und
ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung
beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches
Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen
die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf
das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die
Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als
ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe,
wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu
gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der
Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius
Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen
Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf
abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der
Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen
wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte
auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde
militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die
Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen
mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und
selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht
wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die
Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man
künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß
alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung
gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem
Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das
Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch
sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich
einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband
gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer
sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige
Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die
Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher
auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für
ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und
Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so
vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den
reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie
Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus
wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann,
so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der
Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen
jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten
Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben
Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren
Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu
begegnen.

Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen
Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus,
den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische
Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das
Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die
Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der
Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der
Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des
Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung
gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen
einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und
Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das
Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die
Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten
großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest
zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem
Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte
verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk
feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit
Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf
nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die
Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98)
zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des
Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem
Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die
Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den
Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit
einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach
einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu
beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach
stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und
Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen
Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der
sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien.
Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten
unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb
plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die
von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs
nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich
ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner
erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der
Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem
Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg
vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente
nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er
in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war.
Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes;
immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald
erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge
der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg,
und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus,
nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu
erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte
wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß
durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die
Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder
unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe
Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends
auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben
verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters
zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er
wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der
Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und
eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte
derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die
Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und
grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte,
war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine
tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der
Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu
reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein
Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen,
die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden;
er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah
alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß
seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein
werde, der je das schöne italische Land verheert hat.




KAPITEL VII.
Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution


Seitdem mit Pyrrhos’ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für
ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt
seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in
Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten
Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte.
Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die
Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die
italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige
Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am
Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos
erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die
Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung
indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als
verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen
nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer
durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen
Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und
mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker
hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen
denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen
Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts
der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die
wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig
von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise
bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der
freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in
denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten
hatte - ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den
verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die
politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand
ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht
statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität
den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen
Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische
Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser
gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht
bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich
bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald
aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde
zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und
die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise
ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen
geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen
Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im
Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen
sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein;
von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen
Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen,
wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische
Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem
letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die
bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis
die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen
werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben;
allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl
Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das
Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil
der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die
Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man
ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise
aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen
aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche
Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden
obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit
Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte,
in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die
Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen
Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der
angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der
Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil
seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die
Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten
und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren
in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten
und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen
Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden
jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich
über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit
dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle
wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht;
es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig
vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche
Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht
ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des
römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß
infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung
die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen
und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte,
wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die
durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt
unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran
erinnern, daß sie beide in gleicher Weise “den Beilen unterworfen”
seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der
gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.

Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus
einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die
drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf
Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung
Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die
Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben,
die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen
Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen
Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628,
632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies
geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch
Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch
ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten
Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen
Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als
bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger
Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung
auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt
sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher
Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und
durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die
von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen
weiterzugeben.

Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs,
zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die
Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam
bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und
zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den
Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das
unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und
Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell
den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug
die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären
Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich
gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es
auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man
erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der
Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein
Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu
machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und
Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es
doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel
geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr
400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000
Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhältnis die
Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war,
konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden
zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse
mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem
gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit
es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden
Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft,
teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen
darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum
verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu
erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie
ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine
oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten
gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der
Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich
überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die
Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber
diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig
vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu
verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten,
energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick,
wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen
Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren.
In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und
Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber
wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige
Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge
hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die
Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die
Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten
und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte
man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den
Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als
sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die
mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame
Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in
denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die
Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit
verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95)
ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste
untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten
mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine große
Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am
meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der
Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und
staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit
jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas
vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des
Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses
Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten
gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein
verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum
Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus
Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche
Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den
zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat,
und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus
und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten.
Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus
entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien
den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus
Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die
reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die
Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch
eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen,
zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin
und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all
seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu
setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines
Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und
dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen für
Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber
wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen
römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so
ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und
sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen
Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man
in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats
seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel
feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des
plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten
sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das
Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte
bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher
werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief
durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz
kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je,
daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663
91).

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^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70)
entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in
diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und
dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen;
nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Köpfe
gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer,
die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab,
ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise
der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in
der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die
Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen,
höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich
500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte
Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich
und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der
Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man
das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben
erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien
auf zwei Bürger drei Nichtbürger.

2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet:
“Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen
Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei
der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den
Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll,
wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines
eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will,
außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn
ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich
Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner
Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als
ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich
falsch, so gehe es mir übel!”

Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er
rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden
(worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte
Überschrift ‘Eid des Philippus’ zu führen scheint) oder im besten Fall
aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen
Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es
fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie
hineininquiriert ward.

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Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen
Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu
Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den
günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen
können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den
Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den
Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von
Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit
gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu
vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit
Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein
Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung
der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht
noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen
Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte
die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser
zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war
es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und
die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer
ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu
erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit
Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten -
beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu
gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat
zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt,
ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb
keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter
das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine
Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch
verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau
darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren
italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht
unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die
Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch
bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und
Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer
fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen
Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu
schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an
dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder
gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte
für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt,
während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt
ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man
in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß
unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen
Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber
statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das
regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur
Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu
erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein
entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von
den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll,
an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter
führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch
einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor;
Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben,
bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer
beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch
kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius,
durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum
(Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab
sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und
richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte
Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile,
die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken
in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses;
die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen
und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede
Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit
geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht
und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die
Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche
Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen
Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern,
Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus
Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den
Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des
marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und
überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab
nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien
gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu
Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten
gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten
Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand
gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der
Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst
in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus
dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale
Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen
Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den
aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen
Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum
Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung
aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter
Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien
unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten
bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die
griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die
meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia -
ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen
Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten.
Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische
Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten
die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts,
innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die
Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem
unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich
vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und
fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch
diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich
war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß
von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im
Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen
ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die
Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager
auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer
allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch
hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer
selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten
ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges
Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich
anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen
niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom
vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich
darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht
unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den
Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war,
ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika
und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels
dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der
Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache
dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward
trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen
Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem
mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand,
niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in
Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die
Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in
Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft
als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser
Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen
Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus’ genauer
Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt,
und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal.
Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging
soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat
berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem
Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der
sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als
unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit
Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der
Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst
indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den
die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von
Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere
aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius
Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich
der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es
scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um
die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was
um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs
Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten
und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen
konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission
nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte
stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und
Anfertigung von Waffen.

Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden
schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die
schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu
organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen,
marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten
Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an
dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder
zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter
Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und
Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den
Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des
Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den
Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die
ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in
Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals
schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in
offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im
südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider
bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach
römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen
italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten
von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus
diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst
versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von
den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu
unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht
daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner
Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei
den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik:
eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen
von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen
Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben
Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer
in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten
ausgeübten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste
Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des
höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker
nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert
sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten
dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern
Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich
dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch
eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche
Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem
Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als
der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die
Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt
wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche
Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen
politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im
modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das
Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch
widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends
zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie
Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes
in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß
der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen
Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine
Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein
Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische
Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten
und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich
nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu
überschreiten vermocht.

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3 Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und
Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie
denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft
die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet
werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl
behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten
Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung
der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von
Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends
überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die
Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die
Ratifikation durch die Volksversammlung aus.

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So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der
Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen
Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in
Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in
Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die
erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange
vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren
einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den
italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der
Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der
Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der
kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzüge der Numidier
und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der
griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen
5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000
Soldaten mobil gemacht 6 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an
Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in
nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für
die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr
ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben
zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen,
einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht
wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion
in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel
das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von
Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und
die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits
der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide
als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien,
Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich
schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius
Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden
Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf
Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem
bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die
konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und
die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie
zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen
Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten
für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf
Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte,
so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in
nichts nachstanden.

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4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo
die Gallier sehr zahlreich waren.

5 Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78),
welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä
und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90)
geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile
zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am
Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und
dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.

6 Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die
Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion
nennen.

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Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen
auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit
auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um
einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die
Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die
feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen
Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders
hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen
Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden
andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen
haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und
Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung;
nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe
von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert
operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften
Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.

Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten
Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore
schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf
sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im
Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen
sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im
Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola,
Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den
Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee
unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen
Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für
die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen
Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive
überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus
Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu
kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter
Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die
wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie
die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser
Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war
Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah
sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer
Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte
ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor
Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten
Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach
hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste
Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius
Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum
einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und
die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst
überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der
Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die
Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische
Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die
Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger
Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis
zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum
erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet
nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen
Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars
Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder
vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von
Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen
Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt
sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken.
Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward
abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische
Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem
Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege
die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und
in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben.
Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem
Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich
geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder
organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen
Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in
kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder
einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische
Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.

Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo
der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in
gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps
unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf
Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse
dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf
an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der
Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am
nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur
und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino
fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur
Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des
Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst
ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig
geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines
Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’
Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive
zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius
geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen
Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius
Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo
Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich
mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter
flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das
römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff
und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664
90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein
Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den
Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt
hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem
Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die
Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius,
welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus’
Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge
errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur
Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen
Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch
seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich
von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in
einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner
Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach
Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch
seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu
benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die
Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er
seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der
Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten
Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des
Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage
beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber
blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht
geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt
und sie aufgerieben.

Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten
ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und
glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus
Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten
Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach
Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während
Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen
dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen
bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch
seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken
und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo
ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand
gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in
aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen
die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum,
so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg
also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.

Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und
vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein
dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so
gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen
Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte,
sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war,
gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius
Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit
minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land
und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.

So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch
trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend.
Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die
kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die
Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu
sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich
bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen
oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich
festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine
Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die
Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin
Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der
festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische
Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren
innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe
auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet,
schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu
bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon
von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer
gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer
anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der
Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus,
als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger
von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen
zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum
Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von
sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der
Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der
Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die
schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von
Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren
hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid
vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt;
aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem
Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus
dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst
durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege
getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen
trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit
zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer
schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten
Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere
und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das
Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die
unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich
nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum
gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor
den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als
förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler
den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet
hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte
begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten
angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in
welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen
Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im
Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das
Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius
Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein
Gesetz durch, das die Hochverratskommission den
Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht
ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus
einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie
unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche
Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des
Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die
Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische
Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die
Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom
zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom
war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war
derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich
erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde
zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte,
ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan,
sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden.
Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die
ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt
wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit
gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der
Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung
gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der
Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf,
als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz,
sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender
Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz
verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen
italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt
hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius
Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten
Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein
solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische
Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den
Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den
fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in
vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich
oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu
entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche
Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz
hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar
rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der
Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche
latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen
war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der
alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema
organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in
Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen
bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna,
sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge
eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes
nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich
nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den
Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer
zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem
römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion,
daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet,
welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden
hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die
transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich
vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder
latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier
keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der
keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung
bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war
dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des
gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals
Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen
Herren.

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7 Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90)
erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand;
das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen
Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember
664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.

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So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit
der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren
Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch
nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten
ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall
drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus
den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze,
namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung
gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der
Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen
anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher
latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen
Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die
latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten
übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband.
Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte
in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß
einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des
Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen
bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und
ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen
garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist
begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen
geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch
Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien,
selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige
Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser
Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das
Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge
bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die
Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten
bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft
auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen
die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen
Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so
viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des
Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht
weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im
Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als
durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.
In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten
Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige
Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte
man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden
bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als
erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und
langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach
erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius
bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens
seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in
dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben;
aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen
Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können,
hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem
bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten
Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der
Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in
Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der
Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge
des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als
Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im
picenischen Gebiet.

So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die
Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der
Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen
von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach
Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren
hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige
gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit
den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat
Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in
demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem
Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung
der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser
beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum,
teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen
Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor
Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die
belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung
sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000
Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern,
doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in
die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war
langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte
Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die
schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius
endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation
herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der
Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den
Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten
die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden
hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches
Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und
nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die
benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der
anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius
Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In
Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae
und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius
Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die
Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang
über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen
wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz
Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen
der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die
Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus
Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666
88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen
Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.

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8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit
Verwünschungen der “entlaufenen Sklaven” - demnach römische - oder mit
der Aufschrift entweder: “triff die Picenter” oder “triff den Pompeius”
-jene römische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch
jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.

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Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand,
hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das
vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst
erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius,
der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger
widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam
herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla
zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen
Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser
unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager
erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht
nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh
seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach
Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit
eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung
Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen
Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo
der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und
fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der
ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der
lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung
setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der
samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr
unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im
Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der
Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die
Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch
einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren.
Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.

Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so
siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665
(89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig
hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war
beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer
Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia,
Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung
des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden
einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der
samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet
glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge
auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch
zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall
Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir
die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen
Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos
und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere
Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive
wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen
auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der
Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus
und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die
Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter
die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der
Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf
eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung
der Italia -, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers
Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und
nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk
gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation
gaben und, nachdem die “Italia” überwunden war, es unternahmen, als
“Safinen” oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste
Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen
Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und
1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000
Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter
als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach
zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das
entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert,
nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch
machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom
zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung
änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in
Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die
Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.

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9 Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in
oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den
Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne
Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.

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Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die
asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit
gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären
und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine
konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein
Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung
des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat
eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der
italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt
hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit
dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich
bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die
Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von
der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die
Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen
überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse
war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung
einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum
ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit
alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die
Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden,
lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht
gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach
Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen
Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den
Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee
voraussichtlich bald geschehen konnte.

So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für
Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen
geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus
Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch
konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater
nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia,
wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar
Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er
dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer,
und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die
Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden
die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von
Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der
römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge;
allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen
war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum
fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft.
Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes
der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner
Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die
Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für
Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung
der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion
unvermutet Luft machte.

Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus’ Angriff auf die
Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz,
sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste
Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen
den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der
Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte,
freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen
zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war,
trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und
kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche
Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert.
Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen
Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie
die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die
Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des
latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem
ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen
wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht
vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand
vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens
im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die
Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der
damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die
scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der
Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene
Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen
dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten
Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht
ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen.
Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und
mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die
Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner
schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer,
die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die
zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch
Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren;
denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher
Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation
eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren
Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die
Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise
zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten
Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen
und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue
Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu
haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet,
sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen,
der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von
den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie
er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines
Demagogen ein furchtbares Werkzeug.

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^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87),
omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV …
cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis
populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung
wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen
peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die
den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden
sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern
können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein.
Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48,
19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii
gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur
mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu
dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6)
ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii
sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach
römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb.
21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder
stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen
Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also,
was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag,
niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese
Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages
(Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich
sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13,
16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen
geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die
Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24,
54).

Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht
zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge
verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem
Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui
foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich
alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87)
nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die
Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen
dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und
nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben
hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch
die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati
fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung
nicht rechtlich erneuert wurden.

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Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch
fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen
Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das
Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit
während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden
waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und
der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt
die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem
Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der
Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen
Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen
Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten,
mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla
begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor
dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber
dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten
achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel
ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet
von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an
dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode;
Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann
bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen
Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit
Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.

Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht
noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des
Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen
Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die
Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich
gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor
Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu
können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht
und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag
der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt.
Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch
dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die
verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung
des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und
den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte,
vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen - eine
Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665
89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der
leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch “neue
Rechnungsbücher”, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der
Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau
wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten
im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der
zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und
den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den
der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war
seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung
einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler
Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit
dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter,
schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der
Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente
in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer
neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.

Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88)
bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000
Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären;
den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die
Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche
Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in
allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde
dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus
(geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner
adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten
Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den
Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die
lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige
Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten.
Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des
Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage
des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den
Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was
ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das
Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel
abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie
die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär
verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und
keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus
beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen
Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des
Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu
vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger
schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus
seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das
gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er
durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des
Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu
kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig
sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb,
wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen
Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als
irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus
also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die
Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie
Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte,
an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der
Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende
Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch
mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder
des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war,
und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne
Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch
persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt.
Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der
Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige
Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der
Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise
Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der
Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer
gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen
Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des
Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat
eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen
Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen,
zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen,
daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden
bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie
selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren
war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles
äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden
Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar
peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der
Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein
mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten,
ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in
der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten
Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand,
durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft
ward - womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den
Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie
er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den
herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde.
Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte
unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse
zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der
aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte,
die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre
Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und
Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber
kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob
in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit,
mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert
als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen,
welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien
persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein
Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch
als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch
gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere
politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus
schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen
war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit
dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft
gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen,
daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die
bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem
Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß
die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten
Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als
unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich
leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was
dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf
die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen
erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten
in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu
realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den
Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren
Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem
bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus
3000 gedungenen Leuten und einem “Gegensenat” von 600 jungen Männern
aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte
erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten
Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu
gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius
Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche
religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die
Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen
Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius,
der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand
und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla
soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus
öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die
angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge
gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch
keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die
Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem
Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht
übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des
Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische
Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt
für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in
vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die
Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner
Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die
wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren,
lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der
Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der
Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den
konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu
werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen
Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen
politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner
unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große
Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete,
keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren
lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch
beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius
entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den
Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein,
dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den
Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge
plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und
Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden
konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als
rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu
stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge
Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch
Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmännische
Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht
ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius’ eigene
Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte,
daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der
abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als
Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem
Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit
vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich
abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des
Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher
höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der
kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates,
und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune
in das Lager von Nola abgesandt.

Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen
war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla.
Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben
Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann
beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion;
ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch
kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines
ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben
übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen
Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen
Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und
politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte
sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden
konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen
Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein
Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des
Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und
militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer
unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente
Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer
Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der
Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle
Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit
halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als
Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von
Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen
anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer,
sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die
höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich
zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die
Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien
einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten
auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen
und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom
zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen
Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen
Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden
Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der
Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der
Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei
Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten
Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt
hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren
innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches
Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es,
zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier
berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen
vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern
heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und
sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und,
mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen
sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria
Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen
durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben
Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der
Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel
der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu
senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat
und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich
entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in
Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die
Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu
bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern
nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen;
nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht
brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der
Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es
zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem
Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die
Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist
gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen,
die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle
Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt,
seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und
durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand
es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig
bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten
sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als
Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius
Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht
und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf
dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er
selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft
gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten
Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die
Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von
Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des
Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae
und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse
seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um
nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten
zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in
die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich
anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger
gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung
des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter;
mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen
Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am
Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in
den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen,
fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von
Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein
kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche
erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil
entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man
dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der
Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die
Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht
hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und
sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des
Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie
liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen
Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie
nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den
Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen
hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit
ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu
machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit
genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden
vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der
tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern
auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu
lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten
bestraft worden sind.

Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu
verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen.
Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß
man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte ^11; außerdem
wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den
Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr
zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300
neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse
getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der
legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die
alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die
erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600
Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte,
trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das
Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward
damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus
eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache
nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen
dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem
Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte,
an das Volk gelangen konnte.

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^11 Klar ist es nicht, was das “Zwölftelgesetz’, der Konsuln Sulla und
Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste
Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357)
zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals
für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr
ward.

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Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen
Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der
Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz
eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder
Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter
fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das
Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu
bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die
selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus
Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb
Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem
verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es,
das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten
und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu
übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser
Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können.
Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit
so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt
und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die
Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen
Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom
beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche,
in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld,
überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich
erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende
Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte,
der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der
Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne
viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die
geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens
die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche
Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung
zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich
der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste,
brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist
derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul,
Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft
beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus
aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien
es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat
sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne
solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch
politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die
Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System
an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den
Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war
unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne
konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des
Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches
gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte
durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die
Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war
eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung
des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie
änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben
treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt
allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren
wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der
Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden
Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’
leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie
Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden
darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig
beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen
Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den
Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das
Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86)
an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo
wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment
zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte,
teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte,
soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu
berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in
Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der
bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten
bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel
guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des
Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das
Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie
widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und
die Religion.

In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald
neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer
drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die
Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert
hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf
keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in
den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils
besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf
die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den
Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten
Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng
optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur
entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die
Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes
vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es
ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit
Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur
abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den
Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische
größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch
Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen
Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in
möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der
Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der
Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt
hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den
Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten
erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene
Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er
ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten
strafte. Für Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft
eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando
abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich
einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien
abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat,
andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen;
es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine
Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten.
Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu
treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen
Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach
einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr
aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden
- für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende
Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der
an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien
übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius
Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen
nach dem hellenischen Osten sich ein.




KAPITEL VIII.
Der Osten und König Mithradates


Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich
erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war
die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den
Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne
und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien
und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich
aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit
dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter
hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den
orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die
maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen
Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache
nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station
für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen
Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100)
die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die
römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige
Aufmerksamkeit zuzuwenden.

In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre
zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern
Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils
rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen
Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem
Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten
Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros
(† 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch
Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in
die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische
Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen
sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die
Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen
Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten
erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen
überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses
Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle
als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen
Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem
Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit
der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die
unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege
und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im
Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner
ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes
Regiment bei ihnen zu begründen.

Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am
wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges
der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von
Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne
forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen
Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der
syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren
Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems.
Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging
das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.

Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle
turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise
durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der
Große (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine
überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen
zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches
vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen
sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder
Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn
stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien.
Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die
nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der
Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der
Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes
(regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und
teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen
Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht
bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie
abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das
Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden
und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu
bringen.

In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der
Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung
festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande
der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus,
der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen
Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht
wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen
Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch
die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige
Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der
römischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des
Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die
römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner
daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer
erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die
Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor
Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen,
jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu
werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen
Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und
Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich
orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen
friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare,
schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat,
der es verstand, das Zeichen zu geben.

Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem
Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht
von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios
Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches,
Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und
Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates
Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als
elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm
nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene,
durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem
königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den
Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in
das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die
Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein
heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger
Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf
schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat
nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den
mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und
Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone
zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes
erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht
getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem
riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen
der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das
schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit
gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen;
als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen
Preis - freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König
obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde
herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen
- er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für
den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise -
und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die
zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich
unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte
er im wüstesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische
Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus - und in
einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte
griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches
Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke - sein Ringkabinett
war berühmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen,
Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den
Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten
Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan
entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der
Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes
trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der
Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum
übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger
Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein
Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso
viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter
seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen
mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt
sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen
zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und
seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart
freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er
als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen
Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh
auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen
jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die
notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all
seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit
seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger
Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel
diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem
Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle
von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der
Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist
seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner
Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn
bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz
Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch
erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein
redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über
die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines
Dolmetschers zu bedürfen - ein bezeichnender Zug für den regsamen
Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine
ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus -, geht sie
auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im
Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren
gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer
Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu
den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation,
ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger
Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei
Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur
mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman
waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung,
die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische
Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll
sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und
rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch
begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher
Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht.
Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik
es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios
oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse
mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte,
doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es
darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der
einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen
gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der
Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind
wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.

Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge,
seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die
Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen
Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr
verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen
die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die
Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein
orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und
überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die
offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus
daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen
Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die
kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen
Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in
seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den
Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach
langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des
Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die
heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso
nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.

So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs
das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist
es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum
wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und
zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der
antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche,
so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene
Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die
Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien.
Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in
ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr
ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der
Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche
Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker,
eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind
vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten
Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache
^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß
sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben
wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so
bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen
vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien
sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so
mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste
einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an
gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese
Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann
überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer
Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige
Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus
gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt
worden.

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^1 Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte
Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha =
Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr.
Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f.

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In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in
Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen
Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu
und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität
vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet
hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit
Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen
bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos
und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die
blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr
primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die
pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in
der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie
ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig
auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern
nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als
Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie
denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher
Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich
dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen;
und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm
selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift
sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz
orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war,
wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen
angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer
wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine
Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so
freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen
Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen
Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder
vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu
geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast
unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen
ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und
Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen
Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie.
Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen
Landschaften 2. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich
nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See
hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der
zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden
Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22
Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit,
für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und
waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen
Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies
heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Stämme, die der
Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot
der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes
Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren
Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf
Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise
richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils
beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und
lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und
Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier
ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und
Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein
scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische
Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich
für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen,
welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und
persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem
großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung
fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr
gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der
großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht
berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die
Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat
bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und
Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen
die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen
Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als
Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für
welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen
Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies
heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die
Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß
und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt
Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der
Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften
Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer
Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen
in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297)
Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige
genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau
und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte
gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die
kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf
dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und
die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von
Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres
und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer
beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war.
Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit
ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der
führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren
Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz
der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich
selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt,
ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders,
und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche
mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische
Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen
bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot
des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos
vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen
Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren
gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung
bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt
zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß
jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er
vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen,
in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen
Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel,
wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott,
und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen
draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird
verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste
ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um
vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der
ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe
verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.

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2 Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen
den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten
Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13;
Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal
schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret
von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach
ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden;
aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des
römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung
steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal
wahrscheinlich.

3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die
vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden
überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der
Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem
gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind
schützten.

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Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den
Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und
Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich
zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias
geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen
empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten
Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt
hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die
Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die
Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel
hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt;
gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit
hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht
umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und
seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern
fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu
Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die
Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen
der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie
später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den
Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor
seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen
Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem
pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl
griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische
genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen
Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000
Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die
Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung
traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem
pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch
wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.

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4 Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für
diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es
zeigt uns die Stadt in nächster Nähe - den Hafen von Balaklava müssen
die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -,
bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor
allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das
angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der
Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt
Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg
(wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den
westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im
Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos
überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie
mit den Reuxinalern - so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die
späteren Roxolaner - in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die
schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der
Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben;
Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die
als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen
für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu
ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu
Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des
Mithradates.

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Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die
Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen
Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die
enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab
dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern
er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der
Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es
scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein,
daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und
die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage
gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und
fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken
zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.

In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das
binnenländische Paphlagonien - die Küste gehörte seit langem zum
Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man
pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der
Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen
freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst
protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen
Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst
zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen.
Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König
Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat
dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während
Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und
unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege
ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI.
ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im
Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein
junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien
nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für
welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines
Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum
Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich
gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem
Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand
nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage
Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich
gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft
berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften
keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem
Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so
mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch.
Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein
falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als
Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem
ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie
am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere
Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande
und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der
Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker,
Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien)
drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine
Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm
die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das
trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und
Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß
es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000
Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht
aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer
römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische
Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer
ausschließlich.

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5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu
bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich
die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92)
statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege
auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt
(Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen
und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates,
wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom
versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt.
Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte,
traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen
seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war
also damals schon ermordet.

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Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder
von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen
geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem
plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte,
wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos
oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und
diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt 6. Aber
nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe
Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante
Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen
Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer
seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte,
die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste
Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze
der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er
die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter
Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und
weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich
festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr
fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über
diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium
sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei
beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so
war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden
Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen
wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten
der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte,
wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der
traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich
erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang
des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen
Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg
geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen
durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden
konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs
Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch
seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in
Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten
den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die
römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß
Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe - so weit
war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen
Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren,
umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte.
Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des
Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche
Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die
Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie
Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen
energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden,
den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die
er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in
Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung
an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr
gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des
Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt
sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der
den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu
veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine
Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen,
überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen
armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte.
Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der
kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes
verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf
Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier
Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des
Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen
sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung
statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der
Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu
nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei
dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des
Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben;
aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der
Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem
parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte
Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der
parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe.
Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge.
Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer,
Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten
Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der
skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status
quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).

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6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener
Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus
Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu
seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien
nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch
Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit
kam.

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So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der
früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien
verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von
Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle
den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien,
wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn
Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als
rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder
Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es
war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der
bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich
jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes
nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit
pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch
Mithradates’ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den
benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran
zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.

Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes
persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur
Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular
Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg
erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer
Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten
und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand
Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische
Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte,
und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und
König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne;
Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter
verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern
keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates
wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).

Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen
überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu
können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen
lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich
kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der
gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien
einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer
Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu
erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt
verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig
seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung
der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war
allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates
nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu
rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos,
sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen
begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche.
Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich
erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige
römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die
römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im
Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer
Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg
und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst.
Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise
aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische
Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur
Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den
offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte.
Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius;
er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren
ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus
und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese
Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas
Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung
eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee
mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die
Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange
sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war
Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen
konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des
Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn
gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem
Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich
dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht
entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als
Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen
in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris
brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner
Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte
er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder
vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein
er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen
sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war
deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet;
man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und
verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete
sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die
Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von
Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen -
“Wehrt nicht”, so soll er gesagt haben, “auch wer unterliegen muß,
dennoch sich gegen den Räuber?” Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl,
in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die
römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König
gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie
lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch
König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten,
Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).

Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor
allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien
fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in
Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König
Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen
sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten
Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als
Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in
der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen
Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische
Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest
des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen
sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten
Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität;
es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche
Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die
sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten,
Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der
Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete
an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung
Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als
willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer
Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich
nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude
die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von
der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten
italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den
Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in
Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet,
dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte
gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht
gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer
ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm,
daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen
nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen
Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder
Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische
Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an
tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden
Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich
lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein
einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese
buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates
war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen,
wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia
einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber
stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der
westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So
sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates
den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel
gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine
eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt
herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen
Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius
Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen
und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des
Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten
Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten
die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man,
die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand:
das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr
eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und
Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen,
kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius
Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte
fortfuhr, den Bosporus zu sperren.

Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die
Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen
Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und
Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz
ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig
auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und
Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich
Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg
verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren
asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem
Feinde zusammenstießen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen näherten,
stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien
geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu
halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen
zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die
Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte
in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia
sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen
Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager
verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte;
bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des
Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach
jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen
Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten
nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis
zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich
erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen
Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich
einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen
Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem
der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst
bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß,
wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die
große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die
Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es
ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien
und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen
des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm
Boten entgegen, “den rettenden Gott” zu sich einzuladen, und festlich
gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere
gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt
Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7.
Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine
Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges.
Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald
auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der
bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme
Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe,
zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter
Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der
allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der
adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von
ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und
demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker,
Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu
töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß
hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur
Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit
Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich
vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend
wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit
kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle
Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu
entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische
Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das
vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel
nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck - denn der finanzielle ließ
auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren
selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum
kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie
einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig
war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die
Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die
nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus
nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur
durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus
auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.

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7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf
fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’
Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.

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Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den
Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des
gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten
Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des
römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte
Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn
Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen
wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und
des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und
sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen,
sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert - eine Maßregel,
die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König
dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.

Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die
unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen
Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente
(1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von
Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und
die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer
einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk,
der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von
seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und
Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar
Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand
glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tüchtigster
Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der
Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des
Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu
Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so
mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren
ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader
vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen
heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein
Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen
auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben
in den Händen der Römer.

Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der
zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast
unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon
den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten
die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit
auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664,
665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und
plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit
noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den
makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen.
Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte
sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten
dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm
mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen
Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die
Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und
zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein
Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte
Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische
Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der
pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von
Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo
kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des
römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000
Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt
ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg
alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das
Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa
aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der
tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner
Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte
sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der
Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte
Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der
nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser
Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks
ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling
Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende
Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit
Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig
Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon
unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht,
daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und
ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward
aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine
pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus
dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf
dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen
Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach
Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung
herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä
Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen
Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner
Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen
Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667
88, 87).

So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine
Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen
Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals
bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.

Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden.
Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in
Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische
Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden
geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die
Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden
Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich
die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste
der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und
Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte
dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in
Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu
führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war
unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit
mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied
sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes,
man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem
Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen
Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der
Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für
seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der
Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn
im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder
höchstens 30000 Mann 8 wenig stärker war als eine gewöhnliche
Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen
eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See
beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des
Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff.
Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den
größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen;
Sulla kam mit leeren Händen - denn die für den Feldzug von 666 (88) mit
Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah
sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der
Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und
hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes
die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter
Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große
Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es
war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche
Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand
halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der
rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war
nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren
Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten
Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des
Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte
er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien
vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde,
Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast
ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der
Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich
geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine
römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und
streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor
Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende
feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis
und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte
und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die
hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert,
unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie
mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere
Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in
Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere
Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion
das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso
kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug
also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und
machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum
Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den
Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer
Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern
geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von
Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv
festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die
Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen
gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der
beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen,
Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So
verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie
die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den
Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil
der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort
schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er
wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen
halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden
sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla
hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In
Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die
Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla
wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als
Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte
Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal
dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die
kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf
sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische
Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern
und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt
selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar
das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre
herrlichen Toten.

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8 Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die
Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist,
mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.

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Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes
Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als
ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt
vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner
Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die
Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kürzlich durch die
Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich
immer deutlicher - war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und
die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die
Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu
Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte
Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius
Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort
womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von
den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief
Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote
aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten
Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach
Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um
Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab.
Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des
römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit
ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen
vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern
schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis;
schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des
Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür
die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene
Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese
militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der
politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame
Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte.
Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war
abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen
Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in
Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an
Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ
sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt
und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der
Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!

König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage
zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem
seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind
fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus
Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu
bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am
Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals
rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86),
das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit
einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den
Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte
- es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle
seines Herrn - den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in
Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit
all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden
war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen
des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet
Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die
Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und
Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie
geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den
Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten
vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer
Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der
Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere
aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten
Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen
Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen
Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind
gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der
Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die
Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand,
sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen
zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen
ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich
das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen,
an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und
Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung
sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen
Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken
herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein
Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach
die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich
rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie
anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf
dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes;
die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen
zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein
allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende
Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg.
Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu
hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die
Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich
eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis
gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen
Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.

Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen
des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt
sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten
sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den
pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen
Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte
Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf
dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius
Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs
durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen
Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine
Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei
Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide
römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich.
Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen,
daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an
den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß
vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu
desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen
war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach
Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg
zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner
ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück
nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben
scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man
annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er
gemäßigt und

Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den
Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden
und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden,
wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit
dem gemeinschaftlichen Feinde stritt.

Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit.
Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte,
hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel
nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war
dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos
über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den
Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab
fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige
Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die
Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war
gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und
nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo
nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der
Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die
Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf
sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen
begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff
und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit
lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie
ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei
Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten
die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe
geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt
und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den
Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten
nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von
Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in
Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt,
Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das
europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten
Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien
beziehen, um im Frühjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu
beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen
Schiffe zu bauen.

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9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten
überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur
Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn
auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1,
20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich
sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische
Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das
ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und
wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht
genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus
anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen
zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf
dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang
Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.

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Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich
wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als
der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen
Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet
hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter
die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter
hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit
überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen
Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen
wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den
zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das
Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen
Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener
Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen
waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller
bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon,
Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore
oder brachten sie um und erklärten sich für Rom ^10. Dagegen ließ der
königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von
anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei,
im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion
niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen,
wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die
Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und
gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste
deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward.
Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an
einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in
eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle
wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im
galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten
sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter
des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die
Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen
wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen
Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.

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^10 Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der
desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden.
Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des “Königs von
Kappadokien” Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner
Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die
Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie “für die Herrschaft
(ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit” ihm den Krieg.

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Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine
derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen
gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu
drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte
gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich
Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem
Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen,
pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug
fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen
Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende
Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt,
Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen.

Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und
Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach
Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine
Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute
unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des
Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für
den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit
seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene
Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer
abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an
seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich,
daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum
Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die
Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei
der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein
militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria
war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und
talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug
er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen
Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen
Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt
sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von
wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten
Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien
Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn,
durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu
machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er
segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war
Mithradates’ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war
Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen,
teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in
unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an
der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am
Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie
zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien
erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont
beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das
nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.

Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar
hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen
dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren
Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den
gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und
daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete,
wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen
denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern
einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an
Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch
scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla
abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem
Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos
forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König
abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei
in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte
zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige
Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile
der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg
sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so
entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den
Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der
böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich
bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der
alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach
dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher
gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von
dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen,
Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der
Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe
der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch
geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer
und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000
Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten
Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre
weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten
eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng
genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden
sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen,
die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile
gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt
hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung
angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig
unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf
diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog
die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa
innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte
wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe
verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich
geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren
bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner
Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem
äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die
Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien
wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er
zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn
dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria
abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen
sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang
es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende
Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am
königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel
angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher
er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten,
die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die
römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute
ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl
gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der
achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien
unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien
zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat.
Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen
Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster
Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem
solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und
die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue
in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast
die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn
noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im
günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der
Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen
Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten
^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings
notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der
Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla
jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdrücken hoffte,
so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei
Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation
des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging
weiter. Der König, hieß es, wünsche persönlich mit dem römischen
Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren;
vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer
nach Asien überzuführen und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So
überschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den
Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit
Mithradates zusammengetroffen war und mündlich den Vertrag
abgeschlossen hatte, ließ er den Marsch fortsetzen, bis er bei
Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an
demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an
Zahl, Zucht, Führung und Tüchtigkeit den Fimbrianern weit überlegen,
sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und
deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern
wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die
Soldaten sich, gegen ihre Mitbürger zu fechten, ja sogar den
geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Hände
abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria
erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnügte sich,
ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persönliche Rettung
zu eröffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme;
statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den
Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des
Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem
Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie
bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle
Sullas.

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^11 Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen
hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint
schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich
und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche
Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen
Entstellungen benutzt ward.

^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen
Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene,
begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen
(Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den
Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in
Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis
schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn
Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter
Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates
(Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und
Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den
nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm
darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland
zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer
mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals
Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine
Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner
Leute. Nach Ardasches’ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die
Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das
armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel,
übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka
in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen
Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte
man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von
bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.

Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen
Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich
durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und
namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz
ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese
orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht
aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die
Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des
fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen
Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der
Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des
Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere
okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der
orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der
unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie
noch stärker zu trüben.

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Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden
Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche
Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften
nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft
im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius
Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der
Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben;
eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt
durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets
unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem
Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner
Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten
Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten
Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die
sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und
Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine
Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten,
zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die
Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man
sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so
fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde
Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht
ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph
aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler
belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die
Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich
belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen
Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier
für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame
Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften
Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und
Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien
hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt
und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei
freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von
königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn
nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward
beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die
Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.

So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König
wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und
Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt;
die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch
zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr
glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen
kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen
Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie
Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die
der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe
sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen
Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre
ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671
(83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem
Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die
Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den
Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber
von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme
Ankündigung der bevorstehenden Restauration.




KAPITEL IX.
Cinna und Sulla


Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner
Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien
zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte
Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten
Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und
die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie
durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige
Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten
Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten
der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des
Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte.
Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht
bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte
mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer
althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose
Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls
unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die
Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der
Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen
Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die
verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen
lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung
Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich
geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur
Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen
sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser
Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen
gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte;
größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle
nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder
mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen
gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und
Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten
an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna,
war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im
Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit
desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger
unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der
römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere,
als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus
geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht
gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen
ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius
verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie
aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß
ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius
geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an
deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit
sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer
Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich
politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die
Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise
durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung
nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die
Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur
Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den
Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah
und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie
erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe,
so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische
Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder
Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das
Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in
die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art
nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung
gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich
einzulassen.

Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten
Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den
Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im
Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von
der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor,
wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von
666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische
Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie
beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen
Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die
Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich
die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die
Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul
gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen
Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils
bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten
Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die
Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter
Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht
bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der
Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter
Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an
diesem “Octaviustag”, wie niemals vor- oder nachher - auf zehntausend
schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich
durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf
war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es
blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter
gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu
verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein
vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die
Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden
Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in
Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den
Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des
Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius
Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht
ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die
Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich
vermehrte.

Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen,
wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es
unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung
Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren
Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen
den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in
Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums
und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der
gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten
sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren
demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr
durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte;
die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich
Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei
den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige
Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte
des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren
machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den
Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als
Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der
Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen
Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn
auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die
Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas
Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der
etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500
Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene
numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem
hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt
die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre
Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen
bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch
diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen
Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute
verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte
vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf
die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte
er sich dem “Konsul” Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen
Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten
ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch
seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch
notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von
wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese
Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in
Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.

So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte
nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen
heranzuziehen ^1. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium
und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war
imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug
sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten
Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen
Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien
nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß
Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem
Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem
Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen
den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei
Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von
Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt
sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum
Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von
dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt
schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr;
auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand
gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos
Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden
und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle,
lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches
Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die
Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch
Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum
eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten
mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts
weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen
oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu
sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft
seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für
das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber
in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem
einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und
suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der
Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen
niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten,
wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen 2. Es
schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem
Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes,
sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten
augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr
auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem
Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden
war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese
Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen
betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann.
Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem
Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen
Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die
Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten:
Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen
und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern
entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst
sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in
dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den
Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im
südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach
Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den
gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem
schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung
ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand
steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten,
was sie begehrten - was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer
Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust
war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen
Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige
Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren
erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich
ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur
ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich
angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon
früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt
brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen
Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und
kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr
geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die
etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ.
Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den
dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf
von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius
6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung
nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher
Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gründen gegen ihn
erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften
ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der
Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos
Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens
gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum
Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren
tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn
mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es
geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die
Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden
unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze
der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich
beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der
kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu
bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras
beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem
Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne
Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen
Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich
weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu
desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und
schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden
Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise
aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß
der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit
zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung
konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts
übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu
treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem
Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise
Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während
dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff
das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war,
irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach
dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte
hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu,
aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius,
ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem
Schweigen.

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^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu
aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher
unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung
dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt.

2 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht
aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form
bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach
zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich
hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker.

3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt “von der
Pest ergriffen” (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht
“vom Blitz getroffen”, wie die Späteren es mißverstanden haben.

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Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen
Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte
sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und
eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden
Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die
Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer
auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich
niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden
gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die
Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher
noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz
Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft
ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den
rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er
auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf
dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius
Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder
Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult
heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als
liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach
dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner
Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im
Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit
Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten
Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern
namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll
vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen
Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich
angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen
Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des
Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der
priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden
Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod
des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem
herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt
für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort
hatte als den einsilbigen Bescheid: “Er muß sterben!” Der Urheber all
dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die
Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine
Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das
Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das
stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte
seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ - worin
freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Köpfe der getöteten
Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne
Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der
Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius
noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm,
während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber
in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum
hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen,
namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und
versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser
ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu
schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung
über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben
um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in
Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man
stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war
nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu
fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius
vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das
Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel
weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht
unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen
Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der
umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute
an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich
den Beinamen der “Einsäckler”.

Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das
Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache
genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt,
seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem
Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal
an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der
Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren
gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die
Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit,
übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch
die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im
sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten
belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation;
er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt
als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst
schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des
Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher
griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach
siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den
kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla
bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über
siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte,
und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht
immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und
Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters
jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem
Raudischen Feld?

Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die
Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der
wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut
getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen
Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten
Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte
dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an,
wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich
nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren
doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die
Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen
keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an
der Zahl, sämtlich niederhauen.

Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna
stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an
der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und
seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese
Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher
Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei
vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie
in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört
besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment
so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das
von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern
und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern
zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen
Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man
ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die
fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fügung dabei
war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur
derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des
Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern
machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen
einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88)
begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem
Proletariat sich gefällig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die
vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung
jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns
Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte
Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk
gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein
Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres
Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner
kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des
ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick
diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei
dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter,
sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel
und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose
Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der
Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs
empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des
Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubürger; man ließ
sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame
Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische
Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche
Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes
betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen
blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber
nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung
zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß
dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den
Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf
seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime
Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen,
sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er
blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine
zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?

Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten
Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der
revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch
zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter
den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch
gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die
Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration
nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der
entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87)
auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie
vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten,
und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende
dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger
endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo
nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie.

Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien,
Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus
Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese
Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien
Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad
umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien
zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander
entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius
Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als
einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien,
soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin
und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige
entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von
Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ
es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines
Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet,
wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und
andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde
geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die
Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne
Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem
Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem
Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus
der jüngere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im
Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter
Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene
Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee.
Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu
werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria
ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669
85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84).
Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden
gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat
ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr
nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er
achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden
nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung
schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen
Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt
und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so
beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber
andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst
gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine
friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem
Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu
dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in
Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen,
bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla
wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich
nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als
Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche
Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht
geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine
Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert.
Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern,
sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die
Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen
Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon
schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor,
deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich
genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und,
auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend,
Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden
darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück,
ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die
Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer,
welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt,
mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes
abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen
veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den
bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis
dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den
Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten,
von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand,
und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser
als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die
Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer
Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so
wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und
einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an
Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum
Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel,
benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr
gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei
Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten
gegen ihn gestanden haben.

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4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen,
ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger
jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das
die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81)
rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß
dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus
geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus
genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es
notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius
Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als
Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668
(86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und
wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97),
ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom
anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste
lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch
der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der
Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero
verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).

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Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu
legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in
Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann
sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen
Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich
entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles,
Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah,
nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für
den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit
allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als
dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben
Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die
Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und
freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als
Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene
Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte
doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen
werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig
zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten
fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich
gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine
oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die
gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische
Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten
lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an
den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die
Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung
und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei
charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand,
während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine
Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben,
bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war.
In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte
er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun
konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu
verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit
gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen
Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das
Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit
gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im
Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der
revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung
in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören,
daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen
würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von
ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder
italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes
an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats
scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat
darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger
allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch
daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten
nach dem Siege zu bestimmen.

Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von
Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in
Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese
unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit
Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand
sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt
unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter
den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst,
eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem
oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz
Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie
durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die
strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste
der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten
Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus
Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87)
ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische
Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar
Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als
vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so
daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die
adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und
nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen.
Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager
sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst
ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der
revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter
angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und
erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für
ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere
brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius
Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten
Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch
als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der
wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt
ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der
Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in
Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß
sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich
vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach
der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich
unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen
Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars
Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm
persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab;
aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging
er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und
dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte
und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf.
Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge
Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient
hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch
nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im
Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind
einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen;
den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion
ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius
Brutus Damasippus 5 wußte der improvisierte Feldherr, die unter
denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu
entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas,
wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte
ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden
und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete
den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner
vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der
charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine
indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.

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5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater
des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht
im Felde kommandieren konnte.

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Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und
Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen
Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche
Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das
Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die
neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die
zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran.
Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein
letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man
an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine
kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom
Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im
ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die
revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ
dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre
schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch
diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt
mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten,
ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf
der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot
er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint
in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein
Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die
beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide
gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich
zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so
weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines
Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider
Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen,
machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht
begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu
haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen
Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen,
trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand
kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits
abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den
Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in
Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer
allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der
Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern,
sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch
seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in
Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und
begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von
Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in
Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich
zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert.

Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von
Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung
und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die
italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede
für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und
ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch
förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren;
Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau,
die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und
wieder in Rom einzuziehen.

Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben.
Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum
dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben
zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte,
achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus
Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme
Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach
Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien,
abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des
goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie
bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher
Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und
6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile
Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt,
wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die
Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen
ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten
die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein.
Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet
wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es
war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische
Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere
verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla
restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende
Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie
die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf
gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die
Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein
Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht
um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange
verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum
kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter
trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht,
kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste
fortgesetzt ward.

So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten
Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die
Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die
römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla
schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil
spreche.

Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm
es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien
vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die
Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen
Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße
heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm
zurückwich bis nach dem sogenannten “Hafen des Sacer” zwischen Signia
und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier
stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark
und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters
rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen
dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der
unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen.
Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während
des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer
waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu
halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den
benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu
verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen
gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den
Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten
angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch
den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen;
Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten
Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem
Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen
Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der
gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus
Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten
Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler
ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem
verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der
ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur
entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in
der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit
stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des
Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen.

Marius’ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen
Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem
größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das
Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den
Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die
Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten
Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von
verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze
Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum
nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und
die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach
Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien
zu vertreiben.

Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und
Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz
schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen
geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam,
hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die
Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine
Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische
Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen
und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten.
Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene
Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius
Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden
Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck.
Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst
begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen
Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von
Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände.
Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und
schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal,
in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen
ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines
Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein
Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf
Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei
Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die
Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht,
aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum
Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei
Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend
bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm
entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung
im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht
mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die
zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward,
endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten
Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der
Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich
günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser
Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle
ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller
Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu
sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte
sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte.
Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen
Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen
Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr
und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer
nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus
Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die
Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß
der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua
noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich
und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla
selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach
Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste 6 eine
wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte.
Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen,
vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten
unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo
gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte.
Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte,
kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der
Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn
des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und
ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen
Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am
späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an;
die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung
seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf
die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und
schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen
Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in
Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut,
indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem
Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt
schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen
Vorräten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach
Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten
sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die
Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese
Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer
ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er
dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich
ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit
dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils
wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas
zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier
hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung
nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas
Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in
Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius;
in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der
Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von
Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken
Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit
verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch
diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten,
so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs
geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit
überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch
nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom,
dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor
allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius
von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit
geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie
hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1.
November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der
Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom
Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der
Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der
Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein
törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte
es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der
Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der
ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf
Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen
Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der
Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im
Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am
Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am
Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit
Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen
ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den
Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen
könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht
war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst
anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward,
die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an
Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel
warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch
auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach
Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze
Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt
einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren
Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die
Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde
vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000
bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und
den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der
Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und
daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen
Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich
das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war
eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber
es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die
dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die
Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten,
so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und
eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen.

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6 Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste
allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen,
daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne
Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf
der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in
diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde
auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.

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Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von
Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen
des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom
erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius,
stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich
einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und
ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt
noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je
unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle
Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die
Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den
praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den
Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner
entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und
sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche
Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch
nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster
Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als
Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich
untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern
die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits
früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig
aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den
Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige
namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des
hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von
seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der
er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen
Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte
der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe,
und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse;
und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in
schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen
Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen
(674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die
Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward
in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in
Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das
aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um
sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann
von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen
Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre
nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen
freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder
Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und
steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen
Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation
abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien
verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen
belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten
langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen
Opposition.

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7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in
Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.

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Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter
der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius
Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische
Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien,
Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei
noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige
Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen
Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien
ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt,
welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder
bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und
unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch
brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da
er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die
Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute
von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und
mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz
nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas
Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm
daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in
die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren
legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn,
hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den
demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und
ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien
geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria)
zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach
Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen
sollte, den Kampf zu erneuern.

Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius
Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz.
Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen,
ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte
General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die
Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich
im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden
Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin,
wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach
den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche.
Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673
81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er
marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80).

Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel,
als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste
zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort
ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen
Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort
hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn
selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in
gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes,
persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert
nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas
gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings
weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als
Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das
feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus
war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in
Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich
wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von
denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme
Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des
römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in
Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer
aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen
werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem
Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte
heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die
afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen
Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen
Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator
(12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von
diesen bequemen Großtaten begrüßte der “Glückliche”, vielleicht nicht
ohne einige Ironie, den Jüngling als den “Großen”.

Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die
Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die
Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien,
noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene
mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte,
endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem
eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende.

Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit
dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich
nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen
erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier
beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum
Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und
rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die
Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine
Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet
seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch
kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach
dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische
Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies
vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In
der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen;
allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat
das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt
mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer
festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam
und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust
bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die
römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte
zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den
Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine
zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht
weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert
(673 81).

Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert
worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu
Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die
Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79).

Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten
zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden
nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten
Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren
sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung
des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen
war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren
Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen
vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.




KAPITEL X.
Die Sullanische Verfassung


Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern
geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige
Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die
Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des
Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein
Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung.
Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die
Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von
selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings
meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden
revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl
zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung
der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre,
etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich
erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den
Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die
Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer
besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb
borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das
schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine
umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und
eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats
weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen
erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie
unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig
Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die
Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er
sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei
und den Überläufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus,
Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die
Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem
leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl
auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie hätte er sonst
überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als
seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses
Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils
umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das
Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines
energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich,
daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln,
jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte
Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in
der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig
erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren
Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der
Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie
damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein
militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an
den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch
außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu
oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben,
daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände
eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten
Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige
Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war
unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats
brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius
Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei
der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius
Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm
als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft
aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger
in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach
Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach
Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu
gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das
höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und
Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den
Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle,
wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies
außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es
von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste
Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht
sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und
nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul
die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von
Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen
Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem
bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als
dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue
“Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens”,
wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes
ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation
an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche
Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der
“Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen”, die gleichfalls als
außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter
Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und
tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes
verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem
Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität
eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum,
das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft,
einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von
Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein
König besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward
auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die
ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine
vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So
fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in
so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier
mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr
der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig
andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem
letzten Siege der Oligarchie.

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^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).

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Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des
Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber
keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu
überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit
rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung
hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum
Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er
wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge
flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische
Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen
war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der
Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde
aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn
persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem
Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper
seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem
blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser
freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu
bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten,
zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen
kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er
in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war
es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern
nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten
abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung
der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun
war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar
nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei
sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung
zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für
die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern
diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten.
Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der
Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt
auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600
Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der
nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der
Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und
Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber,
insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die
senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten
Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen
derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch
hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die
Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das
Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der
aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward
und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der
Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den
Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese
täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende
Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit
der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht
der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel;
sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber
der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen
Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen
und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner
Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie
seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe
Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der
römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des
bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter
den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon
die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch
übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während
die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine
Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung
verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia
seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der
landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch
häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den
Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier
öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem
unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine
furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die
revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der
Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem
solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen
wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu
Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten,
“die Einsäckler”, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten
Ritter 3 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die
gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich
ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die
Rittergerichte zu ziehen - “Wie geht es nur zu”, fragte bald darauf ein
Sachwalter, “daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch
Ankläger und Richter totschlugen?” Die wildesten und schändlichsten
Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien.
In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen
aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere
durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber
auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes
Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu
verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen
Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam
wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht
nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese
Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten
Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um
einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier
entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte
die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und
ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten
Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter
nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der
Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung
und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen
die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der
hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.

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2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1,
9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich
noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus
Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31)
wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den
ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen
Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils
nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste
monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1,
103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare,
90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang
zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas
verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652
(102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus
Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90),
Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius
667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo
669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671
(83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius
Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop
(5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg
weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs
Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege
gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul
655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato
665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius
Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls
auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren
Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen
sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen
acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei
gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als
Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40
Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz
willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen
Frevel.

3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter
genannte Senator Sextus Alfenus.

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In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus
politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei
dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens
freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus.
Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft
nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise
folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme
zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils
sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und
andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst
Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald
ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ - so soll zum
Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen
(457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und
einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem
Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der
Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte
ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine
Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser
Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern
nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem
ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der
Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es
war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß,
keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem
Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der
Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl
einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine
persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien
Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der
neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast
gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so
entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der
konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat;
nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der
Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen.

In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt
Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution
vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden
Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr
aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde
damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen
Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und
Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den
Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und
für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen
Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß
den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand
gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die
Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber
mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht
über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens,
ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die
ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt,
wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen
hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige
Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden
Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert;
den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer
Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich
allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als
Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen,
oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom
Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem
Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich
das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste
latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen
Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu
gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des
Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von
selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die
Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um
diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen.
In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste
und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von
Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift.
Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden
Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am
Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien
und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der
ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium,
Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward
nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine
blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde
gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen
gleichgestellt.

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4 Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das
latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die
Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen
Gemeinde in sich schloß, hier aber - ähnlich wie bei den späteren
Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) -
ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese
Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten,
genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein
Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber
konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter
sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts
verkehren.

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Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils
diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen
Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit
deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die
eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des
Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen
Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen
nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach
Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische
Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in
der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte
in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon
bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung
war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben
wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden,
wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien
beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der
arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten,
gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von
Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die
Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher
Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner
nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die
gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im
Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte:
die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung
größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie
ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des
Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen
angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem
Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb
auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in
Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen,
sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben
Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese
Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß,
aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der
desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache
nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und
erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen
Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des
Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der
Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer
Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten
gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht
unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien
bezeichnet.

Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats
verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten
über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und
insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche
Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons
geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein
und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in
der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.

Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die
Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber
erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu
Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes
Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch
weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen
Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der
Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und
so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den
nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre
hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische
Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666,
ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die
Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der
Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige
Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger;
Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und
Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den
Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der
Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten
in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der
Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke
umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der
Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand
eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten
sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla
schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder
her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern
einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit
längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die
Ritter zurück auf die Plebejerbänke 6. Der Ritterstand, als solcher
durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch
Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die
höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und
auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig
privilegierter Stand auftreten.

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5 Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der
Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch
für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der
Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670)
und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren
Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau
672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia
vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89).
Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen
“nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten
Zins zu zahlen ohne Steuerpächter”.

6 Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen
ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische
Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch,
Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses
Gesetzes unzweifelhaft Sulla.

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Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber
unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der
Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch
die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular
Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch
machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein
geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der
reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte.
Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise
ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung
aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie
begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der
senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen,
durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die
Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich
andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in
den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche
und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei
kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an
welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im
Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats
oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im
Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer
sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen
beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens
tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab,
daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die
Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden
Quästoren auf zwanzig 7 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich
zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem
ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu
fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von
Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls
fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also
von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die
bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen
und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich,
vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht, 8 was auch schon
die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten
Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die
außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden
von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des
Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet,
derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies
mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt
sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten
Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende
und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine
konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich
zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben
entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt
wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante
Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken
Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit
einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die
Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward,
wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall
das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und
Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des
Herrenstandes, endgültig konsolidiert.

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7 Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht
bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei
städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in
den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die
Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein,
und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet
werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne
Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab,
überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er
möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes
auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die
ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und
andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der
römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu
beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben
als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie
zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber
sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.

8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt
nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine
Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch
diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur
Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach
Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren.
Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600
Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich
20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die
durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre
ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit
waren 417 Mitglieder anwesend.

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Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666
(88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische
Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens
den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft
blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt,
so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu
konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger
zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der
geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den
Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse
damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht,
schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die
doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte,
wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden
Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die
legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch
nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats
das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die
Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen
konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt
ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.

Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren
man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr
aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln
konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die
Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von
650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem
Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen
hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla
kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in
seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der
Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen
Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des
militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche
Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das
Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat
übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte
Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es
nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die
Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese
ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu
steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und
teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes
erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die
Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder
Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse,
wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer
Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen
Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten
Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch
eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier
ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung
desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher
letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen
Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat,
wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im
ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die
Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die
unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte
außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.

Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die
drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der
Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit
wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische
Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment
unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets
geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und
dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die
Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den
Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu
veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den
Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts
eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende
Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem
Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen,
insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen,
teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen,
durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt
hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei
dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht 9. Endlich wurde
hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme
eines höheren Amtes unfähig machen solle - eine Bestimmung, die wie so
manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen
Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der
Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die
kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf
diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen
Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von
dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug
des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der
Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der
Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der
republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu
Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben,
öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich
festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser
von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat
zu erbittenden Erlaubnis.

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9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11
Dietsch): populus Romanus exutus … iure agitandi, auf die Tacitus (ann.
3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post
tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die
Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu
verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de
Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet
als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach
der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das
Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der
Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676
(78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern
Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische
Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das
Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite
eingetreten sein würden.

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Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen
Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an
sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen
gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet.
Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise
beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang
dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln
lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten
Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten
Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen
festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen
Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich
festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals
bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden
Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur
ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach
sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen
Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die
sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer
Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen
Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen
Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war,
blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und
für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten
Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle
blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen
zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus
fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden
Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die
regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte
durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise
möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu
vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen
Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich
befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so
lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das
Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul
oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht
erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und
mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand
darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten,
also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich
verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen
Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben
anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges
überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche
militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das
Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur
Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter
nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen -
wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen
und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für
das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere
vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten
oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit
wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene
tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen
Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als
dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die
Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten
Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs
Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen
Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien
und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen
Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der
römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die
Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische
Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der
ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf
acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen,
mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich
war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer
Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung
gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der
Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr
Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch
Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr
fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt,
nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die
wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die
Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen
gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter
diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor
allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich
oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden
Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln,
nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen,
was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des
in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders
bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere
war.

Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu
Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der
politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen,
welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige
Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von
denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen
Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die
militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung
geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein
immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste
militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul
und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und
Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem
jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte
zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von
dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem
nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von
Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward;
allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische
Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit
Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und
Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der
Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten
Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze
Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien,
dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein
jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den
ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem
Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer
der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland
diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden
Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden
konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als
eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl
der jährlich zu ernennenden Prätoren von sechs auf acht erhöht ward,
stellte sich die neue Geschäftsordnung dahin, daß die jährlich zu
ernennenden zehn höchsten Beamten während ihres ersten Amtsjahrs als
Konsuln oder Prätoren den hauptstädtischen Geschäften - die beiden
Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Prätoren der
Zivilrechtspflege, die übrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz
- sich widmeten, während ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder
Proprätoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften:
Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo,
Kilikien und dem italischen Keltenland übernahmen. Die schon erwähnte
Vermehrung der Quästorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehört ebenfalls
in diesen Zusammenhang ^11.

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^10 Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das
italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen
geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten
Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist
wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data
erat et Sullae provincia Gallia cisalpina).

Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen,
daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von
Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar
daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem
Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm
(Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach
Lucullus’ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da
auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur
innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf;
in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht
regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist
das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können
aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser
Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen
Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig
und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer
Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673
(81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser
Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt
nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist
es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium
vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem
Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern
die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.

^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quästor gingen,
überdies die zwei städtischen und die zwei den Konsuln bei der
Kriegsführung beigeordneten und die vier Flottenquästoren bestehen
blieben, so waren hierfür neunzehn Beamte jährlich erforderlich. Die
zwanzigste Quästorenkompetenz läßt sich nicht nachweisen.

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Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und
zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden
Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den
Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der
Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der
bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die
Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des
Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue,
fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien
^12 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das
umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an
sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann
sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die
neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die
Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung,
daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in
seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen
habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher
erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu
demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz
dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die
einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die
Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der
Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung
hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr
des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit
zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten
Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß
nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche.
Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar
ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die
sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten
vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt
bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden;
dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der
staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche
Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul
oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den
Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß
durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch
zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.

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^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein
Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des
Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.

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Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich
aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die
Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls
entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit
Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch
Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und
Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn
in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung
einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also
nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher
verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl
unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen
Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der
Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam
nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten
Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der
jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der
Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn
auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt
ward.

In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die
entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um
die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte
anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien
mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets
anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am
Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste
entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen.
Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der
kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die
befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in
Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle
eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden.
Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der
Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden
Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der
augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt
weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die
Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor,
als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch
Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der
Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den
römischen Finanzen gezehrt hatten.

Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus
politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche
und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und
Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die
Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an
Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf
Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf
Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der
Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder
Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur
Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf
Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen
schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen
Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla
hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu
abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der
Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht
und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise
beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der
Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor
Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach
unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden
Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten
Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen
Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter
Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der
außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen
Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze
anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt
worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle
konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden
Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei
und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im
Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils
endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der
Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß,
auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das
Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus
iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen
ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts
liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie
bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen.
Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen
Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem
Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen
Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den
gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden
wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren
in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen
Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den
Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise,
daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für
allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium
aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch
Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der
Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor.

Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er
die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin
besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit
Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung;
ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die
schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch;
für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung
des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher
Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten
dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen
und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung
versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen,
vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu
bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im
wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die
neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß
bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien
entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so
standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der
verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen
noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten
eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die
Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter
wieder die Senatoren ein.

Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung
der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig
läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische
Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde,
dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen
Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser
Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte
Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute
damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von
dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige
Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem
Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen
Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische
Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je
besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im
einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es
von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum
nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen
abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert
festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf
Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam
die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine
stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für
solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der
verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie
deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls
ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem
und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des
praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber
wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner
Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten.

Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen
Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des
Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und
durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst
verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu
beschränken versuchte.

Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche
die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem
Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes
politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen,
ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische
Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen
hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen.
Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein
eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit
der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten
Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen
ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne
Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht
erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren,
aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen
Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das
Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das
Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten
Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht
anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der
hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das
heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder
Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten
verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien
entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger
verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem
Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden
war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde,
der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie
in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der
Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen
einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden
zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
instruierenden Beamten abgehangen zu haben.

Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des
öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom
wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische
Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur
sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen,
innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So
ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher
Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren
Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere
Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen
Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen
bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen
als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht
zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der
bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren
Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der
römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf
gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und
geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat.
Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis,
Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein
Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen
Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei
ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die
den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom
von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach
vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den
höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren,
mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der
“Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt” annahmen. Die
Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten
zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein
bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen
Pontifices und Augurn.

Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem
primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie
diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der
Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den
Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische
Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden
Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise
beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den
etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom
ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es
durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz
Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet
werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die
Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine
förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo
das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben
würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im
Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der
dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen
Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte
auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden
Rechtshändel beschränkt.

Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert.
Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf
Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des
sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an
sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und
Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die
Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere
staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere
Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben
in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie
späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam.
Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die
revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie
ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen
Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden
organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die
Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt
sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf
die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die
Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch
ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja
auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen
Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der
merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit
und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt
ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als
es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große
Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln;
aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen
geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor
allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide
und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In
der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der
städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form
zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende
Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den
Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat
diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und
den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.

Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die
Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen
Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf
diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht
selbst in die Hand zu nehmen.

Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom
gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und
Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward,
wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die
Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter
gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform
wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es
vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich
aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche
dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er
verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung
des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz
gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus,
Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand
ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen
Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden
Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer
Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld
gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch
ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner
militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande
war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur
nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen,
sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die
Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen.
Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem
eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den
Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten
Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten,
jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert
wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das
meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung
der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von
Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren
hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein
Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an
offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste
wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt
ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu
erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet
zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch
ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn
nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins
Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten
als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren
Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich
zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann
war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser
verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf
öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten
Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie
vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende
Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber
sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten,
daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne.

Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die
Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen.
Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den
Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt
und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch
dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von
vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und
Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei
den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen
beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt
ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden
ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen
über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei
wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und
Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von
städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn
ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die
gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward;
doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die
Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674
80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in
Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem
Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft
zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl,
wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die
Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu
erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches,
namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und
wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien
Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen
Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln
Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im
Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst
starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem
Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink
so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder
Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen
Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei
sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der
Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf
den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig
begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener
entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn
einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab
von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er
mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus
geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.

Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk
richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt
gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich
entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man
darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte.
Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von
auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich
rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann,
schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen,
die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul
464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem
prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten
Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren
Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in
jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms
einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle
sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit
und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und
unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer
Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden
in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der
Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem
reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch
leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er
nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur
Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der
Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er,
während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein
ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus
der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn
niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas
Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel
erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er
gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus
Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren
Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht
schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen
schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die
körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der
ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß
er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom
brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer
Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen
Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln
liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte
Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum
Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in
griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den
Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den
halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in
Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den
politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal
empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend
zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen,
verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm
eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall
regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts
spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit,
zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch
er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische
Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen
und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der
finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das
Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende
Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig
sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom
Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer
zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den
Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die
Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es
demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse
füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich
scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes
hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man
sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem
Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem
Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders
jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der
Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie
rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die
Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht,
auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf
sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes
improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig
angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den
Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null
anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es
war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem
Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in
schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen,
Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern
entsprechende Benennungen beilegte.

Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit,
um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines
Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu
betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der
Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er
blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen
Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache
sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen
Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647
(107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in
das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische
Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten
Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte
Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk
sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien
zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit,
wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb
Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen,
hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der
eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete
jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen
Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen
Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent;
nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des
hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der
Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben
hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in
seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über
König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden
sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war
es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion
zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich
gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit
energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein
Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen
jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die
Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte,
wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im
Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und
abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor
zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem
ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte
mit Marius’ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der
berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es
folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die
Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der
Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf
den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien
tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war.
Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die
Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und
Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein
überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen
Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können,
und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu
Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur
je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen
Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit
vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und
zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der
Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im
Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder
unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die
Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre
Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und
finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten
Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich,
als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner
Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder
einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und
politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen
Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein
Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache,
seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier
einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich
gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen,
was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter
gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine
höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna.

Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer
Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es
begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich
bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre
wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der
Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem
Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die
Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur
Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf
zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den
senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und
Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon
aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur
regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner
Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind
sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio
und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der
hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über
die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als
unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was
ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig
mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob
versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird
man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische
Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique
regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und
Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß
alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten
Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber
nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach
eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige
Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach
und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche
Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen.
Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit
jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie
wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen
viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die
Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies
und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem
Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt
herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja
dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber,
die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst
nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer
sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund
gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht
auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel
des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein
Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es
wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus -
freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington
genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land
ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla
hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der
Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser
berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und
seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem
Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen
staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser
Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla
hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms
Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das
Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und
gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit,
deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten
wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der
unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen
Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt,
wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen
notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die
Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben
gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt
wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein
solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu
übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von
den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft
zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm
angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun
konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und
geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung
zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen
jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine
Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm;
es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die
Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht
verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung
auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen
Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere
Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine
richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und
ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen
Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der
italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen.

Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme
hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem
versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla
hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit
begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen
Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich
verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor
dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber
allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit
seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche
Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen,
kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen,
und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte
für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß
die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe
öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe
ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig
eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute
auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den
widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk
sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität
ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen,
spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt
ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken
des Urhebers der Proskriptionen.

Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen
wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten,
namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen
Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo
er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch
gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß
niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er
verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein
kolossales Vermögen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des
römischen Staats, bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daß den
Fürsten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst
erlassenen Ehebruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber
als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läßliches
Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe
Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit
geboten war, läßt sich hierher rechnen; viel schädlicher aber noch war
die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich,
was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena für
die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit erlittenen
Niederlagen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph
zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen
hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die
ärgsten Frevel der Ächtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich
weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner
Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Daß
Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgültigen
Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich
streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, daß
er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein
blutdürstiger Wüterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als
Regent das Gegenteil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man
vielmehr sagen müssen, daß er mit demselben nachlässigen Gleichmut
strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht
überhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem
Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glück zu
schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe
Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes;
als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreißen und Umbauen
vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Übertünchung der
Schäden genügen.

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^13 Euripides, Medeia, 807:

Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,

Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,

Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.

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Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem
Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines
Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe.
Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn
wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem
Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in
seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm
die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er
durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich
gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen
Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die
Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner
Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf
Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der
benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die
Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem
Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem
Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm
nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im
sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode
ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode
schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn
hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er
konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der
Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch
einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande
der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem
Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner
feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden
zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort
gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte.
Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten
Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der
Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat
Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich
geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten
Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem
seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als
wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie
anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich
vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo
die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene
Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der
näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem
Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt
beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen
eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage
bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der
die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den
Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat,
den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich
gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen
Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange
seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die
Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der
Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet
war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten
den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem
Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr
hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert.

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^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem
einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie
existiert.




KAPITEL XI.
Das Gemeinwesen und seine Ökonomie


Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig
einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese
Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden
in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und
gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum
Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau;
aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der
“auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft
oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft” ^1 ward nicht wesentlich
erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu
realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom
geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu
bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg
sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte
antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat
zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward,
fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr
ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff
überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae,
von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen
Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen
die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und
dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart
hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche
denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich
zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde,
welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die
Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser
gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um
welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier,
der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter
Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein
Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und
Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als
beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte
Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative
wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin
zusammen -, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der
gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch
aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern
geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein
einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen,
bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am
Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der
Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch
ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische
Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die
außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine
Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des
römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig
geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente.
Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung
des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach
dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der
geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat
oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging
durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des
freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf
mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden
gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die
Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu
Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt
anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich
festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates
selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die
Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen
einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser
bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das
Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer
unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung
senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine
zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren
können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des
Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische
Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der
Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern
und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher
und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen
Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen
Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und
Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen
Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich
ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch
aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr
geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine
Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die
Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren
werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich
an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war,
seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen
werde.

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^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi
Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der
nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen
“Eidgenossen und Stammverwandten” (socii nominisve Latini).

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Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs
hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.

Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf
den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die
hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen
als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von
Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit
anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen
Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das
Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens
jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue
Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht
geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien
einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den
Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den
Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen
und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische
Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als
Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die
Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz
Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens,
ansehnlich gesteigert werden mußten.

In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in
Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte
Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die
Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen
innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von
Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von
Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien
als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von
den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer
Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß
Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne
ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern
praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und
Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des
römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese
nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher
ausgeführt.

Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen
gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und
Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher
nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem
Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten
Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und
Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana,
Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren
Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils
durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder
Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch
außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige
Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag
durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht
beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit
beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien,
waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in
Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben
und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das
Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in
Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden
Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde
jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium,
tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000
Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler)
betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als
die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten
und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn
oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen
hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den
Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen
festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und
von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen
von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern,
wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht
ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf
die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden
von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen
erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als
sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der
römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein
allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des
Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat
wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach
wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken,
die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher
Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten,
fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän,
das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne
größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische
Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder
mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit
enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen
Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus-
und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben
ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen
Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward
in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der
römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser
Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche
Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen
unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige
Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich
den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.

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2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum
erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf
das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein
für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers,
verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende
Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3,
6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches
Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.

3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung
bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel
ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte
Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die
Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10,
6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des
Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint,
ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen
Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der
Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu
sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von
Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν, App. Pun. 135, für Africa).
Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des
römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23)
festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen
Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6);
wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward
ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur
Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς
omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den
Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu
senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte
Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar
erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder
einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem
Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch
Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der
Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten.

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Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen
beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die
Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen
unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing.
Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner,
namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das
verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung
der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame
Konkurrenz aufs äußerste erschwert.

Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die
Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts
wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz
mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie
besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach
und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die
Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren;
ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung -
feste Standlager kannte man noch nicht - regelmäßig befreit. Wenn der
Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung,
Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im
Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei,
solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den
Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern,
allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich
als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen
Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn
nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese
Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so
mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder
gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl
einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen
Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten - so die schon erwähnte
Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen
nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis
nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines
Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges
Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer
festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das
wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt
eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der
Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der
einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs
beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich
unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die
Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der
der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also
ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die
kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen
Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen
vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio
fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch
nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe
Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und
Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.

Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie
müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die
Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude,
überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen
wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer
Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber
wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt - so die
Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die
der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen
Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der
Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden
innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und
auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so
weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu
werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an
die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch
finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des
Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die
Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.

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4 Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische
Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten;
wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte
sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen
Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.

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Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch
das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten
Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes
Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut
behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken,
seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte,
dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen;
die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten
senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern,
Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht
unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der
schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die
Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen
fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer
allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies
und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den
ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über
Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer
stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die
rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden
Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die
immer wachsende Höhe des Übels.

Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach
mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies
war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die
italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit
schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen
daran hängenden Mißbräuchen.

Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen
zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den
wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den
attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die
Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus
erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des
Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme,
vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den
Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum
Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill.
Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten
jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das
Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große
Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen
monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war
nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz
geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig
noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur
Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem
Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu
machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine
Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen
ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von
Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen
durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja
diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide
Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet
als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in
gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die
Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig
aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern,
zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft,
sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern.
In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige
Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu
behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale
Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren
überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die
militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt;
und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer
trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland
verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen
Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte
Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber
freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der
Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und
durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich
gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging
weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht
ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen
Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der
Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz
der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der
Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das
Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl
schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen
Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers
ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen
Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann
aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich
in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden
für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine
Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum
verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß
eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich
motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei
eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia
das härteste Los traf.

Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit
gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die
öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden
dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die
Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In
Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee,
die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum,
Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine
Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des
Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die
Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße
chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach
Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert
und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten
Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen
etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach
Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und
die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte
Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als
römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst
bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte
Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber
überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in
Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende
Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148)
die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo
wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über
Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und
Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das
Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109)
durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und
Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom
verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische
Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen,
indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies,
auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last
haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission
scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu
bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen;
er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau
zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in
dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen:
die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg
von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae
Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische
führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres,
jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland
hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im
Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von
der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die
Reichsgrenze - alles Anlagen, über deren Entstehung in der
trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist,
die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen
Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien
unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des
Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte
von der größten Bedeutung geworden sind.

Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen
Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die
Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für
Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem
Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den
norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen
zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung
viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso
unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß
wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits
bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von
Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im
Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch
später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte
Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom
Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen
vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische
Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill.
Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre
disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr
ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang
dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig
im Steigen war.

Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im
allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit
schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen
werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses
Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber
dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ.
Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits
hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten
die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien
die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische
Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die
Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß
man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht
einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst
unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich
die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die
Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen
Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch
ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser,
ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die
Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der
überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede
von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten
Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen
und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden
lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die
Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige
Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar
glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der
Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten
Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das
senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.

Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen
Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue
und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die
dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung
erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen
zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu
eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen.
Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast
gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die
erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus
angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach
632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und
Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109)
anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der
Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge
des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer
mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in
der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im
Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und
Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der
kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg
wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben
dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den
Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten
Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der
Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus
aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei
Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man
lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die
Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes
der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter
ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären
aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder
her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen
Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen
wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als
die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen
blieben.

In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor;
die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse
Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer
entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die
steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz
in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die
Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne
zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch
einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen
italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der
transalpinischen Wein- und Ölproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die
Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der
Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen
die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie
dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in
Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der
Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft
gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden
Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern
nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche
vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar
geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem
Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen
waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und
mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die
Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen
Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus
überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen
Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte
gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die
Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum
Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der
ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr
bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem
Thasier und Chier genannt zu werden, und der “Opimische Wein” vom Jahre
633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der
letzte Krug geleert war.

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5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro
lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5)
zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach
Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen
Bücher gehört hierher.

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Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische
Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität
verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die
Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um
selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen
zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton-
oder Kupfergefäßen und ähnlichen “alten Arbeiten” bewahrten. Was von
Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem
Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen
Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die
Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die
Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die
Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge
abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene
Arbeit beschaffte.

Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen
Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze
stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer,
vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen
der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen
Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in
Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser
Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen
Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken
der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der
politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden
vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte,
zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670
(84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten
vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen
vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die
Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und
Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem
römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der
Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern
geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der
Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene
bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland
fast ausschließlich - die Weinproduktion in der massaliotischen und
turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das
gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden
Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa,
das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien.
Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus
sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke,
Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt
wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets
steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung,
dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der
mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle
Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die
Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien
konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden
großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia,
dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für
weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die
für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit
dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für
Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit
Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem
hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot.
Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen
Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli
bei Lucilius das italische “Klein-Delos” heißt; nach der Katastrophe
aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich
nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte
Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit
ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen
Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der
italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern
zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den
Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall
fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den
besten Teil aller Spekulationen für sich nahm.

Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den
hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der
politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der
römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente
fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets,
die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der
Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung
ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer
zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des
Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war
jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges
Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen
Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill.
Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser
Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus
Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker
Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz
die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder,
wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der
Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es
ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die
Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft
daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der
Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder
finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der
politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten
politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr
ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg
der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen
Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der
Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der
Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl
aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer
Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen
Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren
aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla,
die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre
Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen
allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische
Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im
Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen
italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos
waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die
Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf
Mithradates’ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so
viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie
gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war
angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich,
vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst
ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne
Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege
hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und
freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der
römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt
weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin
des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen
Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer
kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr
zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische
hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder
Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente,
Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und
Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in
Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das
unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die
italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70)
910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung
auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig
übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem
Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts
domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird
demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher
als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige
Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man
danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es
bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche
Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden
die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der
Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an
die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit
sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords,
seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und
Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven
verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung
der italischen Halbinsel gewinnen.

Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser
Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung
desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit
standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß
zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis
zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig
es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach
dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf
diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die
Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die
starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der
Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal
in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt
auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der
Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto
entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was
denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die
Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch
nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not
des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen
lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum
mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach
wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das
Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder
ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen,
lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber
als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes
wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als
Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen
Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der
Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die
Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen
Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war,
ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich
schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die
Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze
und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus
diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der
As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im
Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3
Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen
Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher
Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der
fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller
Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung
derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur
selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck.
Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung
in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den
guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus,
welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein
unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung
auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die
plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war
dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz
offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für
seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf
je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein
nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten
Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das
Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder
Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf
sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen
finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr
bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte
und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr
höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen
Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius
Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch
Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet.
Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die
Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen.

Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen
Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den
Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit
nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den
Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich
auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates
Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung
sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im
Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und
Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf
geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder
auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach
der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften
der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien
und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine
mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in
Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch
die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind
gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden
Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die
provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze
hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der
altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der
Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von
den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes
beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch,
daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung
dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in
das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7.
Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß
das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt
wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den
Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also
bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen
Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien -
von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist,
daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien,
Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in
Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der
Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen.
Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden
Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war,
drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht
gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der
bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn
auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem
der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß
wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter
römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher
Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia
derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der
römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den
Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen
ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des
orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung
geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme
der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist
kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des
Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das
Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden
ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den
Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der
europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat.

Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich
gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung
aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im
besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung
und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut
wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der
die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der
verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias
sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration
entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie,
einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen
Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde,
es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus
Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit
untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet,
wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein
Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der
römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten;
661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe
gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer
Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an,
dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und
Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten.
Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt
aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus
(Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen
Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern
in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf
seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu
verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das
prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte
Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6
Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt,
während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000
Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise
der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa,
die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700
Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen
Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben
machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum
Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es
keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging,
wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen
erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und
seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten
wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit
ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die
Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses
vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis
100000 Sesterzen (7600 Taler) - für einen ausgesuchten Koch; man baute
mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste
mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit
frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes
Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den
Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den
einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für
schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei
jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden
mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die
Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder
gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike
Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten
sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89,
82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und
Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und
Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen
Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge
der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben,
zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673
(81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur
Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen
vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die
Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen;
auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den
Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick
noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät
zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit
Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die
karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem
Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät
wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32
Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius
(Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus
Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in
Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150
hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren
Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür
verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die
Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für
ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius
Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der
letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000
Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall.

Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen
Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung,
einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn
bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so
hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der
Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein
Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit
und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen
war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im
Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als
eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende
öffentliche Last. 7

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6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das
Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete
(Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses
kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine
wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000
Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird
(Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben.

7 “Wenn wir könnten, ihr Bürger”, hieß es in seiner Rede, würden wir
freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so
eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die
Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde
Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.”

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Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die
der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische
Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische
Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän
und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio
Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten,
war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit
geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen
Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den
Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es
war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im
Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der
eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz
seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser
wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne
geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf
offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen
Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in
dem Kreise seiner Zechbrüder findet. “Sie spielen Hasard, fein
parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt,
lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich
umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den
neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche
dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den
Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den
Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit,
die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein
geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den
Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der
Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er
zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden.
Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf.
Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen
Zechbrüdern sich vernehmen: ‘Was gehen mich die langweiligen Leute an?
Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein
trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten
Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’” Die den Redner
hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen
Dinge belacht wurden?




KAPITEL XII.
Nationalität, Religion, Erziehung


In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs
des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit
im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen,
die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde,
an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die
ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und
Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen
Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens
nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und
Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch
verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange
des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen
und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie
intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie
seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker
zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische
Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der
transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung
aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals
die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald
gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der
ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie
beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in
Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte,
die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand
keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch
den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die
Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte
auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß
Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als
festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren
Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen,
die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder
verweilenden römischen Bürger als “Kreise” (conventus civium Romanorum)
mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit
Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig
früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch
allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an
die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in
Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene
Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616
(133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits
erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der
Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten
und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker
genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine,
daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und
sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In
bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die
Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu
kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die
Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen
den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils
zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo
erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen
Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines
großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der
antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort
ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus.
Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen
Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in
sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine
klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu
schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und
der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche
italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die
geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die
lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als
darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die
gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das
Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr
ist als der tote Achill.

Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität
vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus
gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in
das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher
Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen
Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die
Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia,
obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine
griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der
vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung
Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft
wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der
eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius
Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als
Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall
es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der
vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische
Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann
jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht
bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem
geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den
dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den
gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem
von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen
Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen:
Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und
Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon
ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den
Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der
Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der
römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber
auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche
Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des
Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige
Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener
Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen
Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den
gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem
Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die
Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein
wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien
geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte
griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte
oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt
schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte
Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von
Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der
Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich
anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem
Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich
schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren.
Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die
reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander
in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte
Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch
die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und
halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und
überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des
Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch
diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue
Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte
zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium
sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst
Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.

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^1 Daß vor 608 (146) keine “griechischen Spiele” in Rom gegeben seien
(Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische
“Künstler” (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische
Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).

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Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den
Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als
erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden,
Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten
Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich
zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine
Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung
gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der
Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts
übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem
Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine
Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies
bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste
und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die
Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß
der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war
als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich
übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus,
versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb
der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend.
Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische
Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der
klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten
Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das
römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung
desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in
Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer
Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische
Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe.

Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit,
aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir
die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der
äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter
der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen
ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges
vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen
stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und
die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem
Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die
Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem
Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit
dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den
fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch
zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in
einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones
und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird,
zugleich ein Römer und ein Grieche.

Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die
Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der
beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der
Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer
darzulegen.

Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem
römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die
fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und
soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den
Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über
seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen
Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der
Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der
Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings
gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der
politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück.
Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im
stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die
Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien
ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des
kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch
schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs
ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden
Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als
äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im
wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.

Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung
zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische
erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen
und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation
und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur
noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des
hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in
dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr
entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der
älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald
scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der
Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie,
statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht
und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten,
schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist,
verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert
reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese
verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern
auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den
vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf
die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern
genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt
wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als
schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der
historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen
auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit
lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube
Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind
hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung
geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des
Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und
Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus,
die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche
von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen
Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges
Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem
sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen
Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern
ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß
begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades
und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften.
Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer
rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der
physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode.
Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits
folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch
mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge
überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos,
schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf-
und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren
Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter
gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die
stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne,
als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros
nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche
Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen
Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem
Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen
nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und
Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden
und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem
Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen
zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt
werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein
darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie,
oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule
Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren,
wie die Stoiker taten.

Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der
hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als
antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische
Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen
sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide
ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der
Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich
billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der
anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren
auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch
gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche
Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die
Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor
dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie,
darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten
(599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare
Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen
paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und
Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso
nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen
wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form
dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne,
Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf
ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache
mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und
emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen;
aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er
nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich
genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern
auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst
verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen
Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast
höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen
reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend
nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische
Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens
als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität
nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre
eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür
doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des
Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese
Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades
oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu
schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte;
Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen
wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen
diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich;
sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für
Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem
Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen
auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen,
daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und
Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei,
der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren.
Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte
Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft
auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms
nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und
altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion
aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus
aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in
Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu
schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen,
die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen
Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe
Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den
Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem
römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav
war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die
Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die
Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg
zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein
philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem
- sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der
gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie
denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in
Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel
hellenisierenden Römers.

Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im
geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die
Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu
akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen
Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als
er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die
wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich
ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk
als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war
ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war
wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der
Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros
ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen
Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die
eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des
Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus
einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland
einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche
Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den
besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven
Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als
eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der
ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die
Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich
plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war
auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische
stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem
Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne
Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen
mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre
verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister
ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als
Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens
nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen
und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der
Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch
die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die
rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der
Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in
unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive
Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter
Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine
methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu
besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese
Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem
Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen
Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den
verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter
zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen
Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um
Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister
Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie
und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher
Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu
bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre
der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu
mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen,
unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise
liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner
und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen
Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus
Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen
Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich
anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose
Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist
die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen
Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das
spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig
energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom
Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen
Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die
Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat
völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war
wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des
Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen
Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche
Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen
Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt
geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte
erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald
eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer
Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten
sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen
Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die
göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber
ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen
hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene
Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif
und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie
höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward
immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen
Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach
demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und
formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie
jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die
höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen
Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt,
in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen
ward.

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2 Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13)
nachlesen.

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Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere
Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das
bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des
Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der
hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche
Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und
schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen
erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen
und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute
allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’
römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht
in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich
entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der
Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes
gesehen haben als eine politische Institution; doch war der
Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als
daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten
auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der
Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens
in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß
es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische
und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne
zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen
unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte
Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung
desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die
römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der
Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter
neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und
den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu
benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder 3
und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese
Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen
und befolgen und dazu tun, daß der “gemeine Mann” die Götter vielmehr
höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen
Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt
verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und
wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig,
eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose
Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische
Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen
Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und
Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit
der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien.
Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn
ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn
sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und
daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten
Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische
Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen
genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach
Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war
stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge
jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können.
Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung,
daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich
selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf
die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien
schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste
dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich
zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und
zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer
Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein
Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der
Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung
des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der
Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände
gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht
die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu
wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem
Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine
Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den
vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die
praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche
Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die
offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche
derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum
Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die
Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion
befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein
Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den
Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche
Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen
an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant
wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das
Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in
welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren
Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor
dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte,
vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen
Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode
verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute
nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die
positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten,
wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen,
unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene
Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse
Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht.
Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles,
nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in
dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und
Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden
gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der
Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die
Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut,
das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im
ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen
übergehen könne.

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3 Auch in Varros Satire ‘Die Aboriginer’ wurde in spöttischer Weise
dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit
dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach
Götterpuppen und Götterbilderchen.

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Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst
stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und
pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht
abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen
und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem
Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie
hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg
eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur
Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser
zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich
Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier,
wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis
die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien
im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben
an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den
Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer
verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren
der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene
Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es
bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den
Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die
etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie
erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten
Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen
kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch
die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit
dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf
hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien
herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen;
die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen
großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der
geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig
verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem
die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen
gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die
syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben
des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung
beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der
der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit
den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen
sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden
bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit
des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus
in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich
entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen
Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene
Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die
große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in
hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu
wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius
also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon
(zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her.
Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und
Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische
Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem
marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die
Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem
traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische
Fremdenprätor die sämtlichen “Chaldäer” an, binnen zehn Tagen Rom und
Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden,
welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso
hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen
Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657
97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der
wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der
Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene
Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung
beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im
Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden
führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit
zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern
auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen
Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch
keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe
Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe
und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in
die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe
gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden
wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen
politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm
genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als
wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte
woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue
Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.

In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in
der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und
Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche
Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem
Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon
zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit
verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch
mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter
römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand,
zeigt Catos ‘Encyklopädie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des
alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen
hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe
noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom
durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen,
welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten
und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche
Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt - in den dieser
Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen
Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden
vermocht.

Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte
stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der
Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere
Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste
der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf
die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie
des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.

Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die
hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus,
zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation
vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen
geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war
ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im
Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung
genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die
unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in
seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden
Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner
war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein
Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen
in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu
vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen
für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach
römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung
in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und
steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß
die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach
griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die
Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die
Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis
nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und
Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück,
das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie
seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden
sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner
Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem
Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato
empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern
römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als
durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren
Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An
griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt
strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als
Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten
ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und
Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven
waren, regelmäßig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend
in den Palästen Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, daß
für einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen
(15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der
Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten für griechische
Deklamationsübung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter
diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panätios ward bereits
gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien,
Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 585 (169) in Rom
ein Publikum für die Vorlesung und sprachliche und sachliche
Erläuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stieß diese neue Weise des
Jugendunterrichts, revolutionär und antinational wie sie war, zum Teil
auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die
Behörden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb,
zumal bei dem steten Wechsel der römischen Oberbeamten, wie alle
ähnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato
Tode ward in seinem Sinne wohl noch öfters geklagt, aber nicht mehr
gehandelt. Der höhere Unterricht im Griechischen und in den
griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein
wesentlicher Teil der italischen Bildung.

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4 Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios
rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in
gleichem Sinne hieß es bei Lucilius:

Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach

Als der Philosoph.

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Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer
Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der
lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an
die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die
lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser
Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den
Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach-
und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch
wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende
Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der
griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das
die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein
solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht
überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht
bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab
und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in
einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und
die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren
Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen
Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt
durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer
die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ‘Punischen Krieg’,
Ennius’ ‘Chronik’, späterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem
erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter
großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen
Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge,
die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar
kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel,
die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen
lateinischen Literatur einzuführen.

Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme
römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen
Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen
nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der
neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der
erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte,
wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden
berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte
Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius
Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die
Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und
Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen
Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den
Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und
seine Lehre sich ausbildete.

Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in
lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius
Praeconinus von Lanuvium, der “Griffelmann” (Stilo) genannt, ein
angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit
einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer - darunter Varro und Cicero -
den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den
Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab.
Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo
nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die
Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der
aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote
stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere
Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren
lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten
Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen
Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen
Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von
selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen,
nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie
der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die
lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-,
Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste
römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius
Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik
um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den
lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser
neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten
Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und
lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und
Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse
Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister
der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht
unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik;
namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie
der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die
griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner
verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu
seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden
könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben
entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger
schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten
und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik
schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die
Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten
Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der
Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen,
und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern,
zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so
war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede
noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen
lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern
und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der
Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus
der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn
verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in
Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit
einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach
Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu
ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und
verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich
regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer
und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen
hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und
der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste
Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach
die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die
gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil
des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die
Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und
jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken.

Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte
sich der neue Begriff der sogenannten “Menschlichkeit”, der Humanität,
welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten
musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten
oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität
sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch
römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich,
ebenwie unsere eng verwandte “allgemeine Bildung”, einen national
kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die
Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz.




KAPITEL XIII.
Literatur und Kunst


Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische
und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so
wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius,
Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf
ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische
Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit,
der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an,
daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles
nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt,
Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales
barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des
schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen;
aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo
nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die
Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser
Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im
Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an
Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen
Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das
vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der
heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann,
teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die
unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und
über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation.
Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der
Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte
und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des
siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen
naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem
Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren
Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und
hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich
schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen
Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius
(Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus
(Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von
Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker
Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber
Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und
Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht
imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer
Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern
fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik
patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius
sehr spitzige Pfeile gegen “die traurigen Figuren aus den geschraubten
Expositionen des Pacuvius”; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte
Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, “die einen
Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu
schließen”, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser
Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte
die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische
Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos
staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von
den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise
erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus
seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ
man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen
und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich
einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich
vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie,
der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den
Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im
Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis
von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits
ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft
und das vulgäre des gemeinen Mannes. “Reine Sprache” verheißen die
Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der
Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die
griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt.
Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es
begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in
ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des
Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein.
Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen
Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser
Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien,
doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich
für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren
Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit
goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig
verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß
auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung
Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die
Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch
Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar
(Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf,
in der römischen “Dichtergilde” neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen.
Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im
Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den
Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr
entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder - die
Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt.

Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne
selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die
Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen,
nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses
Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im
Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen
Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch
bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen
Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer
Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus
Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen
früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom
Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr
dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische
Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines
Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach
höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen
Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils;
in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen,
die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ ästhetischen Tadel des Dichters
rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines
Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd ^1. Es finden sich
Spuren, daß er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab;
aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung
zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklärung predigenden
Dramen und schöpfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides -
von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius
kann in dem jüngeren Dichter keine Ader gewesen sein.

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^1 So hieß es im ‘Paulus’, einem Originalstück, wahrscheinlich in der
Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):

Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.

Wo kaum

Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.

Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende
Beschreibung zu verstehen:

Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,

Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,

Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.

Worauf dieselben natürlich erwidern:

Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,

Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;

Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.

Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist.
übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen
Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft
und derb mitgenommen wurden.

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Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie
lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines
Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), außer
Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten
Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und
grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise
seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die
lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und
Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius,
nachdrücklich getadelt.

Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem
Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen
die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte
Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der
geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen
Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave
nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit
eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen
Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der
Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer
Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl
und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen
ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm
vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise
der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und
populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus
nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den
zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren
Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen
zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage
der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war,
aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit
gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr
häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses
seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine
wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht
selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf
den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und
absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein
Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel
werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in
der künstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die
Schauspieler die ihnen gebührenden Masken zurück und wird für eine
sorgfältigere Inszenierung Sorge getragen, so daß nicht mehr wie bei
Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehört, auf der Straße
vorzugehen braucht. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig
und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit
minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung,
der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdrücklich gegen die
allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe
seiner Vorgänger, zum Beispiel gegen die allegorischen Träume 3.
Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft,
immer für die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz
behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfältigen und oft
vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‘Brüdern’ die
beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte,
durchaus nicht parfümierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast
bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Die rüpelhafte Plautinische
Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den
obligaten Wirten dazu, die säbelrasselnden Landsknechte, die ganz
besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren
Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum
Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen,
unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen
regelmäßig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirt
ausgeplündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht
es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den
Knaben vom Besuch schlichter Häuser abzuschrecken. In den Plautinischen
Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus:
überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller
zeitweilig emanzipierten und einer liebenswürdigen Begrüßung daheim
nicht völlig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komödien
herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere
Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmäßig
schließen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womöglich mit zweien
- ebenwie von Menandros gerühmt wird, daß er jede Verführung durch eine
Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die
bei Menandros so häufig sind, werden von seinem römischen Bearbeiter
nur mit charakteristischer Schüchternheit wiederholt 4, dagegen der
Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die
liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ‘Verschnittenen’ und im
‘Mädchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der
‘Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluß als rettender Engel ein
tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur,
die das römische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus
sind die Väter durchaus nur dazu da, um von den Söhnen gefoppt und
geprellt zu werden; bei Terenz wird im ‘Selbstquäler’ der verlorene
Sohn durch väterliche Weisheit gebessert und, wie er überhaupt voll
trefflicher Pädagogik ist, geht in dem vorzüglichsten seiner Stücke,
den ‘Brüdern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen
Onkel- und der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu
finden. Plautus schreibt für den großen Haufen und führt gottlose und
spöttische Reden im Munde, soweit die Bühnenzensur es irgend gestattet;
Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und,
wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft
lärmenden Dialog, und es gehört zu seinen Stücken das lebhafte
Körperspiel der Schauspieler; Terenz beschränkte sich auf “ruhiges
Gespräch”. Plautus’ Sprache fließt über von burlesken Wendungen und
Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen,
aristophanischen Wörterverklitterungen, spaßhaft entlehnten
griechischen Schlagwörtern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht:
sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmaß, und die Pointen sind
zierliche epigrammatische und sentenziöse Wendungen. Kein Lustspiel des
Terenz ist dem Plautinischen gegenüber, weder in poetischer noch in
sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalität kann
bei beiden nicht, aber wo möglich noch weniger bei Terenz, die Rede
sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens
aufgewogen dadurch, daß der jüngere Dichter wohl die Vergnüglichkeit,
aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so daß die dem
Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ‘Stichus’, die
Kästchenkomödie, ‘Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von
dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komödien des
“halbierten Menander”. Ebensowenig wie in dem Übergang vom Rohen zum
Matten der Ästhetiker, kann der Sittenrichter in dem Übergang von der
Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen
Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher
Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz
des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es,
daß die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar,
Quintilian, unter allen römischen Dichtern der republikanischen Zeit
ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in
der römischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die
Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen
Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten
künstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Ära
zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne
Komödie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem römischen
Bürgerstand Wurzel gefaßt; die Terenzischen Lustspiele stießen auf den
lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre “matte Sprache”,
ihren “schwachen Stil” unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich
empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu
bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver
Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ‘Schwiegermutter’
zweimal weggelaufen war, um einer Fechter- und Seiltänzerbande
zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklärte,
nur nach dem Beifall der “Guten” zu streben, wobei freilich die
Andeutung nicht fehlt, daß es durchaus nicht anständig sei, Kunstwerke
zu mißachten, die den Beifall der “Wenigen” erhalten hätten. Er ließ
die Rede sich gefallen oder begünstigte sie sogar, daß vornehme Leute
ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstützten 5.
In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die
Oligarchie und verdrängte die kunstmäßige Komödie der Exklusiven das
volkstümliche Lustspiel: wir finden, daß um 620 (134) die Plautinischen
Stücke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender,
als nach dem frühen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes
Talent weiter auf diesem Gebiet tätig war; über die Komödien des
Turpilius († 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz
verschollene Lückenbüßer urteilte schon am Ende dieser Periode ein
Kenner, daß die neuen Komödien noch viel schlechter seien als die
schlechten neuen Pfennige.

Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der
griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata)
hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen
hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land,
ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule
rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die
griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in
rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter
dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke,
die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie
widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn
bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach
durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie
bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen.
Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils
aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber,
die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt
hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten
sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter
griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner
Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische
Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz;
auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte,
die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein.
Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn
hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie
Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene
Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe.

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2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‘Mädchen von Andros’ (4, 5)
die Antwort auf die Frage, wie es gehe:

Nun,

Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,

mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort
nachgebildete Zeile des Caecilius:

Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.

Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung
des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der
leise Dank ist bezeichnend.

3 Ein Seitenstück zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen
Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4)
verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie
von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen dürfen. Schließlich
gehen auch dergleichen Auswüchse auf die Euripideische Rhetorik zurück
(z. B. Eur. Hek. 90).

4 Micio in den ‘Brüdern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich
auch, daß er nie eine Frau gehabt, “was jene (die Griechen) für ein
Glück halten”.

5 Im Prolog des ‘Selbstquälers’ läßt er von seinen Rezensenten sich
vorwerfen:

Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,

Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;

und in dem späteren (594 160) zu den ‘Brüdern’ heißt es:

Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn

Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,

So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,

Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,

Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,

Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat

Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Übermut.

Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier
Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen
die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des
armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und
fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner
ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende
Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der
Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische
Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals
25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius
gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen
Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581
173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius
Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß
Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu
bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‘Brüder’
und die zweite der ‘Schwiegermutter’ stattfand bei den
Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio
und Fabius ausrichteten.

6 Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem
infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das
römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die
Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der
Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder
ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst
bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das
Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.

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Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die
Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums
lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal
feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen
Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu
man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik
preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für
diese Aufführungen der Name der “Oskischen Spiele” oder “Spiele von
Atella” üblich 7. Aber mit der Bühne 8 und mit der Literatur hatten
diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es
ihnen beliebte aufgeführt, und die Texte nicht geschrieben oder doch
nicht veröffentlicht. Erst in dieser Periode überwies man das
Atellanenstück an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, ähnlich
wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den
Tragödien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische
Tätigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die römische Kunstposse ganz
selbständig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht
verwandte unteritalische zu ihr den Anstoß gegeben hat ^10, läßt sich
nicht mehr entscheiden; daß die einzelnen Stücke durchgängig
Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiß. Als Begründer dieser neuen
Literaturgattung trat in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts
^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben
dessen Stücken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich
beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Trümmer und die Berichte
der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze,
regelmäßig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und
locker geknüpften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung
einzelner Stände und Situationen. Gern wurden Festtage und öffentliche
Akte komisch geschildert: ‘Die Hochzeit’, ‘Der erste März’, ‘Pantalon
Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitäten: die transalpinischen
Gallier, die Syrer; vor allem häufig erschienen auf den Brettern die
einzelnen Gewerbe: der Küster, der Wahrsager, der Vogelschauer, der
Arzt, der Zöllner, der Maler, Fischer, Bäcker gingen über die Bühne;
die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der
römischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben
scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen städtischen Leben sein Recht
geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach
allen Seiten dargestellt - von der Fülle dieses ländlichen Repertoires
geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel
‘Die Kuh’, ‘Der Esel’, ‘Das Zicklein’, ‘Die Sau’, ‘Das Schwein’, ‘Das
kranke Schwein, ‘Der Bauer, ‘Der Landmann, ‘Pantalon Landmann, ‘Der
Rinderknecht, ‘Die Winzer, ‘Der Feigensammler’, ‘Das Holzmachen’, ‘Das
Behacken, ‘Der Hühnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stücken die
stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten
Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergötzten; namentlich der
erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefräßige,
unflätige ausstaffiert häßliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer
im Begriff, über seine eigenen Füße zu fallen, von allen mit Hohn und
mit Prügeln bedacht und endlich am Schluß der regelmäßige Sündenbock -
die Titel ‘Pulcinell Soldat, ‘Pulcinell Wirt’, ‘Jungfer Pulcinell’,
‘Pulcinell in der Verbannung, ‘Die beiden Pulcinelle’ mögen dem
gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der
römischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit
sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich
fügten und in den Versmaßen zum Beispiel der griechischen Bühne sich
anschlossen, so hielten sie doch sich natürlicherweise bei weitem
latinischer und volkstümlicher als selbst das nationale Lustspiel; in
die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der
travestierten Tragödie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius
und überhaupt nicht sehr häufig kultiviert worden zu sein. Die Posse
dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch
wenigstens bis zu dem menschlichsten der Götter, dem Hercules; er
schrieb einen ‘Hercules Auctionator’. Daß der Ton nicht der feinste
war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige
Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster
gehörten hier einmal mit dazu, und persönliche Anzüglichkeiten, sogar
mit Nennung der Namen, schlüpften nicht selten durch. Aber es fehlte
auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen,
schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen, und die Harlekinade gewann sich
rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt
und selbst in der Literatur.

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7 Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von
Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese
Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit
Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer
Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte
des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf
das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des
“Atellanischen Spiels” erklärt sich auf eine andere Weise. Die
latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte
einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein
Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der
römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu
genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war.
Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich
vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern
bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur
Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne
dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr
existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des
Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria
in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während
keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche
Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die
latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts
zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung
eigentlicher Schauspieler von “Atellanenspielern” aufgeführt ward und
deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem
Fall; die Benennung “Atellanenspieler” wird hier proleptisch stehen,
und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher “Maskenspieler”
(personati) hießen.

Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die “Lieder von
Fescennium”, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer
gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert
wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu
dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer
Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht
unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des
Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade
wahrscheinlich.

