The Project Gutenberg EBook of Macchiavellis Buch vom Fuersten by Niccolo
Machiavelli



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Title: Macchiavellis Buch vom Fuersten

Author: Niccolo Machiavelli

Release Date: May 27, 2012 [Ebook #39816]

Language: German

Character set encoding: US-ASCII


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MACCHIAVELLIS BUCH VOM FUeRSTEN***





                              Macchiavellis

                           Buch vom Fuersten.

                     Nach A. W. Rehbergs Uebersetzung
                                   mit
                       Einleitung und Erlaeuterung
                            neu herausgegeben
                                   von
                           Dr. Max Oberbreyer.



Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.





                                 INHALT.


                                                           Seite
      Einleitung                                               3
 1.   Verschiedene Arten der Herrschaft                       33
 2.   Von erblichen Fuerstenthuemern                            33
 3.   Von vermischten Herrschaften                            34
 4.   Warum das Reich des Darius nach Alexanders Tode         43
      gegen seine Nachfolger nicht aufstand
 5.   Wie Staedte und Fuerstenthuemer zu behandeln sind,         45
      die vor der Eroberung ihre eigne Verfassung hatten
 6.   Von neuen Herrschaften, die durch eigne Waffen          47
      oder Tapferkeit errungen werden
 7.   Von neuen Fuerstenthuemern, die durch fremde              50
      Unterstuetzung und durch Gluecksfaelle erworben
      werden
 8.   Von Denjenigen, welche durch Verbrechen zur             58
      Herrschaft gelangen
 9.   Vom Volke uebertragene Herrschaft                        63
10.   Wie die Kraefte der Fuerstenthuemer zu schaetzen sind       67
11.   Von geistlichen Fuerstenthuemern                          69
12.   Von den verschiedenen Arten der Truppen                 72
13.   Von Hilfstruppen                                        77
14.   Was der Fuerst im Kriegswesen zu beobachten hat          81
15.   Wodurch die Fuersten Lob und Tadel erwerben              83
16.   Von der Freigebigkeit und dem Geize                     85
17.   Von der Grausamkeit und Milde                           87
18.   In wie fern ein Fuerst sein Wort halten muss              90
19.   Verachtung und Hass sind zu vermeiden                    93
20.   Ob Festungen und andere Sicherheitsanstalten der       104
      Fuersten nuetzlich oder schaedlich sind
21.   Wie ein Fuerst sich zu betragen hat, um grossen Ruhm     108
      zu erwerben
22.   Von den Ministern                                      112
23.   Schmeichler sind zu fliehen                            113
24.   Wie die Fuersten Italiens ihre Herrschaft verloren      115
      haben
25.   Welchen Einfluss das Glueck auf die Angelegenheiten      117
      der Menschen hat
26.   Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu             120
      befreien
      Erlaeuterungen                                          125






                               EINLEITUNG.


Niemals hat eine politische Schrift so gewaltiges Aufsehen erregt, und so
viel gewirkt, als _Macchiavelli's_ hochberuehmtes _Buch vom Fuersten_. Der
Name des Verfassers ist durch die sogar in Staatsschriften als
Kunstausdruck uebliche Benennung des _Macchiavellismus_ auch der grossen
Menge bekannt geworden, die das Buch selbst nicht gelesen hat. Aber unter
den Grossen und ihren Ministern haben sich Viele danach gebildet. Hier
glaubten sie das, was sie in einzelnen schlimmen Augenblicken gethan, oder
noch zu thun Lust hatten, durch zusammenhaengende Grundsaetze gerechtfertigt
zu finden. Die es so benutzten, moegen oft ungehalten darueber geworden
sein, dass Alles, was sie sich, aber auch nur sich selbst, und als Ausnahme
von der Regel erlauben wollten, in allgemeinen Maximen oeffentlich
aufgestellt, und dadurch Verdacht gegen ihre Absichten erregt ward. Daher
ist es am lautesten von denen angeklagt, die am meisten daraus gelernt
hatten. Andere Leser sind durch den Widerspruch, in welchem dieser
Inbegriff fuerstlicher Weisheit mit der gewoehnlichen Moral steht, zu dem
Zweifel veranlasst worden, ob das Buch wol im Ernste geschrieben sei? Da
sie die Bewunderung, welche der durchdringende Beobachtungsgeist und das
treffende Urtheil des Verfassers Jedem abnoethigt, der politische
Verhaeltnisse zu beurtheilen vermag, mit ihrem Widerwillen gegen die freche
Immoralitaet, zu welcher seine Grundsaetze fuehren, nicht zu vereinigen
wussten, so haben sie geglaubt, Macchiavelli moege wol das vollstaendige
Gemaelde der Tyrannei und der Mittel zu ihr zu gelangen, in der Absicht
entworfen haben, um den Tyrannen in der verabscheuungswuerdigsten Gestalt
darzustellen.

Mehrere italienische Schriftsteller haben diese Auslegung sehr frueh
gemacht, um dem Geschrei zu begegnen, das sich bald nach der oeffentlichen
Bekanntmachung des Werkes erhob. Die Vermuthung erhaelt einigen Anschein
durch den Widerspruch, in welchem die Gesinnungen, welche in diesem Buche
herrschen, mit andern Schriften des Verfassers zu stehen scheinen, und der
um so auffallender ist, da das Buch vom Fuersten und die Betrachtungen ueber
den Livius offenbar nicht in ganz verschiedenen Perioden seines Lebens
geschrieben sind. Er bezieht sich in jeder derselben auf die andere, und
hat sie also, wenigstens spaeterhin, zugleich wieder ueberarbeitet. Aber man
kann dieser Erklaerung durchaus keinen Beifall geben, sobald man das Buch
selbst unbefangen liest. Es ist mit solchem Ernste geschrieben, mit
solchem Nachdruck, und was noch mehr ist, es enthaelt auf jeder Seite so
viel Wahrheit, dass man das Ganze unmoeglich fuer Ironie halten kann. So
treffende Lehren koennen nicht aus republikanischem Hasse gegen die
Tyrannei gegeben sein, damit der Tyrann ins Verderben renne: diesen Zweck
haetten sie sicherlich verfehlt! Wer den Verfasser aus der Geschichte
kennen gelernt hat, wird auch nicht durch die Erklaerung befriedigt, dass er
hier die Naturgeschichte der Tyrannei gezeichnet habe, so wie er die
Theorie der Republik in den Discursen ueber den Livius abhandelt.
Macchiavelli war kein gleichgueltiger Zuschauer und blosser Beobachter der
politischen Welt. In allen seinen Schriften herrscht ein praktischer
Geist. Seine Discurse beweisen das lebhafteste Interesse an der Erhaltung
und der Groesse einer Republik. Sie sind ganz im Tone eines Mannes
geschrieben, der selbst dazu mitwirken moechte, sie zu errichten oder zu
befestigen. Eben so kraeftige Rathschlaege fuer den, der sich auf der
errungenen Stelle eines Regenten erhalten will, eben so nachdrueckliche
Empfehlungen der wirksamsten Mittel, eben so lebhafte Verachtung des
Zweckwidrigen, findet man in dem Buche vom Fuersten.

Die Aufloesung dieses raethselhaften Widerspruchs ist in dem Zustande
Italiens und in der Lebensgeschichte des Verfassers zu suchen.(1) Man
versteht ja ueberhaupt keinen ausgezeichneten Schriftsteller vollkommen,
wenn man nicht eine lebendige Kenntniss von seiner Nation und seinem
Zeitalter, und ein feineres Gefuehl fuer ihre Art zu empfinden, aus den
einheimischen Geschichtschreibern erlangt hat, welche selbst die
Gesinnungen ihrer Nation theilen, und nicht blos die Handlungen der
Menschen, sondern ihre Quelle, die eigenthuemliche Gemuethsart, darstellen.
Aus solchen erhaelt man eine ganz andere Einsicht in den Zusammenhang der
Begebenheiten, als aus der genauesten und sorgfaeltigsten Erzaehlung eines
Fremden.

Die italienische Nation zeichnet sich durch eine ungemeine Lebhaftigkeit
aller Empfindungen und Leidenschaften aus, die ihren Gegenstand mit dem
Feuer unausloeschlicher Begierde ergreift, und nie ablaesst. So wie man von
den Franzosen nicht ohne Grund sagt, dass sie aus allem Ernste Scherz
machen, und dadurch so oft selbst ein Spiel ihrer eignen witzigen Laune
werden, so machen die Italiener aus allem Scherze Ernst. In allen
Handlungen der Franzosen erscheint ein feines und unaufhoerlich reges
Ehrgefuehl als die herrschende Triebfeder. Dieses zeigt sich in den
schlechtesten, wie in den vorzueglichsten Individuen der Nation, auf
verschiedene Art, aber immer gleich stark. Alle franzoesischen
Raisonnements ueber sittliche Gegenstaende erhalten dadurch eine ganz eigne
Farbe, und in der Geschichte des Volks spielt es die Hauptrolle. Aus der
Verbindung dieses aeusserst reizbaren Ehrgefuehls, und der feinen Beobachtung
aller Convenienzen des Augenblicks, worin die Franzosen allen Andern so
sehr ueberlegen sind, mit ihrer launigen Gemuethsstimmung, entspringt eine
Versatilitaet, von der man in der Geschichte der Italiener keine Spur
findet. Diesen kommt es immer auf die Sache an, die sie wollen. Die
buergerlichen Unruhen, die ganz Italien so viele Jahrhunderte lang
zerrissen haben, waeren durch blosse Begebenheiten und Zufaelle nicht so
lange unterhalten. Ihr Charakter ist wesentlich verschieden von dem
Factionsgeiste in der franzoesischen Geschichte. Mit der Tenacitaet der
Italiener ist eine tiefe Verschmitztheit nahe verwandt, die mit der
Falschheit eines versatilen Menschen, der sein Vergnuegen daran findet, mit
andern zu spielen, und schon dadurch befriedigt wird, wenn er sie aefft,
durchaus keine Aehnlichkeit hat. Es ist bekannt, dass nichts in der Welt
mit der Politik des roemischen Hofes verglichen werden kann, und dass die
geistliche Intrigue, als ein zusammenhaengendes System die Zwecke der
Herrschsucht zu erreichen, fuer das vollkommenste Erzeugniss des
menschlichen Geistes in seiner Art angesehen werden muss. Dies Meisterstueck
eines feinen und dauerhaften Gewebes konnte nur in Italien zu Stande
gebracht werden, und hat wieder einen grossen Einfluss auf die Denkungsart
der italienischen Staatsmaenner gehabt, die ihre Aufmerksamkeit
unaufhoerlich auf den paepstlichen Stuhl richten mussten, welcher durch seine
Bemuehungen, die christliche Kirche zu beherrschen, zugleich mit in alle
weltlichen Haendel von Italien verwickelt ward.

In diesem ganzen Lande ist von Alters her ein republikanischer Geist
verbreitet gewesen, und hat viele Jahrhunderte lang einen unaufhoerlichen
Kampf mit der Herrschsucht einzelner Haeupter gefuehrt, die in den innern
Bewegungen uebel geordneter Gemeinden die Mittel fanden, sich zu erheben.

Unter der grossen Zahl italienischer Republiken war allein Venedig schon
frueh zu einer festen Verfassung und innern Ruhe gelangt. In allen uebrigen
verfolgten und vertrieben einander Parteien: eben so wie vormals in den
griechischen Freistaaten einzelne Geschlechter mit ihrem Anhange, und
Factionen, von Optimaten, von Buergern, und von kleinem Volke, Alles unter
einander kaempfte, und sich wechselweise austrieb. Solchem innern Zwiste
war ganz vorzueglich das Vaterland des Macchiavelli unterworfen; eine der
stuermischsten Republiken, die jemals existirt haben.

Die Geschichte der letzten hundert Jahre, wo Florenz als Freistaat
bestand, von 1432 an, da Cosmus der Grosse von Medici zurueckberufen ward
und die Leitung aller oeffentlichen Angelegenheiten ergriff, bis zu der
endlichen Ernennung eines seiner Seitenverwandten, Cosmus des Ersten, zum
Herzog, im Jahre 1536, gehoert zu den interessantesten Partien der ganzen
Weltgeschichte. Vorzueglich ist die letzte Haelfte dieses Zeitraums aeusserst
lehrreich, wegen der mannichfaltigen Abwechselungen der Verfassung, die
beinahe zu allen Lehrsaetzen der Politik Beispiele wirklicher Erfahrung
bieten.(2)

Florenz war waehrend des fuenfzehnten Jahrhunderts durch das ueberwiegende
Ansehen zweier Maenner aus dem _Hause Medici_ beruhigt, und in die Zeiten
des letztern von ihnen fiel Macchiavelli's Jugend. Cosmus der Grosse und
Lorenzo, sein Grosssohn, hatten als einfache Buerger die Angelegenheiten
ihres Vaterlandes geleitet, und grossen Einfluss auf das Schicksal von ganz
Italien gehabt. Macchiavelli kannte den ganzen Umfang ihrer Talente und
Verdienste: er redet von ihnen mit Waerme und mit dem Wohlgefallen, welches
Niemand, ungeachtet aller Verschiedenheit der Grundsaetze und Gesinnungen,
Demjenigen versagen kann, durch welchen das Vaterland zu Ehre, Macht und
Reichthum gelangt ist. Die Groesse des letzten von jenen beiden
ausgezeichneten Maennern hatte Macchiavelli selbst noch gesehen. Er war
etwas ueber zwanzig Jahre alt, als Lorenzo von Medici starb, dessen Tod
allgemein als die Epoche angegeben wird, mit welcher die Zeit des Genusses
und des Ruhms aufhoerte, und eine endlose Reihe von Unglueck und Elend
begann, das der Ehrgeiz fremder Monarchen, die unverstaendige und
leidenschaftliche Herrschsucht einheimischer Grossen, der unbaendige Geist
kuehner Abenteurer und schamloser Emporkoemmlinge ueber Italien gebracht
hatten. _"Mit dem Tode Lorenzo's von Medici fing der Same des Uebels an
aufzugehen, wodurch, da Niemand mehr lebte, der ihn auszurotten verstand,
Italien zu Grunde gerichtet ist, und noch immerfort zu Grunde gerichtet
wird."_ Mit diesen Worten schliesst Macchiavelli seine florentinische
Geschichte. Guicciardini beginnt seine Geschichte von Italien mit
derselben Bemerkung. Die Schriftsteller aller Parteien stimmen darin
ueberein.

Nach des grossen Mannes Tode ward sein unfaehiger Sohn Piero mit seinen
vornehmsten Anhaengern vertrieben. Achtzehn Jahre lang war Florenz ein
Spiel republikanischer Unruhen. Die Republik, die unter der Leitung des
Lorenzo auf die Verhaeltnisse der grossen Maechte von Europa so grossen, oft
entscheidenden Einfluss gehabt hatte, ward mit allen uebrigen italienischen
Staaten in den allgemeinen Strudel hineingezogen, den der Ehrgeiz der
franzoesischen Koenige erregte. Von den Heereszuegen Karl des Achten und
Ludwig des Zwoelften ward ganz Italien wie von Meereswellen verschlungen.
Waehrend dieser Periode war Macchiavelli Staatssecretair der
florentinischen Republik, und mehr als zwanzig Mal Gesandter an grossen und
kleinen Hoefen, in den wichtigsten Angelegenheiten. Diese Auftraege fuehrten
ihn zu intimen Verhaeltnissen mit den maechtigsten Maennern der Zeit: unter
Andern mit dem Pandolfo Petrucci, der sich in Siena vom Fuehrer einer
Partei bis zum Oberhaupte des Staats emporgeschwungen hatte, und denselben
von 1487 bis an seinen Tod, 1512, ungefaehr durch Kuenste, wie sie
Macchiavelli lehrt, fast unumschraenkt beherrschte. Dieser Petrucci hatte
den Anfang seiner Groesse damit gemacht, zwei der wichtigsten Personen der
Gegenpartei aus dem Wege zu raeumen, und liess darauf seinen eignen
Schwiegervater, den Giovanni Borghese, einen sehr angesehenen und wegen
seiner Gelehrsamkeit beruehmten Mann, dessen Einfluss er fuerchtete,
ebenfalls ermorden. Er hielt es seinem Interesse angemessen, sich mit den
Florentinern zu verbinden, und ueberliess ihnen Monte Pulciano, ueber dessen
Besitz sie mit den Sienesern in einen alten Streit verwickelt waren. Bei
der politischen Freundschaft zwischen dem Pandolfo und dem damaligen
Gonfaloniere Piero Soderini, war Macchiavelli nicht allein der
Mittelsmann, sondern er unterhielt auch selbst eine genaue Verbindung und
freundlichen Briefwechsel mit dem Tyrannen von Siena, wie der
Geschichtschreiber desselben(3) ausdruecklich bemerkt. Die Medici wurden
1512 in Florenz wieder eingefuehrt. Gleich im ersten Jahre entspann sich
eine Verschwoerung gegen sie, deren Haeupter Nicolo Valori und Giovanni
Folchi, mit dem Leben buessten. Macchiavelli gerieth als Theilnehmer in
Untersuchung, ward gefoltert und verbannt, bald darauf aber von der
Familie, welche die Oberhand behalten hatte, wegen seiner grossen Talente
gesucht. Nicht volle zwei Jahre darauf zog ihn Papst Leo X. durch seinen
Freund, den gemeinschaftlichen Landsmann und florentinischen Gesandten zu
Rom, Veltori, ueber die verwickelten Angelegenheiten Italiens, und ueber die
Verhaeltnisse zu den fremden Maechten, welche er als Staatssecretair der
Republik und als Gesandter so genau kennen gelernt hatte, zu Rathe, wie
aus den Briefen des Vettori erhellt. Aber noch naeher als Alles dieses lag
dem Macchiavelli die Frage, wie die Medici das wieder erlangte
Uebergewicht in ihrem Vaterlande benutzen wuerden?

Die Ahnherrn ihres Geschlechts hatten, wie gesagt, als einfache Buerger die
oeffentlichen Angelegenheiten desselben aus ihrem Cabinet geleitet, ohne
die aeussere Decoration einer hoehern Wuerde zu verlangen. Aber die Zeiten
hatten sich geaendert. In Frankreich, in Spanien, in Deutschland hatten
sich seit Kurzem kraeftige Monarchien erhoben. Italien hingegen ward von
innern Zwistigkeiten zerrissen. Insbesondere war Mittelitalien voll
kleiner Herren, die sich Alles erlaubten, um zu der hoechsten Gewalt in
ihrer Vaterstadt, und zu der Herrschaft ueber kleine Districte umher, zu
gelangen. Mehrere Paepste hatten mit einigem Erfolge gesucht, in ihren
Familien Herrschaften zu gruenden, die dahin fuehren konnten, die
italienischen Freistaaten und Fuersten zu einem Bunde unter Leitung eines
angesehenen Oberhauptes zu vereinigen. So hatte sich das Haus della Rovere
durch zwei Paepste, Sixtus den Vierten und Julius den Zweiten, aus dem
Staube zu der herzoglichen Wuerde von Urbino emporgeschwungen. Mit groesserem
Nachdrucke hatte Alexander der Sechste seinen Sohn Caesar Borgia zu einem
gefuerchteten Herrn in Romagna gemacht. Leo der Zehnte konnte seinen
Verwandten noch mit ganz anderer Kraft unterstuetzen, als Alexander den
seinigen. Denn was der Spanier Borgia blos durch sein paepstliches Ansehn
zu Stande bringen musste, das unternahm Leo mit dem ganzen Gewichte des
Hauses Medici, welches im maechtigen und reichen Florenz so tiefe Wurzeln
geschlagen hatte. Ein Kind seiner Zeit war er nicht damit zufrieden,
seinem Geschlechte die Lage im Vaterlande zu sichern, in der sich seine
Vorfahren befunden hatten. Der grosse Lorenzo war schon von der Lebensart
derselben etwas abgewichen: er hatte sich mit einer Prinzessin Orsini
vermaehlt, und seinen Reichthum angewandt, Landgueter zu kaufen, die mehr
der Grundlage eines Fuerstenthums, als Privatbesitzungen eines Buergers
glichen. Leo X. machte seinen Neffen Lorenzo zum Herzoge von Urbino, und
legte es darauf an, diesem und nach ihm immer dem Haupte der Familie einen
Antheil an der Regierung von Florenz zuzuwenden, der in seinem Umfange und
in der Art der Ausuebung einige Aehnlichkeit mit der Herrschaft hatte, die
Augustus in Rom nach der Aufloesung der Triumvirate fuehrte.

Lorenzo ward Oberhaupt der Kriegsmacht, und fuehrte den Titel: _Il
Magnifico_ (der Praechtige). In den oeffentlichen Angelegenheiten durfte
nichts ohne seine Genehmigung geschehen. Dennoch bestanden alle
republikanischen Formen, und er ueberliess die gesammten Stellen in der
Verwaltung Buergern, die jedoch nur unter seinem Einflusse gewaehlt wurden.
Im Wesentlichen war es eben so schon damals zugegangen, als seine grossen
Vorfahren regierten. Seit undenklichen Zeiten war aus republikanischer
Eifersucht die obrigkeitliche Gewalt nur auf wenige Monate verliehen.
Jahrhunderte lang bildeten bald acht, bald zehn, bald zwoelf Personen,
unter dem Titel: "_Priori dell' arti_", "_Priori della Liberta_", "_Otto
della pratica_", oder andern Namen, den obersten Rath der Republik, der
unter dem Vorsitz des Gonfaloniere meist alle zwei Monate wechselte. Die
Personen, welche bestimmt waren, nach und nach einzutreten, wurden von
einem Ausschusse von Buergern auf eine Reihe von Jahren im Voraus gewaehlt.
Diesen Ausschuss aber setzte die maechtigste Partei des Augenblicks, die
sich unter dem Namen "balia" eine ausserordentliche Gewalt anmasste,
willkuerlich zusammen. Bei diesem bestaendigen Wechsel der Staatsbeamten
ward eine geheime Direction der oeffentlichen Angelegenheiten nothwendig.
Diese ging lange von dem Cabinette der Medici aus, und eben in jenen
unaufhoerlichen aeussern Veraenderungen, wodurch die Verfassung den Anschein
einer Demokratie erhielt, lag ein Mittel, das Ansehn der Familie zu
befestigen, welche sich durch ihren Reichthum, ihre Verwandtschaften, den
Verstand und die Regierungsweisheit einiger ausgezeichneten Haeupter, einen
so grossen Anhang gemacht hatte. So oft die Medici nach einem kurzen Exil
in ihr Vaterland zurueckgekehrt waren, hatten sie die republikanischen
Formen, die sie fuer sich selbst so vortheilhaft fanden, beschuetzt. Es
scheint, Leo X. wollte ungefaehr auf gleiche Art sein Vaterland
beherrschen. Aber der ehrgeizige eitle Neffe, der mehr auf seinen Vater,
den Piero, der wegen seines unverstaendigen Leichtsinns vertrieben war, als
auf seinen weisen Grossvater Lorenzo artete, verlangte mehr. Macchiavelli,
der ihn daran nicht hindern konnte, der weder in Florenz eine Partei
hatte, die maechtig genug gewesen waere, die Republik herzustellen, noch
Einfluss genug auf den Papst, um die Angelegenheiten seines Vaterlandes auf
diesem Wege zu leiten, wandte sich an den neuen Herzog von Urbino und gab
ihm in dem Buche, welches er ausdruecklich fuer diesen Zweck schrieb,
Rathschlaege, wie er sich zum Herrn machen und wie er die Herrschaft
behaupten koenne. Von seiner persoenlichen Verbindung mit diesem Fuersten ist
uebrigens nichts Naeheres bekannt. Sein ganzes Leben in dieser Zeit ist
beinahe noch voellig im Dunkeln.

Der fruehe Tod des Herzogs von Urbino unterbrach 1519 die Plaene, die
Macchiavelli auf den unternehmenden Geist desselben gebaut haben mochte;
nun benutzte er seine Verbindung mit dem Papst Leo, diesem einen Entwurf
vorzulegen, wie Florenz durch eine neue Verfassung beruhigt werden koenne,
indem die Liebe der Einwohner zur Republik befriedigt, und zugleich dem
Papst Leo ein dauernder Einfluss auf dieselbe fuer die Zeit seines Lebens
gesichert wuerde. Diesen Entwurf wird Jeder, der die Geschichte von Florenz
seit dem Tode des grossen Lorenzo, die Parteien, die das Gemeinwesen
zerrissen, ihre Wuensche und die Beduerfnisse des Staats aus den Quellen
kennen gelernt hat, fuer ein Meisterstueck erkennen. Der Verfasser desselben
hatte nicht die Befriedigung, seine Ideen ausgefuehrt zu sehen, die
vermuthlich dem Ehrgeize der Medici noch nicht genug einraeumten.

Lorenzo war so jung gestorben! Papst Leo folgte ihm bald darauf in seinen
besten Jahren. Dennoch entstand keine Veraenderung in der Lage des
florentinischen Staates. Das Schicksal rief viele Generationen hindurch
die einzelnen Haeupter der Medici fruehzeitig ab: der Familie hatte es die
Herrschaft von Florenz bestimmt. Seit dem grossen Cosmus war kein
bedeutender Medici fuenfzig Jahre alt geworden; aber so oft einer aus
diesem Hause den Schauplatz verliess, trat allemal ein anderer wieder auf,
freilich mit sehr verschiedenem Masse von Talenten ausgeruestet, und mit
abwechselndem Gluecke. Jetzt traf die Reihe den Julius, der zuerst als
Cardinal und bald darauf als Papst Clemens der Siebente Haupt der Familie
ward. Von ihm hing nunmehr das Schicksal der Republik ab. Eine Partei, die
aus den vorzueglichsten jungen Maennern von Florenz bestand, mit denen
Macchiavelli in der intimsten Verbindung lebte, und zu deren Belehrung er
seine Betrachtungen ueber den Livius geschrieben, die zweien derselben, dem
Zanobi Buondelmonti und Cosimo Ruccellai, zugeeignet sind, - dieser Club,
der von den Gaerten Ruccellai, wo er sich versammelte, benannt ward, machte
Plaene zu einer Herstellung der Republik, die dem Cardinale Giulio
vorgelegt wurden. Die Hoffnung, die man auf seine anscheinende Maessigung
gebaut hatte, ward vereitelt. Er bewies auch hier die furchtsame
verschlossene Falschheit, die sein ganzes Leben charakterisirt. Er hatte
nie die Absicht gehegt, zu willfahren, oder er aenderte seine
Entschliessung, als er sah, wohin die Plaene, die man ihm angab, fuehren
wuerden. Aber der Patriotismus jener Freunde der Freiheit war ernstlich
gemeint. Sie machten (1523) Anstalt, ihren Entwurf mit Gewalt auszufuehren,
und den Cardinal, der im Wege stand, wegzuraeumen. Die Verschwoerung ward
entdeckt. Luigi Alamanni und Jacopo da Diaceto verloren das Leben auf dem
Blutgerueste. Zanobi Buondelmonti, ein andrer Ludovico Alamanni, (dem
Macchiavelli sein Leben des Castruccio Castracani zugeeignet hat), Batista
della Palla, Anton Bruccioli und einige ihrer Anhaenger geringeren Standes
wurden verbannt. Macchiavelli war ebenfalls in diese Unternehmung
verwickelt: er entfloh.(4) Die Medici fuehlten sich noch nicht stark genug,
den republikanischen Geist der Florentiner zu unterdruecken: sie versuchten
es, ihn einzuschlaefern, indem sie die letzten Vorfaelle moeglichst geschwind
vergessen liessen. Der Cardinal fuerchtete Erbitterung zu erregen, die
seinen Absichten auf den paepstlichen Stuhl hinderlich gewesen waere. Als er
diesen ein Jahr darauf wirklich bestieg, suchte Macchiavelli sich wieder
an ihn anzuschliessen, und erhielt Auftraege von Wichtigkeit, von ihm und
von der florentinischen Regierung. Wenige Jahre darauf erlaubten die
Umstaende noch einen Versuch zur Wiederherstellung der Republik zu machen.
1527 wurden die Medici aufs Neue vertrieben und die Freiheit proclamirt.
Macchiavelli erschien sogleich in seiner Vaterstadt. Allein die Bemuehungen
seiner Freunde Zanobi Buondelmonti und Luigi Alamanni, ihn in den Rath von
zehn Maennern waehlen zu lassen, dem die Leitung der oeffentlichen
Angelegenheiten uebergeben werden sollte, wurden durch die allgemeine
Abneigung vereitelt, die das Volk gegen den Rathgeber der Medici und den
Verfasser des Buchs vom Fuersten gefasst hatte. Vergeblich suchte er die
Schrift zu unterdruecken, welche seine Gesinnungen so verdaechtig machte.(5)
Der Verdruss ueber die fehlgeschlagenen Versuche, sich wieder zu heben,
hatte vermuthlich Antheil an seinem Tode, der bald darauf erfolgte.

Die Republik, die der Enthusiasmus des Volks unter guenstigen Umstaenden
errichtet hatte, unterlag nach zwei Jahren der vereinten Macht des Papstes
und des Kaisers. Nachdem Clemens der Siebente sie durch Unterstuetzung Karl
des Fuenften bezwungen hatte und mit ihr nach Gefallen walten konnte,
erneuerten die Freunde des Macchiavelli zum letzten Male ihre Bemuehungen.
Sie baten den Papst, neben der ersten Stelle in der Republik, die er
seinem angeblichen Neffen Alessandro zuwenden wollte, die Hauptzuege einer
republikanischen Verfassung bestehen zu lassen, welche schon Macchiavelli
dem Papste Leo X. empfohlen hatte. Das Wesentliche dieses Entwurfs,
wodurch die Buerger einen wirklichen Antheil an der Verwaltung des Staats
erhalten haetten, verwarf Clemens: den Anschein behielt er anfangs bei,
nahm bald aber auch dieses Schattenbild eines Gemeinwesens weg. Alessandro
ward 1531 unumschraenkter Herr, und genoss seine Groesse als ein aechtes Kind
des Gluecks, das weder durch Talente, noch durch eigne, seien es ruehmliche,
seien es ruchlose Unternehmungen, sondern blos durch die Macht eines
Andern erhoben war. Mit Dirnen und Buhlknaben, wie Tacitus vom Domitian
sagt, spielte er den Fuersten, zog Schmausereien und Maskenbaelle
fuerstlichen Beschaeftigungen vor, zu denen es ihm mehr an Lust als an
Geschicklichkeit fehlte, und erhielt nach fuenf Jahren von einem Vetter
Lorenzino von Medici den Lohn seiner Nichtswuerdigkeit, ohne dass dieser
Mord den florentinischen Republikanern zu Gute gekommen waere. Ein andrer
Medici, Cosmus, ward 1536 zum Herzoge ausgerufen, und nach einem Siege
ueber die republikanische Partei, die sich zum letzten Male unter Anfuehrung
des Filippo Strozzi erhob, wirklicher Beherrscher von Florenz. Dieser
beruhigte endlich das Volk: er bezaehmte die Widerspenstigen, besaenftigte
die Gemuether, laehmte jede gefaehrliche Kraft, schmeichelte dem Talente,
beschenkte, versorgte, ehrte Alle, die berechtigte oder unberechtigte
Ansprueche machten;(6) und erstickte damit das ganze Geschlecht
vorzueglicher Maenner aller Art, wodurch Florenz bis auf seine Zeiten als
der hellste Stern in der neuern Geschichte der Cultur des menschlichen
Geistes geglaenzt hatte.

In die Mitte dieser Periode faellt das Leben des _Macchiavelli_ (von 1469
bis 1527). In der an Talenten, Kuensten und Wissenschaften aller Art
reichen Stadt, in einem Volke, das sich durch den lebhaftesten Verstand
und die heftigsten Leidenschaften auszeichnete, unter den Stuermen einer
unsichern Verfassung und den haeufigen Katastrophen derselben war er selbst
unaufhoerlich thaetig. Die Geschaeftswelt hatte ihn gebildet. Der eignen
Erfahrung verdankte er es, dass er aus den grossen Schriftstellern des
Alterthums mehr lernte, als Andere darin finden. Sie gab seinem Urtheile
ueber die fruehere Geschichte und ueber die Ereignisse seiner Zeit die
treffende Schaerfe, die man immer mehr bewundert, je mehr man seine
Bemerkungen mit dem vergleicht, was seinem Vaterlande nach seinem Tode
widerfuhr. Die Verhaeltnisse, in die er verwickelt war, hatten ihm das
Innere der Republiken und die Geheimnisse der Fuersten aufgedeckt. Er
verstand sich auf die Politik jeder Partei. Man findet ihn aber auch in
den entgegengesetztesten Factionen.

Er liebte die Verfassung, in der er geboren und so lange Zeit auf die
glaenzendste Art thaetig gewesen war. Aber er mochte wol in gewissen
Augenblicken daran verzweifeln, eine dauernde Republik in Florenz
hergestellt zu sehen. Er zeigt selbst im siebzehnten Kapitel des dritten
Buchs seiner "_Discorsi_", dass ein verdorbenes Volk sich schwerlich bei
der Freiheit erhalten koenne; und im folgenden Kapitel, dass es eben so
schwer sei, die verlorne Freiheit wieder herzustellen. Er sagt es gerade
heraus, einem solchen Volke sei es besser, dass sich seine Staatsverfassung
der Alleinherrschaft eines Einzigen naehere: und die Anwendung auf sein
Vaterland liegt nahe genug!

Im Anfange des siebenten Buchs seiner Geschichte bemerkt er, dass die
innern Uneinigkeiten das Leben der Republiken ausmachen, und ihre Staerke
vermehren, so lange sie nicht in Anhang einzelner Haeupter oder Familien
ausarten; sobald aber dieses eintritt, den Staat schwaechen und das Wesen
der Republik vernichten. In Florenz, sagt er selbst, waren alle innern
Zwistigkeiten von dieser verderblichen Art. _"Daher wissen die Florentiner
die Freiheit nicht zu behaupten, und koennen die Knechtschaft nicht
ertragen."_

In der That, wenn man die innere Geschichte von Florenz ueberdenkt, deren
letzte Katastrophen oben angegeben sind, so findet man, dass die Republik
in den schlechten Zeiten nur elende Anarchie, in den besseren maskirte
Monarchie gewesen war.

Von der fruehern Zeit sagt Macchiavelli im Anfange des dritten Buchs seiner
Geschichte: "Die innern Uneinigkeiten, welche in Rom Wetteifer und Streit
erregten, sind in Florenz sehr fruehe in Factionen und innern Krieg
ausgeartet. In Rom veranlassten sie neue Gesetze, um abzuhelfen: in Florenz
endigten sie stets mit Mord und Verbannung angesehener Buerger. In Rom
dienten sie dazu, dass einzelne grosse Haeupter sich erhoben. In Florenz
haben sie Alles gleich gemacht. In Rom wollte das Volk der groessten Ehren
gleich dem Adel theilhaft werden. In Florenz wollte es ausschliesslich
herrschen. Die neuen erzwungenen Gesetze waren daher ungerecht gegen den
Adel. In Rom wurden die Niedriggebornen immer edler und faehiger, die
Stellen zu bekleiden, nach denen sie strebten. Durch ihre zunehmende Kraft
und Talente ward der Staat gross. In Florenz wurden die Edlen aus den
oeffentlichen Aemtern vertrieben, und mussten dem niedrigen Volke gleich
werden, um zu jenen zu gelangen. Die edeln Eigenschaften, wodurch die
Maenner aus dem Volke in Rom den Edelgebornen gleich zu werden trachteten,
wurden in Florenz auch im Adel ausgeloescht. So ward der Staat immer
niedriger und veraechtlicher. So wie Rom durch den Uebermuth der Buerger
dahin gerieth, dass es nicht mehr ohne einen Herrn bestehen konnte, so kam
es mit Florenz dahin, dass jede Verfassung durch eine geschickte Hand
aufgedrungen werden konnte."

Die alten Zwistigkeiten des Adels mit dem Volke, von denen Macchiavelli
hier redet, endigten um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts mit der
Tyrannei des Herzogs von Athen,(7) der den Florentinern durch
neapolitanische Waffen aufgedrungen ward. Aber nach der Vertreibung
desselben theilte sich das Volk aufs Neue in Factionen der Buerger und des
gemeinen Poebels, welche abermals den Staat zerrissen, bis die Familie
Medici im fuenfzehnten Jahrhunderte maechtig genug ward, ihm Festigkeit und
innere Ruhe zu geben, die jedoch von Zeit zu Zeit durch gewaltsame
Katastrophen unterbrochen ward. Als dieser Zustand 1492 mit dem Tode des
Lorenzo von Medici endigte, und das ganze Geschlecht desselben vertrieben
ward, lebte der demokratische Geist wieder auf. Aber in einem Staate, in
dem man so wenig Buergergeist, dafuer desto mehr Parteiwuth kannte, war es
nicht moeglich, einen dauerhaften Zustand zu begruenden. Die Familie der
Medici, welche sechzig Jahre lang (von 1432 bis 1492) mit so grossem eignen
Ruhme ihr Vaterland zu Groesse, Ehre und Ruhm gefuehrt, und innerlich
einigermassen ruhig gehalten hatte, konnte dies nur dadurch bewirken, dass
sie den Staat durch eine Partei regierte, die sich hinter republikanische
Formen versteckte, ohne dem Volke wahren Antheil an der Verwaltung zu
verstatten. Sie hatte bestaendig, wie man sich in unsern Tagen ausdruecken
wuerde, eine Art von revolutionaerer Regierung gefuehrt. Sie behaupteten
naemlich, wie Macchiavelli ihnen vorwirft, dass Florenz nicht anders regiert
werden koenne, als durch eine von fuenf zu fuenf Jahren zu wiederholende
ausserordentliche Massregel, ("_Ripigliar lo Stato_" genannt), wodurch die
gefaehrlichen Buerger willkuerlich aus der Stadt oder von oeffentlichen
Aemtern entfernt, diese aber eben so willkuerlich mit Hintansetzung aller
vorgeschriebenen Formen besetzt wurden: das heisst, sagt Macchiavelli, alle
fuenf Jahre den Schrecken und die Furcht erneuern, wodurch das erste Mal
diejenigen Menschen in die Flucht geschlagen waren, welche, mit den Medici
zu reden, _schlecht_ gehandelt hatten.

Wahrlich, eine schoene Republik, in welcher die Formen, Gleichheit und
Theilnehmung so vieler Buerger an den oeffentlichen Angelegenheiten
vorspiegeln, in der That aber Eine Familie unumschraenkter herrscht, als
ein Fuerst nur immer koennte; wo diese Familie um desto eifersuechtiger Alle
entfernt, deren Ansprueche sie fuerchtet, weil sie das oeffentlich anerkannte
Recht allezeit gegen sich hat! Cosmus ist ein grosser Mann, Lorenzo ein
noch groesserer Mann gewesen. Aber ist der Staat frei zu nennen, wo solche
Maenner ausschliesslich regieren, und die andern alten Geschlechter
angesehener reicher Buerger, in der Verzweiflung ihr Recht nicht
durchsetzen zu koennen, zu verraeterischen Anschlaegen ihre Zuflucht
nehmen?(8) Wo die Soderini sich herablassen muessen, Clienten zu werden,
und den Pazzi, unterdrueckten Nebenbuhlern, nur Meuchelmord uebrig bleibt,
um sich Luft zu machen: wo daher selbst ein Mann wie Lorenzo von Medici
seines Lebens nicht sicher ist!

So dachte Macchiavelli ueber die Verfassung seines Vaterlandes vor dem
Exile der Medici: das beweist der ganze Ton aller seiner Schriften, in
denen er von den grossen Maennern aus jenem Hause stets mit Lobe redet, ihre
Nebenbuhler und die Verschwoerungen gegen sie nie tadelt.

Nach der Vertreibung dieser herrschenden Partei, 1494, war zwar eine
republikanische Verfassung hergestellt, allein es hatte weder der
demokratische Fanatiker Savonarola, den das Volk eine Zeit lang als einen
Propheten verehrte, und als er einige Prophezeiungen vorbrachte, die nicht
gefielen, mit Jubel verbrennen sah; noch der redliche Freund
republikanischer Gleichheit und allgemeiner Gerechtigkeit, Piero Soderini,
der einige Jahre als Gonfaloniere vergebliche Bemuehungen anwandte, die
Verfassung zu befestigen, etwas Dauerndes zu Stande bringen koennen. Dem
Letzten wirft Macchiavelli vor, dass er sich die eitle Hoffnung gemacht,
allen gaehrenden Stoff im Staate durch Geduld und Guete zu beruhigen, die
Feindschaften mit Wohlthaten auszuloeschen, und die Republik dadurch zu
befestigen, dass er selbst das Beispiel gab, die Gesetze nie zu uebertreten.
Ein solcher Charakter kann nicht verfehlen, die allgemeinste Hochachtung
zu erregen: er wird sogar von den Feinden der oeffentlichen Ruhe gepriesen,
- von diesen aber eigentlich, weil seine Tugenden ihnen selbst ihr Spiel
erleichtern. Etwas kraeftiger noch drueckte Macchiavelli sein Urtheil in
einem Sinngedichte aus, das er in einer launigen Stunde auf seinen
demokratischen Freund und Goenner machte.


    "In der Nacht, da Piero Soderini starb, fuhr die arme Seele zur
    Hoelle hinab. Thoerichter Geist, rief Pluto ihr entgegen, was willst
    du in der Hoelle? Geh du zum unschuldigen Kinderteich!"


Macchiavelli behauptet, und das wol nicht mit Unrecht, dass Soderini eine
ausserordentliche Gewalt haette anwenden muessen, um sich in den Stand zu
setzen, fuer die Zukunft eine Herrschaft der Gesetze zu gruenden. "Wenn in
einem verdorbenen Zustande der Dinge noch etwas zu hoffen ist," sagt er,
"so ist es von einem maechtigen Manne, der sich vorlaeufig zum Herrn
aufwirft, um eine freie Verfassung vorzuschreiben. Auf andere Art ist es
unmoeglich."

Wer die Eigenschaften besitzt, wodurch man sich zur Herrschaft
emporschwingt, der wird sich freilich nicht dazu verstehen, einen solchen
Gebrauch von ihr zu machen: und das wusste Macchiavelli selbst sehr gut.
Indessen koennte er dennoch wol einen Plan entworfen haben, durch einen
Andern und auf andere Art auszufuehren, was damals fehlgeschlagen war. Den,
der geboren ist zu handeln, kann sein eignes treffendes Urtheil, die
vollkommenste Kenntniss der Welt, die lebendigste Ueberzeugung, dass nichts
mehr auszurichten stehe, nicht abhalten, Versuche zu machen, die ihm
selbst vergeblich scheinen. Er sieht ein, dass es besser waere, alle Plaene
aufzugeben, wenn die Werkzeuge zu ihrer Ausfuehrung nichts taugen. Er
verspottet vielleicht die eitle Hoffnung derer, die es unternehmen, mit
schwachen thoerichten Menschen Dinge auszurichten, wozu Kraft, Verstand,
Beharrlichkeit noethig sind. Und in demselben Augenblicke entwirft er
selbst wieder Plaene, die Verstand, Muth, Beharrlichkeit erfordern: weil
der Mann von kraeftigem Verstande immerfort unwillkuerlich solche Entwuerfe
gebiert, wie ein tuechtiger Baum gute Fruechte traegt.

Das ist nicht poetische Schwaermerei. Es gibt solche Menschen, und die
groessten Dinge geschehen durch solche, die sich nicht lange besinnen, ob
ein edler Entwurf ausfuehrbar sei; die nicht warten zu beginnen, bis der
Zufall und andre Menschen das Beste gethan haben; sondern die im Vertrauen
auf die gute Sache wagen, und hoffen, die Umstaende werden ihnen zu Hilfe
kommen. Diese finden denn auch oft unerwartete Unterstuetzung: denn sie
selbst beleben Andere, und wecken Kraefte, deren Dasein man nicht ahnte,
weil sie ohne solchen Antrieb nie erwacht waeren.

Auf Macchiavelli moechte dies Alles freilich nicht recht anwendbar sein.
Der dachte immer zunaechst daran, was ausgefuehrt werden koennte.

Wenn es nun aber durchaus unmoeglich war, die Verfassung aufrecht zu
halten, auf die sich alle Entwuerfe in gluecklichen Zeiten bezogen, und die
Nothwendigkeit einleuchtete, sich neuen Verhaeltnissen zu unterwerfen, so
konnte auch wol ein redlicher Freund der buergerlichen Gleichheit dahin
gebracht werden, ihr nicht blos zu entsagen, sondern selbst Hand
anzulegen, etwas Ertraegliches zu schaffen, um nicht das Unertraegliche
unthaetig zu leiden. So haben auch in Florenz spaeterhin, als das Schicksal
durch den Untergang des Filippo Strozzi die letzten Auswege zur
Herstellung der Republik versperrt hatte; als Alles, was sich auf das Alte
bezog, Entwuerfe des Staatsmannes und Verpflichtungen des Buergers, gleich
Traeumen verschwanden; als nichts mehr existirte, worauf eine Hoffnung
gegruendet werden konnte, und die neuen Verhaeltnisse unter der schnell
entwickelten Uebermacht Karls des Fuenften es durchaus erforderten, dass
Florenz einen Herrn erhalte, der sich des maechtigen kaiserlichen Schutzes
sicher halten konnte, die geistvollsten und angesehensten Maenner der
Republik den Herzoegen gehuldigt.

Unter allen diesen Umstaenden, aber auch nur unter solchen, konnten Maenner
von Ehre zu der neuen herrschenden Partei uebertreten. Macchiavelli that
diesen Schritt sehr frueh, und wie es sich bald zeigte, voreilig.

Es war zwar schon zu seiner Zeit Manches geschehen, das eine innere grosse
Veraenderung in Italien nothwendig nach sich ziehen musste. Franzosen,
Spanier, Deutsche kaempften um den Besitz dieses schoenen Landes. Durch
innere Uneinigkeit war es dahin gekommen, dass es schien, die Frage koenne
nur sein, welche auswaertige Macht Herr werden solle. Das Volk hasste alle
diese Fremden in dem Grade, wie die suedlichen Voelker hassen, und wie der
Unwille unterdrueckter und misshandelter Voelker hasst. Aber wie konnten die
Italiener die Unabhaengigkeit wieder erlangen, die fuer jedes Volk, das
eigenthuemliche Denkart, Sitten, Sprache, Gesetze und Verfassung hat, das
hoechste Gut, und die Bedingung aller Glueckseligkeit ausmacht? Dazu mussten
die gesammten Kraefte der Nation in Verbindung gebracht werden, und eine
einzige Richtung erhalten. Dies konnte im damaligen Augenblicke schwerlich
durch einen Andern geschehen, als durch einen Medici. Wenn denn Italien
der Herrschaft der Barbaren auf keine andere Art entrissen werden kann,
und er das Vaterland nicht anders erloesen will, als wenn Florenz sich
unterwirft, - nun so herrsche Lorenzo ueber Florenz und ueber Italien. Wenn
er das Land befreit haben wird, so moegen sich die Florentiner selbst
wieder von ihren Tyrannen befreien und die Republik herstellen, - wenn sie
koennen. So mag Macchiavelli gedacht haben, als er dem Lorenzo den Weg
zeigte, zur Herrschaft zu gelangen: damit mag mancher Italiener
einverstanden gewesen sein.

Eine solche Entsagung konnte ihm lange nicht so viel kosten, als andern
Anhaengern der Republik. Seine Liebe zu ihr war ernstlich: aber sie beruhte
nicht auf dem tiefen Gefuehle des Buergers, dem Gleichheit das erste Gut
ist, und der Alles lieber duldet, als Jemanden ueber sich zu sehen. Sie
entsprang nicht aus unerschuetterlicher Anhaenglichkeit an vaeterliche Sitte
und ererbte Verhaeltnisse. Das Nachdenken ueber vergangene Zeiten und
Beobachtung der neuen hatte ihn gelehrt, dass in republikanischen Staaten
die Leidenschaften geistvoller Maenner den groessten Spielraum erhalten. Aus
diesem Gesichtspunkte beurtheilt er in seinen "Discursen ueber den Livius"
die roemische Republik. An der Erhaltung des Bestehenden lag ihm wenig. Ihm
kam es nur darauf an, seinen Trieb zu unruhiger Thaetigkeit zu befriedigen.
Fand in seinem Vaterlande die Verfassung nicht mehr statt, die er selbst
vorgezogen haette, so ergriff der von Catonischem Eigensinne weit entfernte
praktische Geist, dem auf aecht Italienisch "virtu" nur Thatkraft und
Verstand sie zu leiten bedeutete, mit eben der Lebhaftigkeit die Idee, die
den neuen Umstaenden und den Gesinnungen der Maechtigen angemessen war, und
liess sie eben so geschwind wieder fahren. Macchiavelli hat nicht etwa in
einer grossen Katastrophe seine Grundsaetze veraendert und ist zu einer
Gegenpartei _einmal_ uebergetreten: sondern er hat sich bald der einen,
bald der andern ergeben, und nur darauf gedacht, fuer den Augenblick den
Entschluss zu fassen, der ihm der kluegste duenkte, weil er in den
Verhaeltnissen des Tages der ausfuehrbarste schien. Er hielt es damals fuer
unvermeidlich, dass Florenz sich unterwerfe: so gab er dem Lorenzo
Rathschlaege, um ihm die Herrschaft zuzuwenden, damit Er es sei, dem der
neue Fuerst sie, wenigstens zum Theil, verdanke.

Wer das wollte, durfte nicht vielen Bedenklichkeiten ueber die Wahl der
Mittel Gehoer geben: und Alles, was in der Zeit vorging, haette auch wol
einen Mann von strengerer Sittlichkeit, als Macchiavelli, verleiten
koennen, sich ueber das Gefuehl der Menschlichkeit, die gewissenhafte
Redlichkeit und die Scheu vor moralischen Geboten wegzusetzen, um einen
grossen Plan zum Besten des Volks auszufuehren. Auch ein solcher haette wol
sagen koennen: es muss einmal regiert werden, damit das Volk der Erfuellung
seiner eignen Wuensche theilhaft und gluecklich werden koenne; welches
Letztere wieder in Macchiavelli's und seiner Zeitgenossen Sinne nichts
Anderes heisst, als politische Leidenschaften befriedigen. Da sich aber die
Voelker nicht demjenigen unterwerfen, der durch sittliche Vorzuege ueber sie
hervorragt, und durch diese verdiente zu regieren, so moege denn derjenige,
der zu herrschen versteht und die Herrschaft zu ergreifen vermag, sich
derselben auf jedem Wege bemaechtigen, auf dem man zu ihr gelangt.

Die Geschichte der Zeit enthaelt nichts als Mord, Treulosigkeit,
Verraetherei, Gewaltthaetigkeit durch gedungene Streiter. Was zur Herrschaft
fuehrt, ist gut: so der allgemeine Wahlspruch. Jeder erlaubte sich Alles,
was den Weg dazu bahnen konnte: Alle aber verfehlten ihren Zweck, weil sie
nicht Einsicht genug hatten, die rechten Mittel zu waehlen, und weil es
ihnen in der gefaehrlichen Unternehmung an der Selbstbeherrschung fehlte,
die dem Maechtigen so schwer wird, und doch so noethig ist, zu verfolgen. So
ging jeder Gewalthaber zu Grunde, die ganze Nation ward eine Beute fremder
Eroberer. Macchiavelli sah, dass der neue Herzog von Urbino denselben Weg
betreten wuerde, auf dem so Viele vor ihm verunglueckt waren. Wenn denn
Niemand Anstand nimmt, Verbrechen zu begehen, wodurch er zur Herrschaft zu
gelangen hofft, so begeht, ruft Macchiavelli dem zu, der danach strebt, so
begeht Eure Unthaten doch nur so, dass sie auch wirklich zum Zwecke fuehren.

Die Lehren, welche Macchiavelli hierzu ertheilt, haben den eigenthuemlichen
Charakter, der Alles auszeichnet, was aus dem wirklichen Leben geschoepft
ist. Sie sind nicht blosse Erzeugnisse des Nachdenkens, Resultate
allgemeiner Beobachtungen. Sie haben die ergreifende Wahrheit der Gemaelde,
dergleichen das ueberlegenste Talent nicht hervorbringt, ohne durch
wirkliche Anschauung belebt zu sein. Man hatte in Italien oft genug
gewaltige Menschen auftreten sehen, die sich in dem leidenschaftlichen
Streben nach der Herrschaft ueber jede Beschraenkung durch Gesetz,
sittliches Gefuehl und menschliche Empfindung gaenzlich wegsetzten. Aber
keiner von ihnen hatte das Mass des Verstandes besessen, ohne den die
Immoralitaet sich selbst zu Grunde richtet. In Caesar Borgia, mit dem
Macchiavelli durch Verhandlungen ueber die Angelegenheiten seines
Vaterlandes in genaue Verbindung gerathen war, glaubte er das vollendete
Ideal eines Mannes zu erkennen, der das wirklich leisten koennte, wonach so
Viele vergeblich gestrebt hatten. Von dieser Vorstellung war er ergriffen.
Alles, was er ueber die Gesinnungen und Talente geschrieben hat, die zur
Befriedigung der Herrschsucht fuehren koennen, ist durch das Bild von jenem
Unholde, der durch die Schaerfe des Verstandes und Entschlossenheit des
Geistes andern eben so schlechten Menschen so sehr ueberlegen war, beseelt.

Lorenzo von Medici war nicht der Mann, etwas Aehnliches zu leisten. Er
konnte wol durch den Einfluss seines Oheims, des Papstes Leo, Herzog von
Urbino werden, aber nicht Herr von Florenz, noch weniger Haupt eines
italienischen Bundes. Hat Macchiavelli ihn nicht genug gekannt? Oder hat
er ihm den Rath, sich zur Herrschaft emporzuschwingen, vielleicht so
gegeben, wie er selbst im dritten Buche seiner Discurse im
fuenfunddreissigsten Kapitel sagt, dass man den Grossen rathen muesse?
"Diejenigen," heisst es hier, "welche einer Republik oder auch einem
Fuersten rathen, kommen in ein Gedraenge, indem sie ihre Pflicht verletzen,
wenn sie nicht ohne alle andere Ruecksicht den Rath ertheilen, der ihnen
fuer den Staat oder den Fuersten der nuetzlichste scheint; so oft sie aber
wirklich solche Rathschlaege angeben, Gefahr laufen, das Leben oder doch
ihre Stelle zu verlieren: weil alle Menschen doch darin blind sind, dass
sie jeden guten oder schlechten Anschlag nur nach dem Ausgange beurteilen.
Ich sehe keinen andern Ausweg, als seine Meinung ohne Leidenschaft und mit
Maessigung vorzutragen, so dass der Fuerst, wenn er sie befolgt, seinen eignen
Willen zu thun glaube, und dass er nicht vom Rathgeber mit Ungestuem
verleitet zu werden scheine. Wenn du auf diese Art deinen Rath ertheilt
hast, so ist es nicht wahrscheinlich, dass Volk oder Fuerst dir uebel wollen
werden, da dein Rath nicht gegen den Willen Andrer durchgesetzt worden.
Die Gefahr entsteht, wenn Viele widersprechen, die, wenn die Sache uebel
ausfaellt, sich vereinigen, den Rathgeber zu stuerzen. Bei jenem Verfahren
geht freilich der Ruhm verloren, der einzuernten ist, wenn man Rathschlaege
gegen den Willen Vieler durchsetzt, und die Sache gut ausfaellt: aber
dagegen entstehen zwei Vortheile. Erstens wird die Gefahr vermieden, und
zweitens kannst du grosse Ehre einlegen, wenn du einen Rath mit Maessigung
ertheilst, derselbe nicht befolgt wird wegen des erhobenen Widerspruchs
und der Rathschlaege Andrer, und alsdann grosses Ungemach entsteht."

Hat Macchiavelli vielleicht seine Anschlaege, zur Herrschaft zu gelangen,
dem Lorenzo von Medici in diesem Sinne gegeben? Hatte derselbe Verstand
genug, sie ganz zu fassen, Urtheil genug, sie richtig anzuwenden,
Dreistigkeit und Beharrlichkeit, sie auszuueben - gelang Alles: gut, so
verdankte er seine Groesse dem Unterrichte, und der Rathgeber konnte auf
alle Belohnungen Anspruch machen, die einen solchen Dienst bekroenen.
Fehlte es in irgend einem Stuecke, so fiel Lorenzo durch seine eigne
Schuld. Er hatte nicht recht begriffen, nicht recht angewandt, oder die
Ausfuehrung war unvollkommen gewesen. Warum unternahm er ein so schweres
Werk, dem er nicht gewachsen war, und dessen ganze Schwierigkeit
Macchiavelli ihm selbst so lebendig vor Augen gestellt hatte? Diesem blieb
alsdann immer noch uebrig es zu machen, wie der Graf von Shaftesbury, der
dem Koenige Karl dem Zweiten Rathschlaege gab, die die Freiheit der
englischen Nation untergruben, und darauf selbst diesen uebermuethigen,
leichtsinnigen und dennoch hinterlistigen Fuersten, da er seine Sache
verdorben hatte, im Parlamente wegen jener Verraethereien gegen die Nation
anklagte.

Warum haette Macchiavelli Bedenken tragen sollen, selbst mit einem Fuersten
eben so umzugehen, wie er diesen lehrt, andre Menschen zu behandeln, die
ihm zu Werkzeugen dienen? Wir haben keinen Timoleon vor uns, keinen Junius
Brutus, keinen Hampden, keinen Wilhelm Tell: sondern den verschmitzten
Unterhaendler am franzoesischen Hofe, Freund des Tyrannen von Siena,
Verehrer des Koenigs aller Teufel seiner Zeit, des Caesar Borgia. Der
Staatsmann muss auch mit solchen Menschen umzugehen wissen. Er muss sich
darauf verstehen, sie zu behandeln; er muss seine Gefuehle in sich
verschliessen koennen, um unvermeidliche Verhaeltnisse mit ihnen zu benutzen,
oder doch unschaedlich zu machen. Aber das unaufhoerliche Treiben in solchen
Verbindungen ist stets gefaehrlich. Es ist sehr schwer, dabei sein eignes
Gemueth unbefleckt zu erhalten. Die Gewohnheit, seine Empfindungen zu
verlaeugnen, stumpft sie ab. Man vergisst am Ende die natuerlichsten
Gesichtspunkte, die einfachsten Wahrheiten, und wird durch die Kunstgriffe
seines eignen Verstandes aus seinem wahren Charakter herausgeworfen: man
weiss selbst nicht, wie.

Ein Werk, wie das Buch vom Fuersten, einem grossen Herrn vorzulegen, und es
von sich bekannt werden zu lassen, dass man solche Rathschlaege gebe, war
ein gewagtes Stueck. Aber Macchiavelli ueberliess sich der politischen
Intrigue mit vollkommner Zuversicht zu sich selbst. Er glaubte damit
spielen zu koennen, weil er sich auf seine Kraft des Verstandes, die
Sicherheit seines Urtheils und seine dreiste Entschlossenheit verliess. Wie
manche Menschen, denen Niemand diese Vorzuege zugestehen wird, moechten ihm
dennoch gern nachahmen! Alle, die sich ihn zum Muster nehmen und mit einer
Geschmeidigkeit des Verstandes, die sie macchiavellisch nennen, die
Schwaeche ihres Charakters, ihre Eitelkeit, ihren Leichtsinn zu beschoenigen
suchen, moegen sich zur Warnung dienen lassen, was ihrem angeblichen
Vorbilde begegnete, als der Tod des Herzogs von Urbino Gelegenheit zu
neuen Versuchen fuer die Herstellung der Republik gab, und einer derselben
endlich gelang. Welchen haesslichen Contrast damit bildete das Buch vom
Fuersten! Der Verfasser haette das Meisterstueck seiner Feder gern
unterdrueckt: aber es hatte sogleich, nachdem er es aus den Haenden gegeben,
zu viele Bewundrer gefunden: so verlor er den endlichen Lohn so vieler
gefahrvoller und mit schwerem Leiden verbitterter Unternehmungen, weil er
nicht, einer Partei standhaft ergeben, mit Beharrlichkeit hatte erwarten
moegen, ob das Schicksal ihr vergoennen wuerde, das Haupt wieder zu erheben.

Wer unter allen Umstaenden etwas bedeuten will, jedem Herrn und zu jedem
Zwecke dient, nur damit Er etwas gelte, verfehlt das Ziel, nach dem er mit
allzu grosser Begierde sich uebereilt. Aller Aufwand von Verstand und
Talenten ist unzureichend, um eine wirklich grosse Rolle zu spielen: dazu
gehoert ein grosser Charakter. Durch die allzu rege unruhige Eitelkeit wird
das schaerfste Urtheil irre gemacht, und die Dreistigkeit im Denken ist oft
nur eine Versuchung mehr, sich verderblichen Anschlaegen zu ueberlassen.
Ueberhaupt hat derjenige, der mit besonnener Maessigung nach dem Besitze
aeusserer Gueter strebt, weit mehr Wahrscheinlichkeit sie zu erhalten, als
der, dem sie um keinen Preis zu theuer sind, und der sie unter jeder
Bedingung besitzen will. Der Eigensinn der rastlosen Begierde erregt
gemeiniglich selbst unueberwindliche Schwierigkeiten. Sogar die oeffentliche
Achtung, welche den Gegenstand des edelsten Triebes ausmacht, darf nicht
allzu begierig gesucht werden. Sie ist von der freien Gesinnung der
Menschen, mithin auch von ihrer Laune abhaengig. Sie laesst sich nicht
abbringen, folgt aber freiwillig dem, der sie verdient, ohne sie zu
begehren. Bemerken die Menschen, dass man sich aengstlich um ihren Beifall
bemueht, so widerstrebt ihre Selbstsucht. Der Neid versteckt sich hinter
dem Vorwand, es sei nur auf die Befriedigung des Ehrgeizes und der
Herrschsucht abgesehen. Wer sich aber nicht in seinen Bemuehungen fuer
Zwecke, die den Beifall der Menschen verdienen, durch die Begierde nach
dem Genusse dieses aeussern Lohns irre machen laesst, und niemals seinem
eignen Bewusstsein die fremde Bewunderung vorzieht, dem wird auch diese
letzte nicht entgehen.

Wenn man das Buch vom Fuersten richtig schaetzen will, so muss man nicht
vergessen, dass der Verfasser nirgends in der Geschichte als Hauptperson
erscheint, sondern immer nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es ruehrt
von einem trefflichen Beobachter her, der in die handelnde Welt mit
eingegriffen hatte, sich aber nicht berufen fuehlte, seine Lehren selbst in
Ausuebung zu bringen. Die Schriften solcher Maenner, welche die Grundsaetze,
die sie aufstellen, aus ihren eignen Handlungen nehmen, haben einen ganz
andern Charakter. Vielleicht ist mehr Wahrheit in den Erzaehlungen
einfacher Beobachter; denn es hat doch schwerlich jemals ein Mann, der
grosse Dinge geleistet hatte, von sich selbst geschrieben, ohne dass sein
Wunsch, der Welt etwas anders zu erscheinen als in seinem eignen
Bewusstsein, einigen Einfluss auf seine Darstellung gehabt haette. Aber
dagegen sprechen die Empfindungen mit mehr Lebendigkeit in den Werken
derer, die von eignen Handlungen reden. Es ist doch etwas Andres, zu
sagen, was man selbst gethan, oder in allem Ernste bereit ist zu thun;
oder Plaene anzugeben, die Andre ausfuehren sollen. Bei diesen Spielen des
Verstandes setzt man sich ueber Alles weg: sobald man aber selbst handeln
soll, erscheinen die Dinge ganz anders, und alsdann lassen die
Einwendungen des Gewissens sich nicht so abweisen. Es ist noch immer die
Frage: ob Macchiavelli, wenngleich er nach den Aussagen von
Schriftstellern, die ihm nicht aus politischen Gruenden abgeneigt waren, im
Privatleben ein "schlechter Mensch" gewesen sein soll, das Alles haette
thun moegen, was er, der wohl wusste, dass er nicht Fuerst werden wuerde,
demjenigen rieth, der danach strebte.

Es gibt Menschen, bei denen alle Kraefte in den Kopf treiben; die mit der
durchdringendsten Schaerfe des Verstandes Alles durchschauen und zu jedem
moeglichen Zwecke die Mittel auf das Treffendste anzugeben wissen: die aber
in der Beurtheilung der Zwecke von ihrer eignen Einbildungskraft oder von
Vorspiegelungen Anderer leicht irre gefuehrt werden. Solche Maenner sind
recht gemacht, als Rathgeber zu glaenzen. Man hoert sie gern, weil sie
nichts gegen die Absichten einwenden, die die Neigung einfloesst und sich so
gut darauf verstehen, diese Zwecke zu erreichen. Aber sie sind gefaehrliche
Rathgeber. Denn weil die Zweckmaessigkeit aller Mittel sie weit mehr
interessirt, als die Beschaffenheit der Zwecke selbst, so ueberlassen sie
sich dreist allen Combinationen des Witzes; und das um so viel mehr, wenn
sie nicht selbst ausfuehren sollen, was sie ausgedacht haben. Man findet
daher auch bei ihnen mit dem bewunderungswuerdigsten Verstande eine
Versatilitaet in den Grundsaetzen und Absichten, die unbegreiflich scheint,
bis man bemerkt, dass es nicht die Sachen selbst sind, an denen sie Freude
finden; dass es in einem wie im andern Falle nur das Spiel des Verstandes
ist, das sie interessirte. Ist vollends das Talent des Redners oder
Schriftstellers mit jenen Vorzuegen verbunden, so werden leicht die
edelsten Gesinnungen und groessten Ideen nur als Mittel angesehen, Plaene des
Augenblicks auszufuehren, und nach der Wirkung, die der Ausdruck derselben
auf den Zuhoerer oder Leser macht, geschaetzt.

Der Umstand, dass Macchiavelli einen grossen Theil der Achtung seiner
Zeitgenossen seinen schriftstellerischen Talenten verdankte, ist sehr
wichtig. Wenn aus dem Bisherigen klar wird, wie er ein solches Buch hat
schreiben koennen, so ist noch etwas Unbegreifliches darin, dass er es
bekannt gemacht hat. Derjenige, dem der Rath gegeben wird, sein Wort zu
brechen, und der es eingesteht, dass er diesen Rath befolgen wird, kann
sich schwerlich versprechen, Glauben zu finden. Das Buch vom Fuersten ist
voll solcher Anschlaege, die vereitelt sind, sobald sie bekannt werden.
Aber Macchiavelli konnte sich nicht enthalten, das Lieblingskind seines
Geistes, das Meisterstueck seines Scharfsinns und seiner unvergleichlichen
Feder, zur Bewunderung aufzustellen; und es war der allgemeinen Denkart
der Grossen so angemessen, dass selbst diejenigen, fuer die es zunaechst
bestimmt war, kein Arg daraus hatten, es koenne ihnen schaden. Es ging also
aus einer Hand in die andere.