8 Die enge und ursprüngliche Verbindung, in die namentlich Livius die
Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden
Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem
Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefähr ebenso
groß wie heutzutage zwischen dem, der auf die Bühne und dem, der auf
den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz
keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der
Charaktermaske beruhte, besteht ein ursprünglicher, in keiner Weise
auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem
Flötenstücke, das anfangs ohne alle Rezitation bloß auf Gesang und Tanz
sich beschränkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus
ein der griechischen Schaubühne entlehntes Libretto erhielt, worin die
alten Flötenlieder ungefähr die Stelle des griechischen Chors
einnahmen. Mit der Dilettantenposse berührt sich dieser
Entwicklungsgang in den früheren Stadien nirgends.

9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession
dargestellt (Friedländer in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit,
wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht überliefert,
kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die
Atellane unter die regelmäßigen Bühnenspiele eintrat, das heißt die
vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im
Widerspruch, daß noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im
Gegensatz der übrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn
damit, daß Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane
mitaufzuführen anfingen, ist noch gar nicht gesagt, daß dieselbe nicht
mehr, zum Beispiel in den Landstädten, von unbezahlten Dilettanten
aufgeführt ward und das Privilegium also fortwährend anwendbar blieb.

^10 Es verdient Beachtung, daß die griechische Posse nicht bloß
vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer
Stücke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ‘Das Linsengericht,
‘Bakchis’ Freier, ‘Des Mystakos Lohnlakai, ‘Die Gelehrtem, ‘Der
Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muß diese
Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in
und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien
bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, führt
schon einen römischen Namen und schrieb eine Posse ‘Saturnus’.

^11 Nach Eusebius blühte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn
Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius
(611-667 143-87). Die erste Ansetzung dürfte um ein Menschenalter zu
spät sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt
in seinen ‘Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen
auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Bühne verdrängten.

^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hieß es in Novius’
‘Phönissen’:

Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!

ganz wie Menanders ‘falscher Herakles’ auftritt.

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Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht
imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das
allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und
dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward
jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne
Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden
Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar
entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser
Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch
immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599
(185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es
war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man
aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden
Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend
zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um
Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die
Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung
und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl
ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der
Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse
übernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die
Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609
145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art
akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen
und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch
von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke,
von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die
Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede.
Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte
Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius
Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre später (675 79) unter
der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der
Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche
gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus
Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch
der Schmuck und Stolz der römischen Bühne ^16, Sullas Freund und gern
gesehener Tischgenosse, auf den noch später zurückzukommen sein wird.

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^13 Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat
aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand
setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden
sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der
Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv.
41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal
angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben
geführt haben.

^14 Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen
folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl,
Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX)
gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen,
welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt
haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden
Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß
“das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm”.

^15 Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da
die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu
setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die
Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem
kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen
besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem
“Claudischen Donner” (Festus v. Claudiana p. 57).

^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten
findet

sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:

  Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,

   Cum subito a laeva Roscius exoritur.

  Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:

   Mortalis visust pulchrior esse deo.

  Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:

   Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.

  Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:

   Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.

Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem
Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als
der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).

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In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf,
das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur
entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar
zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur
vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu
nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und
einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius
‘Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ‘Jahrbücher
(vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach
unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des
Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch
in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein
hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative
Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der
sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe
oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum
auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der
Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht
bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur
Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen
poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen
Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus
dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden
noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen
nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen
geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals
zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius
Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen
Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen
Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das
Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das
ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf
der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den
Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit
seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht
verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu
wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet,
für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und
Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für
vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch,
kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine
scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz,
literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas
von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das
Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im
Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und
Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf
literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren
vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete
gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius
Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die
gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die
Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen
Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen
mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der
Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der
Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen,
mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber
keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und
Phrasenpurismus zu verhöhnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die
exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen
vorzurücken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache
Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privat- und im öffentlichen
Leben. Seine Stellung begünstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl
durch Herkunft, Vermögen und Bildung den vornehmen Römern seiner Zeit
gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt,
war er doch nicht römischer Bürger, sondern latinischer; selbst sein
Verhältnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den
Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er häufig
verkehrte, mag damit zusammenhängen, daß Scipio in vielfachen
Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der
Zeit ihr Patron war. Die öffentliche Laufbahn war ihm hierdurch
verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmähte er - er mochte
nicht, wie er einmal sagt, “aufhören, Lucilius zu sein, um asiatischer
Steuerpächter zu werden”. So stand er in der schwülen Zeit der
Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden
Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palästen und Villen der
römischen Großen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in
den Wogen des politischen Koterien- und Parteikampfes und doch nicht
unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; ähnlich wie Béranger, an den
gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert.
Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwüstlichem gesunden
Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem
Witz hinein in das öffentliche Leben.

Jetzt aber am Fest- und Werkeltag

Den ganzen lieben langen Tag

Auf dem Markte von früh bis Spat

Drängen die Bürger und die sich vom Rat

Und weichen und wanken nicht von der Statt.

Ein Handwerk einzig und allein

Betreiben alle insgemein,

Den andern zu prellen mit Verstand,

Im Lügen zu haben die Vorderhand

Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.

All’ untereinandern belauern sie sich,

Als läge jeder mit jedem im Krieg ^19.

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^17 Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes

Arte pavimento atque emblemate vermiculato!

Ei, die niedliche Phrasenfabrik!

Gefügt so zierlich Stück für Stück,

Wie die Stifte im bunten Mosaik.

^18 Der Dichter rät ihm:

Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,

Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,

- nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.

^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto

Toto itidem pariterque die populusque patresque

Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.

Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:

Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,

Blanditia certare, bonun simulare virum se,

Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.

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Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos,
ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die
Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen
Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner
Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die
Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen
sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall
einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie
der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der
Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen
Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten
Witzes “gleichwie mit gezogenem Schwerte” auf den Feind eindringen und
ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen
Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der
feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie
die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im
Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als
“seinem Besseren”. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch
durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie
Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder
zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein;
unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung,
arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder
griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der
sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt,
sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er
etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen
sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen 20. Die Terenzischen
und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und
verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische
Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die
unvergleichlich höhere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung,
die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte,
machten seinen Erfolg ebenso rasch und glänzend, wie der des Terenz
mühsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling
der Nation und auch er konnte wie Béranger von seinen Gedichten sagen,
“daß sie allein unter allen vom Volke gelesen würden”. Die ungemeine
Popularität der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein
bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, daß die Literatur schon
eine Macht war, und ohne Zweifel würden wir die Spuren derselben, wenn
eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten hätte, darin
mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur
bestätigt; die antialexandrinisch gesinnten römischen Kunstrichter
sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern
zu. Soweit die Satire überhaupt als eigene Kunstform angesehen werden
kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung,
welche den Römern eigentümlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt
worden ist.

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20 Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die
stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in
deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt:

Virtus, Albine, est pretium persolvere verum

Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse;

Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;

Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,

Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;

Virtus quaerendae rei finem scire modumque;

Virtus divitiis pretium persolvere posse;

Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,

Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.

Contra defensorem hominum morumque bonorum,

Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;

Commoda praeterea patriae sibi prima putare,

Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.

Tugend ist zahlen den rechten Preis

Zu können nach ihrer Art und Weis

Für jede Sach’ in unserm Kreis;

Tugend, zu wissen, was jedes Ding

Mit sich für den Menschen bring’;

Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,

Was gut und übel, unnütz und schlecht;

Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß

Zu setzen die rechte Grenze weiß

Und dem Reichtum den rechten Preis;

Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,

Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,

Freund Menschen und Sitten gut und recht;

Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,

Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu;

Immer zu sehen am ersten Teil

Auf des Vaterlandes Heil,

Sodann auf das, was den Eltern frommt,

Und drittens der eigene Vorteil kommt.

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Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser
Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen
Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht
ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren
Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig
bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden
Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius
Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der
letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen
geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die
Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den
Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten
war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu
entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer
Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu
lesen war - ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht
versäumten, andächtig zu registrieren.

Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet
durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach
seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen
Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die
Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung
gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste
verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca.
546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen
Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den
Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später,
vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von
seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften
verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise
wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo
er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch
die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise
eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in
die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen
seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von
Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom
Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung
deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten.
Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein
römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und
gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten
Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren,
zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der
Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht
und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte
Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des
Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf
dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen
anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte
und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und
verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer
Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem
ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt
haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht
der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des
engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne
Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze
Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen
hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich
persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen,
stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in
seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge,
worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus
noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem
Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen
Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art,
wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert
sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben
Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit.
Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der
Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten
Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein
Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt
Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos
und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische
Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet
er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen
Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese
Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die
gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische
Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem
Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen
geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung
beschränkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein
individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie
der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf
Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine
Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt;
aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und
Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen
Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und
in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der
Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung
war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der
Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die
Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung
der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt-
oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit
Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern
stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken,
behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab
zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten
losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat
erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so
vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in
sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich
und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem
wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der
wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der
Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen
Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem
Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr
aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In
der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine
Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht
wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die
Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen
Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und
Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das
ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des
Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen
großen Dingen hat er kein Interesse für diesen oder gegen jenen Staat,
für diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein für den
wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhältnis
der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloß die erste, sondern
die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzählung
endlich ist musterhaft vollständig, einfach und klar. Aber alle diese
ungemeinen Vorzüge machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber
ersten Ranges. Polybios faßt seine literarische Aufgabe, wie er seine
praktische faßte, mit großartigem Verstand, aber auch nur mit dem
Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der
Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre
sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im
Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar
sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne
Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man
den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer
geschaffen zur Darstellung der Geschichte des römischen Volkes, welches
in der Tat das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser
innerer und äußerer Größe zu erheben ohne auch nur einen im höchsten
Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit
wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber
das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und
wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt.
Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur
Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch.
Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird;
die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle
setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine
törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche
Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer,
aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der
Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die
Auffassung der Verhältnisse ist überall bis zum Erschrecken nüchtern
und phantasielos, die geringschätzige und superkluge Art, die
religiösen Dinge zu behandeln, geradezu widerwärtig. Die Darstellung,
in bewußter Opposition gegen die übliche, künstlerisch stilisierte
griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich,
aber dünn und matt, öfter als billig in polemische Exkurse oder in
memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefällige Schilderung der
eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch
die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für
die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn
verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen
Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen
Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart
angehörte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit
und persönlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die flüchtigen
oder gar feilen griechischen und die unkritischen römischen Historiker
öfters zänkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiber-
in den Rezensententon fällt. Polybios ist kein liebenswürdiger
Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als
alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des
Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken
wie ihm. Seine Bücher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie
anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen
und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine
neue, womöglich noch lästigere Dämmerung.

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21 Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser
Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand,
der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat:

Warum geh’ ich nicht

nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?

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In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und
Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die
gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser
Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die
schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler
Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612
142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus,
teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische
Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß
unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch
geschriebene vorkommt 22, sondern auch die älteren griechischen
Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in
diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch
geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der
Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und
ausführlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius
Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des
Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul
632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in
achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein
auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und
veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab,
als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten,
doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten
nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher,
mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen,
waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen
geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen-
wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre
Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends
Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und
Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und
Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken
Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte
Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte
und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte.
Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen,
Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins
rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr,
Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König
Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai
187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im
besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das
Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war,
ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte,
wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut
eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die
langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen
Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller
poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn
wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu
pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia
die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde
ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen
über diese ganze Schreiberei nicht befremden, “daß das nicht heiße
Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen”. Weit
vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten
Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des
Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und
des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit.
Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster
Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark
manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und
Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form
noch in Originalität an die “Ursprungsgeschichten” Catos, der leider
auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule
gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die
untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der
historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon
zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so
Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105),
Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint
keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für
die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der
Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die
musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als
die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste
literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei
bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel;
Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion
angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische
Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese
Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse
ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’
Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende
Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen
bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des
Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten
Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des
Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern - die
Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt - das
nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen
Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen
Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen
Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.

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22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die
griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5,
38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren
des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme
anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb.

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In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen
Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150)
veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen
übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom
zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte
Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb
dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der
Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den
allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese
mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der
Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche
Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen
Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den
allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der
Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen
worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen
römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen
Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen
Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß
an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der
griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang
dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und
Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der
Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang,
sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und
Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik
beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der
historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich
werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie
die des Hemina ‘über die Zensoren’, des Tuditanus ‘über die Beamten’
schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind
die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus
Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische
Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefaßten Didaskalien
des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des
lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen
Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches
Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der
Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen
dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz
verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und
Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister
wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er
zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte
die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der
Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und
stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten
Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge
einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs
geschichtlich zu bestimmen und für jede den “Erfinder” zu ermitteln,
und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis
seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward,
zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des
bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius
und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat
dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt,
indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen
Schüler Varro vererbte.

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23 Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von
der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher
falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.

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Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische
Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts
zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen
Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn
freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der
Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem
unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich
lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide
schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch
der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und
sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die
verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber
bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von
den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das
ab, “was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig
damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine”. Der bitterste
Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese “geschwätzige
Wissenschaft der Redeunkunst”, deren vollendeter Meister, vor lauter
Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen
Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird
durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der
Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß
der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst
zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-,
das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig
gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die
während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen
gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen
die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer
eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren
Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen
Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen
theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere
Brauchbarkeit sichert.

Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da
weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie
entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische
Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig
sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer
Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte
griechisch.

In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in
Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische
und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der
vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande
der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter
allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre
innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen
trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser
Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere
Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen
Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die
Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen
Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit
der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit
vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung
verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die
Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht
immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der
Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein
Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das
Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der
sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon
unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem,
den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf
Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das
Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der
juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf
Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich
beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine
Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen
Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr
bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der
Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an
die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der
Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich
anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an,
aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah
dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus
(etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint,
nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich
systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der
Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in
dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum
erblich war. Seine achtzehn Bücher ‘vom Landrecht, welche das positive
juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate
und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der
mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten,
sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen
Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift
‘Definitionen’ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und
namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im
wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch
die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der
Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen
Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der
griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel
hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische
Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.

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24 Catos Buch führte wohl den Titel ‘De iuris disciplina’ (Gell. 13,
20), das des Brutus den ‘De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De
orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt
Cicero (De orat. 2, 33, 142).

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Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der
Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische
Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging
eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt
in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür
namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien
670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte
sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man
angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß
griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen.
Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des
Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen
Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler)
darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der
überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in
Gebrauch - die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der
prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der
Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem
Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die
Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch
Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus
Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte
Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem
Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu
schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die
römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten
griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol
durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was
dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor;
die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt
werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische
Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der
unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus
Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von
diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den
Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um
665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus
Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der
verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus
(587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im
Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der
Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt
zeigen.

Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach
Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu
werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in
Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische
Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die
niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem
Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und
musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel
wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner
Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und
Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden
durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig
ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum
Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch
- nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius
Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle
fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß
vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre
Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem
Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle
musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen
einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein
Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch
solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung
ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte.

Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die
Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den
Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch
hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten
Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind
abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die
Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die
Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die
poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen
Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir
den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius
Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder
minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen
Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller
Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und
zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null.
Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die
Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern
angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie
auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als
Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite
dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der
Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene
geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser
Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche
fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung
der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des
römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen
hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des
sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und
Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte
Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener
Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben
die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der
Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im
stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen
Irrtum der Jugend abermals zu irren.




End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 4 by Theodor Mommsen

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