Gedruckt ward es indessen erst nach des Verfassers Tode.(9) Papst Clemens
der Siebente, ein Medici, naher Verwandter des Lorenzo, dem es zugeeignet
ist, verstattete unbedenklich die oeffentliche Bekanntmachung durch den
Druck; und eben dies beweist sehr deutlich, wie sehr die darin herrschende
Gesinnung mit der allgemeinen Denkart der Nation uebereinstimmte. Eben so
hat Gregor der Dreizehnte kein Arg daraus gehabt, was seine Billigung der
Pariser Bluthochzeit fuer eine Wirkung in der christlichen Welt thun wuerde.
In beiden Faellen sah der paepstliche Hof, der nie zurueckgeht, sich durch
die allgemeine Stimme genoethigt, einen oeffentlichen Schritt zu thun, um
das Aergerniss zu heben. Als das Geschrei ueber Macchiavelli's Fuersten laut
wurde, verdammte Paul der Vierte das Buch 1559. Der Scandal dauerte fort,
und ward so arg, dass 1592 einem Enkel des Verfassers, dem Niccolo
Macchiavelli, in Gemeinschaft mit einem Neffen desselben, Giuliano de'
Ricci, der Auftrag gegeben ward, das Tadelnswuerdige aus dem Werke
wegzuschaffen. Da aber Niemand Interesse daran hatte, sie zu einer Arbeit
anzutreiben, deren Absicht durch die Ankuendigung schon erreicht war, so
unterblieb sie, und das Buch ward bis heute unzaehlige Male unveraendert so
aufgelegt, wie es hier folgt.





                          DAS BUCH VOM FUeRSTEN.




                               *Zueignung*
    an den Grossmaechtigen _Lorenzo_, Sohn des Piero, _von Medici_.(10)


Diejenigen, welche die Gunst eines Fuersten zu erwerben trachten, pflegen
sich ihm mit dem zu naehern, was ihnen unter Allem, das sie besitzen, das
Liebste ist, oder ihm am meisten zu gefallen scheint: daher ihm so oft
Pferde, Waffen, Teppiche, Edelsteine und andre Zierrathen ueberreicht
werden, die seiner Groesse wuerdig scheinen. Indem ich mich Euch,
grossmaechtiger Herr, mit einem Beweise meiner unterthaenigen Ergebenheit zu
nahen wuensche, finde ich nichts in meinem Vorrathe, was mir werther waere,
oder ich hoeher schaetzte, als die Kenntniss der Handlungen grosser Maenner,
die ich durch lange Erfahrung der neuern Zeit und unablaessiges Lesen der
Alten erworben. Diese habe ich mit grossem Fleisse lange durchdacht und
geprueft, und jetzt in ein kleines Buch zusammengefasst, welches ich Euch
ueberreiche, grossmaechtiger Herr. Und obgleich ich einsehe, dass es nicht
werth sei, vor Euch gebracht zu werden, so hoffe ich doch von Eurer
freundlichen Gemuethsart, es werde gut aufgenommen werden, in Anbetracht,
dass ich kein groesseres Geschenk zu geben vermag, als dieses, welches in den
Stand setzt, in so kurzer Zeit Alles einzusehen, was ich in vielen Jahren,
mit so vielen Gefahren und Muehseligkeiten erlernt und begriffen habe.
Dieses Werk ist von mir nicht geschmueckt, noch mit vielem Wortgepraenge
oder anderer Schminke und aeusserer Zierde aufgeputzt, wie viele Andre ihre
Werke zu schreiben und zu schmuecken pflegen: weil ich wollte, dass die
Sache selbst sich ehre und die Wahrheit des Inhalts und der Ernst der
Ausfuehrung allein das Buch empfehle. Es werde mir aber nicht als eine
Anmassung ausgelegt, dass ich, ein Mann von geringem Stande, es wage, ueber
die Handlungen der Grossen zu urtheilen, und mich erdreiste sie zurecht zu
weisen. Denn so wie diejenigen, welche Landschaften aufnehmen, in die
Ebene herabsteigen, um die Gestalt der Berge und Hoehen zu betrachten, und
auf die Berge steigen, um die Thaeler zu beobachten, so erkennen zwar die
Grossen am besten die Natur des Volkes; um aber die Fuersten zu kennen, muss
man aus dem Volke sein. Nehmt daher, grossmaechtiger Herr, dieses kleine
Geschenk, in der Gesinnung, mit welcher ich es ueberreiche. Ihr werdet
darin einen brennenden Wunsch sehen, dass Ihr zu der Groesse gelangt, zu
welcher Euch die Gluecksumstaende und andre Eigenschaften bestimmt haben.
Wenn Eure Hoheit aber von Eurem erhabnen Standpunkte auf die niedern Orte
herabsieht, in denen ich mich befinde, so werdet Ihr erkennen, mit welchem
Unrechte ich ein anhaltendes widriges Schicksal ertragen muss.




   1. Verschiedene Arten der Herrschaft, und Wege, zu ihr zu gelangen.


Alle Staaten und Gewalten, welche Herrschaft ueber die Menschen gehabt
haben und noch haben, sind Republiken oder Fuerstenthuemer. Diese sind
entweder ererbt, indem sie von dem Geschlechte des Herrschers schon lange
regiert worden sind; oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder
von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Franz Sforza zu Mailand; oder
sie sind nur als Theile dem erblichen Staate dessen, der das Land erwirbt,
hinzugefuegt, wie z. B. das Koenigreich Neapel dem Koenige von Spanien
gehoert. Solche neu erworbene Staaten sind entweder schon frueher an die
Herrschaft gewoehnt gewesen, oder die Freiheit ist in ihnen hergebracht.
Sie werden erworben: durch fremde Gewalt, oder durch eigne Kraefte; durch
Glueck, oder durch Tapferkeit.




                   2. Von den erblichen Fuerstenthuemern.


Von Republiken will ich nicht reden, weil dies von mir bereits in einem
andern Werke ausfuehrlich geschehen ist. Ich wende mich zur
Alleinherrschaft, und werde nach der oben angegebenen Ordnung eroertern,
wie solche erworben und behauptet werden kann. Ich sage also, dass in den
erblichen Fuerstenthuemern, die an die Dynastie ihrer Herren gewoehnt sind,
viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu erhalten und zu behaupten,
als bei neuen: weil es nur darauf ankommt, die Verhaeltnisse, so wie sie
unter den Vorfahren waren, nicht zu veraendern, und bei allen Vorfaellen in
die Gelegenheit zu sehen. Ein solcher Fuerst wird sich also stets auf dem
Throne erhalten, es sei denn, dass ganz ungewoehnliche und ausserordentliche
aeussere Gewalt ihn desselben beraube; und wird er der Herrschaft beraubt,
so vermag er sie wieder zu erlangen, sobald dem, der sie ergriffen hat,
etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien ein Beispiel an dem Herzoge
von Ferrara, der den Venezianern im Jahre 1484 und darauf dem Papst Julius
dem Zweiten durch nichts Anderes Widerstand geleistet hat, als durch seine
in langer Zeit fest begruendete Herrschaft. Denn der angeborne Fuerst hat
weniger Veranlassung, und ist selten in der Nothwendigkeit, zu beleidigen.
Er ist daher mehr beliebt, und es ist natuerlich, dass die Seinigen ihm
wohlwollen, wenn er sich nicht durch ausserordentliche Last verhasst macht.
In der Laenge der Zeit einer fortgesetzten Herrschaft wird die Veranlassung
und die Erinnerung der Neuerungen vergessen, wohingegen Eine Neuerung
immer durch sich selbst die Veranlassung zu andern nachfolgenden
zuruecklaesst.




                     3. Von vermischten Herrschaften.


Aber die neuen Herrschaften sind ganz andern Schwierigkeiten unterworfen.
Und zwar erstens, wenn nicht das ganze Reich neu ist, sondern nur ein
Theil davon, und es also ein vermischtes Reich genannt werden koennte, so
entstehen gewaltsame Veraenderungen aus natuerlicher Schwierigkeit, welche
allen neuen Herrschaften gemein ist, und daher ruehrt, dass die Menschen
gern ihren Herrn veraendern, in Hoffnung, dass es besser werden koenne, und
die Waffen hierauf ergreifen: darin aber irren sie, indem sie bald
erfahren, dass es schlimmer wird. Und das liegt wieder in der Natur der
Dinge: weil der neue Herr seine Unterthanen mit Soldaten und auf manche
andre Art zu bedruecken genoethigt ist, blos weil die Herrschaft neu ist. Du
wirst also alle diejenigen zu Feinden haben, die du durch die Eroberung
selbst beleidigt hast, ohne diejenigen, durch deren Hilfe du Herr geworden
bist, zu Freunden zu behalten, weil du sie nicht nach ihren Wuenschen
befriedigen kannst, und auch keine kraeftigen Heilmittel anwenden darfst,
wegen der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch der
Maechtigste bedarf der Beguenstigung von Einheimischen, um in das Land
einzudringen. Aus dieser Ursache hat Ludwig der Zwoelfte von Frankreich
Mailand so geschwind erobert, und so geschwind wieder verloren. Das erste
Mal war die eigne Kraft des vertriebenen Herzogs Ludwig Sforza
hinreichend, weil das Volk, das jenen eingefuehrt hatte und sich in seiner
Hoffnung getaeuscht fand, den Widerwillen gegen die neue Herrschaft nicht
ertragen mochte. Es ist wahr, dass so zum zweiten Male eroberte Laender
nicht wieder so leicht verloren gehen, weil der Herr von der Rebellion
Veranlassung nimmt, sich durch strenge Massregeln zu sichern, Verbrecher zu
strafen, Verdacht aufzuklaeren, und an den schwachen Stellen Vorkehrungen
zu treffen. Wenn es, um Mailand den Franzosen zu entreissen, das erste Mal
hinreichend war, dass ein Herzog Ludwig an der Grenze Rumor anfing, so
musste sich zum zweiten Male die ganze Welt dagegen vereinigen, um die
franzoesischen Heere zu vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind
oben angegeben. Dennoch verlor Frankreich das mailaendische Gebiet zum
zweiten Male. Die allgemeinen Veranlassungen der ersten Begebenheit sind
erzaehlt; es bleibt also noch uebrig, die Ursachen der zweiten zu
betrachten, und die Mittel anzugeben, wie man sich in solcher Lage besser
behaupten kann, als der Koenig von Frankreich gethan hat. Ich sage also,
dass solche Provinzen, welche erobert und mit den alten Staaten des
Eroberers verbunden werden, entweder zu demselben Lande gehoeren und
dieselbe Sprache reden, oder nicht. In dem ersten Falle ist es sehr
leicht, sie festzuhalten, vorzueglich, wenn sie nicht an Unabhaengigkeit
gewoehnt gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es
hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten; denn weil
die Einwohner ihre alten Gewohnheiten und Verhaeltnisse beibehalten, auch
uebrigens gleiche Sitten mit ihren neuen Mitunterthanen haben, so leben sie
ruhig; wie man es in der Bretagne, Gascogne, Normandie gesehen hat, welche
schon lange mit Frankreich verbunden sind. Wenngleich zwischen diesen
Provinzen und dem uebrigen Frankreich in der Sprache geringer Unterschied
ist, so kommen doch die Sitten ueberein, und daher vertragen sie sich
leicht mit einander. Wer solche Provinzen erobert hat und sie behalten
will, muss auf zwei Dinge Ruecksicht nehmen. Erstens: die Familie der
vorigen Regenten zu verloeschen; zweitens: die alten Gesetze und
Verfassungen nicht abzuaendern: so werden alte und neue Staaten
baldmoeglichst zu einem Ganzen zusammenschmelzen. Aber wenn Provinzen eines
Landes erobert werden, das an Sprache, Sitten, Verfassung verschieden ist,
so entstehen Schwierigkeiten, und es gehoert viel Glueck und grosse Bemuehung
dazu, sie zu behalten.(11) Eines der kraeftigsten Mittel ist, dass der
Eroberer selbst sich hinbegebe, um daselbst seinen Wohnsitz aufzuschlagen.
Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So haben es die Tuerken
mit dem griechischen Reiche gemacht, welches sie trotz aller andern
angewandten Bemuehungen nicht haetten behaupten koennen, wenn sie nicht die
Residenz in Konstantinopel genommen haetten. Denn wenn der Regent sich
selbst da befindet, so sieht er alle Unordnungen in ihrer Entstehung und
kann geschwind abhelfen. Ist er nicht gegenwaertig, so vernimmt er sie
erst, wenn sie schon sehr angewachsen sind, und keine Hilfe mehr ist.
Ausserdem wird das Land nicht von den Beamten des Regenten ausgepluendert:
es beruhigt die Einwohner, zu ihm selbst seine Zuflucht nehmen zu koennen.
Ist er gut, so wird er geliebt; wo nicht, so wird er doch gefuerchtet.
Fremde, die den Staat angreifen moechten, haben mehr Ruecksicht zu nehmen.
So lange der Regent da wohnt, ist es schwer, ihn dessen zu berauben.

Das zweite vorzuegliche Mittel ist, Colonien an einen oder zwei Orte zu
senden, die Schluessel des Landes sind. Dies ist nothwendig. Wer es
unterlaesst, muss wenigstens hinreichende Kriegsmacht daselbst halten. Die
Colonien kosten dem Fuersten nicht viel. Er besetzt sie ohne vielen Aufwand
und beleidigt nur diejenigen, die von Haus und Hof vertrieben werden, um
neuen Bewohnern Platz zu machen. Dies ist immer nur der kleinere Theil.
Diese Beleidigten leben zerstreut und sind arm: sie koennen wenig schaden,
und alle uebrigen werden leicht beruhigt, oder sie fuerchten sich, dass es
ihnen so ergehen moechte wie Jenen, wenn sie sich ruehrten. Wohl zu merken
ist, dass die Menschen entweder zur Ruhe geschmeichelt, oder vernichtet
werden muessen. Denn wegen geringer Beleidigungen raechen sie sich; wegen
grosser vermoegen sie das nicht. Jede Verletzung muss also so zugefuegt
werden, dass keine Rache zu besorgen ist. Wird statt der Colonien Besatzung
gehalten, so kostet das so viel, dass die Einkuenfte des neuen Staats
daraufgehen. Die Eroberung schlaegt also zum Schaden aus und verletzt weit
mehr, weil sie den ganzen neuen Staat trifft. Jeder fuehlt die Last der
Einquartierung, und Jeder wird Feind; diese Feinde aber bleiben, wenn sie
geschlagen sind, in ihren eignen Wohnungen. Nach allen Seiten also ist
diese Besatzung schaedlich: die Colonien hingegen sind nuetzlich. Ferner muss
der Herr einer solchen fuer sich bestehenden abgesonderten Provinz sich zum
Oberhaupte und Beschuetzer der schwaechern Nachbarn machen, und die
Maechtigen unter ihnen zu schwaechen suchen: vor allen Dingen aber
verhindern, dass kein andrer Fremder, der so maechtig waere als er selbst,
hereindringt. Solche werden immer von Unzufriedenen, aus Ehrgeiz oder aus
Furcht hereingelassen. Man hat einst gesehen, dass die Roemer durch die
Aetolier nach Griechenland gelassen wurden. Eben so sind sie in alle
Laender, in die sie gedrungen, durch die Einwohner hereingerufen. Es geht
damit also zu. Sobald ein Fremder in einem Lande Fuss fasst, so haengen sich
alle Mindermaechtigen in demselben an ihn, aus Neid gegen denjenigen, der
im Lande selbst der Maechtigste war. Gegen jene Mindermaechtigen ist also
nur wenig zu thun. Sie sind leicht gewonnen, und machen gemeinschaftliche
Sache mit dem neu eingedrungenen. Dieser hat nur zu sorgen, dass jene nicht
maechtiger werden; und er kann leicht diejenigen, welche das Haupt
emporheben, niederdruecken, und also selbst die Oberhand behalten. Wer
diese Verhaeltnisse nicht gut zu regieren weiss, verliert seine Eroberung,
und hat unendliche Muehe und Verdruss, so lange er sie behaelt. Die Roemer
fuehrten ihre Sache in den eroberten Provinzen sehr gut, sandten Colonien
hin, unterstuetzten die Schwachen, ohne sie zu stark werden zu lassen,
demuethigten die Maechtigen, und liessen das Ansehen maechtiger Fremden nicht
aufkommen. Griechenland dient hinlaenglich zum Beispiele. Sie hielten die
Achaeer und Aetolier aufrecht, sie erniedrigten die Koenige von Macedonien,
vertrieben den Antiochus. Achaeer und Aetolier konnten durch alle ihre
Verdienste um sie doch nicht die Erlaubniss auswirken, irgend einen Staat
mit sich zu verbinden; durch alle Schmeicheleien des Philipp liessen sie
sich nicht verleiten, seine Freunde zu sein, ohne ihn niederzuhalten;
Antiochus konnte mit aller seiner Macht nicht bewirken, dass sie ihm
zugestanden haetten, in Griechenland festen Fuss zu fassen. Die Roemer thaten
in diesen Faellen, was alle vorsichtigen Regenten thun muessen, welche nicht
allein auf die gegenwaertigen, sondern auch auf die kuenftigen Unruhen
achten und diesen begegnen. Was man von ferne kommen sieht, dem ist leicht
abzuhelfen; wenn man aber wartet, bis das Uebel da ist, so kommt die
Arznei zu spaet,(12) und es geht, wie die Aerzte von der Lungensucht sagen:
dass sie zu Anfang leicht zu heilen, aber schwer zu erkennen; wenn sie aber
im Anfange verkannt worden, in der Folge leicht zu erkennen und schwer zu
heilen sei. Eben so geht es dem Staate. Auch in ihm sind die Uebel, die
man von fern erkennt, (das vermag aber nur der, welcher Verstand hat)
leicht und geschwind geheilt; hat man sie aber so weit anwachsen lassen,
dass Jeder sie erkennt, so ist kein Mittel mehr dagegen zu finden. Die
Roemer also sahen die Verlegenheiten, ehe sie entstanden, von ferne, und
liessen sie nicht naeher kommen, um einen Krieg fuer den Augenblick zu
vermeiden. Denn sie wussten, dass man einem Kriege nicht so entgeht, wol
aber nur zum Vortheile des Gegners aufschiebt. Sie beschlossen also mit
Philipp und Antiochus in Griechenland Krieg zu fuehren, um ihn nicht in
Italien selbst bestehen zu muessen. Sie konnten ihn zu der Zeit wohl
vermeiden; aber es gefiel ihnen nicht, was die Weisen unsrer Zeit im Munde
fuehren: Zeit gewonnen, Alles gewonnen. Sie verliessen sich vielmehr auf
ihre Tapferkeit und Klugheit. Denn die Zeit treibt Alles vor sich her,
Gutes wie Schlimmes; Schlimmes fuehrt sie aber auch eben so leicht herbei
als Gutes.

Jetzt wende ich mich zu Frankreich und will untersuchen, ob es eine
aehnliche Politik beobachtet habe, und zwar rede ich von Ludwig dem
Zwoelften, und nicht von Karl dem Achten, weil jener sich laenger in Italien
gehalten hat, und der Gang seiner Unternehmungen daher klarer vor Augen
liegt. Wir werden also sehen, wie er das Gegentheil von Allem gethan hat,
was geschehen muss, um in einem fremden Lande Provinzen zu behaupten.
Ludwig der Zwoelfte ward in Italien durch den Ehrgeiz der Venezianer
eingefuehrt, welche die Haelfte von Mailand dadurch zu erwerben hofften. Ich
will diese seine Unternehmung nicht tadeln; denn da er einmal in Italien
Fuss fassen wollte, und wegen des Betragens seines Vorfahren, Karl des
Achten, keine Freunde in diesem Lande hatte, so musste er wol die
Verbindungen knuepfen, die sich anboten: und die Sache waere auch gelungen,
wenn er keinen anderweiten Fehler gemacht haette. So wie der Koenig die
Lombardei eroberte, ward der Ruf, den Karl verloren hatte, bald wieder
gewonnen; Genua fiel, und die Florentiner traten auf seine Seite. Alles
kam ihm entgegen, der Marchese von Mantua, der Herzog von Ferrara,
Bentivoglio (welcher Bologna inne hatte), die Dame von Forli, die Herren
von Faenza, von Pesaro, von Rimini, von Camerino, von Piombino, die
Republiken Lucca, Pisa, Siena, Alles bewarb sich um seine Freundschaft.
Und nun konnten die Venezianer schon einsehen, wie unueberlegt sie
gehandelt hatten, als sie, um selbst zwei Staedte zu erlangen, ihn zum
Herrn von zwei Dritttheilen von ganz Italien gemacht hatten. Jeder kann
sehen, wie leicht es dem Koenige gewesen waere, sein Ansehen in Italien zu
behaupten, wenn er die erwaehnten Grundsaetze befolgt, und dem grossen Haufen
seiner Freunde durch seinen Schutz Sicherheit gewaehrt haette. Die grosse
Zahl derselben musste ihm wol anhaengen, denn sie waren insgesammt schwach
und fuerchteten, einige den heiligen Stuhl, andere die Venezianer; durch
sie aber konnte er wieder Alles, was noch gross und maechtig im Lande war,
im Zaume halten. Kaum aber war er Herr von Mailand, so that er das
Gegentheil, indem er dem Papst Alexander dem Sechsten zur Herrschaft in
der Provinz Romagna verhalf. Er bemerkte nicht, dass er durch diese
Entschliessung sich selbst Freunde und Anhaenger nahm, und den Papst erhob,
da er diesem zu seinem so kraeftigen geistlichen Ansehen noch so viel
weltliche Macht gab. Dieser erste Fehler zog andere nach sich, so dass er
am Ende selbst nach Italien kommen musste, um der Macht Alexanders Grenzen
zu setzen, und zu verhueten, dass dieser nicht Herr von Toscana werde. Nicht
genug, dass er den Papst auf seine eignen Unkosten gross gemacht; aus
Begierde, das Koenigreich Neapel zu erlangen, theilte er es mit dem Koenige
von Spanien. Das Schicksal von Italien war bis dahin ausschliesslich in
seinen Haenden. Hiermit aber gab er sich selbst einen Genossen, an den
Alle, die mit ihm unzufrieden waren, sich wenden konnten. Statt in jenem
Reiche einen Koenig zu lassen, der von ihm abhaengig gewesen waere, zog er
einen hinein, der ihn selbst daraus vertreiben konnte. Sie ist in der That
eine natuerliche und gewoehnliche Sache, die Begierde zu Eroberungen: und
die Menschen werden immer gelobt und nicht getadelt, die so etwas
unternehmen, wenn sie es ausfuehren; wenn sie das aber nicht vermoegen und
doch unternehmen, es koste was es wolle: da liegt der Fehler, und darueber
werden sie getadelt. Konnte Frankreich Neapel mit eignen Kraeften
angreifen, so mochte es dies thun: konnte es das nicht, so musste es das
Land nicht theilen. Und wenn die Theilung der Lombardei mit den
Venezianern zu billigen war, weil man dieser Massregel den Eingang in
Italien verdankte, so verdient jene zweite Theilung Tadel, weil sie nicht
nothwendig war. Ludwig beging also fuenf Fehler. Er vernichtete die
Mindermaechtigen; vermehrte die Macht eines Maechtigen; rief einen sehr
maechtigen Fremden herein; schlug selbst seinen Wohnsitz nicht im Lande auf
und fuehrte keine Colonien ein. Bei seinem eignen Leben haetten trotzdem
diese fuenf Fehler nicht geschadet, wenn nicht der sechste hinzugekommen
waere, die Venezianer herunterzubringen. Haette er nicht den paepstlichen
Stuhl so maechtig gemacht, und die Spanier nicht hereingerufen, so war es
vernuenftig und nothwendig, die Venezianer zu erniedrigen. Aber nachdem in
jenes Erstere eingewilligt worden, durfte das Letztere nicht geschehen;
denn so lange die Venezianer maechtig waren, haetten sie immer die Andern
abgehalten, die Lombardei anzufallen. Sie haetten darin nie unter andrer
Bedingung eingewilligt, als dass das Land ihnen selbst ueberliefert wuerde;
die Andern haetten es aber nie den Franzosen nehmen moegen, um es den
Venezianern zu geben, und beide zugleich zu bekriegen, haette man nicht
gewagt. Wendet man ein, Koenig Ludwig habe dem Papst Alexander die Romagna,
und Neapel den Spaniern zugestanden, um einen Krieg zu vermeiden, so
antwortete ich: man muss aus den Gruenden, die oben bereits angegeben
wurden, niemals ein uebles Verhaeltniss einreissen lassen, um einen Krieg zu
vermeiden; denn er wird gar nicht vermieden, sondern nur zu deinem
Nachtheile aufgeschoben. Sollte man mir aber etwa das Wort entgegensetzen,
das der Koenig dem Papste gegeben hatte, dass er ihm die Unternehmung auf
die Romagna verstatten wolle, zum Lohne fuer die Einwilligung in Ludwigs
Ehescheidung und fuer den erbetenen Cardinalshut des Erzbischofs von Rouen,
so berufe ich mich auf das, was ich hiernaechst ueber Treu und Glauben der
Fuersten sagen werde, und ueber die Art, wie sie Wort halten muessen. Koenig
Ludwig hat also die Lombardei verloren, weil er nichts vom Allem
beobachtet hat, wodurch Andere Laender erobert und behalten haben. Und so
ist es gar nicht zu verwundern, sondern vielmehr sehr begreiflich und
natuerlich. Ich sprach darueber zu Nantes mit dem Cardinal d'Amboise,
Erzbischof von Rouen, als der Herzog von Valentinois (wie der Caesar
Borgia, Sohn des Papstes Alexanders des Sechsten, gewoehnlich genannt zu
werden pflegte), sich zum Herrn von der Romagna machte. Der Cardinal warf
mir vor, die Italiener verstaenden sich nicht auf den Krieg. Ich erwiderte
ihm aber, die Franzosen verstaenden sich nicht auf die Politik: sonst
wuerden sie den heiligen Stuhl nicht so maechtig werden lassen. Die
Erfahrung hat es bewiesen. Frankreich hat den Papst und die Spanier in
Italien gross gemacht, und hat es selbst darueber verloren. Hieraus ist eine
allgemeine Regel zu ziehen, die niemals oder doch selten truegt: Derjenige,
der einen Andern gross macht, geht selbst zu Grunde. Denn es kann von ihm
nur durch zwei Dinge bewerkstelligt werden: durch kluge Bemuehung, oder
durch Gewalt, und beides ist dem, der maechtig geworden ist, verdaechtig.




4. Warum das Reich des Darius nach Alexanders Tode gegen seine Nachfolger
                             nicht aufstand?


Wenn man die Schwierigkeiten erwaegt, welche es hat, eine neu errungene
Herrschaft zu behaupten, so koennte man sich wundern, wie es zugegangen,
dass das ganze von Alexander dem Grossen innerhalb weniger Jahre eroberte
asiatische Reich, welches er kaum in Besitz genommen, als er starb, und
wovon man deswegen haette glauben sollen, dass es gegen seine Nachfolger
aufstehen werde, von diesen dennoch behauptet wurde, ohne alle andern
Schwierigkeiten, als die, welche ihre eignen Uneinigkeiten erzeugten. Ich
antworte darauf, dass alle Herrschaften, von denen man Kunde hat, auf
zweierlei Weise regiert worden sind. Entweder durch einen Herrn, der sich
nur solcher Diener bediente, die vermoege der ihnen aus Gnaden verliehenen
Gewalt, blos als Werkzeuge, zu der Verwaltung mitwirkten; oder durch einen
Herrn und kleinen Fuersten, die ihre Stellen nicht der Gnade des Herrn,
sondern ihrer eignen Abkunft verdankten. Solche hohe Beamten haben eigne
Laender und Untertanen, von denen sie als Herrn anerkannt werden, und die
ihnen anhaengen. Die Regenten, welche blos mittelst ihrer bestellten
Beamten regieren, haben weit groesseres Ansehn, weil Niemand im ganzen Lande
ist, der nicht dieses Ansehn anerkennt: und wenn er einem Andern gehorcht,
so ist es nur als dem Stellvertreter und Diener des Oberherrn. Solchen
Personen sind aber die Unterthanen nicht sonderlich zugethan. Beispiele
von beiden Arten von Regierungsform geben die Tuerken und die Franzosen.
Das ganze tuerkische Reich wird von einem Monarchen regiert: die andern
sind seine Diener. Es ist in Bezirke getheilt, die von einzelnen Personen
verwaltet werden, welche der Sultan nach Willkuer ein- und absetzt. Der
Koenig von Frankreich hingegen ist von einer grossen Zahl von alten
Fuerstenhaeusern umgeben, deren Herrschaft von ihren Unterthanen anerkannt
und geliebt wird. Diese Fuersten haben Vorrechte, die der Koenig nicht ohne
Gefahr antasten kann. Wer diese beiden Regierungsformen betrachtet, wird
finden, dass es schwer ist, das tuerkische Reich zu erobern: sobald es aber
erobert waere, wuerde es leicht sein, es zu behaupten. Die Schwierigkeiten
der Eroberung sind folgende. Der Eroberer kann nicht durch inlaendische
Fuersten hereingerufen werden, und darf nicht auf Unterstuetzung von
Rebellen hoffen, aus oben angefuehrten Gruenden. Da sie alle Knechte sind,
so ist es schwer, sie zu bestechen, und wenn sie bestochen waeren, so wuerde
es wenig helfen, weil sie aus den angegebnen Ursachen nicht im Stande
sind, das Volk mit in ihr Interesse zu ziehen. Wer also die Tuerken
angreift, muss erwarten, sie einig zu finden, und darf nur auf seine eignen
Kraefte rechnen, wenig auf die Uneinigkeit des Gegners. Wenn der Feind aber
ueberwunden ist, so dass er keine Armee wieder aufzustellen vermag, so ist
nichts mehr zu fuerchten, als die regierende Familie, nach deren Untergange
kein Mensch mehr Ansehn genug im Volke hat, mit Erfolg aufstehen zu
koennen. So wie der Sieger vor dem Siege auf Niemand hoffen konnte, so hat
er nach demselben Niemand mehr zu fuerchten. Das Gegentheil findet statt
bei Reichen, die so regiert werden, wie Frankreich, in die es leicht ist
einzudringen, sobald man einen von den hohen Reichsbeamten gewonnen hat,
unter denen sich immer Unzufriedne und Neuerungssuechtige finden. Diese
vermoegen es, aus oben angefuehrten Ursachen, den Weg ins Land zu oeffnen,
und den Sieg zu erleichtern. Nachdem aber hat es unendliche
Schwierigkeiten, sich darin fest zu setzen: sowol mit denen, die Beistand
geleistet haben, als mit den Ueberwundenen. Es ist alsdann nicht genug,
das regierende Haus zu vertilgen: denn die Reichsherren bleiben uebrig, die
sich zu Haeuptern aufwerfen, und das Land dem Eroberer bei erster
Gelegenheit entreissen, wenn er sie weder zu vertilgen, noch zufrieden zu
stellen weiss. Wenn man nun erwaegt, von welcher Beschaffenheit das
persische Reich war, so wird man viele Aehnlichkeit mit dem heutigen
tuerkischen finden. Alexander brauchte also nur Schlachten zu gewinnen, und
sobald Darius todt war, behielt der Sieger das Reich mit vollkommner
Sicherheit. Auch seine Nachfolger haetten es in voelliger Ruhe behalten
koennen, und es entstanden in dem weiten Lande keine andern Unruhen, als
die sie selbst durch ihre Uneinigkeiten erregten. Aber Laender, die solche
Verfassung haben, wie Frankreich, kann man nicht so ruhig besitzen. In
Spanien, in Frankreich, in Griechenland entstanden unaufhoerliche
Empoerungen gegen die Roemer, wegen der vielen einheimischen Fuersten. So
lange das Angedenken an diese waehrte, blieb der Besitz ungewiss. Nachdem
dieses aber erloschen war, erhielten sich die Roemer durch ihre Macht und
die Laenge der Zeit in ruhigem Besitze. In der Folge, als die Roemer unter
sich selbst zerfielen, vermochte sogar jeder von ihnen einen Theil der
Provinzen, nach Massgabe des darin erlangten Ansehns, in sein Interesse zu
ziehen, weil sie ihre eignen Fuersten ganz verloren hatten und keine andre
Oberherrschaft anerkannten, als roemische. Erwaegt man dies Alles, so wird
sich Niemand wundern, dass es Alexander so leicht wurde, Asien in
Unterwuerfigkeit zu halten, dagegen Andre, wie z. B. Pyrrhus, so viele
Schwierigkeiten fanden, ihre Eroberungen zu behaupten. Der Grund liegt
nicht sowol in der Heldenkraft des Eroberers, als in der verschiedenen
Beschaffenheit der Eroberungen.




5. Wie Staedte oder Fuerstenthuemer zu behandeln sind, die vor der Eroberung
                      ihre eigne Verfassung hatten.


Wenn Staaten, welche erobert worden, wie wir angenommen haben, gewohnt
gewesen sind, nach eignen Gesetzen und in Unabhaengigkeit zu leben, so gibt
es drei Wege, sie zu behandeln. Der erste ist, sie zu Grunde zu richten;
der zweite, dass der Fuerst seinen Wohnsitz daselbst aufschlage; der dritte,
sie unter ihren eignen Gesetzen fortleben zu lassen, sich mit einer
jaehrlichen Steuer zu begnuegen, und die Regierung einer Oligarchie zu
uebergeben, vermittelst deren das Land in Unterwuerfigkeit erhalten werde.
Denn eine solche Regierung weiss wohl, dass sie sich nicht ohne
Unterstuetzung ihres Schoepfers halten kann, und muss Alles thun, um ihm die
Herrschaft zu sichern. Eine Stadt, die gewohnt gewesen ist, frei zu leben,
wird am leichtesten durch ihre eignen Buerger im Gehorsam erhalten. Als
Beispiele koennen hier die Spartaner und die Roemer dienen. Die Spartaner
hatten Athen und Theben inne, uebergaben die Herrschaft derselben einigen
Wenigen, und verloren ihre Eroberung trotzdem. Die Roemer zerstoerten Capua,
Carthago, Numantia, und behaupteten sich daselbst. Sie versuchten es,
Griechenland so zu beherrschen, wie die Spartaner es gemacht hatten, indem
sie die Freiheit proclamirten und die einheimischen Gesetze bestehen
liessen - und es misslang; so dass sie gezwungen wurden, viele Staedte im
Lande zu zerstoeren, um die Herrschaft in demselben zu behaupten. Denn es
gibt in der That kein sicheres Mittel dazu, als zu zerstoeren. Und wer sich
zum Herrn einer Stadt macht, die gewohnt gewesen ist, in Freiheit zu
leben, und sie nicht ganz aufloest, mag nur erwarten, selbst von ihr zu
Grunde gerichtet zu werden. Denn der Name der Freiheit dient immer zum
Vorwande des Aufstandes, und die alte Staatsverfassung wird weder ueber der
Laenge der Zeit noch ueber Wohlthaten vergessen. Was man aber auch immer fuer
Vorkehrungen treffen mag, so kommen, wenn die Einwohner nicht getrennt und
zerstreut werden, immer der alte Name und die alte Verfassung wieder zum
Vorschein, so wie in Pisa nach so langen Jahren, die es unter der
Herrschaft von Florenz gestanden hatte. Sind aber Staedte oder Laender
gewohnt gewesen, unter einem Fuersten zu leben, und dieser ist ihnen
genommen und sein Geschlecht verloescht; sind sie also gewohnt einen
Fuersten zu haben, und haben doch keinen alten, so vertragen sie sich nicht
darin, Einen aus ihrer Mitte zu erheben; frei leben aber koennen sie gar
nicht. Sie ergreifen also die Waffen nicht so leicht, und ein Fuerst
bemaechtigt sich ihrer ohne Muehe, und behaelt sie auch leicht im Gehorsam.
Aber die Republiken bergen mehr Hass und das Andenken an die verlorne
Freiheit. Man zerstoert sie also am sichersten oder man waehlt sie zur
Residenz.




6. Von neuen Herrschaften, die durch eigne Waffen und Tapferkeit errungen
                                 werden.


Niemand wundre sich, wenn ich bei Allem, was ich von ganz neuen
Herrschaften und von Regenten und Staaten ueberhaupt sagen werde, grosse
Beispiele anfuehre. Denn da die Menschen fast immer in gebahnten Wegen
gehen, und in ihren Handlungen Andre nachahmen, so muss bei allem
Unvermoegen, denen gleich zu kommen, die man nachahmt, ein Mann von Geist
doch immer sich die edelsten Muster vorsetzen, damit er wenigstens, wenn
seine Tugenden gleich das Ziel nicht erreichen, doch einigen Wohlgeruch
von sich gebe; er muss es machen, wie kluge Schuetzen, die erkennen, dass das
Ziel zu weit entfernt und der Bogen zu schwach sei, und deswegen die
Richtung hoeher nehmen: nicht um durch Anstrengung bis dahin zu gelangen,
sondern um dadurch das Ziel wenigstens zu erreichen. Ich sage also, dass
ein neuer Fuerst mehr oder weniger Schwierigkeit findet, sich in der
Herrschaft zu behaupten, je nachdem er mehr oder weniger Geisteskraefte
besitzt. Und da sowol Tapferkeit als Glueck einen Privatmann auf den
Fuerstenstuhl erhebt, so koennen auch die Schwierigkeiten in der Behauptung
der neuen Wuerde auf beiderlei Art vermieden oder vermindert werden. Oft
hat der sich am laengsten erhalten, der doch das wenigste Glueck hatte. Es
wird das Geschaeft auch oft dadurch erleichtert, wenn der gaenzliche Mangel
andrer Staaten den Fuersten noethigt, in seinem neuen Gebiete zu wohnen.
Aber um auf die zu kommen, welche durch eigne Tapferkeit mehr als durch
Glueck auf einen Thron erhoben sind, so sage ich, dass Moses, Cyrus,
Romulus, Theseus und aehnliche die vorzueglichsten gewesen sind. Von Moses
ist hier nicht viel zu sagen, weil er nur ausfuehrte, was ihm von Gott
aufgetragen war, und er also nur deswegen bewundert zu werden verdient,
weil Gott ihn seiner Auftraege wuerdigte. Wenn wir aber den Cyrus und
Andere, die neue Herrschaften gegruendet haben, betrachten, so finden wir
sie selbst wirklich bewunderungswerth: auch sind sie wenig in ihrer
Handlungsweise von Moses verschieden, dem goettliche Belehrung zu Statten
kam. Wenn man ihr Leben und ihre Handlungen untersucht, so finden wir, dass
sie dem Gluecke wenig mehr als die Gelegenheit verdankten, das auszufuehren,
was sie ausgedacht hatten. Wenn die Gelegenheit gefehlt haette, so waere die
Kraft ihres Geistes verhaucht: haette es aber an dieser gefehlt, so waere
die Gelegenheit vergeblich dagewesen. So musste Moses das israelitische
Volk in egyptischer Sklaverei finden, damit es bereit sei, ihm zu folgen.
Romulus musste ausgesetzt werden, um den Gedanken zu fassen, Rom zu gruenden
und Koenig zu werden. Cyrus musste die Perser mit der medischen Herrschaft
unzufrieden, und die Meder durch den langen Frieden weichlich und weibisch
finden. Theseus konnte seinen Geist nicht beweisen, wenn er die
Athenienser nicht zerstreut vorfand. Diese Gelegenheiten haben jene grossen
Maenner gluecklich gemacht: durch die Groesse ihres Geistes aber erkannten sie
die Gelegenheit, und dadurch ward ihr Vaterland gluecklich und beruehmt.
Diejenigen, welche durch aehnliche Kraft Fuersten werden, haben
Schwierigkeiten zu ueberwinden, um die Herrschaft zu erlangen: behaupten
sie aber sehr leicht. Die Schwierigkeiten, die sie zu ueberwinden haben,
entstehen zum Theil von den neuen Einrichtungen, die sie genoethigt sind
einzufuehren, um die neue Verfassung und ihre eigne Sicherheit zu
begruenden. Dabei muss man erwaegen, dass es gar keine Sache von groesserer
Schwierigkeit und von zweifelhafterem Erfolge gibt, als sich zum Haupte
einer neuen Staatsverfassung aufzuwerfen. Denn Alle die, welche sich in
der alten Ordnung der Dinge wohl befanden, sind der neuen feindlich; und
diese hat nur laue Verteidiger an denen, welche dabei zu gewinnen hoffen:
theils, wegen der Furcht vor den Gegnern, welche die Gesetze fuer sich
haben; theils, weil die Menschen von Natur misstrauisch sind, und an eine
neue Sache nicht glauben, bis sie sie wirklich klar vor sich sehen. Daher
kommt es, dass diejenigen, die der neuen Ordnung feindlich sind, sie bei
jeder Gelegenheit theilweise angreifen, die Freunde derselben sie aber mit
solcher Lauheit vertheidigen, dass das Oberhaupt sammt ihnen in Gefahr
gerathen kann. Um hier ein richtiges Urtheil zu faellen, muss man wohl
untersuchen, ob die Neuerer auf eignen Fuessen stehen, oder von Andern
abhaengen; ob sie mithin ihr Unternehmen mittelst guter Worte oder durch
Gewalt durchsetzen koennen. Im ersten Falle geht es ihnen stets schlecht,
und sie gelangen zu nichts. Wenn sie aber auf eignen Fuessen stehen und
durch eigne Kraefte mit Gewalt durchsetzen koennen, so misslingt es selten.
Daher haben alle bewaffneten Propheten den Sieg davongetragen; die
unbewaffneten aber sind zu Grunde gegangen; denn zu jenen Ursachen kommt
noch der Wankelmuth des Volks hinzu, welches sich leicht etwas einreden
laesst, aber sehr schwer dabei festzuhalten ist. Und der Plan muss so
angelegt sein, dass, wenn sie aufhoeren zu glauben, man sie mit Gewalt dazu
anhalten kann. Moses, Cyrus, Theseus, Romulus haetten ihre Anordnungen
nicht lange aufrecht erhalten koennen, wenn sie nicht Gewalt der Waffen
haetten gebrauchen koennen; so wie es zu unsern Zeiten dem Fra Girolamo
Savonarola gegangen ist, der mit sammt seiner neuen Staatsverfassung zu
Grunde ging, als das Volk aufhoerte ihm zu glauben, und er keine Mittel
hatte, seine Juenger beim Glauben festzuhalten, und die Unglaeubigen zu
ueberfuehren. Solche haben daher grosse Schwierigkeiten zu ueberwinden, und
muessen dies Abenteuer durch ihre eigne Tapferkeit bestehen. Sobald sie
aber gesiegt haben und anfangen hohes Ansehn zu erlangen, ihre Neider
daneben aus dem Wege geschafft sind, so bleiben sie maechtig, sicher,
geehrt und gluecklich. So grossen Beispielen will ich noch eins hinzufuegen,
das zwar geringer ist, aber doch damit verglichen werden kann, und statt
aller andern aehnlichen dienen soll. Dies sei Hiero von Syracus. Er ward
aus einem Privatmann Fuerst von Syracus, und das Glueck hatte keinen weitern
Antheil daran, als dass es die Gelegenheit herbeifuehrte: denn die
Syracusaner, welche unterdrueckt waren, waehlten ihn zu ihrem Anfuehrer, und
in dieser Stelle erwarb er sich durch Verdienste die fuerstliche Wuerde.
Seine Eigenschaften waren so edel, dass von ihm erzaehlt wird, es habe schon
als Privatmann ihm nichts zum Herrschen gefehlt, als die wirkliche
Herrschaft selbst. Er loeste die alte Armee auf und schuf eine neue;
verliess seine alten Verbindungen und knuepfte neue an. Zahlreiche Freunde
und Krieger hingen ihm an, mit deren Hilfe er jede Verfassung einrichten
konnte: also, dass er zwar viele Muehe hatte aufwenden muessen, um zu
erwerben, aber nur wenig, um das Erworbene zu behaupten.




  7. Von neuen Fuerstenthuemern, die durch fremde Unterstuetzung und durch
                       Gluecksfaelle erworben werden.


Diejenigen, welche durch blosses Glueck Fuersten werden, gelangen dazu ohne
sonderliche Muehe; aber sich auf dem Throne zu erhalten, wird ihnen schwer.
Auf dem Wege fanden sie keine Schwierigkeiten; denn sie wurden
hinaufgehoben: aber wenn sie oben sind, so beginnen jene. Dieses trifft
diejenigen, welche fuer Geld oder durch die Gnade eines Andern Fuersten
geworden sind: zum Beispiel manche Griechen sind vom Darius zu Fuersten in
Ionien und am Hellespont gemacht, damit sie seine Sicherheit und sein
Ansehn befoerderten. So auch sind viele Kaiser durch Bestechung der
Soldaten zu ihrer Wuerde gelangt. Diese haengen lediglich vom guten Willen
und dem Schicksale derer ab, welchen sie ihre Erhebung verdanken; Beides
aber gehoert zu den wandelbarsten Dingen auf Erden. Sie verstehen sich
nicht darauf, und sie vermoegen es auch nicht, sich auf einer solchen
Stelle zu erhalten; denn wenn es nicht etwa ein Mann von grossem Geiste und
Kraft ist, so kann man nicht voraussetzen, dass derjenige, der immer im
Privatstande gelebt hat, zu befehlen wisse: sie vermoegen es auch nicht,
weil sie keine Mannschaft haben, die ihnen ergeben und treu waere. Ferner
koennen ploetzlich entstandene Herrschaften, gleichwie Alles, was geschwind
entsteht und waechst, keine tiefen Wurzeln schlagen; mithin reisst der erste
Sturm sie aus: es sei denn, dass derjenige, den das Glueck erhoben hat, so
viel Verstand und Talent habe, das, was ihm der Zufall in den Schooss
geworfen hat, zu bewahren, und die Unterlage nachzuholen, die Andre sich
angeschafft haben, ehe sie Fuersten wurden. Von jeder der beiden
angegebenen Arten dazu zu gelangen, will ich je ein Beispiel aus der
Geschichte unsrer Tage anfuehren. Diese sind _Francesco Sforza_ und _Caesar
Borgia_. Der Erste ward durch grosse Tapferkeit und ueberlegte Anwendung der
gehoerigen Mittel Herzog von Mailand. Was er mit vieler Muehe erworben
hatte, ward ihm durch die Umstaende leicht zu bewahren. Der Andre, Caesar
Borgia, (insgemein Herzog von Valentinois genannt), gelangte zu seiner
hohen Stelle durch den Gluecksstern seines Vaters, und verlor sie zugleich
mit diesem, trotzdem er alle moegliche Bemuehung anwandte und Alles that,
was ein kluger und muthiger Mann zu thun hat, um in dem Staate, den er
durch die Waffen und das Glueck eines Andern erhalten hatte, feste Wurzeln
zu treiben. Denn wie schon gesagt ist, wer nicht damit angefangen hat,
Grund zu legen, kann es allenfalls durch grosse Anstrengung nachholen,
allemal aber doch mit Gefahr des Baumeisters und des Gebaeudes. Bei der
Betrachtung aller Fortschritte des Herzogs wird man finden, wie viel er
gethan, um zu seiner kuenftigen Groesse festen Grund zu legen. Ich halte es
nicht ueberfluessig, dieses ausfuehrlich darzuthun, weil ich einem neuen
Fuersten keinen bessern Rath zu geben weiss, als seinem Beispiele zu folgen:
und wenn seine Anstalten den Zweck dennoch verfehlten, so lag die Schuld
nicht an ihm, sondern an einem ganz ausserordentlichen und hoechst
widerwaertigen Schicksale.

Alexander der Sechste fand grosse Schwierigkeiten in dem Plane, seinen Sohn
zu erheben: und das sowol in der Gegenwart als in der Zukunft. Vor Allem
sah er gar keinen Weg, ihm zu andern Besitzungen zu verhelfen, als zu
solchen, die im Kirchenstaate lagen. Er wusste aber wohl, dass der Herzog
von Mailand und die Venezianer das nicht verstatten wuerden, weil Faenza
und Rimino schon unter venezianischem Schutze waren. Ausserdem sah er, dass
die italienischen Waffen, besonders diejenigen, deren er sich bedienen
konnte, denen anhingen, welche die Groesse des paepstlichen Stuhls
fuerchteten. Sie waren saemmtlich den Orsini und den Colonna ergeben, und
mithin war ihnen nicht zu trauen. Es war also nothwendig, diese
Verhaeltnisse zu stoeren, und in den Staaten von Italien Alles aufzuruehren,
um sich eines Theils derselben zu bemaechtigen. Dies ward ihm leicht, weil
die Venezianer aus andern Ursachen damit beschaeftigt waren, die Franzosen
wieder in Italien hereinzuziehen. Alexander widersetzte sich diesem also
nicht, sondern beguenstigte es vielmehr durch die Einwilligung, welche er
zu der Ehescheidung des Koenigs Ludwig des Zwoelften ertheilte. Dieser brach
hierauf in Italien ein mit Zustimmung der Venezianer und des Papstes: und
kaum war er in Mailand, so hatte Alexander auch schon wegen des grossen
Rufs der franzoesischen Macht hinreichende Mannschaft, um seine
Unternehmung auf Romagna zu beginnen. Als er diese Provinz erobert und die
Partei der Colonna geschlagen hatte, und nunmehro diese Eroberung sichern
und weiter gehen wollte, standen ihm zwei Dinge im Wege. Erstens die
unzuverlaessige Treue seiner Soldaten; zweitens die Gesinnungen des Koenigs
von Frankreich. Er fuerchtete, dass die Truppen der Orsini, deren er sich
bedient hatte, von ihm abfallen, und nicht allein an weitern Eroberungen
verhindern, sondern auch die gemachten wieder entreissen moechten. Vom
Koenige fuerchtete er das Naemliche. Mit den Orsini hatte er es ganz recht
errathen: wie sich bewies, als er nach der Eroberung von Faenza Anstalt
machte, Bologna zu belagern, und sie dabei so schlaff zu Werke gingen. In
Ansehung des Koenigs ward die Sache klar, als er nach der Besetzung des
Herzogthums Urbino Toscana angriff, und der Koenig ihn noethigte, von dieser
Unternehmung abzustehen. Hierauf beschloss der Herzog, sich nicht weiter in
Abhaengigkeit von fremdem Gluecke und fremden Waffen zu setzen. Er fing also
damit an, die Parteien der Orsini und Colonna in Rom zu schwaechen, indem
er alle Edelleute, die ihnen anhingen, zu sich ueberzog, durch Stellen,
Geld und Ehre, welches Alles er ihnen gab. In wenig Monaten war die
Zuneigung zu ihren vorigen Anfuehrern verloescht und hatte sich ganz zu dem
Herzoge gewandt. Hierauf sah er die Gelegenheit ab, die Orsini zu
vernichten, so wie er schon die Colonna auseinander gesprengt hatte: und
das ging ihm noch besser von statten. Die Orsini hatten sehr spaet gemerkt,
dass die Groesse des Herzogs und des paepstlichen Stuhls ihnen den Untergang
bereite, und sie kamen darueber zu Magione im Perusinischen zusammen.
Hieraus entstanden die Rebellion von Urbino, die Aufstaende in Romagna und
unzaehlige Gefahren des Herzogs, die er mit Hilfe der Franzosen ueberstand.
Als er aber dadurch wieder zu Ehren gelangt war und den Franzosen nicht
traute, andern fremden Truppen eben so wenig, sie auch nicht auf die Probe
stellen konnte, so legte er sich darauf, sie zu hintergehen, und wusste
sich wirklich so zu verstellen, dass die Orsini sich mit ihm durch
Vermittlung des Herrn Pagolo Orsini versoehnten. Er versaeumte hierauf
nichts, um sie zu gewinnen, beschenkte sie mit Kleidern, Geld und Pferden,
bis sie sich einfaeltigerweise nach Sinigaglia in seine Haende locken
liessen. Als er hier die Oberhaeupter aus dem Wege geschafft und ihre
Anhaenger unterwuerfig gemacht hatte, so war ein guter Grund zur Herrschaft
gelegt, indem er ganz Romagna und das Herzogthum Urbino in seine
Botmaessigkeit gebracht, und die Voelker anfingen, sich darunter wohl zu
befinden. Dieser Theil seines Betragens ist vorzueglich wuerdig, beachtet
und nachgeahmt zu werden: daher ich mich darueber etwas verbreiten muss.
Nachdem der Herzog die Romagna unter sich gebracht hatte, so fand er, dass
dies Land ohnmaechtigen Herren angehoert hatte, die ihre Unterthanen mehr
ausgepluendert als regiert, und mehr Unordnung veranlasst, als oeffentliche
Ordnung gehandhabt hatten, so dass diese Provinzen voll von Strassenraub,
Parteigaengerei und aller Art von Gewalttaetigkeit waren. Er fand also
noethig, sie zu beruhigen und der Obrigkeit unterthan zu machen. Zu diesem
Ende gab er ihr den Remiro d'Orco zum Vorgesetzten, einen entschlossenen
und grausamen Mann. Ihm ertheilte er volle Gewalt. Derselbe erwarb sich
grossen Ruhm, indem er das Land in kurzer Zeit zur Ruhe und Sicherheit
brachte. Hierauf aber schien es dem Herzoge, dass eine so ausnehmende
Gewalt nicht mehr gut angebracht sei, weil sie verhasst werden moechte. Er
ordnete also unter dem Vorsitze eines ganz vorzueglichen Mannes mitten im
Lande einen Gerichtshof an, bei welchem jede Stadt ihren Vertreter hatte.
Weil die vorige Strenge aber einigen Hass erzeugt hatte, so suchte er
diesen auszuloeschen und das Volk vollends dadurch zu gewinnen, dass er ihm
bewiese, alle begangenen Grausamkeiten ruehrten nicht von ihm her, sondern
von der rauhen Gemuethsart seines Stellvertreters. Er ergriff die erste
Veranlassung, ihn eines Tages zu Cesena auf dem oeffentlichen Markte in
zwei Stuecke zerrissen auszustellen, mit einem Stuecke Holz und einem
blutigen Messer zur Seite. Durch diesen graesslichen Anblick erhielt das
Volk einige Befriedigung und ward eine Zeit lang in dumpfer Ruhe gehalten.
Aber um wieder auf die Unternehmung des Herzogs zurueckzukommen, so fand
sich derselbe maechtig genug und fuer den Augenblick gegen alle Gefahren
gesichert, da er nach seiner Weise hinreichende Mannschaft angeworben, und
die Truppen derer, die ihm in der Naehe gefaehrlich werden konnten,
vernichtet hatte. Um weitere Eroberungen versuchen zu koennen, blieb nur
die Ruecksicht auf Frankreich uebrig, von woher es schwerlich zugegeben
werden konnte, nachdem der Koenig den Fehler, den er begangen, obwol spaet,
eingesehen. Er fing also an, sich um neue Freundschaften zu bewerben, und
mit Frankreich ein zweideutiges Betragen anzunehmen, als ein franzoesisches
Heer sich nach dem Koenigreiche Neapel zu gegen die Spanier zu bewegen
anfing, die Gaeta belagerten. Seine Absicht war, sich dieser letztern zu
versichern, und das waere gelungen, wenn nur Alexander VI. leben blieb. So
viel that er in Ruecksicht auf die Gegenwart. In der Zukunft hatte er
vornehmlich zu fuerchten, dass ein nachfolgender Papst ihm weniger gewogen
sein, und das nehmen moechte, was Alexander ihm gegeben hatte. Hiegegen
hatte er vor, sich durch vier Mittel sicher zu stellen. _Erstens_, durch
Vertilgung aller Geschlechter der ihrer Herrschaften beraubten Grossen, um
den Paepsten die Veranlassung zu entziehen, etwas gegen ihn vorzunehmen;
_zweitens_ dadurch, dass er alle Edelleute von Rom zu gewinnen trachtete,
um mittelst derselben den Papst selbst im Zaume zu halten; _drittens_,
indem er sich im Cardinals-Collegium so viele Freunde als moeglich machte;
und endlich _viertens_, indem er sich vor dem Tode des Papstes eine so
grosse Herrschaft zu erwerben suchte, dass er einem ersten Anfalle mit
eignen Kraeften hinlaenglich widerstehen koenne. Von diesen vier Dingen hatte
er beim Tode Alexanders drei ganz und das letzte beinahe vollfuehrt. Von
den beraubten Herren hatte er, so viel er erreichen konnte, toedten lassen,
und sehr wenige waren entkommen, die roemischen Edelleute hatte er
gewonnen, im Cardinals-Collegium hatte er die meisten auf seiner Seite.
Was aber die Eroberungen betrifft, so hatte er es darauf angelegt, Toscana
unter sich zu bringen: Perugia und Piombino aber besass er wirklich, und
Pisa hatte er unter seinen Schutz genommen. Gleich als wenn er auf
Frankreich gar keine Ruecksicht mehr zu nehmen haette, (und wirklich konnte
er dessen ueberhoben sein, nachdem die Spanier den Franzosen das Koenigreich
Neapel abgenommen hatten, und nunmehro beide Theile sich um seine
Freundschaft bewerben mussten) erklaerte er sich zum Herrn von Pisa, worauf
Lucca und Siena fallen mussten, theils wegen der Eifersucht gegen Florenz,
theils aus Furcht; Florenz selbst hatte keinen Ausweg. Wenn dies gelungen
waere (und es musste in dem naemlichen Jahre gelingen, in welchem Alexander
starb), so erwarb er solchen Namen und solche Kraefte, dass er fuer sich
selbst bestehen konnte, ohne von dem Schicksale oder der Macht eines
Andern abhaengig zu sein, sondern ganz allein von eigner Macht und
Tapferkeit. Aber Papst Alexander starb fuenf Jahre nachdem er das Schwert
gezogen hatte. Er hinterliess seinen Sohn in folgender Lage. In Romagna
allein festgegruendete Herrschaft; mit allen uebrigen noch in der Luft, und
zwischen zwei sehr maechtigen feindlichen Heeren; dazu toedtlich krank. Der
Herzog hatte solchen frechen Muth und solche Ueberlegenheit des Gemueths,
er wusste so gut, wie man Menschen fuer sich gewinnt, und die Fundamente
seiner Herrschaft, die er in so kurzer Zeit gelegt hatte, waren so fest
gegruendet, dass er alle Schwierigkeiten ueberwunden haette, wenn er nicht nur
jene beiden feindlichen Heere auf dem Halse gehabt, oder gesund gewesen
waere. Dass sein Ansehn gut begruendet war, dafuer dient zum Beweise, dass man
ihn in Romagna ueber einen Monat lang ruhig erwartete; dass er in Rom selbst
halb todt sicher war, und dass die Baglioni Vitelli und Orsini, die nach
Rom kamen, sich keinen Anhang gegen ihn machen konnten. Er konnte, wo
nicht den neuen Papst machen, doch verhindern, dass Keiner Papst werde, den
er nicht wollte. Waere er vollends beim Tode Alexanders gesund gewesen, so
war ihm Alles leicht. Am Tage selbst, da Julius der Zweite auf den
paepstlichen Stuhl erhoben ward, sagte er mir, er haette an Alles gedacht,
was beim Tode seines Vaters vorgehen koenne, und Mittel gegen Alles
ausgefunden; nur daran habe er nicht gedacht, dass er zu gleicher Zeit nahe
am Tode sein koenne. Wenn ich nun alle Handlungen des Herzogs
zusammennehme, so kann ich ihn nicht tadeln. Vielmehr muss ich ihn allen
denen als Muster aufstellen, die durch Glueck und fremde Macht zu einer
Herrschaft gelangen. Bei seinem hohen Geiste und dem Ziele, das er sich
vorgesetzt hatte, konnte er nicht anders handeln. Der fruehe Tod seines
Vaters und seine eigene toedtliche Krankheit waren es allein, die seine
Plaene stoerten. Wer also in seiner neuen Fuerstenwuerde noethig findet, sich
gegen Feinde sicher zu stellen, Freunde zu erwerben, zu siegen, sei es
durch Gewalt oder durch List, sich beim Volke beliebt und gefuerchtet zu
machen, Anhang und Ansehn unter Soldaten zu verschaffen, vertilgen die
beleidigen koennten, oder es nach ihrer Lage muessen, die alte Ordnung der
Dinge auf eigne Weise erneuern, streng und gnaedig sein, grossmuethig und
freigebig, untreue Kriegsheere aufloesen, neue anwerben, die Freundschaft
von Koenigen und Fuersten erlangen, so dass sie sich gern gefaellig beweisen,
und hueten zu beleidigen, der wird kein lebendigeres Beispiel finden, als
die Handlungen dieses Mannes. Der einzige Vorwurf, den man ihm machen
kann, ist der Theil, den er an der Wahl Papst Julius des Zweiten nahm.
Denn, wenn er gleich, wie oben gesagt ist, keinen Papst nach seinem eignen
Sinne machen konnte, so vermochte er doch zu verhindern, und durfte nie
einwilligen, dass einer von den Cardinaelen erhoben wuerde, die ihn beleidigt
hatten, oder die ihn, sobald sie den paepstlichen Stuhl bestiegen hatten,
fuerchten mussten. Denn die Menschen befeinden, entweder aus Hass oder aus
Furcht. Diejenigen, die ihn beleidigt hatten, waren unter Andern der
Cardinal von San Pietro ad Vincula, Colonna, San Giorgia, Ascania. Alle
andern aber mussten ihn fuerchten, sobald sie Papst wurden: nur allein den
von Rouen und die spanischen ausgenommen. Diese wegen Verwandtschaft und
Verbindlichkeiten; Jener, weil er dazu durch seine Verbindung mit dem
Koenige von Frankreich zu maechtig war. Der Herzog musste also vor allen
Dingen darauf dringen, dass einer von den spanischen Cardinaelen zum Papst
gewaehlt wuerde. Konnte er das nicht durchsetzen, so musste er seine
Zustimmung dem Cardinal von Rouen geben, und nicht dem von San Pietro ad
Vincula.(13) Denn wer da glaubt, dass neue Wohlthaten bei den Grossen alte
Beleidigungen vergessen machen, der irrt sich. Der Herzog beging mithin
bei dieser Wahl einen Fehler, welcher Ursache seines eignen Untergangs
geworden ist.




   8. Von Denjenigen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen.


Es gibt noch zwei Wege, aus dem Privatstande zur fuerstlichen Wuerde zu
gelangen, ohne sie weder ganz dem Gluecke, noch der eignen Kraft und Tugend
zu verdanken. Ich will sie also hier erwaehnen, obgleich von dem einen
ausfuehrlicher da gehandelt werden mag, wo von Republiken die Rede ist. Sie
sind folgende. Wenn Jemand auf verbrecherischen und verruchten Wegen zur
Herrschaft gelangt; und wenn der Buerger eines Freistaates durch die Gunst
seiner Mitbuerger auf den Fuerstenstuhl erhoben wird. Hier also zuerst von
jenem ersten Wege, von dem ich zwei Beispiele anfuehren will; ein altes und
ein neues: ohne jedoch weiter in die Untersuchung darueber einzugehen, weil
sie nach meinem Urtheile fuer denjenigen hinlaenglich klar sind, der sich im
Falle befindet, sie nachahmen zu muessen. Agathokles, der Sicilianer, ward
nicht allein aus dem Stande eines Privatmannes, sondern sogar aus der
niedrigsten und verworfenen Lage Koenig von Syracus. Er war der Sohn eines
Goldschmieds, und fuehrte durch alle Stufen seines Gluecks ein verruchtes
Leben. Daneben besass er aber solche Vorzuege des Geistes und des Koerpers,
dass er vom Soldaten bis zum Praetor von Syracus aufstieg. Hierauf beschloss
er, Fuerst zu werden und die Macht, die ihm eingeraeumt war, mit Gewalt an
sich zu halten, ohne dem guten Willen weiter etwas zu verdanken. Er
verabredete sich darueber mit dem Amilcar, der mit einem carthagischen
Heere in Sicilien stand; berief eines Morgens den Senat und das Volk von
Syracus zusammen, unter dem Vorwande, dass er ueber Angelegenheiten des
gemeinen Wesens zu rathschlagen haette; liess aber auf ein gegebenes Zeichen
durch seine Soldaten alle Rathsherrn und die Reichsten vom Volke ermorden.
Nachdem dieses vollbracht war, ergriff er die Herrschaft und hielt sie an
sich, ohne dass irgend welche innere Bewegungen im Staate erfolgt waeren. Er
ward zwar zweimal von den Carthaginiensern geschlagen und zuletzt
belagert, blieb aber doch nicht allein im Stande, die Stadt zu
vertheidigen, sondern mit einem Theile seiner Macht, wovon er den andern
zurueckliess, Afrika selbst anzugreifen, dadurch Syracus in kurzer Zeit zu
befreien und die Carthaginienser in das aeusserste Gedraenge zu bringen.
Diese wurden genoethigt, sich mit ihm zu vergleichen, sich mit Afrika zu
begnuegen und ihm Sicilien zu lassen. Wer seine Handlungen und seine
Tapferkeit erwaegt, wird finden, dass hier in der That wenig dem Gluecke
beigemessen werden kann: da er, so wie oben gesagt worden, nicht durch
Gunst eines Andern, sondern vielmehr durch ein mit vielem Ungemache und
Gefahren errungenes Aufsteigen im Heere zur fuerstlichen Wuerde gelangte,
und diese mit so grosser Entschlossenheit und Dreistigkeit in Gefahren
behauptete. Man kann es nicht Tugend nennen, seine Mitbuerger ermorden,
Freunde verrathen, ohne Treu und Glauben sein, ohne menschliches Gefuehl,
ohne Religion. So kann man wol zur Herrschaft gelangen, aber keinen Ruhm
erwerben. Wenn man nur die kriegerischen Tugenden erwaegt, die Agathokles
bewies, indem er sich in Gefahr begab und sie bestand: den grossen Sinn,
womit er das Unglueck ertrug und bestand: so ist nicht abzusehen, worin er
eben von den groessten Feldherrn so sehr uebertroffen werde. Aber seine wilde
Grausamkeit, sein Mangel an menschlichem Gefuehle und zahllose Unthaten
erlauben nicht, ihn unter die vorzueglichsten Menschen zu zaehlen. Man kann
also weder dem Gluecke noch seiner Tugend zuschreiben, was er ohne das Eine
und ohne das Andre erlangt hat.(14) Zu unsern Zeiten ist unter der
Regierung Papst Alexander des Sechsten der Oliverotto von Fermo, der vor
gar wenigen Jahren noch ganz klein gewesen war, von einem Oheime
muetterlicher Seite, Namens Giovanni Fogliano, erzogen, und in seinen
ersten Jugendjahren zum Kriegsdienste unter Paul Vitelli angehalten, damit
er durch diese Zucht zu einer angesehenen Kriegsstelle gelangen moechte.
Nach Pauls Tode diente er unter dessen Bruder Vitellozzo, und als ein
Mensch von lebhaftem Verstande, von koerperlichen und geistigen Vorzuegen,
ward er in kurzer Zeit einer der Ersten in dem Heere. Da es ihm aber zu
niedrig war, unter Andern zu dienen, so versuchte er durch Hilfe einiger
Buerger von Fermo, die lieber Knechte sein, als ihr Vaterland frei sehen
mochten, und durch Unterstuetzung des Vitellozzo die Stadt Fermo unter sich
zu bringen, und schrieb an Giovanni Fogliani, dass er nach so vielen Jahren
einmal nach Hause kommen und nach seinem Erbtheile sehen wolle; weil er
aber bis dahin nur nach Ehre gestrebt habe, so wolle er, damit seine
Mitbuerger saehen, wie er seine Zeit nicht vergeblich verwandt habe, auf
eine anstaendige Art und in Begleitung von hundert Reitern, Freunden und
Anhaengern, erscheinen. Er baete also, die Einwohner von Fermo moechten
bewogen werden, ihn recht anstaendig zu empfangen; was ja ihm, seinem
Oheime selbst, der ihn erzogen, zur Ehre gereichen wuerde. Giovanni
versaeumte nichts gegen seinen Neffen, bereitete ihm einen ehrenvollen
Empfang von den Einwohnern von Fermo und nahm ihn in seinem Hause auf, wo
der Oliverotto nach einigen Tagen, die mit Zubereitungen zu seiner
Schandthat zugebracht wurden, ein Gastmahl gab, zu welchem er den Giovanni
selbst und Alles, was in Fermo angesehen war, einlud. Nachdem die Mahlzeit
und was sonst bei solchen Festen vorzugehen pflegt, beendigt war, fing
Oliverotto absichtlich ernsthafte Gespraeche an, redete vom Papst Alexander
und seinem Sohne Caesar und deren Unternehmungen. Da Giovanni und Andre
sich hierauf einliessen, stand er ploetzlich auf, sagte, dies seien Sachen,
die in einem geheimern Orte abgehandelt werden muessten, und zog sich in
eine Kammer zurueck, wohin ihm Giovanni und andre Buerger folgten. Kaum aber
hatten sie sich gesetzt, so brachen aus verborgenen Orten Soldaten hervor,
die den Giovanni und alle Andern umbrachten. Nach dieser Mordthat stieg
Oliverotto zu Pferde, eilte durch die Stadt und schloss die
Magistratspersonen im Rathhause ein. Diese wurden durch Furcht bewogen
sich ihm zu unterwerfen, und ihn an die Spitze des Staates zu stellen. Da
nun Alle, deren uebler Wille ihm schaden konnte, getoedtet waren, so
befestigte er seine Herrschaft durch neue Anordnungen, buergerliche und
militaerische: so dass er waehrend des Jahres, da er die Herrschaft behielt,
nicht allein in Fermo sicher, sondern auch allen Nachbarn furchtbar war.
Es waere schwer gewesen, ihn zu ueberwaeltigen, eben wie den Agathokles; wenn
er sich nicht mit den Orsini und Vitelli von dem Caesar Borgia zu
Sinigaglia (wie oben bereits erwaehnt ist) ins Garn haette locken lassen, wo
er zusammt dem Vitellozzo, seinem Lehrmeister in Heldentugenden und
Schandthaten, erdrosselt ward. Man koennte die Frage aufwerfen, wie es
zugehe, dass Agathokles und mancher Andre nach so vielen Verraethereien und
Grausamkeiten lange in ihrer Vaterstadt sicher leben und sich gegen
auswaertige Feinde wehren koennen, auch keinen Verschwoerungen ihrer
Mitbuerger ausgesetzt gewesen: wohingegen Andre wegen ihrer Grausamkeit
sich nicht einmal im Frieden, geschweige denn in den so gefaehrlichen
Zeiten des Krieges, auf ihrer Stelle behaupten konnten? Ich glaube, dass
dieses von der rechten oder schlechten Anwendung der Grausamkeit herruehrt.
Eine wohl angebrachte Grausamkeit (wenn es anders erlaubt ist, diesen
Ausdruck zu gebrauchen) ist diejenige, welche ein einziges Mal zu eigner
Sicherheit ausgeuebt, und naechstdem, so viel moeglich, zum Vortheile der
Unterthanen benutzt wird. Schlecht angebrachte Grausamkeit ist diejenige,
die klein anfaengt und mit der Zeit eher ab- als zunimmt. Diejenigen,
welche den ersten Weg einschlagen, koennen, wenn Gott will, mit Hilfe
andrer Menschen, so wie Agathokles, ihre ueble Lage verbessern. Die Andern
koennen sich gar nicht halten. Es ist also wohl zu merken, dass derjenige,
welcher sich der Herrschaft in einem Staate bemaechtigen will, alle
Grausamkeiten mit Einem Male vollfuehren muesse, um nicht alle Tage wieder
anzufangen, und dass er wohl thue, die Freundschaft der Menschen zu
erwerben, indem er von seiner Macht, ihnen wehe zu thun, keinen Gebrauch
macht. Wer anders handelt, sei es aus Furcht oder aus Mangel an gutem
Rathe, muss das Schwert bestaendig in der Hand halten, und kann sich nie auf
seine Unterthanen verlassen, weil diese wegen der unaufhoerlich erneuerten
Beleidigungen kein Zutrauen zu ihm fassen koennen. Alle Verletzungen Andrer
muessen auf Einmal geschehen, damit sie weniger ueberdacht und besprochen,
und weniger tief gefuehlt werden. Wohlthaten aber muessen nach und nach
erzeigt werden, damit man sich unaufhoerlich damit beschaeftige. Vor allen
Dingen aber muss ein Fuerst sich einen Plan vorzeichnen, der gut genug
ueberdacht ist, damit er sich weder durch guenstige noch schlimme Zufaelle
bewegen zu lassen brauche, davon abzugehen: denn wenn schlimme Zeiten
eintreten, so ist es nicht der Augenblick zu harten Verfuegungen, und von
wohlthaetigen hat man keinen Dank, weil sie erzwungen scheinen.




                   9. Vom Volke uebertragene Herrschaft.


Ich komme zu dem zweiten Falle: wenn naemlich Einer aus dem Volke nicht
durch Verbrechen und Schandthaten, sondern durch die Gunst seiner
Mitbuerger Fuerst in seinem Vaterlande wird. Dieses Fuerstentum von ganz
eigner Art koennte man allenfalls ein buergerliches nennen. Es wird nicht
blos durch Talente oder Glueck, sondern vielmehr nur durch eine glueckliche
und schlaue Geschicklichkeit erworben. Man gelangt dazu mittelst einer
Beguenstigung, entweder des Volks, oder der Grossen in ihm. Denn in jedem
Staate gibt es zwei verschiedene Gemuethsbewegungen, die daher ruehren, dass
das Volk die Herrschaft und Unterdrueckung des Grossen nicht ertragen mag,
die Grossen aber das Volk zu beherrschen und zu unterdruecken trachten. Aus
dem Streite dieser verschiedenen Bestrebungen entsteht entweder eine
Alleinherrschaft, oder die Freiheit, oder unbaendige Gesetzlosigkeit. Die
Herrschaft wird entweder vom Volke oder von den Grossen herbeigefuehrt,
nachdem der eine oder andre Theil dazu Veranlassung erhaelt. Denn wenn die
Grossen sehen, dass sie dem Volke nicht widerstehen koennen, so suchen sie
Einem unter sich einen grossen Namen zu machen und erheben ihn zum Fuersten,
um unter dem Schutze seines Ansehns ihre eignen Begierden zu befriedigen.
Ebenfalls das Volk macht, wenn es sieht, dass es den Grossen nicht
widerstehen kann, einen vorzueglich Angesehenen zum Fuersten, um von ihm
geschuetzt zu werden. Wer durch Hilfe der Grossen Fuerst wird, erhaelt sich
schwerer als der, den das Volk dazu gemacht hat. Denn er findet sich
umgeben von Vielen, die sich ihm gleich duenken, und die er nicht nach
seinem Sinne zu behandeln und ihnen zu befehlen vermag. Aber derjenige,
welcher durch die Gunst des Volks Fuerst wird, steht ganz allein so hoch,
und ist mit wenigen Ausnahmen von lauter Leuten umgeben, die ihm zu
gehorchen bereit sind. Ausserdem kann er auch die Grossen nicht befriedigen,
ohne Andre zu beleidigen; wohl aber das Volk: denn die Wuensche desselben
sind viel billiger, als die Wuensche der Grossen. Diese wollen unterdruecken:
jenes aber ist zufrieden, wenn es nur nicht unterdrueckt wird. Hierzu kommt
noch, dass der Fuerst sich eines feindselig gesinnten Volkes gar nicht
versichern kann, weil dessen zu viele sind: wohl aber deren, die nur
wenige sind. Das Schlimmste, was derjenige zu fuerchten hat, dem das Volk
abgeneigt ist, besteht darin, von ihm verlassen zu werden: aber wem die
Grossen feind sind, der laeuft Gefahr, dass sie ihn nicht allein verlassen,
sondern selbst gegen ihn aufstehen: weil sie mehr Einsicht und mehr
Schlauheit haben, zum Voraus auf ihre Sicherheit denken, und sich bei
demjenigen beliebt zu machen suchen, von dem sie glauben, er werde den
Sieg davontragen. Der Fuerst ist ausserdem genoethigt, bestaendig mit dem
naemlichen Volke verbunden zu bleiben; er kann hingegen ohne die Grossen
fertig werden, weil er darunter nach Gefallen erheben und erniedrigen,
Ansehn geben und nehmen mag. Um dieses noch in helleres Licht zu setzen,
sage ich, dass es zwei Arten gibt, die Grossen zu behandeln. Sie betragen
sich naemlich also, dass sie sich entweder ganz an dich haengen oder nicht.
Diejenigen, welche sich dir verpflichten und nicht habsuechtig sind, muessen
in Ehren gehalten werden und verdienen grosse Zuneigung. Diejenigen
hingegen, welche sich dir nicht verpflichten wollen, muessen wieder auf
zwei verschiedene Arten betrachtet werden. Entweder sie thun dies aus
Feigheit und natuerlichem Mangel des Muthes. Solcher muss man sich bedienen:
absonderlich wenn sie Verstand haben; denn so lange es gut geht, wird man
von ihnen geehrt, und im Ungluecke hat man sie nicht zu fuerchten. Wenn sie
sich aber aus ehrgeizigen Absichten nicht verpflichten wollen, beweisen
sie damit, dass sie mehr an sich selbst, als an dich denken. Vor diesen muss
sich der Fuerst hueten, und sie als heimliche Feinde behandeln, denn sie
sind wirklich immer bereit, im Ungluecke zuzutreten und ihn mit zu stuerzen.
Wer durch das Volk Fuerst wird, muss das Volk zum Freunde zu behalten
suchen. Dies ist leicht, da es zufrieden ist, wenn es nur nicht gedrueckt
wird. Wer aber gegen den Willen des Volks durch den Beistand der Grossen
Fuerst wird, muss vor allen Dingen suchen das Volk zu gewinnen, was ja sehr
leicht ist, wenn er es nur in Schutz nimmt. Und da die Menschen einem
Wohlthaeter, von dem sie Uebles erwarteten, desto dankbarer werden, so wird
das Volk ihm noch mehr unterthan, als wenn es ihn selbst erhoben haette.
Die Mittel und Wege, wodurch der Fuerst das Volk gewinnen kann, sind
mannichfaltig, und richten sich ganz nach den Umstaenden, weshalb ich sie
ganz uebergehe. Ich ziehe indessen den allgemeinen Schluss, dass man suchen
muesse, das Volk auf seine Seite zu ziehen, weil sonst im Unglueck kein
Rettungsmittel ist. Nabis, der Fuerst der Spartaner, hielt eine Belagerung
von allen Griechen aus und von einem siegreichen roemischen Heere; er
vertheidigte sich und seinen Staat dagegen, und dazu war es hinreichend,
sich einiger weniger Personen zu versichern. Waere das Volk ihm feind
gewesen, so haette jenes nicht hingereicht. Man setze mir auch nicht das
bekannte Sprichwort entgegen, dass, wer sich auf das Volk verlaesst, auf den
Sand bauet. Denn dieses ist nur alsdann wahr, wenn ein Buerger etwa die
Hilfe des Volks gegen die angebliche Unterdrueckung seiner Feinde oder der
Obrigkeit anruft. In diesem Falle kann er sich gar leicht mit falscher
Hoffnung taeuschen, so wie es dem Gracchus zu Rom und zu Florenz dem Georg
Scali(15) ging. Ein Fuerst aber, der zu befehlen versteht und Herz hat,
darf nur im Ungluecke nicht weichen, sondern fahre fort Veranstaltungen zu
treffen, halte dreist auf seine Anordnungen und suche das Volk zu beleben.
Er wird sich in seiner Erwartung von ihm nicht betrogen finden. Solche
Herrschaften gerathen in Gefahr, wenn sie aus einer eingeschraenkten
Verfassung zur freien Alleinherrschaft aufzusteigen suchen. Denn diese
Fuersten fuehren ihre Sache selbst oder durch Magistratspersonen. Im
letztern Falle ist ihre Macht unsicher und schwach, weil sie von denen,
welche die obrigkeitlichen Stellen verwalten, gar sehr abhaengen. Diese
koennen, absonderlich im Ungluecke, leicht das Oberhaupt umwerfen, indem sie
sich ihm widersetzen, oder auch nur den Gehorsam verweigern: der Fuerst
aber darf in den gefaehrlichen Augenblicken nicht daran denken, die
unbeschraenkte Herrschaft an sich zu reissen, weil die Buerger und
Unterthanen, welche gewohnt sind, den obrigkeitlichen Personen zu
gehorchen, ihm keine Folge leisten, und es ihm schwer wird, Personen zu
finden, denen er trauen kann. Diese Fuersten kennen sich gar nicht auf das
verlassen, was sie in ruhigen Zeiten sehen, da die Buerger der oeffentlichen
Ordnung beduerfen. Alsdann laeuft Jeder, verspricht Alles und will fuer ihn
das Leben lassen, so lange der Tod entfernt ist. In ungluecklichen Zeiten
aber, wo der Staat Buerger noethig hat, finden sich wenige. Ein solches
Experiment ist desto gefaehrlicher, da man es nur ein einziges Mal machen
kann. Ein kluger Fuerst muss daher auf Mittel denken, zu bewirken, dass seine
Unterthanen seine Herrschaft bestaendig und zu allen Zeiten und unter allen
Umstaenden beduerfen - dann werden sie ihm treu bleiben.




          10. Wie die Kraefte der Fuerstentuemer zu schaetzen sind.


Bei der Betrachtung der Beschaffenheiten aller dieser Herrschaften kommt
es noch darauf an, ob ein Fuerst so viel vermag, dass er sich selbst im
Falle der Noth vertheidigen kann, oder ob er dazu fremder Hilfe bedarf. Um
dieses deutlicher zu machen, sage ich, dass diejenigen ihre Herrschaften
selbst zu behaupten vermoegen, welche Menschen oder Geld genug besitzen, um
eine zureichende Armee aufzustellen, und demjenigen, der sie angreift,
eine Schlacht zu liefern. Dahingegen beduerfen diejenigen allezeit fremder
Hilfe, welche nicht gegen den Feind in das Feld ruecken koennen, sondern
genoethigt sind, sich hinter ihre Mauern zurueck zu ziehen, um nur diese zu
vertheidigen. Vom ersten dieser Faelle ist bereits oben geredet, und wird
in der Folge noch Mehreres vorkommen. Im zweiten Falle kann man dem
Fuersten nichts Anderes rathen, als seine Stadt zu befestigen, und das Land
preiszugeben. Wer seine Stadt wohl befestigt und sich gegen Nachbarn und
eigne Unterthanen so betragen hat, wie hier oben angerathen ist, und ich
ferner anrathen werde, der wird auch nicht leichtsinnig angegriffen
werden, weil Niemand gern Dinge unternimmt, die Schwierigkeiten haben; und
es so leicht nicht ist, den anzugreifen, der wohl befestigt ist, und seine
eignen Unterthanen zu Freunden hat. Die deutschen Staedte haben grosse
Freiheiten, wenig Territorium, gehorchen dem Kaiser so viel sie Lust
haben, und fuerchten weder dieses noch irgend eines andern Benachbarten
Macht, weil sie auf solche Art befestigt sind, dass jeder wohl fuehlen muss,
wie schwierig und langweilig es ist, sie zu erobern: sie haben naemlich
Wall und Graben, Geschuetz in zureichender Menge, Lebensmittel und Holz zur
Feuerung, auf ein Jahr in Vorrath. Ausserdem haben sie die Veranstaltung,
das Volk, ohne Nachtheil des Gemeinwesens, auf ein Jahr in dem Gewerbe,
wovon die kleinen Buerger leben, beschaeftigen zu koennen, um ihm seinen
Unterhalt zu verschaffen. Auch halten sie die Kriegs-Uebungen in Ehren,
und haben dazu mancherlei Anordnungen. Der Fuerst, der eine Festung
besitzt, und bei seinem Volke nicht verhasst ist, kann nicht angegriffen
werden: und wuerde er es, so muesste der Feind mit Schanden abziehen; denn
die Zufaelle sind in dieser Welt so mannichfaltig, dass es beinahe unmoeglich
ist, ein ganzes Jahr das Feld zu halten, um ihn zu belagern. Und wenn man
etwa antwortete, dass das Volk, welches seine Besitzungen draussen hat und
selbige verheeren sieht, es ueberdruessig werden und seinen Fuersten
verlaeugnen wird, so antworte ich, dass ein maechtiger und entschlossener
Fuerst diese Schwierigkeiten stets ueberwinden wird; indem er bei seinen
Unterthanen bald die Hoffnung erregt, es werde nicht lange mehr waehren,
bald Furcht vor der Grausamkeit des Feindes einfloesst, endlich auch sich
auf eine geschickte Art derer versichert, welche ihm zu dreist scheinen.
Ausserdem ist der Feind genoethigt, damit anzufangen, das Land mit Feuer und
Schwert zu verheeren, waehrend die Buerger noch guten Muth und Lust zur
Verteidigung haben. Der Fuerst darf daher um so weniger Anstand nehmen:
denn wenn die Gemuether sich abkuehlen, so ist der Schade schon geschehen;
es ist vergeblich, darueber zu klagen und die Menschen werden sich desto
enger mit dem Fuersten vereinigen, fuer den sie ihre Habe und Gut
preisgegeben haben, wofuer er ihnen Dank schuldig ist. Der menschlichen
Natur ist es gemaess, sich durch das Gute, was man Andern erzeigt, eben
sowol zu verbinden, als durch das, was man empfaengt. Wenn man dieses Alles
erwaegt, so wird man finden, dass es einem Fuersten nicht schwer ist, die
Gemuether seiner Unterthanen bei einer Belagerung festzuhalten, wenn er nur
Lebens- und Vertheidigungsmittel genug hat.




                   11. Von geistlichen Fuerstenthuemern.


Es bleibt nur noch uebrig, von geistlichen Herrschaften zu reden, bei
welchen alle Schwierigkeiten nur vorhanden sind, bis man zum Besitze
gelangt ist: denn sie werden durch ausgezeichnete Kraft oder durch Glueck
erworben; aber erhalten, ohne das eine und ohne das andre; denn sie
beruhen auf den alten heiligen Einrichtungen der Religion, welche maechtig
genug sind, ihre Haeupter in ihren Stellen zu erhalten, sie moegen sich
auffuehren wie sie wollen. Diese allein haben eine hohe Stelle, und
brauchen sie nicht zu vertheidigen; sie haben Unterthanen und regieren sie
nicht; ihre Staaten werden nicht vertheidigt und ihnen doch nicht
genommen. Ihre Unterthanen bekuemmern sich nicht darum, dass sie nicht
regiert werden, und denken nicht daran, sich ihnen zu entziehen, koennen es
auch nicht. Diese Fuersten also sind allein sicher und gluecklich. Aber da
dieses von hoehern Ursachen abhaengt, an die der menschliche Verstand nicht
reicht, so will ich nicht davon reden. Gott schuetzt sie: es waere vorwitzig
und dreist, wenn der Mensch darueber urtheilen wollte. Wenn mich aber
Jemand befragte, wie es zugegangen, dass die Kirche zu solchem weltlichen
Staate gelangt, und dass, nachdem bis auf Alexander den Sechsten jeder, ich
sage nicht maechtige italienische Fuerst, sondern jeder Baron und Freiherr,
sich im Weltlichen nichts daraus machte; gegenwaertig der Koenig von
Frankreich davor zittert, und von ihr aus Italien vertrieben ist; Venedig
daneben zu Grunde gerichtet: so will ich darueber folgendes obwol schon
genugsam Bekannte, in das Gedaechtniss zurueckrufen. Bevor Karl der Achte
nach Italien kam, war dieses Land unter den Papst, Venedig, den Koenig von
Napoli, den Herzog von Mailand und die Florentiner vertheilt. Diese Maechte
hatten ihr Augenmerk auf zwei Dinge zu richten: erstens darauf, dass keine
fremde Macht mit den Waffen eindringe; zweitens, dass keine unter ihnen
selbst die Oberhand gewoenne. Diejenigen, welchen dieses am meisten anlag,
waren der Papst und Venedig. Um den letztern Staat klein zu halten, mussten
sich alle uebrigen vereinigen, so wie sie es auch wirklich thaten, um
Ferrara zu verteidigen. Den Papst zurueckzuhalten, bediente man sich der
roemischen Barone, welche in zwei Factionen getheilt waren, die Orsini und
die Colonna. Unaufhoerliche Uneinigkeiten unter diesen veranlassten sie
stets, unter den Augen des Papstes in den Waffen zu sein, und dieses hielt
den heiligen Stuhl klein und schwach. Und wenn gleich dann und wann ein
Mann von Geist den paepstlichen Stuhl bestieg, so wie Sixtus (der Vierte),
so konnte doch weder Glueck noch Verstand von diesen Verhaeltnissen
befreien. Die Kuerze ihrer Regierung war eine Ursache. Denn in zehn Jahren
(so lange dauerte eine paepstliche Regierung im Durchschnitte) konnte kaum
eine der beiden Parteien herunter gebracht werden: und wenn zum Beispiel
der Eine die Colonna und ihre Anhaenger gedemuethigt hatte, so folgte Einer,
der den Orsini feind war, und hob jene, die in der kurzen Zeit nicht ganz
vertilgt sein konnten, wieder empor. Daher kam es, dass die weltliche Macht
des Papstes in Italien so wenig geachtet ward. Es stand inzwischen
Alexander der Sechste auf und bewies besser, als irgend ein Andrer jemals
gethan hat, wie viel ein Papst mit Geld und mit seinen Kraeften ausrichten
kann. Er bewerkstelligte mittelst seines Sohnes, des Herzogs von
Valentinois, und bei Gelegenheit des Einmarsches franzoesischer Heere,
alles das, was ich oben, als ich von der Handlungsweise des Herzogs
sprach, auseinandergesetzt habe. Seine Absicht ging nicht dahin, den
heiligen Stuhl gross zu machen, sondern nur sich selbst. Durch die Wendung,
die die Sache nahm, gewann aber der Stuhl, welcher nach seinem Tode die
Fruechte aller Arbeiten des Herzogs erbte. Auf ihn folgte Julius der
Zweite, welcher den Stuhl schon gross und maechtig fand, da er die Romagna
besass, und daneben alle roemischen Barone durch Alexanders Bemuehungen
zerschlagen waren. Daneben besass er Mittel, Geld zusammen zu bringen, die
man vor Alexander nicht gekannt hatte. Julius trat in dessen Fusstapfen,
suchte Bologna zu erwerben, Venedig herunter zu bringen und die Franzosen
aus Italien zu vertreiben. Dieses gelang ihm Alles zusammen, und gereicht
ihm zu so viel groesserer Ehre, da er es nicht zu eignem Privatvortheile,
sondern zu Gunsten des Stuhles unternahm. Die Parteien Colonna und Orsini
erhielt er in dem Zustande, worin er sie fand. Obwol einige Ursache zu
Uneinigkeiten zwischen ihnen vorhanden war, mussten sie doch ruhig bleiben:
erstens, weil ihnen die Groesse des paepstlichen Stuhls imponirte, und
zweitens, weil sie beide keine Cardinaele unter sich hatten, von denen
immer alle Unruhen herruehren. So oft Cardinaele aus diesen Haeusern sind, so
koennen diese nicht ruhig sein, weil jene in und ausser Rom die Parteiungen
unterhalten, und die Barone genoethigt sind, sie zu vertheidigen. Aus dem
Ehrgeize solcher Praelaten entstehen mithin die Zwistigkeiten und Aufruhr
unter den Baronen. Es hat also Papst Leo den heiligen Stuhl schon gross und
maechtig gefunden, und so wie seine obgedachten Vorfahren ihn durch die
Waffen gehoben haben, so ist zu hoffen, dass er ihm durch seine grossen
persoenlichen Eigenschaften und seine Milde Ansehen verschaffen werde.




               12. Von den verschiedenen Arten der Truppen.


Nachdem ich die verschiedenen Beschaffenheiten der Herrschaften erwogen,
von denen ich mir vornahm zu reden, und die Ursachen angezeigt, aus denen
es ihnen wohl oder uebel ergeht, nebst den Mitteln, womit man versucht hat,
sie zu erwerben und zu erhalten, so bleibt mir noch uebrig, im Allgemeinen
die Arten des Angriffs und der Vertheidigung durchzugehen, welche dabei
vorkommen koennen. Wir haben bereits erwaehnt, dass eine Herrschaft auf guten
Gruenden beruhen muesse, wenn sie nicht zusammenstuerzen soll. Die
hauptsaechlichste Stuetze aller Staaten, der neuen wie der alten und der
vermischten, sind gute Gesetze und tuechtige Kriegsmacht. Gute Gesetze
koennen nicht bestehen ohne eine gute Kriegsmacht. Diese aber setzt gute
Gesetze voraus. Ich lasse also die Gesetzgebung liegen und rede von der
Bewaffnung; ich sage, dass die Kriegsmacht, womit ein Fuerst seinen Staat
vertheidigt, entweder aus eigner oder gemieteter Mannschaft oder aus
Hilfstruppen besteht, oder aus diesen allen zusammen. Gemiethete
Mannschaft und Hilfstruppen sind unnuetz und gefaehrlich. Wer seine
Herrschaft durch Miethlinge zu schuetzen denkt, steht nicht fest, und kann
nie sicher sein, weil diese unter sich uneins, unbaendig, ohne Disciplin,
untreu, uebermuethig gegen ihre Freunde, feig gegen die Feinde sind, Gott
nicht fuerchten und treulos gegen die Menschen handeln. Der Untergang ist
also nur bis dahin verschoben, wo der Angriff erfolgt. Im Frieden wird man
von ihnen selbst beraubt; im Kriege vom Feinde. Die Ursache hiervon ist,
dass sie nicht aus Zuneigung und aus keiner andern Ursache im Felde
erhalten werden, als um eines geringen Soldes willen, deswegen sie ihr
Leben nicht preisgeben werden. So lange kein Krieg zu fuehren ist, wollen
sie wol Soldaten sein: so wie aber der Feldzug eroeffnet wird, laufen sie
davon oder gehen nach Hause. Es sollte wol ohne viele Muehe einleuchten,
dass dies sich also verhaelt; da Italien aus keiner andern Ursache zu Grunde
gegangen ist, als weil man sich so viele Jahre lang auf Miethstruppen
verlassen hat, welche dann und wann einige Vortheile uebereinander
erhielten und ganz tapfer schienen; sobald aber fremde Heere kamen, zeigte
es sich, wie sie beschaffen waren. Daher konnte Karl der Achte Italien so
geschwind ueberziehen. Wer behauptete, dies geschehe um unsrer Suenden
willen, hatte ganz Recht: aber nicht um derjenigen willen, die darunter
verstanden wurden, sondern wegen derer, die ich angegeben habe. Die
Fuersten hatten die Fehler begangen und mussten dafuer leiden. Ich will die
ungluecklichen Folgen solcher Vertheidigungsanstalten noch besser beweisen.
Die gedungenen Feldherren sind entweder vorzuegliche Kriegshelden oder
nicht. Im ersten Falle kann man sich auf sie nicht verlassen, weil sie
nach eigner Groesse streben, und deshalb darauf denken, entweder denjenigen
selbst, der sie gedungen hat, oder Andre gegen den Willen desselben zu
unterdruecken. Ist der Feldhauptmann kein rechter Krieger, so geht
derjenige gemeiniglich zu Grunde, der ihn gedungen hat. Will man hierauf
antworten, dass es einerlei sei, ob derjenige, der die Kriegsmacht anfuehrt,
gedungen ist oder nicht, dass er in einem Falle handeln werde, wie im
andern, so erwidre ich, dass ein jeder Fuerst selbst ins Feld gehen und sein
eigner General sein muesse; Republiken aber Einen ihrer Mitbuerger an die
Spitze des Heeres stellen muessen, denselben zurueckrufen, wenn er sich
nicht hinlaenglich geschickt beweiset, und wenn er der Sache gewachsen ist,
ihn im Zaume der Gesetze halten. Die Erfahrung beweist es, dass Fuersten und
Republiken durch eigne Truppen allein Fortschritte machen, und dass
Soeldnerheere nur Unglueck anrichten. Eine Republik, welche sich mit eignen
Waffen vertheidigt, wird nicht so leicht von einem ihrer Mitbuerger
unterjocht, als wenn sie ein gedungenes Heer haelt. Rom und Sparta sind
viele Jahrhunderte lang bewaffnet und frei gewesen. Die Schweizer sind
hoechst kriegerisch und frei. Von Miethstruppen aber gibt Carthago ein
Beispiel, welches nach dem ersten Kriege mit den Roemern von ihnen
unterdrueckt ward, obgleich die Carthaginienser eigne Buerger zu Generalen
bestellt hatten. Philipp von Macedonien ward von den Thebanern nach dem
Tode des Epaminondas zum Feldherrn erwaehlt und nahm ihnen dafuer die
Freiheit, sobald er einen Sieg erfochten hatte. Die Mailaender besoldeten
nach dem Tode des Herzogs Filippo (Visconti) den Franz Sforza, um gegen
die Venezianer Krieg zu fuehren. Sobald derselbe sie aber bei Caravaggio
ueberwunden hatte, verband er sich mit ihnen gegen seine Dienstherren, die
Mailaender. Sein Vater Sforza war im Dienste der Koenigin Johanna von
Neapel, und liess diese mit einem Male ganz ohne Vertheidigungsmittel, so
dass sie sich dem Koenige von Arragonien in die Arme werfen musste, um ihr
Reich nicht zu verlieren. Wenn Venedig und Florenz sich durch solche
Waffen vergroessert haben, und die Anfuehrer derselben sich nicht zu Herren
haben aufwerfen koennen, so antworte ich auf diesen Einwurf, dass Florenz
viel Glueck gehabt hat, indem von den tapfern Generalen, die ihm furchtbar
wurden, einige im Kriege nicht gluecklich gewesen sind, andre Widerstand
von andrer Seite her gefunden, endlich noch andre ihre ehrgeizigen
Absichten auf andre Orte gerichtet haben; z. B. hat Giovanni Acuto(16)
nicht gesiegt; daher nicht offenbar geworden, wie weit ihm zu trauen
gewesen waere, wenn er gesiegt haette. Jeder aber muss eingestehen, dass er in
diesem Falle mit Florenz machen konnte, was er wollte. Franz Sforza hatte
bestaendig den Braccio und seine Leute sich gegenueber: einer hielt den
andern zurueck. Francesco richtete seine Absichten auf die Lombardei,
Braccio auf den Kirchenstaat und Neapel. Wir wollen die neusten Zeiten
betrachten. Die Florentiner haben den Paolo Vitelli zu ihrem Feldherrn
erwaehlt: einen tapfern Mann, der im Privatstande den groessten Ruhm
erworben. Wenn derselbe Pisa erobert haette, so ist gar nicht zu laeugnen,
dass er mit Florenz schalten konnte, wie er wollte; denn wenn er zu ihren
Feinden ueberging, konnten sie nichts machen: und wenn er es mit ihnen
ferner hielt, so mussten sie ihm gehorchen. Betrachtet man die Fortschritte
der Venezianer, so wird man finden, dass diese sicher und gluecklich waren,
so lange sie sich dazu ihrer eignen Kraefte bedienten: das ist, bis sie
ihre Unternehmungen auf dem festen Lande anfingen; denn bis dahin hatten
sie tapfer mittelst ihres eignen Adels und Volkes Krieg gefuehrt. So wie
sie aber anfingen auf dem festen Lande Krieg zu fuehren, machten sie es wie
die uebrigen Italiener. Im Anfange ihrer Eroberungen brauchten sie ihre
Generale nicht sonderlich zu fuerchten, weil ihr Staat noch nicht sehr gross
war, und sie dafuer desto groesseres Ansehen genossen. Als sie aber
ansehnliche Fortschritte zu machen anfingen, welches unter dem Carmignuola
geschah, merkten sie, dass sie auf falschem Wege waren. Sie sahen, wie
gefaehrlich seine Tapferkeit ihnen zu werden drohte, und sobald sie unter
seiner Anfuehrung den Herzog von Mailand geschlagen hatten und sahen, dass
er nunmehr erkaltete, sie also keine weiteren Vortheile durch ihn zu
hoffen haetten, ihn aber nicht entlassen konnten noch wollten, um das
Erlangte nicht zu verlieren, so sahen sie sich genoethigt, ihn zu ihrer
eignen Sicherheit ums Leben bringen zu lassen. Sie haben hierauf den
Bartolomeo von Bergamo, Ruberto von San Severino, den Grafen von
Pitigliano und andre Generale gedungen, bei denen sie nur zu fuerchten
hatten, dass sie geschlagen wuerden, aber nichts von ihren Fortschritten
besorgen durften: so wie es denn auch zu Vaila ging, wo sie in einer
Schlacht Alles verloren, was sie in achthundert Jahren mit so vieler Muehe
errungen hatten. Denn solches Kriegssystem bringt langsame und geringe
Fortschritte, und ploetzlichen erstaunlichen Verlust mit sich. Da ich auf
diese italienischen Beispiele gekommen bin, in welchem Lande Alles seit
vielen Jahren mittelst gedungener Krieger ausgerichtet wird, so will ich
darin noch etwas hoeher hinauf gehen, um den Ursprung und die Fortschritte
des Uebels zu zeigen, damit man ihm desto besser begegnen moege. Da in den
neuern Zeiten das kaiserliche Ansehn in Italien fiel, und das weltliche
Ansehn des Papstes dagegen zunahm, war dieses Land in verschiedene Staaten
zertheilt. Mehrere der grossen Staedte ergriffen die Waffen gegen die
Herren, welche sie unter Beguenstigung des Kaisers in der Unterdrueckung
hielten; der paepstliche Stuhl aber unterstuetzte jene, um sich weltliches
Ansehn zu verschaffen. In manchen andern erhoben sich Buerger zur
fuerstlichen Wuerde. Italien gerieth mithin gewissermassen in die Haende des
heiligen Stuhls und einiger Republiken: Beide aber, Priester und Buerger,
waren nicht an die Waffen gewoehnt, und fingen an Truppen zu miethen. Der
Erste, der eine solche Miliz zu Ehren brachte, war Alberigo da Como
Romagnuolo. Aus seiner Schule gingen unter Andern Braccio und Sforza
hervor, die zu ihrer Zeit ueber Italien walteten. Auf sie folgten alle
Andern, die bis zu unsern Zeiten die italienischen Heere befehligt haben.
Das Ende ihrer Heldenthaten aber ist gewesen, dass Italien von Karl dem
Achten ueberrannt, von Ludwig dem Zwoelften ausgepluendert, von Ferdinand von
Arragonien bezwungen und von den Schweizern geschaendet worden. Jene
Anfuehrer von Miethstruppen fingen damit an, das Fussvolk um seine Ehre zu
bringen, um selbst zu groesserem Ansehn zu gelangen. Dieses thaten sie, weil
sie selbst ohne Laender und auf persoenliche Mittel beschraenkt, mittelst
weniger Fussvoelker kein grosses Ansehn erhalten, zahlreiche aber nicht
ernaehren konnten. Sie beschraenkten sich also auf Reiterei, wo sie denn
mittelst einer geringern Zahl Unterhalt und Ehre zu gewinnen vermochten.
Die Sache war dahin gekommen, dass in einem Heere von 20,000 Mann kaum 2000
Mann zu Fuss waren. Ausserdem wandten sie Alles an, um sich und ihren Leuten
Muehseligkeiten und Gefahr zu ersparen, indem sie in den Schlachten
einander nicht toedteten, sondern ohne Verwundung gefangen nahmen. Sie
machten des Nachts keine Angriffe auf die Festungen, keine Ausfaelle aus
denselben, sie befestigten ihre Lager nicht und hielten das Feld nicht im
Winter. Alles das war ihrer Kriegsordnung gemaess, und wie ich schon gesagt
habe, ausgedacht, um Muehseligkeit und Gefahr abzuwenden. Italien ist
darueber aber voellig in Sklaverei und Schande gerathen.




                          13. Von Hilfstruppen.


Die zweite Art unnuetzer Kriegsmacht sind die Hilfstruppen: naemlich, wenn
ein Maechtigerer angerufen wird, dich mit seinen Waffen zu unterstuetzen und
zu vertheidigen, so wie neuerlich Papst Julius, nach der traurigen
Erfahrung mit gedungener Mannschaft, die er bei Ferrara gemacht hatte, den
Koenig Ferdinand von Arragonien anrief, dass er ihm mit seiner Armee zu
Hilfe kommen moechte. Ein solches Heer kann wol fuer denjenigen, dem es
angehoert, etwas Nuetzliches ausrichten; aber dem, der es herbeiruft, ist es
allemal nachtheilig: denn wird es geschlagen, so bist du ueberwunden; und
siegt es, so bist du selbst ihr Gefangener. Die alte Geschichte ist auch
von solchen Beispielen voll: ich will aber bei dem vom Papst Julius stehen
bleiben, welches noch ganz neu ist. Dieser haette keinen schlechtern
Entschluss fassen koennen, als sich einem Fremden in die Arme zu werfen, um
Ferrara zu erlangen. Zu seinem Gluecke kam ein Drittes dazwischen, so dass
ihn die Folgen dieses Fehlers nicht trafen. Da naemlich seine Verbuendeten
bei Ravenna geschlagen wurden, und die Schweizer aufstanden, welche gegen
alle Erwartung die Sieger vertrieben, so fiel er weder in die Haende seiner
Feinde, die eben geschlagen waren, noch seiner Freunde, weil Andere als
sie den Sieg davongetragen hatten. Die Florentiner hatten selbst gar keine
Armee, und fuehrten zehntausend Franzosen vor Pisa, um es zu erobern:
woraus fuer sie selbst groessere Gefahr entstand, als worin sie sich jemals
befunden hatten. Der Kaiser von Konstantinopel sandte zehntausend Tuerken
nach Griechenland, um es gegen seine Nachbarn zu schuetzen. Nach beendigtem
Kriege weigerten sie sich aber, es zu verlassen, und dies war der Anfang
der Unterjochung von Griechenland durch die Unglaeubigen. Wer sich selbst
in die Lage setzen will, auf keine Weise den Sieg davontragen zu koennen,
der bediene sich solcher Hilfstruppen. Mit ihnen ist der Untergang zum
Voraus ganz zubereitet, denn sie sind unter einander einig, und im
Gehorsame eines Andern. Gedungene Mannschaft hat doch, wenn sie schon
gesiegt hat, noch etwas Zeit noethig, und es muessen besondere Gelegenheiten
entstehen: weil sie nicht ein eignes Corps ausmacht, von dir
zusammengebracht und bezahlt ist, ein Dritter aber, den du ihnen zum
Oberhaupte gibst, nicht augenblicklich so viel Ansehn erhaelt, dir schaden
zu koennen. Kurz, das Gefaehrlichste ist bei Miethstruppen ihre Feigheit;
bei Hilfstruppen ihre Tapferkeit. Jeder nur etwas kluge Fuerst hat immer
vermieden, sich solcher Mannschaft zu bedienen, und hat lieber mit eigner
ueberwunden werden, als mit fremder siegen wollen; da er den Sieg, den er
durch fremde errungen, nicht fuer wahren Gewinn halten konnte. Ich trage
kein Bedenken, den Caesar Borgia und seine Handlungen zum Beispiele
anzufuehren. Dieser Heerfuehrer fiel mit franzoesischen Soldaten in Romagna
ein und eroberte mit ihnen Imola und Furli. Weil er diese Armee aber nicht
sicher achtete, so wandte er sich zu Miethstruppen, die er fuer weniger
gefaehrlich hielt, und nahm die Orsini und Vitelli in Sold. Da er auch
diese bei der weitern Verhandlung unsicher, untreu und gefaehrlich fand, so
loeste er sie ebenfalls auf und wandte sich zu eignen Leuten. Den
Unterschied zwischen beiden Arten der Kriegsmacht kann man leicht
einsehen, wenn man nur mit einander vergleicht, wie der Herzog angesehen
ward, so lange er die Orsini und Vitelli hatte, und wie viel er gewann,
sobald er mit eigner Mannschaft dastand. Zu grosser Achtung gelangte er
erst, als Jedermann sah, dass er voellig Herr ueber sein ganzes Heer war. Ich
verlasse die neue italienische Geschichte ungern: doch kann ich nicht
umhin, den Hiero von Syracus zu nennen, dessen ich schon oben gedacht
habe. Die Syracusaner hatten ihn, wie ich bereits erwaehnt, zu ihrem
Heerfuehrer erwaehlt. Er sah sogleich ein, dass ihm die Miethstruppen nichts
nuetzen konnten, weil sie gleich wie unsre italienischen von eignen
Anfuehrern gedungen waren; da er sie nun weder behalten noch gehen lassen
durfte, so liess er sie insgesammt in Stuecke hauen und fuehrte darauf den
Krieg blos mit eigner Mannschaft, ohne fremde Hilfe. Noch will ich an eine
Begebenheit aus dem alten Testamente erinnern, die hier recht passend ist.
Da sich David dem Saul anbot, den Philister Goliath auf seine Ausforderung
zu bekaempfen, so gab ihm Saul seine Waffen, um ihm Muth zu machen. So wie
David sie aber angethan hatte, so weigerte er sich und sagte, damit koenne
er sich auf sich selbst nicht verlassen, er wolle mit seinen eigenen
Waffen kaempfen, und griff zu Schleuder und Messer. Kurz, fremde Waffen
fallen ab, oder erdruecken durch ihre Last, oder erdrosseln dich selbst.
Karl der Siebente, Vater Ludwig des Elften, erkannte, nachdem er
Frankreich von den Englaendern befreit hatte, die Nothwendigkeit eigner
Waffen, und errichtete in seinem Lande die Gensd'armes und das Fussvolk.
Sein Sohn Ludwig fing darauf an, das Fussvolk zu entlassen und statt dessen
Schweizer zu besolden. Dieser Fehler nebst einigen andern, die bald
nachfolgten, ward Ursache der grossen Gefahr, in welche sein Reich gerieth.
Denn er verschaffte dadurch den Schweizern grossen Ruf, und machte seine
eigne Macht veraechtlich, da er das Fussvolk aufloeste und die Gensd'armes
daran gewoehnte, gemeinschaftlich mit Schweizern zu fechten, so dass sie
ohne diese nichts mehr auszurichten vermochten. Daher kommt es, dass
Franzosen gegen Schweizer nichts vermoegen, und ohne Schweizer gegen Andre
ebenfalls nichts ausrichten koennen. Die franzoesischen Heere sind also
vermischt, halb gedungene, halb eigne Mannschaft. Das Alles zusammen ist
viel besser, als blos gedungene, oder blosse Hilfstruppen: aber doch viel
schlechter, als blos eigne. Das angefuehrte Beispiel ist hinreichend, denn
das franzoesische Reich wuerde unueberwindlich sein, wenn Karls Ordnung
aufrecht erhalten und weiter ausgedehnt waere: aber so machen es die
Menschen. Sie fangen ohne viele Ueberlegung eine Sache an, die einigen
guten Anschein hat, und achten nicht auf das verborgene Gift, so wie ich
oben von der Schwindsucht gesagt habe. Der Fuerst, der das Uebel erst
alsdann erkennt, wenn es schon da ist, kann nicht fuer weise gehalten
werden, was ja Wenigen gegeben ist. Wenn man dem Untergange des roemischen
Reiches nachspuert, so findet man den Anfang in der Massregel, die Gothen zu
besolden; denn damit liess die Staerke des roemischen Reiches nach, und alle
Kraefte, die dieses verlor, gingen auf jene ueber. Ich schliesse also, dass
keine Herrschaft fest steht ohne eigne Waffen; denn wer keine Kraft hat,
die ihn bei widrigen Schicksalen schuetzt, haengt blos vom Gluecke ab. Es ist
immer die Meinung weiser Maenner gewesen, dass nichts so schwach und
unbestaendig sei, als der Ruf grosser Macht, der nicht auf eignen Kraeften
beruht. Eigne Waffen aber sind solche, die von Unterthanen oder Buergern
gefuehrt werden, auch selbstgeschaffene Heere. Alles Andere sind gedungene
oder Hilfstruppen. Die beste Art, eigne Mannschaft anzuordnen, ist leicht
auszufinden, wenn die oben von mir angegebenen Anordnungen erwogen werden,
und wenn man erwaegt, wie Philipp, Alexanders des Grossen Vater, und viele
andere Fuersten und Republiken es gemacht haben.




           14. Was der Fuerst im Kriegswesen zu beobachten hat.


Ein Fuerst soll also nichts Anderes zu seinem Augenmerk nehmen, auf nichts
Anderes denken, und zu seiner eignen Beschaeftigung erwaehlen, als das
Kriegswesen und die Einrichtung desselben; denn dies ist die einzige eigne
Sache dessen, der befehlen will, und vermag so viel, dass sie nicht allein
geborne Fuersten erhaelt, sondern auch manche Privatpersonen zur Herrschaft
erhebt. Und im Gegentheil haben manche Fuersten die Herrschaft verloren,
sobald sie die Wollueste dem Kriegshandwerke vorzogen. Die erste Ursache,
die Herrschaft zu verlieren, ist es, wenn man den Krieg verachtet: das
Mittel, sie zu erwerben, ist die Erfahrenheit in der Kriegskunst.
Francesco Sforza ward durch seine Geschicklichkeit in derselben Herzog von
Mailand; seine Soehne fielen durch ihre Abneigung gegen die Muehseligkeiten
des Kriegs von der herzoglichen Wuerde wieder zurueck in den Privatstand.
Unter andern Uebeln, die die Abneigung gegen den Krieg mit sich fuehrt, ist
dies, dass sie Verachtung erregt: und dieses ist etwas, wofuer sich der
Fuerst am allermeisten hueten muss, wie weiter unten mit Mehrerem gezeigt
werden wird. Denn zwischen einem Bewaffneten und einem Unbewaffneten ist
gar kein Verhaeltniss. Es ist unvernuenftig zu erwarten, dass der Bewaffnete
dem Unbewaffneten gehorchen werde, und dass der Unbewaffnete unter seinen
bewaffneten Dienern sicher sein solle. Auf einer Seite Verachtung, auf der
andern Argwohn: das kann zusammen unmoeglich gut gehen. Ein Fuerst, der den
Krieg nicht versteht, ist ausser andern Uebeln, wie gesagt, auch noch
diesem unterworfen, dass er auf die Achtung seiner Leute keinen Anspruch
machen und ihnen nicht trauen kann. Er darf daher dieses Kriegshandwerk
niemals vernachlaessigen, und muss es im Frieden noch mehr ueben, als im
Kriege selbst; welches auf zweierlei Art geschehen kann: durch Thaetigkeit
und durch Nachdenken. Was das Erste betrifft, so muss er seine Mannschaft
immer in guter Ordnung und in Uebung halten; selbst aber seinen Koerper
durch die Jagd abhaerten, welche ihm ausserdem Gelegenheit gibt, die
verschiedene Beschaffenheit der Gegenden zu beobachten: zu lernen, wie die
Berge sich erheben und die Ebenen laufen, wie Fluesse und Seen beschaffen
sind, und dies Alles auf das Genaueste zu bemerken. Diese Kenntniss hat
zweierlei Nutzen. Erstens lernt er sein eignes Land besser kennen, und die
Mittel es zu vertheidigen. Zweitens erlangt er durch diese praktische
Kenntniss die Fertigkeit, unbekannte Gegenden zu erforschen, an denen ihm
gelegen ist; denn die Huegel, Berge, Thaeler, Fluesse und Seen, z. B. in
Toscana, haben einige Aehnlichkeiten mit denen in andern Laendern, so dass
man durch die Bekanntschaft mit jenen auch diese leichter kennen lernt.
Der Fuerst, dem diese Geschicklichkeit fehlt, ermangelt eines
Haupterfordernisses des Feldherrn; denn hierdurch lernt man den Feind
aufsuchen, Lager auswaehlen, Armeen fuehren, Schlachten anordnen und mit
Vortheil Belagerungen anfangen. Unter andern Lobspruechen, welche die
Schriftsteller dem achaeischen Feldherrn Philopoemen ertheilen, ist auch
dieser begriffen, dass er im Frieden immer an den Krieg dachte, und wenn er
sich mit seinen Freunden im freien Felde befand, oft mit ihnen
Betrachtungen darueber anstellte, wer im Vortheile sein wuerde, wenn der
Feind auf jenem Huegel staende, und wir hier mit unserm Heere waeren? Wie er
alsdann mit Beibehaltung der Schlachtordnung sicher anzugreifen sei? Was
muesste geschehen, wenn wir uns zurueckziehen wollten? Was haetten wir zu
thun, um ihn zu verfolgen, wenn er sich zurueckzoege? Auf Spaziergaengen
legte er ihnen alle Faelle vor, die bei einem Heereszuge vorkommen koennen,
hoerte ihre Meinung, sagte ihnen die seinige und unterstuetzte diese mit
Gruenden: so dass nach so vielen Betrachtungen fast kein Zufall im Felde
sich ereignen konnte, der nicht zum Voraus erwogen waere. Was die Bildung
des Geistes anlangt, so muss der Fuerst die Geschichte lesen und die
Handlungen ausgezeichneter Maenner betrachten; erwaegen, wie sie sich im
Kriege benommen haben, die Ursachen ihrer Siege und Niederlagen
erforschen, um diese zu vermeiden, jene nachzuahmen; und vor allen Dingen
es so zu machen suchen, wie irgend ein grosser Mann, den er sich zum Muster
vorgestellt hat, vor ihm gehandelt; so wie man sagt, dass Alexander der
Grosse den Achilles, Caesar den Alexander, Scipio den Cyrus zum Vorbilde
gewaehlt habe. Wer Xenophons Leben des Cyrus gelesen hat, wird im Leben des
Scipio erkennen, wie viel Ruhm diesem die Nachahmung gebracht, und wie
sehr Scipio sich bemueht hat, in der Enthaltsamkeit, Leutseligkeit,
Menschlichkeit und Freigebigkeit das zu erreichen, was Xenophon vom Cyrus
meldet. Auf solche Art muss ein weiser Fuerst die Musse benutzen; nicht aber
im Frieden muessig gehen, sondern sich durch Anstrengung einen Schatz
sammeln, den er im Ungluecke gebrauchen koenne, damit das Glueck, wenn es
sich wendet, ihn vorbereitet finde, seinen Schlaegen zu widerstehen.




             15. Wodurch die Fuersten Lob und Tadel erwerben.


Es eruebrigt noch die Untersuchung, wie der Fuerst sich gegen seine
Untergebenen und gegen seine Freunde benehmen muesse. Und da dieses schon
von Manchen abgehandelt worden, so besorge ich, es werde mir zum
Uebermuthe angerechnet werden, dass ich ebenfalls von der Sache rede,
insbesondere da ich von meinen Vorgaengern abweiche. Da aber meine Absicht
darauf gerichtet ist, etwas fuer den, der es versteht, Nuetzliches zu
schreiben, so scheint es mir schicklicher, die Wahrheit so darzustellen,
wie sich dieselbe in der Wirklichkeit findet, als den Einbildungen jener
zu folgen: (denn manche Schriftsteller haben Republiken und Fuerstenthuemer
erdacht, dergleichen niemals gesehen worden, oder in der Wahrheit
gegruendet gewesen sind) weil ein so grosser Unterschied vorhanden ist unter
dem, was da geschieht, und dem, was geschehen sollte; dass derjenige, der
das Erste vernachlaessigt und sich nur nach dem Letzten richtet, seinen
Untergang eher als seine Erhaltung bereitet. Jemand, der es darauf anlegt,
in allen Dingen moralisch gut zu handeln, muss unter einem Haufen, der sich
daran nicht kehrt, zu Grunde gehen. Daher muss ein Fuerst, der sich
behaupten will, sich auch darauf verstehen, nach Gelegenheit schlecht zu
handeln, und dies thun oder lassen, so wie es die Nothwendigkeit
erfordert. Mit Hintansetzung alles dessen, was ueber erdichtete Fuersten
vorgebracht worden, und um bei der Wahrheit zu bleiben, sage ich, dass
allen Menschen, von denen geredet wird, und vorzueglich den Fuersten, die so
viel hoeher stehen als andre, gewisse Eigenschaften beigelegt werden, die
mit Lob oder Tadel verbunden sind. Einer gilt fuer freigebig, der andere
fuer filzig,(17) einer liebt zu geben, der andre zu rauben; einer ist
grausam, der andre mitleidig; einer treulos, der andre zuverlaessig; einer
weibisch und feig, der andre muthig und wild; einer menschenfreundlich,
der andre uebermuethig; einer wolluestig, der andre keusch und zuechtig; einer
aufrichtig, der andre listig; einer hartherzig, der andre nachgibig; einer
ernsthaft, der andre leichtsinnig; einer religioes, der andre unglaeubig und
so weiter. Ich weiss wohl, dass Jedermann eingestehen wird, es sei
wuenschenswerth die Fuersten moechten von allen obbenannten Eigenschaften die
lobenswerten besitzen: da aber die Beschaffenheit der menschlichen Natur
nicht verstattet, dies zu erwarten, und alle jene Vorschriften zu
befolgen, so ist es nothwendig, klug genug zu sein, um den uebeln Ruf
solcher Laster zu vermeiden, ueber welche die Herrschaft verloren gehen
koennte; vor den Fehlern aber, welche solche Folgen nicht haben, muss man
sich zwar hueten, wenn es moeglich ist; allenfalls aber kann man sich sogar
ohne viele Vorsicht darin gehen lassen. Endlich muss man sich nicht so
aengstlich vor dem boesen Rufe solcher Untugenden hueten, ohne welche man
schwerlich die Herrschaft behauptet; denn wenn man die Sachen genau
betrachtet, so gibt es anscheinende Tugenden, bei denen man zu Grunde
geht; und anscheinende Fehler, auf denen die Sicherheit und Fortdauer des
Wohlbefindens beruht.




                 16. Von der Freigebigkeit und dem Geize.


Ich fange mit der ersten unter den obgedachten Eigenschaften an, und
behaupte, dass es gut ist, fuer freigebig zu gelten. Hingegen wird die
Freigebigkeit, die du so ausuebst, dass du nicht dafuer giltst, schaedlich
sein. Denn wird sie nur recht tuechtig ausgeuebt, und wie es recht ist, aber
nicht recht bekannt, so vermeidet man damit nicht einmal den ueblen Ruf des
Gegentheils. Um den Namen eines Freigebigen unter den Menschen zu
behaupten, muss man alle Art von Aufwand machen. Damit verzehrt ein Fuerst
Alles, was er hat, und wird zuletzt genoethigt, um den Namen des
Freigebigen aufrecht zu halten, seine Unterthanen mit Auslagen zu
beschweren, und alle Wege einzuschlagen, um Geld zu bekommen. Das macht
ihn bei seinen Unterthanen verhasst, und sobald er in Geldnoth geraeth, wird
er veraechtlich. Seine Freigebigkeit hat Wenige bereichert, seine
Verschwendung aber drueckt Viele, und er kommt darueber bei der ersten
Verlegenheit in Gefahr. Sieht er dies ein und will zurueckziehen, so kommt
er in den boesen Ruf der Filzigkeit. Da der Fuerst also nicht auf solche Art
freigebig sein darf, dass es in die Augen falle und bekannt werde, so muss
er den Ruf des Geizes nicht fuerchten. Mit der Zeit wird er schon wieder
fuer freigebig gelten, wenn man sieht, dass bei seiner Sparsamkeit die
gewoehnlichen Einkuenfte zureichen; dass er die Kosten eines Krieges, womit
er etwa ueberzogen wird, bestreiten kann, ohne die Unterthanen zu
beschweren, so dass er am Ende freigebig gegen den grossen Haufen ist, dem
er das Seinige laesst, und geizig nur gegen die Wenigen, die nichts von ihm
erhalten. Wir haben zu unsern Zeiten gesehen, dass nur diejenigen grosse
Dinge andichteten, die fuer geizig galten; die Andern aber zu Grunde
gingen. Papst Julius der Zweite hatte den Namen der Freigebigkeit durch
das Betragen erworben, wodurch er sich auf den paepstlichen Stuhl schwang:
nachdem er ihn bestiegen hatte, dachte er nicht mehr daran, um sich
vielmehr nur zum Kriege gegen Frankreich vorzubereiten. Er hat auch
wirklich so viele Kriege gefuehrt, ohne ausserordentliche Auflagen zu
machen. Seine lange Sparsamkeit schaffte Rath zu allen ungewoehnlichen
Ausgaben. Wenn der jetzige Koenig von Spanien (Ferdinand der Katholische)
fuer freigebig haette gelten wollen, so haette er nicht so viele
Unternehmungen ausfuehren koennen. Ein Fuerst, der solche Wirthschaft fuehrt,
dass er nicht noethig hat seine Unterthanen auszupluendern, um sich zu
vertheidigen, dass er nicht zu besorgen hat, arm und verachtet zu werden,
dass er nicht in Gefahr geraeth, aus Noth habsuechtig zu werden, darf nicht
fuerchten fuer geizig zu gelten: denn das ist eine Untugend, auf der die
Sicherheit seiner Herrschaft beruht. Und wenn Jemand sagen sollte, dass
Caesar durch seine Freigebigkeit zur Herrschaft gelangt sei, und dass viele
Andre durch diesen Ruf sich sehr hoch geschwungen haben, so antworte ich
Folgendes: entweder du bist schon gemachter Fuerst, oder auf dem Wege es zu
werden. Im ersten Falle ist die Freigebigkeit nachtheilig, im zweiten ist
es zwar noethig, fuer freigebig zu gelten, und von der Art war Caesar, der
die Herrschaft von Rom zu erlangen strebte: haette er aber laenger gelebt,
ohne diese Weise zu handeln abzulegen, so haette er seine Herrschaft selbst
zerstoert. Auf die Antwort, dass viele freigebige Fuersten mittelst ihrer
Kriegsheere grosse Dinge ausgerichtet haben, erwidere ich: der Fuerst
vergeudet entweder das Seinige und das Gut seiner Unterthanen, oder
fremdes. Im ersten Falle sollte er sparsam sein; im zweiten muss er auf
alle Weise den Namen der Freigebigkeit suchen; denn der Fuerst, der mit
einem Heere auszieht, welches vom Raube, Pluenderung, Brandschatzung lebt,
und fremdes Gut an sich bringt, muss wol freigebig sein: sonst faende er
keine Soldaten, die mit ihm ausziehen. Wenn du nicht dein eignes oder
deiner Unterthanen Gut vergeudest, so magst du wol freigebig sein, wie
Cyrus, Caesar und Alexander: fremdes Gut durchbringen, macht keinen
schlechten Namen, sondern das Gegentheil. Nur die Verschwendung des eignen
schadet. Keine Sache verzehrt sich selbst, so wie die Freigebigkeit. Indem
du sie uebst, verlierst du die Kraft dazu, und wirst entweder arm oder
niedertraechtig, oder um der Armuth zu entgehen, raeuberisch und dadurch
verhasst. Unter allen Dingen, die ein Fuerst vermeiden muss, steht oben an,
verachtet und verhasst zu sein, und die Freigebigkeit fuehrt zu Beidem. Es
ist daher weiser, sich als geizig verschreien zu lassen, was freilich
einen schlechten Namen macht, jedoch ohne Hass zu erzeugen, als um des
Rufes der Freigebigkeit willen als raeuberisch beruechtigt und dabei verhasst
zu werden.




                    17. Von der Grausamkeit und Milde.


Ich gehe weiter zu den uebrigen oben benannten Tugenden und sage, dass jeder
Fuerst suchen muesse, fuer mitleidig gehalten zu werden, jedoch aber so, dass
er diese Tugend nicht uebel anwende. Caesar Borgia galt fuer grausam. Diese
Grausamkeit hatte die Provinz Romagna zusammen gehalten, in Einigkeit, in
Frieden und in treuer Unterwuerfigkeit. Erwaegt man es genau, so wird man
finden, dass dies viel menschlicher war, als das Betragen der Florentiner,
die zugaben, dass Pistoja zerstoert ward, um nicht fuer grausam zu gelten.
Ein Fuerst muss daher den Ruf der Grausamkeit nicht scheuen, um seine
Unterthanen in Gehorsam und Einigkeit zu erhalten. Es ist mehr
Gelindigkeit darin, wenige Strafen zu verfuegen, als durch unzeitige
Nachsicht Unordnungen zu veranlassen, welche Mord und Raub erzeugen, die
ganze Gemeinwesen treffen, wohingegen die Straferkenntnisse der Fuersten
nur Einzelne druecken. Unter allen Fuersten kann der neue am wenigsten den
Namen der Grausamkeit vermeiden, weil seine Lage voll Gefahren ist, und
daher Virgil der Dido zur Entschuldigung ihrer strengen Regierung
Folgendes in den Mund legt:

  _"Res dura et regni novitas me talia cogunt_
  _Moliri, et late fines custode tueri."_

Dennoch muss er nicht leicht glauben und sich in Bewegung setzen; sich auch
nicht von selbst fuerchten, sondern mit Klugheit und Menschenfreundlichkeit
maessig verfahren, so dass ihn weder zu vieles Zutrauen unvorsichtig, noch zu
vieles Misstrauen unertraeglich mache. Hieraus entsteht eine Streitfrage, ob
es besser sei, geliebt oder gefuerchtet zu werden. Ich antworte, dass beides
gut ist; da aber schwer ist, beides mit einander zu verbinden, so ist es
viel sichrer, gefuerchtet zu werden, als geliebt, wenn ja eines von beiden
fehlen soll. Denn man kann im Allgemeinen von den Menschen sagen, dass sie
undankbar, wankelmuethig, verstellt, feig in der Gefahr, begierig auf
Gewinn sind: so lange du ihnen wohlthust, sind sie dir ganz ergeben,
wollen Gut und Blut fuer dich lassen, ihr eignes Leben aufopfern, das Leben
ihrer Kinder (wie ich schon gesagt habe), so lange die Gefahr entfernt
ist; kommt sie aber naeher, so empoeren sie sich. Der Fuerst, der sich auf
ihre Worte verlassen und keine andren Zuruestungen gemacht hat, geht zu
Grunde: denn die erkauften Freundschaften, so da nicht durch Groesse des
Geistes und Edelmuth erworben sind, haben zwar guten Grund, halten aber
doch nicht vor, wenn es Noth thut. Die Menschen machen sich weniger
daraus, den zu beleidigen, der sich beliebt macht, als den, der gefuerchtet
wird; denn die Zuneigung der Menschen beruhet auf einem Bande der
Dankbarkeit, das wegen der schlechten Beschaffenheit der menschlichen
Natur abreisst, sobald der Eigennutz damit in Streit geraeth: die Furcht
aber vor Zuechtigung laesst niemals nach. Doch muss der Fuerst sich auf solche
Art fuerchten machen, dass er nicht verhasst werde; denn es kann recht gut
mit einander bestehen, gefuerchtet zu sein und nicht gehasst. Hierzu ist
vornehmlich erforderlich, dass er sich der Eingriffe in das Vermoegen seiner
Buerger und Unterthanen, und ihrer Weiber enthalte. Ist es ja nothwendig,
einem das Leben zu nehmen, so geschehe es so, dass die gerechte Ursache am
Tage liege. Vor allen Dingen aber enthalte er sich, das Vermoegen der
Unterthanen anzutasten, denn die Menschen verschmerzen allenfalls noch
eher den Tod des Vaters, als den Verlust des Vermoegens. Auch fehlt es
niemals an Veranlassungen, das Vermoegen zu nehmen. Wer einmal anfaengt so
zu pluendern, findet immer Ursachen, den Naechsten ebenfalls anzugreifen:
die Veranlassungen zum Blutvergiessen sind seltner, und es fehlt leichter
daran. Hat der Fuerst aber ein grosses Heer beisammen, so darf er den Ruf
der Grausamkeit nicht fuerchten; denn ein Kriegsheer kann ohne das nicht
wohl beisammen und in Gehorsam erhalten werden. Unter die
bewunderungswuerdigen Thaten des Hannibal wird vorzueglich gezaehlt, dass er
ein grosses, aus unendlicher Mannichfaltigkeit von Menschengeschlechtern
zusammengesetztes Heer in fremde Laender gefuehrt, ohne dass jemals ein
Aufstand oder Zwistigkeit unter ihnen entstanden waere, und zwar so wenig
im Ungluecke als im Gluecke. Dies kann nur von seiner unmenschlichen
Grausamkeit herruehren, die ihn in Verbindung mit seinen unendlichen grossen
Eigenschaften ehrwuerdig und furchtbar machte, was ja durch die uebrigen
allein nicht geschehen waere. Unueberlegte Schriftsteller bewundern seine
Handlungen und tadeln auf der andern Seite die Ursachen derselben. Dass dem
wirklich also gewesen, beweist das Beispiel des Scipio, der ein in seinen
und in allen Zeiten so seltnes Beispiel aller Tugenden gab, und dessen
Kriegsheer in Spanien dennoch rebellirte; was keine andre Ursache gehabt
hat, als seine Milde, die den Soldaten mehr Freiheit zugestand, als mit
der militaerischen Zucht vereinbar ist. Fabius Maximus warf ihm dies im
Senate vor und nannte ihn deswegen den Verderber der roemischen
Kriegszucht. Als einer seiner Unterbefehlshaber die Locrenser vernichtete,
machte er diesem keinen Vorwurf darueber, und strafte ihn nicht: auch
dieses ruehrte von seiner allzunachsichtigen Gemuethsart her. So dass Jemand
im Senate ihn damit entschuldigte, es gebe Menschen, die besser wuessten,
selbst nie zu fehlen, als die Fehler Andrer zu bestrafen. Diese
Gemuethsbeschaffenheit wuerde am Ende den Ruhm des Scipio befleckt haben,
wenn er haette fortfahren sollen, den Befehlshaber zu machen. Da er aber
unter der Regierung eines Senates lebte, so verschwand der Fehler nicht
nur, sondern gereichte ihm noch zum Ruhme. Ich komme zum Beschlusse auf
meine Behauptung zurueck und fasse sie also: da die Liebe der Menschen von
ihrer Neigung, ihre Furcht aber vom Betragen des Fuersten abhaengt, so muss
der weise Fuerst es nicht auf die Neigungen Andrer ankommen lassen, sondern
auf das achten, was von ihm abhaengt; nur muss er vermeiden, sich verhasst zu
machen.




             18. In wie fern ein Fuerst sein Wort halten muss.


Jedermann weiss, wie lobenswuerdig es ist, wenn ein Fuerst sein Wort haelt und
rechtschaffen lebt, nicht mit List. Dennoch sieht man aus der Erfahrung
unsrer Tage, dass diejenigen Fuersten, welche sich aus Treu und Glauben
wenig gemacht haben, und mit List die Gemuether der Menschen zu bethoeren
verstanden, grosse Dinge ausgerichtet, und am Ende diejenigen, welche
redlich handelten, ueberwunden haben. Wisset also, dass es zwei Arten gibt,
zu kaempfen: eine durch die Gesetze, die andre durch Gewalt - das Erste ist
die Sitte der Menschen; das Zweite die Weise der Thiere. Oft aber reicht
das Erste nicht zu, und so muss zu der zweiten Manier gegriffen werden.
Einem Fuersten ist daher noethig, den Menschen und das reissende Thier
spielen zu koennen. Diese Lehre wird von den Alten dadurch angedeutet, dass
sie berichten, wie Achilles und viele andre Helden vom Centauren Chiron
aufgezogen und unterwiesen worden. Einen solchen Lehrer haben, halb
Mensch, halb Thier, heisst nichts Anderes, als dass ein Fuerst beide Naturen,
die menschliche und die thierische, gut zu gebrauchen wissen soll, weil
eine ohne die andre nicht lange besteht.(18) Weil es denn nothwendig ist,
dass der Fuerst sich darauf verstehe, die Bestie zu spielen, so muss er
Beides davon nehmen, den Fuchs und den Loewen; denn der Loewe entgeht den
Schlingen nicht, und der Fuchs kann sich gegen den Wolf nicht wehren. Die
Fuchsgestalt ist also noethig, um die Schlingen kennen zu lernen, und die
Loewenmaske, um die Woelfe zu verjagen. Diejenigen, welche sich allein
darauf legen, den Loewen zu spielen, verstehen es nicht. Ein kluger Fuerst
kann und darf daher sein Wort nicht halten, wenn die Beobachtung desselben
sich gegen ihn selbst kehren wuerde, und die Ursachen, die ihn bewogen
haben es zu geben, aufhoeren. Wenn die Menschen insgesammt gut waeren, so
wuerde dieser Rath nichts werth sein. Da sie aber nicht viel taugen und ihr
Wort gegen dich nicht halten, so hast du es ihnen auch nicht zu halten:
und einem Fuersten kann es nie an Vorwand fehlen, es zu beschoenigen, wenn
er es bricht. Hiervon koennte man viele neue Beispiele anfuehren und zeigen,
wie viele Friedensschluesse, wie viele Versprechungen durch die Untreue der
Fuersten vereitelt sind, und dass derjenige, der den Fuchs am besten zu
spielen gewusst hat, auch am weitesten kommt. Aber es ist nothwendig, sich
darauf zu verstehen, wie diese Eigenschaft beschoenigt wird, stark in der
Kunst zu sein, sich zu verstecken und zu verlarven. Die Menschen sind so
einfaeltig und haengen so sehr von dem Drucke des Augenblicks ab, dass
derjenige, der sie hintergehen will, allemal Jemand findet, der sich
betruegen laesst. Ein einziges neues Beispiel will ich anfuehren. Papst
Alexander der Sechste that gar nichts Anderes als betruegen, dachte an
nichts Anderes und fand immer Leute, die sich anfuehren liessen. Niemals hat
Jemand eine groessere Fertigkeit gehabt, zu versichern und mit grossen
Schwueren zu betheuern, und weniger zu halten. Dennoch gelangen ihm seine
Anschlaege, Hinterlisten nach Wunsch, weil er die Welt von dieser Seite gut
kannte. Ein Fuerst muss also nicht die vorhin beschriebenen Tugenden haben,
wol aber das Ansehn davon. Ich wage es zu behaupten, dass es sehr
nachtheilig ist, stets redlich zu sein: aber fromm, treu, menschlich,
gottesfuerchtig, redlich zu scheinen ist sehr nuetzlich. Man muss sein Gemueth
so bilden, dass man, wenn es nothwendig ist, auch das Gegentheil davon
vorbringen koenne. Ein Fuerst, und absonderlich ein neuer Fuerst, kann nicht
immer alles das beobachten, was bei andern Menschen fuer gut gilt; er muss
oft, um seinen Platz zu behaupten, Treue, Menschenliebe, Menschlichkeit
und Religion verletzen. Er muss also ein Gemueth besitzen, das geschickt
ist, sich so, wie es die Winde und abwechselnden Gluecksfaelle fordern, zu
wenden, und zwar nicht eben den geraden Weg allemal verlassen, so oft es
Gelegenheit dazu gibt; wol aber den krummen Weg betreten, wenn es sein
muss. Ein Fuerst muss sich daher wohl hueten, dass nie ein Wort aus seinem
Munde gehe, das nicht von obgedachten fuenf Tugenden zeugt. Alles, was von
ihm herkommt, muss Mitleid, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit, Froemmigkeit
athmen. Nichts aber ist nothwendiger, als der Schein der letztgenannten
Tugend. Denn die Menschen urtheilen im Ganzen mehr nach den Augen, als
nach dem Gefuehle. Die Augen hat Jeder offen; Wenige haben richtiges
Gefuehl. Jeder sieht, was du zu sein scheinst; Wenige merken, wie du
beschaffen bist, und diese Wenigen wagen es nicht, der Stimme des grossen
Haufens zu widersprechen, dem der Glanz grosser Wuerde immer fuer einen Grund
der Bewunderung gilt. Bei den Handlungen der Menschen, absonderlich der
Fuersten, welche keinen Gerichtshof ueber sich anerkennen, wird immer auf
den Endzweck gesehen. Der Fuerst suche also nur sein Leben und seine Gewalt
zu sichern: die Mittel werden immer fuer ehrenvoll gelten und von Jedermann
gelobt werden, denn der grosse Haufe haelt es stets mit dem Scheine und mit
dem Ausgange. Die ganze Welt ist voll von Poebel, und die wenigen Kluegern
kommen nur zu Worte, wenn es dem grossen Haufen, der in sich selbst keine
Kraft hat, an einer Stuetze fehlt. Ein Fuerst unsrer Zeit, den ich besser
nicht nenne,(19) predigt nichts als Frieden und Treue, und waere doch um
seine Herrschaft gekommen, wenn er sie selbst beobachtet haette.




                19. Verachtung und Hass sind zu vermeiden.


Nachdem ich von den wichtigsten der aufgezaehlten Eigenschaften ausfuehrlich
gehandelt, so will ich die uebrigen hier in die allgemeine Lehre
zusammenfassen, dass der Fuerst (so wie zum Theil im Einzelnen schon gesagt
ist) Alles vermeiden muss, was ihn gehaessig oder veraechtlich machen kann;
und so oft er dies vermeidet, wird er das Seinige gethan haben, und alle
uebrige ueble Nachrede kann ihm keine Gefahr bringen. Verhasst macht ihn vor
allem Andern (wie bereits erwaehnt worden), wenn er raeuberisch ist, und das
Vermoegen und die Weiber seiner Unterthanen angreift, deren er sich
enthalten sollte. So lange der Menschen Vermoegen und Ehre nicht angetastet
wird, so lange leben sie zufrieden, und es ist nur der Ehrgeiz einiger
Wenigen zu bekaempfen, welche auf mancherlei Art leicht im Zaume zu halten
sind. Veraechtlich wird derjenige, der fuer wankelmuethig, leichtsinnig,
weibisch, kleinmuethig, unentschlossen gilt: dieses muss ein Fuerst
vermeiden, wie eine Klippe; und sich bemuehen, in seinen Handlungen eine
gewisse Groesse, Muth, Ernst und Staerke zu zeigen. In allen Verhandlungen
mit den Unterthanen muss er von sich die Meinung zu erregen suchen, dass
seine Entschluesse unwiderruflich seien: und sich in solcher Achtung
erhalten, dass Niemand es wage, ihn zu hintergehen oder zu bestricken. Der
Fuerst, der in diesem Ansehn steht, hat Ruf genug, und gegen ihn wird
schwerlich eine Verschwoerung angezettelt. Es greift ihn nicht leicht
Jemand an, sobald man weiss, dass er grosse Eigenschaften hat und von den
Seinigen geachtet wird. Ein Fuerst hat nur zwei Dinge zu fuerchten: eines im
Innern von den Unterthanen; das andre von Aussen von fremden Maechten. Gegen
diese wehrt man sich mit guter Kriegsmacht, und wer die hat, dem kann es
nie an Freunden fehlen: im Innern wird er stets Ruhe erhalten, so lange
von Aussen Alles sicher ist, es waere denn, dass eine Verschwoerung entstaende;
und wird er von Aussen angegriffen, hat aber Alles angeordnet und so
gehandelt, wie ich gesagt habe, so wird er, bleibt er sich selbst nur
getreu, alle Anfaelle abwehren, so wie Nabis der Spartaner. Aber von den
Unterthanen ist auch bei aeusserer Ruhe eine Verschwoerung zu fuerchten, gegen
welche der Fuerst sich sichert, wenn er Hass und Verachtung vermeidet und
das Volk zufrieden stellt. Dies ist aber nothwendig, wie gezeigt worden.
Eines der kraeftigsten Mittel gegen Verschwoerungen ist es, allgemeinen Hass
und Verachtung des Volks zu vermeiden; denn wer Verschwoerungen anzettelt,
glaubt immer, durch den Tod des Fuersten das Volk zufrieden zu stellen. Wer
hingegen weiss, dass er dieses dadurch beleidigen wird, wagt es nicht,
solche Dinge zu unternehmen: denn die Schwierigkeiten sind unendlich auf
Seiten der Verschwornen. Die Erfahrung zeigt, dass viele Verschwoerungen
gemacht, wenige aber gelungen sind; denn wer sie unternimmt, kann allein
nichts ausrichten; Hilfe kann er nur bei denen suchen, die er fuer
unzufrieden haelt. Sobald du aber einem Missvergnuegten deine Absichten
entdeckt hast, so gibst du ihm das Mittel, seine eignen Wuensche zu
befriedigen, denn er mag von der Verraetherei des Anschlags allen Vortheil
hoffen. Wenn er sichern Gewinn von dieser Seite sieht, und von der andern
Ungewissheit und Gefahr, so muss er eine seltne Treue der Freundschaft gegen
seinen Mitgenossen, oder eingewurzelten Hass gegen den Fuersten haben, wenn
er dir Wort halten soll. Kurz, auf Seiten der Verschwornen ist nichts als
Furcht, Eifersucht, Argwohn, welche Alles laehmen; auf Seiten des Fuersten
ist das Ansehn der fuerstlichen Wuerde, die Gesetze, Schutz der Freunde und
der oeffentlichen Gewalt, so dass, wenn hier noch die Zuneigung des Volks
hinzukommt, es unmoeglich ist, dass Jemand so tollkuehn sei, eine
Verschwoerung anzufangen. Gewoehnlich haben die Verschwornen vor der
Ausfuehrung ihres Anschlags Uebles zu fuerchten: nach derselben muessen sie
auch noch alsdann, wenn Alles gelingt, das Volk fuerchten, und es bleibt
ihnen daher keine Zuflucht. Ich koennte unzaehlige Beispiele davon anfuehren;
es ist aber mit Einem genug, welches sich zur Gedenkzeit unsrer Vaeter
ereignet hat. Annibal Bentivoglio, Fuerst von Bologna und Grossvater des
jetztlebenden Herrn Annibal, ward von der Partei der Canni in einer
Verschwoerung ums Leben gebracht. Er hinterliess ein einziges Kind in den
Windeln, den Giovanni. Gleich nach dem Morde stand das Volk auf und
brachte die ganze Partei der Verschwornen um. Das war die Wirkung der
Zuneigung des Volks von Bologna gegen die Familie Bentivoglio, welche
damals so gross war, dass die Bologneser, in Ermangelung eines Andern von
der Familie, der nach Annibals Tode den Staat haette regieren koennen, nach
Florenz kamen, wo ein Sproessling des Hauses Bentivoglio sich aufhielt, der
aber fuer den Sohn eines Schmieds galt, um diesem die Regierung zu
uebertragen, die er auch wirklich gefuehrt hat, bis Herr Giovanni das
hinreichende Alter erreicht hatte.(20) Ich schliesse also, dass ein Fuerst
Verschwoerungen wenig zu fuerchten hat, so lange ihm das Volk gewogen ist.
Wenn er demselben aber verhasst ist, so muss er Alles und jeden Menschen
fuerchten. Wohlgeordnete Staaten und weise Fuersten haben daher immer mit
der groessten Sorgfalt zu vermeiden gesucht, dass die Grossen nicht in
Verzweigung fallen, das Volk aber zufrieden bleibe; denn dieses ist eine
der wichtigsten Sorgen des Regenten. Unter den wohlgeordneten und
regierten Reichen unsrer Zeit ist Frankreich zu nennen, wo sich unzaehlige
gute Anstalten finden, von denen die Sicherheit und Freiheit des Koenigs
abhaengt. Unter diesen ist die erste das Parlament und sein Ansehn. Wer
dieses gegruendet hat, kannte den Uebermuth der Grossen und ihre
Dreistigkeit: er sah die Nothwendigkeit, ihnen einen Zaum anzulegen. Auf
der andern Seite kannte er den Hass des Volks gegen die Grossen, der von der
Furcht herruehrt. Um dasselbe sicher zu stellen, dem Koenige aber die ueblen
Folgen abzunehmen, die von den Grossen zu besorgen waren, wenn er das Volk
beguenstigte, und von dem Volke, sobald er die Grossen beguenstigte, so
ordnete er einen dritten Richter an, der ohne Beschwerde des Koenigs die
Grossen niederhalten und das Volk schuetzen konnte. Es liess sich keine
bessere Ordnung fuer die Sicherheit des Reichs und des Koenigs ausdenken.
Hieraus ist noch eine Lehre zu ziehen: dass die Fuersten alle harten
Massregeln durch Andre ausfuehren lassen, Gnadensachen aber fuer sich selbst
behalten muessen. Ferner schliesse ich, dass ein Fuerst den Grossen mit Achtung
begegnen solle, jedoch ohne das Volk zum Hasse zu reizen. Es mag
vielleicht Manchem scheinen, dass das Beispiel der roemischen Kaiser diesem
widerspreche, da doch mehrere, die vortrefflich regiert und vorzuegliche
Kraft des Geistes gezeigt hatten, durch Verschwoerungen den Thron oder gar
das Leben verloren haben. Diesem Einwurfe zu begegnen, will ich den
Charakter einiger Imperatoren durchgehen, und die Ursachen ihres Falles
anzeigen, welche demjenigen nicht widersprechen, was ich oben gesagt habe.
Dabei werde ich zum Theil erinnern, was dem, der die Geschichte jener Zeit
liest, bemerkenswerth sein muss. Es ist fuer mich hinreichend, die
Imperatoren, welche vom Marcus Antoninus an bis auf Maximinus regiert
haben, durchzugehen. Marcus, sein Sohn Commodus, Pertinax, Julianus,
Severus, Antoninus Caracalla, Sohn des Vorigen, Macrinus, Heliogabalus,
Alexander und Maximinus. Zuerst ist zu bemerken, dass, wenn in andern
Reichen nur der Ehrgeiz der Grossen und die Zuegellosigkeit des Volks zu
bekaempfen ist, die roemischen Imperatoren noch eine dritte Schwierigkeit
vor sich fanden, welche in der Habsucht und der Wildheit der Kriegsmacht
bestand. Diese Sache hat solche Schwierigkeit, dass sie Ursache des
Unterganges einiger Kaiser wurde; weil es schwer ist, die Soldaten
zufrieden zu stellen und das Volk zugleich mit: denn das Volk wuenscht Ruhe
und liebt deswegen die Fuersten von gemaessigter Denkungsart: die Soldaten
aber lieben kriegerische, uebermuethige, grausame, raubsuechtige Fuersten. Sie
verlangten Personen von solcher Gemuethsart zu Imperatoren, um doppelten
Sold zu erhalten und ihren Geiz und grausame Gemuethsart zu befriedigen.
Daher mussten alle Imperatoren, die nicht von Natur oder durch ihre
Bestrebungen sich ein Ansehn zu verschaffen wussten, welches Alles Jene im
Zaume zu halten vermochte, zu Grunde gehen. Die meisten von ihnen,
insbesondere die aus dem Privatstande waren, bemuehten sich, wenn sie diese
Schwierigkeiten fuehlten, nur die Soldaten zufrieden zu stellen, und
achteten wenig auf die Bedrueckung des Volks. Dies war nothwendig. Denn
wenn Fuersten es nicht vermeiden koennen, den Hass des einen oder andern
Theils auf sich zu laden, so muessen sie doch alle Sorgfalt anwenden, dass
es nicht von beiden zugleich geschehe. Ist es einmal unvermeidlich, von
einer Partei gehasst zu werden, so sei es doch wenigstens nicht von der
maechtigsten. Die Imperatoren, welche zur neuen Herrschaft aufstiegen, und
desfalls ausserordentlicher Gunst bedurften, machten sich daher lieber
einen Anhang unter den Soldaten als im Volke, welches ihnen aber doch nur
in so fern etwas nuetzte, als sie ihr Ansehn bei den Letztern zu erhalten
vermochten. Aus diesen Ursachen nahmen diejenigen, welche von milder
Gemuethsart, Gerechtigkeit liebend, der Grausamkeit abgeneigt,
menschenfreundlich und leutselig waren, naemlich Marcus, Pertinax und
Alexander, den einzigen Marcus ausgenommen, ein gewaltsames Ende. Marcus
allein lebte und starb geehrt, weil er durch Erbrecht den Thron bestiegen
hatte, und ihn weder den Soldaten noch dem Volke verdankte. Ausserdem war
er durch so viele Tugenden ehrwuerdig, wusste beide Staende waehrend seiner
ganzen Regierung in ihren Grenzen zu halten und machte sich nie verhasst
oder veraechtlich. Pertinax aber ward gegen den Willen der Soldaten
gewaehlt, welche unter dem Commodus an Zuegellosigkeit gewoehnt, das
ordentliche Leben, welches Pertinax einfuehren wollte, unertraeglich fanden.
Dies erzeugte Hass. Dazu kam Geringschaetzung wegen seines Alters, und so
ging er, gleich nachdem er die Regierung angetreten, zu Grunde. Es ist
bemerkenswerth dass Hass durch gute Handlungen sowol als durch schlechte
erregt werden kann. Ein Fuerst, der sich auf dem Throne erhalten will, darf
daher oft, wie ich bereits gesagt habe, nicht gut handeln, denn wenn die
Masse seines Volks oder Kriegsheers, oder die Grossen seines Reiches, deren
er bedarf, um sich zu halten, verdorben sind, so muss er wol ihrem Sinne
folgen und sie zufrieden stellen, wozu die rechtschaffenste Handlungen oft
schaedlich sind. Auf den Alexander zu kommen: dieser war so guetig gesinnt,
dass man unter anderm Lobe, das ihm ertheilt wird, bemerkt, er habe in
einer vierzehnjaehrigen Regierung keinen Menschen, ohne dass er verurtheilt
worden, toedten lassen. Dennoch fiel er in Geringschaetzung, weil er fuer
weibisch galt, und es hiess, er liesse sich von seiner Mutter regieren. Es
entstand eine Verschwoerung der Soldaten gegen ihn, durch welche er um das
Leben kam. Nunmehr wollen wir die entgegengesetzten Charaktere des
Commodus, Severus, Antoninus Caracalla und Maximinus betrachten. Wir
finden sie hoechst raubsuechtig und grausam. Um die Soldaten zu befriedigen,
enthielten sie sich keiner Art von Misshandlung des Volks. Dennoch kamen
sie, mit alleiniger Ausnahme des Severus, gewaltsamer Weise ums Leben.
Severus hatte ein so tapferes Gemueth, dass er die Herrschaft dadurch
gluecklich zu behaupten vermochte, dass er die Soldaten zu Freunden behielt,
obwol er das Volk sehr drueckte: denn seine grossen Eigenschaften machten
ihn den Soldaten und dem Volke so ehrwuerdig, dass dieses erstaunt und
demuethig, jene aber voll Verehrung und befriedigt waren. Da die Handlungen
dieses zur Herrschaft emporgestiegenen Regenten ganz ausgezeichnet gewesen
sind, so will ich kurz zeigen, wie er den Fuchs und den Loewen zu spielen
verstand, was ich vom Fuersten verlangt habe. Da Severus die Feigheit des
Kaisers Julianus erkannte, ueberredete er das Heer, welchem er in Slavonien
vorgesetzt war, nach Rom zu gehen, um den Tod des Pertinax zu raechen, den
die Leibwache getoedtet hatte. Unter diesem Vorwande setzte er sich in
Bewegung, ohne seine Absichten auf den Thron merken zu lassen, und langte
in Italien an, ehe man seine Abreise wusste. Gleich nach seiner Ankunft in
Rom erwaehlte ihn der Senat aus Furcht, und Julianus ward getoedtet. Noch
blieben dem Severus zwei Schwierigkeiten: die eine in Asien, wo Niger sich
hatte ausrufen lassen, die andre im Occidente, wo Albinus nach der Wuerde
des Imperators strebte. Er hielt es fuer gefaehrlich, sich zugleich gegen
Beide zu erklaeren, und beschloss daher, den Niger anzugreifen, den Albinus
aber zu hintergehen. Diesem schrieb er, er sei vom Senate erwaehlt, wolle
die Wuerde mit ihm theilen, gab ihm den Titel Caesar und liess ihn durch den
Senat zu seinem Collegen erwaehlen. Albinus nahm dieses fuer Ernst. Als
Severus aber den Niger besiegt und den Orient beruhigt hatte, kehrte er
nach Rom zurueck und beschwerte sich im Senate ueber den Undank des Albinus,
der ihn verraetherischer Weise nach dem Leben getrachtet habe, und den er
wegen seiner Undankbarkeit zuechtigen muesse. Er suchte ihn hierauf in
Frankreich auf und nahm ihm Wuerde und Leben. Wer diese Geschichte
aufmerksam erwaegt, wird den muthigsten Loewen und den schlauesten Fuchs
erkennen: wird sehen, wie er von Allen gefuerchtet und geehrt ward und beim
Kriegsheere nicht verhasst war. Man darf sich nicht wundern, dass dieser
neue Fuerst die Herrschaft zu behaupten gewusst, da er sich durch seinen
grossen Ruf bestaendig gegen den Hass zu wehren wusste, den seine Neuerungen
beim Volke haetten erzeugen koennen. Sein Sohn Antoninus hatte ebenfalls
ausgezeichnete Eigenschaften, und ward deswegen vom Volke bewundert, bei
den Soldaten aber beliebt, weil er kriegerisch war, alle Strapazen nicht
achtete und koestliche Speisen so wie alle andern Wollueste verachtete,
welches ihm die Zuneigung aller Armeen erwarb. Aber seine Wildheit und
Grausamkeit war so unerhoert, dass er bei verschiednen Gelegenheiten einen
grossen Theil des Volks von Rom und alle Bewohner von Alexandrien toedtete.
Dadurch ward er der ganzen Welt verhasst, und floesste auch denen, die um ihn
waren, Furcht ein, so dass ein Centurio ihn mitten in seiner Armee
umbrachte. Hierbei ist zu bemerken, dass die Fuersten solchen gewaltsamen
Tod durch die Hand eines entschlossenen Mannes gar nicht vermeiden koennen.
Denn es kann Jeder die That vollbringen, der nur sein eignes Leben nicht
achtet. Doch hat der Fuerst sie eben nicht zu fuerchten, weil solche
Handlungen aeusserst selten sind. Er muss sich nur hueten, diejenigen, die um
ihn sind, und deren er sich in Regierungsgeschaeften bedient, nicht
groeblich zu beleidigen, wie Antoninus that, der einen Bruder des Centurio
hatte toedten lassen, und ihm selbst taeglich drohte, trotzdem aber die
Leibwache anvertraute. Das war tollkuehn und musste ein schlechtes Ende
nehmen, wie es auch in Wahrheit geschehen ist. Wir kommen zum Commodus,
der die Herrschaft gar leicht haette behalten koennen, die er als Sohn des
Marcus geerbt hatte. Er durfte nur in die Fusstapfen seines Vaters treten,
so haette er Volk und Soldaten Genuege gethan. Da er aber ein grausames und
thierisches Gemueth hatte, veranlasste er selbst in der Armee allerlei
Complotte, und liess sie zuegellos werden, um seine Raubgier zu befriedigen
und das Volk auszupluendern. Auf der andern Seite behauptete er seine Wuerde
schlecht, indem er oft ins Theater herabstieg, um mit Gladiatoren zu
kaempfen, und andre Dinge vornahm, die der kaiserlichen Wuerde schlecht
anstanden; er ward also bei den Soldaten veraechtlich. Auf einer Seite
gehasst, auf der andern verachtet, fiel er als Opfer einer Verschwoerung.
Endlich vom Maximinus. Dieser war hoechst kriegerisch, und da die Armee
einen Widerwillen gegen das weibische Wesen des Alexander bekommen, von
dem ich oben geredet habe, toedteten sie diesen und waehlten jenen zum
Kaiser, welcher er jedoch nicht lange blieb. Zwei Dinge machten ihn
verhasst und verachtet. Das eine seine niedrige Herkunft, da er in Thracien
das Vieh gehuetet hatte (welches allgemein bekannt war, und ihn in allen
Augen herabsetzte); das andre, dass er im Anfange seiner Herrschaft
verschob, nach Rom zu gehen und Besitz von der kaiserlichen Wuerde zu
nehmen; daneben in ueblen Ruf gerieth, weil er durch seine Statthalter in
Rom und anderen Orten viele Grausamkeiten verueben lassen. Da mithin die
ganze Welt voll Unwillen ueber seine niedrige Herkunft, und andrerseits
voll Hass und Furcht wegen seines wilden Gemueths war, so verschwor sich der
Senat, ganz Rom und endlich ganz Italien gegen ihn. Hierzu kam sein eignes
Heer, welches im Lager vor Aquileja Schwierigkeiten bei der Belagerung
fand, seiner Grausamkeit ueberdruessig ward, und da es sah, dass ihn die
ganze Welt hasste, ihn umbrachte. Ich will weder vom Heliogabalus, noch vom
Macrinus, noch Julianus reden, welche so niedrige Geschoepfe waren, dass sie
sofort zu Grunde gingen: sondern ich komme zum Schlusse und sage, dass die
Fuersten unsrer Zeit sich weniger in jener Verlegenheit befaenden, auf
ausserordentliche Mittel denken zu muessen, um die Soldaten zu befriedigen.
Wenngleich auf diese Ruecksicht genommen werden muss, so hat es doch damit
so viel nicht zu bedeuten; denn die heutigen Fuersten haben keine Heere
beisammen, die mit der Regierung und Verwaltung der Provinzen so verwebt
waeren, als die roemischen. War es damals noethiger, das Kriegsheer zu
befriedigen, als das Volk, weil jenes maechtiger war, als dieses; so ist es
gegenwaertig fuer alle Fuersten (mit Ausnahme der Sultane von Konstantinopel
und Egypten) notwendiger, das Volk zufrieden zu stellen, weil selbiges
heutigen Tages mehr vermag, als die Soldaten. Ich nehme den tuerkischen
Kaiser aus, der ungefaehr zwoelftausend Mann zu Fuss und fuenfzehntausend zu
Pferde haelt, von denen die Sicherheit und Staerke seines Reiches abhaengt,
und die er daher nothwendig ohne alle Ruecksicht auf die andern Unterthanen
zu Freunden behalten muss. Eben so ist es mit dem Sultan von Egypten, der
ganz in den Haenden seiner Soldaten ist, und diese daher zu Freunden
behalten muss, es koste was es wolle. Es ist dabei zu bemerken, dass dieser
Sultan von allen andern Fuersten verschieden ist, und Aehnlichkeit mit dem
Papste hat, der weder Erbfuerst ist, noch fuer einen neuen Fuersten gelten
kann; denn es werden jedesmal nicht die Soehne des verstorbenen Regenten
Erben und Nachfolger, sondern der Fuerst wird von denen gewaehlt, die dazu
befugt sind. Da diese Ordnung der Dinge alt ist, so kann es nicht fuer eine
neue Herrschaft gelten, indem keine von den Schwierigkeiten vorhanden
sind, die ein neuerrichtetes Fuerstentum druecken. Wenngleich der Fuerst aus
dem Privatstande zu der Wuerde erhoben wird, so sind doch die Anordnungen
alt, und Alles ist darauf eingerichtet, ihn als einen Erbfuersten zu
empfangen. Auf meine Behauptung zurueckzukommen, so wird Jeder, der die
obige Erzaehlung erwaegt, einsehen, dass Hass und Verachtung die Ursachen des
Unterganges jener Imperatoren gewesen. Es wird dadurch begreiflich, wie es
zugegangen ist, dass, da einige auf diese, andre auf entgegengesetzte Weise
handelten, dennoch einige von jenen und einige von diesen ein glueckliches,
andre ein unglueckliches Ende genommen. Dem Pertinax und Alexander half es
nichts, dem Marcus nachzuahmen, weil sie sich auf den Thron geschwungen
hatten, dieser aber ein Erbfuerst war; dem Caracalla, Commodus und
Maximinus war es sehr nachtheilig, es so zu machen wie Severus, weil es
ihnen an den erforderlichen Tugenden fehlte, in seine Fusstapfen zu treten.
Ein neuer Fuerst kann dem Marcus nicht nachahmen und braucht nicht dem
Severus zu folgen: sondern er muss vom Severus annehmen, was noethig ist,
seine Herrschaft zu gruenden; vom Marcus aber das, was ruhmwuerdig und
nuetzlich ist, einen bereits festgegruendeten Staat zu erhalten.




20. Ob Festungen und andere Sicherheitsanstalten den Fuersten nuetzlich oder
                             schaedlich sind?


Einige Fuersten haben ihre Unterthanen entwaffnet, um ihre Herrschaft
sicher zu stellen, andre haben es darauf angelegt, dass die Parteien in den
ihnen unterworfenen Staedten fortdauern sollten, andre haben Feindschaften
gegen sich selbst unterhalten, andre haben sich bemueht, diejenigen, welche
ihnen zu Anfang verdaechtig waren, zu gewinnen; einige haben Festungen
erbaut, andre haben sie niedergerissen und zerstoert. Obgleich ueber alle
diese Dinge kein allgemeines Urtheil stattfindet, sondern es auf die
besondern Umstaende des Staates ankommt, in welchem eine Entschliessung zu
fassen ist, so will ich doch im Allgemeinen so viel davon reden, als die
Natur der Sache verstattet. Es ist einem neuen Fuersten niemals zutraeglich
gewesen, seine Unterthanen zu entwaffnen. Vielmehr hat ein solcher sie
allemal mit Nutzen bewaffnet, wenn er sie unbewaffnet fand: denn wenn er
sie bewaffnet, so werden diese Waffen Sein, Verdaechtige werden treu, die
Getreuen koennen sich erhalten, und die Unterthanen werden Anhaenger ihres
Herrn. Da es aber unmoeglich ist, alle Unterthanen zu bewaffnen, so sind
diejenigen, welche dazu ausersehen werden, mit gewissen Vorzuegen
auszuzeichnen: mit den andern aber kann man ganz sicher nach Belieben
verfahren. Diese Verschiedenheit in der Behandlung sichert die Ergebenheit
derer, die hervorgezogen werden; die andern aber entschuldigen das
Verfahren, weil sie die Nothwendigkeit einsehen, diejenigen, welche mehr
Verpflichtung und Gefahr uebernehmen, zu belohnen. Wer hingegen damit
anfaengt, das Volk zu entwaffnen, beleidigt es, und zeigt Misstrauen in
ihren Muth oder ihre Treue: solche Gesinnungen erregen beide Hass. Weil der
Fuerst nicht ganz ohne Kriegsmannschaft sein kann, so muss er zu
Miethstruppen greifen, von deren Beschaffenheit oben gehandelt worden.
Waeren diese aber auch tadellos, so kann man doch ihrer nicht genug
unterhalten, um sich gegen maechtige Feinde und verdaechtige Unterthanen
zugleich zu vertheidigen. Neue Fuersten haben daher allemal, wie ich
bereits gesagt habe, in ihren neuerworbenen Laendern Kriegsmannschaft
eingefuehrt. Die Geschichte ist voll solcher Beispiele. Wenn aber ein Fuerst
ein Land erwirbt, welches als ein neues Glied mit seinen Besitzungen im
alten Staatskoerper vereinigt wird, so ist es nothwendig, diese Provinz zu
entwaffnen, mit alleiniger Ausnahme derjenigen, die sich bei der Eroberung
fuer ihn erklaert haben. Und auch diese ist es rathsam, mit der Zeit und bei
guter Gelegenheit schlaff und weichlich zu machen, und die Sachen so
einzurichten, dass alle Soldaten aus dem alten Lande seien. Unter unsern
Vorfahren pflegten die Weisesten zu sagen, die Herrschaft muesse ueber
Pistoja durch innere Uneinigkeit, ueber Pisa durch Festungswerke behauptet
werden. Sie unterhielten daher in jener untergebenen Stadt die innern
Zwistigkeiten, um sie sichrer zu beherrschen. Dieses mochte zu der Zeit
gut sein, als ein gewisses Gleichgewicht in Italien vorhanden war:
gegenwaertig aber scheint mir der Rathschlag nicht mehr tauglich. Ich
glaube vielmehr, dass aus angestifteten Uneinigkeiten niemals Gutes kommt:
vielmehr muessen Staedte, die innerlich entzweit sind, bei Annaeherung eines
Feindes bald fallen; denn der schwaechste Theil wird sich immer an den
auswaertigen Feind haengen, der andre aber nicht im Stande sein, sich zu
behaupten. Diese Ursachen haben, wie es mir scheint, die Venezianer
bewogen, die Parteien der Guelfen und Ghibellinen in den ihnen
unterworfenen Staedten zu unterhalten. Wenn sie es gleich nicht bis zum
Blutvergiessen kommen liessen, so unterhielten sie doch diese Zwistigkeiten,
damit die Buerger beschaeftigt und abgehalten wuerden, sich gegen sie
aufzulehnen. Dieses schlug aber nicht so aus, als beabsichtigt war; denn
sie waren nicht sobald bei Vaila geschlagen, so fasste eine der Parteien
Muth und stuerzte die venezianische Herrschaft. Aehnliches Verfahren deutet
allemal die Schwaeche des Fuersten an. Unter einer kraeftigen Herrschaft
werden solche Uneinigkeiten nicht gestattet, weil sie nur im Frieden zu
etwas nuetzen koennen, indem sie dienen, die Unterthanen nach Gefallen zu
behandeln; entsteht aber Krieg, so tritt doch zu Tage, wie trueglich eine
solche Art zu regieren ist. Ohne Zweifel dient es zur Groesse eines Fuersten,
Schwierigkeiten und Widerstand zu ueberwinden. Wenn das Schicksal einen
neuen Fuersten, der unstreitig eines guten Rufes mehr bedarf, als ein
Erbfuerst, gross machen will, so erweckt es ihm Feinde und reizt dieselben
zu Unternehmungen gegen ihn, damit er sie zu Schanden mache, und auf der
Leiter, die ihm seine Feinde solchergestalt zutragen, noch hoeher steige.
Es haben daher Einige geurtheilt, dass ein weiser Fuerst, wofern die
Gelegenheit sich darbietet, einige Feinde schlauer Weise anfeuern muesse,
um durch ihre Besiegung groesser zu werden. Die Fuersten, und insbesondere
neue, haben mehr Treue bei denen gefunden, und mehr Nutzen von denen
gezogen, die ihnen im Anfang verdaechtig waren, als bei denen, die sich
gleich anfangs zu ihnen schlugen. Pandolfo Petrucci, Fuerst von Siena,
regierte seinen Staat mehr durch Jene, als durch die Andern. Aber es ist
nicht viel davon zu sagen, weil es allein auf die Umstaende ankommt. Ich
will nur noch dieses Einzige anfuehren, dass diejenigen, welche einer
Herrschaft anfangs feind waren, wofern sie so beschaffen sind, dass sie
sich nicht ohne Unterstuetzung halten koennen, vom Fuersten leicht gewonnen
werden, und genoethigt sind, ihm treuere Dienste zu leisten; da sie
einsehen, dass sie etwas thun muessen, um die nachtheiligen ersten Eindruecke
auszuloeschen. Der Fuerst zieht also von ihnen groessern Nutzen, als von
denen, welche sich in seinem Dienste ganz sicher halten und daher seine
Sache vernachlaessigen. Da der Gegenstand es erfordert, darf ich nicht
verabsaeumen, die Fuersten, die ein Land durch Hilfe ihrer Anhaenger unter
den Einwohnern erobern, zu erinnern, dass sie wohl erwaegen, welche Ursachen
jene bewogen haben, es mit ihnen zu halten. Ist dies nicht aus einer
natuerlichen Zuneigung, sondern blos aus Missvergnuegen mit dem vorigen
Zustande der Dinge geschehen, so wird man sie mit aller Muehe schwerlich zu
Freunden behalten, weil es beinahe unmoeglich ist, sie zufrieden zu
stellen. Wenn man alte und neue Geschichten erwaegt, so wird man finden,
dass es leichter ist, diejenigen zu gewinnen, welche bei dem vorigen
Zustande der Dinge zufrieden, und deswegen dem neuen Herrn feind waren,
als diejenigen, welche unzufrieden waren und diesen deswegen beguenstigten.

Die Fuersten pflegen wol zu ihrer Sicherheit Festungen anzulegen, welche
ihnen als Zaum und Gebiss ihrer Gegner dienen, und bei einem Ueberfalle
eine Zuflucht fuer den ersten Anlauf anbieten. Ich kann diese Weise nicht
missbilligen, da es von Alters her so geschehen. Doch hat Herr Nicolo
Vitelli zu unsrer Zeit zu Citta di Castello zwei Burgen niedergerissen, um
diesen Ort zu behaupten. Guid'Ubaldo, Herzog von Urbino, zerstoerte nach
seiner Rueckkunft in sein Land, aus welchem ihn Caesar Borgia vertrieben
hatte, alle festen Plaetze in demselben, weil er es auf diese Art leichter
zu behaupten dachte. Eben so machten es die Bentivogli nach ihrer Rueckkehr
in Bologna. Festungen sind daher nach Umstaenden nuetzlich oder schaedlich,
und wenn sie auf einer Seite helfen, so schaden sie auf der andern. Dies
beruht auf Folgendem: der Fuerst, der mehr sein eignes Volk als Fremde zu
fuerchten hat, muss Festungen anlegen; wer sich aber mehr vor fremden, als
vor seinen eignen Leuten fuerchtet, unterlasse es. Dem Hause Sforza hat das
Castell von Mailand, welches Francesco Sforza erbaut hat, mehr Schaden
gethan, als irgend ein andrer Umstand. Die beste Festung ist, seinem Volke
nicht verhasst zu sein; denn wen das Volk hasst, dem helfen Festungen nicht,
weil es nie an Fremden fehlt, die dem Volke zu Hilfe kommen, sobald es die
Waffen ergriffen hat. Zu unsern Zeiten hat man kein Beispiel gesehen, wo
sie einem Fuersten Nutzen gebracht haetten, ausser der Graefin von Forli;(21)
welche sich bei einem Volksaufstande nach dem Tode ihres Gemahls, des
Grafen Girolamo, dahinein rettete, bis Hilfe von Mailand kommen konnte und
sie wieder einsetzte: dabei verstatteten die damaligen Umstaende den
Fremden nicht, dem aufruehrerischen Volke zu Hilfe zu kommen. Naechstdem
aber, da Caesar Borgia sie angriff, und das Volk sich mit Fremden gegen sie
verband, diente die Festung zu nichts. Allemal waere es ihr mehr werth
gewesen, von ihrem Volke nicht gehasst zu werden, als Festungen zu haben.
In Erwaegung alles dessen will ich gern denjenigen loben, der Festungen
anlegt, und den, der keine anlegt; tadle aber denjenigen, der sich darauf
verlaesst, und deswegen den Hass des Volkes nicht achtet.(22)




   21. Wie ein Fuerst sich zu betragen hat, um grossen Ruhm zu erwerben.


Nichts erwirbt einem Fuersten so viel Achtung, als grosse Unternehmungen und
glaenzende Handlungen. Zu unsrer Zeit haben wir den Fernando, Koenig von
Arragonien, gegenwaertigen Koenig von Spanien. Derselbe kann gewissermassen
fuer einen neuen Souverain gelten, weil er aus einem schwachen Fuersten,
durch den Ruhm seiner Thaten, zu dem ersten Monarchen der Christenheit
geworden. Wenn man seine Handlungen betrachtet, so findet man in allen
Groesse: einige sind aber ganz ausserordentlich. Zu Anfang seiner Regierung
griff er Granada an; diese Unternehmung ward der Grund seiner Groesse.
Anfangs vollfuehrte er sie ganz gemaechlich und brauchte nicht zu besorgen,
darin gehindert zu werden; beschaeftigte damit die castilischen Barone,
welche dadurch abgehalten wurden, auf Neuerungen zu Hause zu denken, und
erwarb selbst dadurch unvermerkt grosses Ansehn ueber sie und Ruf. Er war
vermoegend, seine Armee mit dem Gelde der Kirche und seines Volks zu
unterhalten, und legte durch diese langen Feldzuege einen guten Grund zu
der Kriegsmacht, welche ihm in der Folge zu so grosser Ehre verhalf.
Ausserdem aber uebte er, um zu groesseren Unternehmungen schreiten zu koennen,
unter bestaendigem Vorwande der Religion eine fromme Haerte aus, durch
Vertreibung der Mauren. Ein schrecklicheres und seltneres Ereigniss gibt es
nicht. Unter gleichem Vorwande fiel er in Afrika ein, versuchte einen
Feldzug in Italien, griff endlich Frankreich an. So beschaeftigte er sich
bestaendig mit grossen Entwuerfen, welche unaufhoerlich seine Unterthanen in
der Erwartung ihres Ausganges und in Bewunderung erhielten. Diese seine
Handlungen entsprangen eine aus der andern, also, dass gar nicht dazwischen
zu kommen, und keine Zeit war, dagegen zu wirken. Ferner ist es einem
Fuersten sehr erspriesslich, in der innern Verwaltung auffallende Dinge zu
thun, so wie vom Herrn Bernhard von Mailand erzaehlt wird, als wenn
Gelegenheit entsteht, irgend Jemanden wegen ausserordentlicher Dinge im
Guten oder im Boesen auf solche Art zu belohnen oder zu bestrafen, dass
davon viel geredet werde. Vor allen Dingen muss ein Fuerst in jeder seiner
Handlungen den Ruf des Grossen und Hervorstechenden suchen. Noch erweckt es
grosse Hochachtung gegen einen Fuersten, wenn er sich als einen ernstlichen
Freund oder Feind beweist: das ist, wenn er ohne alle Bedenklichkeit
entschiedene Partei nimmt; dies bringt stets mehr Ruhm, als neutral zu
bleiben. Denn wenn zwei maechtige Nachbarn in Streit gerathen, so hast du
von dem Sieger etwas zu befuerchten, oder nicht. In beiden Faellen ist es
besser, hervorzutreten und ernstlich Theil zu nehmen: denn im ersten Falle
wird derjenige, der sich nicht blossgeben wollte, allemal eine Beute des
Siegers, zur groessten Zufriedenheit des Ueberwundenen, und es bleibt keine
andre Zuflucht mehr offen. Denn der Ueberwinder verlangt keine
verdaechtigen Freunde, die in der Gefahr nicht beistehen. Der Besiegte
bietet demjenigen keine Zuflucht an, der in den Zeiten des Kampfes sich
geweigert hat, Theil zu nehmen. Antiochus hatte sich von den Aetoliern
bewegen lassen, nach Griechenland zu kommen, um die Roemer zu bekaempfen. Er
schickte Gesandte an die Achaeer, welche Freunde der Roemer waren, um sie zu
bewegen, Zuschauer zu bleiben. Auf der andern Seite redeten ihnen die
Roemer zu, die Waffen fuer sie zu ergreifen. Als dies in der Versammlung der
Achaeer zur Berathung kam, so antwortete der roemische Gesandte dem
Botschafter des Antiochus, der zur Neutralitaet mahnte, Folgendes: "Wenn es
Euch als der beste und nuetzlichste Ausweg empfohlen wird, neutral zu
bleiben, so bedenket, dass Euch nichts Nachtheiligeres angegeben werden
koennte; denn wenn Ihr am Kriege keinen Theil nehmet, so werdet Ihr ohne
Dank und ohne Ehre eine Beute des Siegers werden." Es wird immer so
kommen, dass derjenige, der mit dir nicht gut steht, dich ersuchen wird,
neutral zu bleiben; der Andre aber wird dich bitten, ihn zu schuetzen.
Unentschlossene Fuersten schlagen meistentheils diesen Weg der Neutralitaet
ein und gehen auch meistentheils darueber zu Grunde. Macht aber ein Fuerst
ernstlich gemeine Sache mit einem Theile, und dieser traegt den Sieg davon,
so bleibt er freilich abhaengig von demselben, jedoch sind die Faeden der
Dankbarkeit angeknuepft, und die Menschen sind nicht so verraetherisch, dass
sie die Undankbarkeit bis dahin treiben sollten, ihren Anhaenger sogleich
zu unterdruecken. Auch ist der Sieg selten so vollstaendig, dass der Sieger
nicht allerlei Ruecksichten nehmen muesste und vorzueglich auf die
Gerechtigkeit. Wenn aber der Theil, zu dem du dich geschlagen hast,
unterliegt, so steht er dir doch bei, und du hast einen Freund, mit dessen
Beihilfe du vielleicht wieder emporkommen kannst. Im zweiten Falle, da die
streitenden Parteien einander so gleich sind, dass vom Sieger nichts zu
fuerchten ist, so ist es so viel klueger, Partei zu nehmen, weil sonst Einer
zu Grunde gerichtet wird, dem ein kluger Zuschauer vielmehr beistehen
wuerde; siegt er, so behaeltst du ihn in Haenden, und es ist fast unmoeglich,
dass derjenige, dem du beistehst, nicht den Sieg davontrage. Hier ist noch
bemerkenswerth, dass ein Fuerst sich niemals mit einem Maechtigern verbinden
muss, um ueber einen Dritten herzufallen, ausser im Falle der Noth. Denn wenn
er siegt, so bist du in seiner Gewalt: dies ist aber vor allen Dingen zu
vermeiden. Die Venezianer verbanden sich mit Frankreich gegen den Herzog
von Mailand; dies geschah unnoethiger Weise, und sie gingen darueber zu
Grunde. Wenn es aber unvermeidlich ist, so wie mit den Florentinern der
Fall war, als der Papst und die Spanier die Lombardei ueberzogen, alsdann
muss man freilich wol diesen Entschluss nehmen. Kein Staat glaube jemals mit
Sicherheit auf etwas zaehlen zu koennen, sondern rechne bestaendig auf die
Ungewissheit aller Dinge: denn die Welt ist so beschaffen, dass man allemal
einer Unbequemlichkeit entgeht, in eine andre aber hineingeraeth. Die
Klugheit besteht darin, unter ihnen auszuwaehlen, und die geringste
auszusuchen. Ferner noch muss ein Fuerst Liebe zu ausgezeichneten
Eigenschaften beweisen und vorzuegliche Maenner in jedem Fache ehren. Er muss
seine Buerger anfeuern, dass sie sich ernstlich in ihrem Gewerbe anstrengen,
sei es im Handel oder dem Ackerbau, oder anderm Gewerbe; dass sie nicht
fuerchten, das, was sie erworben, zu geniessen; ihre Besitzungen, aus Furcht
sie zu verlieren, vernachlaessigen; aus Furcht vor neuen Steuern den Handel
liegen lassen. Vielmehr muss er Jeden dazu aufmuntern, und denjenigen, der
der Stadt oder dem Staate auf irgend eine Art foerderlich ist, belohnen.
Sein Volk muss er zu den gehoerigen Zeiten im Jahre mit Festlichkeiten und
Schauspielen beschaeftigen, und da jede Stadt aus Zuenften besteht, diese
ehren, ihren Zusammenkuenften zu schicklichen Zeiten beiwohnen, sich
menschenfreundlich und freigebig beweisen, dabei aber seine Wuerde in allen
Dingen behaupten, welche niemals vernachlaessigt werden darf.




                          22. Von den Ministern.


Die Wahl der Raethe ist keine der geringsten Angelegenheiten eines Fuersten
und faellt gut oder schlecht aus, nachdem er wohl ueberlegt oder nicht. Man
urtheilt zunaechst ueber ihn und ueber seinen Verstand, nachdem die Personen
beschaffen sind, die ihn umgeben. Sind sie der Sache gewachsen und getreu,
so wird er immer fuer einen weisen Mann gelten, weil er sie fuer das
erkannte, was sie waren, und sie treu zu erhalten wusste. Ist das nicht, so
kann man ueber ihn kein guenstiges Urtheil faellen, wenn er in dieser ersten
Angelegenheit Fehler begeht. Wer nur den Antonio von Venafro, den Minister
des Pandolfo Petrucci, Fuersten von Siena kannte, musste diesen fuer einen
Mann von Verstand halten, weil er jenen zu seinem Minister erwaehlte. Es
gibt drei Arten von Koepfen. Die erste sieht Alles von selbst ein; die
zweite begreift es, wenn Andre die Sache darlegen; die dritte sieht nichts
ein, weder von selbst, noch durch die Bemuehungen Andrer. Die ersten sind
die vorzueglichsten, die zweiten sind noch immer vortrefflich, die letzte
Art ist aber zu nichts nuetze. Pandolfo gehoerte nicht zu der ersten, wol
aber zu der zweiten Classe; denn wer nur den Verstand hat, Gutes und
Schlechtes, was Andre sagen und thun, zu unterscheiden, kann, wenn er
schon selbst keinen erfinderischen Geist besitzt, die Handlungsweise
seiner Minister beurtheilen, tuechtige erheben und andre zuechtigen; kein
Minister kann ihn hintergehen, und er erhaelt sich. Minister zu
beurtheilen, dazu ist Folgendes ein untruegliches Mittel. Sieht man, dass
einer mehr an sich als an seinen Herrn denkt, und in allen seinen
Handlungen seinen persoenlichen Vortheil vor Augen hat, der wird nie ein
guter Rathgeber sein, noch kann man ihm trauen. Denn wer einmal die
Angelegenheiten einer Regierung in Haenden hat, muss nicht mehr an sich
denken, sondern an seinen Fuersten, und Alles in Beziehung auf diesen
betrachten. Auf der andern Seite muss der Fuerst wieder an ihn denken, ihm
Ehre und Reichthum zuwenden, ihn sich verbinden, an der Ehre und der
Fuehrung der Geschaefte Theil nehmen lassen, so dass er sehe, er koenne ohne
den Fuersten nicht bestehen, und so viel Auszeichnung habe, dass er nicht
nach hoeherer strebe; des Reichthums so viel, dass er nicht noch mehr
begehre; und in so hohen Aemtern stehe, dass er jede Staatsveraenderung
fuerchten muss. Wenn Minister so beschaffen sind und von den Fuersten so
behandelt werden, dann koennen beide einander trauen; sonst aber wird es
sicher mit dem Einen oder Andern ein schlechtes Ende nehmen.




                     23. Schmeichler sind zu fliehen.


Ein Kapitel von groesster Wichtigkeit kann ich nicht uebergehen, da es einen
Fehler betrifft, den die Fuersten selten vermeiden, wenn sie nicht sehr
viel Verstand haben und nicht gut zu waehlen wissen. Dies behandelt naemlich
die Schmeichler. Es gibt gar kein anderes Mittel, um sich gegen die
Schmeichelei zu sichern, als wenn man zeigt, dass man die Wahrheit hoeren
kann, ohne dadurch beleidigt zu werden: darf aber Jeder dir die Wahrheit
sagen, so verletzt er die Ehrfurcht. Ein kluger Fuerst muss daher einen
dritten Weg einschlagen, gescheidte Leute auswaehlen, diesen allein
erlauben, ihm die Wahrheit zu sagen, aber doch nur ueber die Gegenstaende,
darueber er sie befragt; er muss sie aber ueber Alles befragen, ihre Meinung
hoeren und dann selbst seine Entschliessung fassen. Mit diesen Rathgebern
muss er sich so benehmen, dass Jeder sieht, er werde desto mehr Gehoer
finden, je freimuethiger er spricht. Ausser diesen aber muss er Niemand
hoeren, beschlossene Sachen nicht wieder besprechen und von gefassten
Beschluessen nicht zurueckgehen. Wer es anders macht, wird entweder durch
die Schmeichler ins Verderben gestuerzt, oder wird ueber der
Mannichfaltigkeit der Ansichten, ueber das oeftere Wanken in seinen
Entschluessen veraechtlich. Ich will hiervon ein Beispiel aus der neuesten
Geschichte anfuehren. Pater Luca, ein Vertrauter Kaiser Maximilians, sagte
von diesem, er ziehe Niemanden zu Rathe und handle doch niemals nach
seinem eignen Sinne: welches daher ruehre, dass er das Gegentheil von dem zu
thun pflege, was hier oben angegeben ist; der Kaiser sei naemlich ein
verschlossener Mann, eroeffne Niemandem seine Gedanken und frage Niemanden
um seine Meinung. Aber wenn er anfaengt, seine Entwuerfe ins Werk zu
richten, und sie sich entwickeln, so finden sie auch Widerspruch bei
seinen Umgebungen; und da er selbst von nachgibigem Charakter sei, lasse
er sich leicht davon abbringen. Was er an einem Tage angefangen, vernichte
er am folgenden wieder. Man koenne daher nie daraus klug werden, was er
vorhabe, und koenne auf seine Beschluesse nicht bauen. Ein Fuerst muss sich
also bestaendig berathen: aber das, wenn Er es will, nicht wenn Andre
wollen; er muss Jedem den Muth nehmen, ihm ungefragt Rath zu ertheilen; er
muss aber haeufig fragen und alsdann den freimuethigen Vortrag der Wahrheit
gern hoeren, und vielmehr noch zuernen, wenn Jemand sie ihm aus
Nebenursachen vorenthaelt. Es glauben wol Einige, dass manche Fuersten,
welche den Ruf grosser Klugheit erworben haben, denselben nicht ihrem
eignen Verstande, sondern den guten Rathschlaegen Andrer verdanken; aber
diese irren unstreitig: denn es ist eine ganz allgemeine Regel ohne
Ausnahme, dass ein Fuerst, der selbst keinen Verstand hat, auch nicht guten
Rath annehmen kann, es sei denn, dass er zufaelligerweise ganz und gar von
einem einzigen, und zwar von einem sehr gescheidten Manne regiert wuerde.
In diesem letzten Falle kann er wol gut geleitet werden; es dauert aber
nicht lange: denn ein solcher Rathgeber wird ihn bald selbst stuerzen. Ein
Fuerst, dem es an Weisheit fehlt und der Mehrere befragt, wird nie
uebereinstimmende Rathschlaege erhalten, und sie eben so wenig selbst in
Uebereinstimmung bringen. Jeder seiner Rathgeber wird immer auf seine
eigne Sache denken, und der Fuerst wird sie weder kennen, noch in Ordnung
halten. Rathgeber, die es anders machen, sind nicht zu finden, denn die
Menschen sind ihrer Natur nach schlecht, wenn sie nicht durch Noth
gezwungen werden, gut zu handeln. Mit Einem Worte: Gute Rathschlaege, sie
moegen herruehren von wem sie wollen, muessen von der Klugheit des Fuersten
veranlasst werden. Durch gute Rathschlaege wird kein Fuerst klug gemacht.




      24. Wie die Fuersten Italiens ihre Herrschaften verloren haben.


Wenn alles bisher Ausgefuehrte gut beobachtet wird, so wird ein neuer Fuerst
einem alten gleich und wird geschwind so sicher und fest in seiner
Herrschaft, als wenn er darin aufgewachsen waere. Denn die Handlungen eines
neuen Fuersten werden weit mehr beachtet, als eines Erbfuersten. Erkennt man
darin grosse Vorzuege, so gewinnt dieses die Menschen, und er erwirbt sich
eine groessere Anhaenglichkeit, als ein altes Geschlecht; denn die Menschen
sind viel mehr mit dem Gegenwaertigen, als mit vergangenen Dingen
beschaeftigt; befinden sie sich wohl, so sind sie damit zufrieden und
verlangen nichts Anderes, nehmen auch ernstlich die Partei des Fuersten,
wenn er nur sich selbst nicht im Stiche laesst. Auf diese Art erwirbt er
doppelten Ruhm, indem er eine neue Herrschaft gegruendet, zu Ehren
gebracht, mit guten Gesetzen, tuechtiger Kriegsmacht, Freunden und gutem
Beispiel fuer Andre versehen hat. Dagegen trifft doppelte Schande den
Fuersten, der eine alte Herrschaft durch Unverstand verliert. Wenn man aber
die Geschichte derjenigen italienischen Fuersten betrachtet, welche zu
unsrer Zeit ihre Staaten verloren haben, wie den Koenig von Neapel, den
Herzog von Mailand und Andre; so wird man zuerst einen gemeinsamen Fehler
finden, in den sie hinsichtlich der Kriegsmacht gefallen sind: aus den
oben aus einander gesetzten Ursachen. Ferner wird man finden, dass einer
oder der andere von ihnen das Volk zum Feinde gehabt, oder wenn er das
Volk zum Freunde hatte, sich der Grossen nicht versichern konnte. Ohne
solche Fehler geht keine Herrschaft verloren, welche maechtig genug ist,
ein Heer ins Feld stellen zu koennen. Philipp von Macedonien, nicht der
Vater Alexanders des Grossen, sondern derjenige, welchen Titus Quintius
ueberwand, hatte keinen grossen Staat im Vergleich mit den Roemern und
Griechen, die ihn angriffen; dennoch hielt er es manches Jahr mit ihnen
aus, weil er kriegerischen Geist hatte, das Volk zu behandeln verstand und
sich der Grossen zu versichern wusste. Wenn er auch eine und die andre Stadt
verlor, so behauptete er sich doch in seinem Koenigreiche. Unsre Fuersten,
welche eine lange Jahre hindurch besessene Herrschaft verloren haben,
moegen also nur nicht das Schicksal anklagen, sondern ihre eigne Feigheit;
denn wenn sie in ruhigen Zeiten nie darauf gedacht haben, dass diese sich
aendern koennen - der gewoehnliche Fehler der Menschen, bei gutem Wetter
nicht an den Sturm zu denken - und alsdann, wenn schlimme Umstaende
eintreten, nicht darauf denken, sich zu vertheidigen, sondern entfliehen
und hoffen, dass die Voelker sie aus Ueberdruss der Sieger wieder zurueckrufen
sollen; so ist das ganz gut, wenn gar kein andrer Weg eingeschlagen werden
kann: aber es ist sehr uebel, andre Wege zu vernachlaessigen und diesen
vorzuziehen. Kein Mensch wird je muthwillig fallen, in Hoffnung, dass ein
Andrer ihm wieder aufhelfen werde. Mag das nun wirklich geschehen oder
nicht, so ist es immer hoechst unsicher. Es haengt nicht von uns ab und ist
ein niedriges Mittel. Nur diejenige Vertheidigung ist gut, sicher,
dauerhaft, welche von uns selbst und unsrer eignen Tapferkeit abhaengt.




 25. Welchen Einfluss das Glueck auf die Angelegenheiten der Menschen hat.


Ich weiss wohl, dass Viele ehedem die Meinung gehegt haben und noch jetzt
hegen, die Begebenheiten der Welt wuerden solchergestalt vom Gluecke und von
Gott regiert, dass die Menschen mit aller Klugheit sie nicht verbessern und
nichts dagegen ausrichten koennten. Daraus koenne man abnehmen, dass es nicht
der Muehe werth sei, viel einzufaedeln, sondern dass man sich nur dem
Schicksale hingeben moege. Diese Meinung hat in unsern Tagen durch die
grossen Veraenderungen, die Alles erlitten hat, die man noch taeglich sieht,
und welche alle menschlichen Vermuthungen zu Schanden machen, viel
gewonnen. Indem ich hierueber nachgedacht, bin ich zu Zeiten geneigt
gewesen, mich zu derselben Meinung zu bekennen. Weil aber doch der
menschliche freie Wille damit in Widerspruch steht, so urtheile ich, dass
das Glueck wol die Haelfte aller menschlichen Angelegenheiten beherrschen
mag; aber die andre Haelfte, oder doch beinahe so viel, uns selbst
ueberlassen muesse. Ich vergleiche das Glueck mit einem gefaehrlichen Flusse,
der, wenn er anschwillt, die Ebene ueberschwemmt, Baeume und Gebaeude
umstuerzt, Erdreich hier fortreisst, dort ansetzt. Jedermann flieht davor
und gibt nach; Niemand kann widerstehen. Dennoch koennen die Menschen in
ruhigen Zeiten Vorkehrungen treffen, mit Deichen und Waellen bewirken, dass
der Fluss bei hohem Wasser in einem Canale abfliessen muss, oder doch nicht
so unbaendig ueberstroemt und nicht so viel Schaden thut. In gleicher Art
geht es mit dem Gluecke, welches seine Macht zeigt, wo keine ordentlichen
Gegenanstalten gemacht sind, und sich mit Ungestuem dahin kehrt, wo keine
Waelle und Daemme vorhanden sind, es im Zaume zu halten. Wenn man Italien
betrachtet, welches der Sitz dieser grossen Umwaelzungen gewesen ist, so
wird man ein ebenes Feld finden, ohne Waelle und Daemme. Waere dieses Land
durch hinlaengliche Kriegstugend vertheidigt, so wie Deutschland,
Frankreich und Spanien, so haetten jene Ueberschwemmungen keine solchen
Umwaelzungen hervorgebracht, oder waeren gar nicht eingetreten. So viel im
Allgemeinen vom Widerstande gegen das Schicksal. Nunmehr der Sache naeher
zu treten, sage ich, dass man einen Fuersten heute im Wohlstande, morgen zu
Grunde gehen sieht, ohne dass er seine Natur im Geringsten veraendert habe.
Dies scheint mir zuerst von den Ursachen herzuruehren, die ich oben
ausfuehrlich eroertert habe: naemlich, dass ein Fuerst, der sich ganz auf das
Glueck verlaesst, zu Grunde gehen muss, sobald dieses sich dreht. Ferner
glaube ich, dass es dem gut gehe, der in seiner Handlungsweise mit dem
Geiste der Zeit zusammentrifft, und dass derjenige verungluecken muesse, der
mit den Zeiten in Widerspruch geraeth. Denn man sieht die Menschen ihre
Zwecke, die sich ein jeder vorgesetzt hat, es sei nun solches Ehre und
Ruhm oder Reichthum, auf verschiedene Art verfolgen. Einer mit Vorsicht,
der andre mit Ungestuem; einer mit Gewalt, der andre mit List; einer mit
Geduld, der andre auf entgegengesetzte Art, und jeder kann auf seine Weise
dazu gelangen. Man sieht zwei gleich vorsichtige: einem gelingt es, dem
andern nicht. Ebenfalls gelingt es zwei verschiedenen gleich gut, von
denen der eine vorsichtig, der andre ungestuem zu Werke geht. Dies ruehrt
lediglich von der Verschiedenheit der Umstaende her, welche mit der Art zu
verfahren uebereinstimmen oder nicht. Daher kommt, was ich gesagt habe, dass
zwei entgegengesetzte Verfahrungsarten zu dem gleichen Zwecke fuehren; und
dass von zweien, die auf gleiche Art verfahren, doch einer das Ziel
erreicht, der andre es verfehlt. Eben daher kommen die Abwechselungen des
Gluecks; denn wenn Jemand sich mit Vorsicht und Besonnenheit und Geduld
benimmt, dazu die Umstaende wohl uebereinstimmen, so geht Alles gut von
Statten. Aendern sich Zeiten und Umstaende, so geht er zu Grunde, wenn er
sein Betragen nicht ebenfalls aendert. Es findet sich aber nicht leicht ein
so verstaendiger Mann, nach dem er sich zu richten vermoechte; theils weil
er nicht gegen seine natuerliche Neigung handeln kann; theils weil
derjenige, dem es auf einem gewissen Wege bis dahin gelungen ist, sich
nicht ueberzeugen kann, dass es gut sei, denselben nunmehr zu verlassen. So
geht es dem vorsichtigen Manne. Wenn es Zeit ist, dreist darauf los zu
gehen, so vermag er dies nicht, und muss also zu Grunde gehen. Haette er
seine Gemuethsart mit den Zeiten und Umstaenden geaendert, so haette das
Schicksal sich nicht geaendert. Papst Julius der Zweite ging in allen
Dingen mit Ungestuem zu Werke, und die Zeitumstaende stimmten dazu so gut,
dass er immerfort gluecklich war. Man erwaege nur seine erste Unternehmung
gegen Bologna, als Giovanni Bentivoglio noch lebte. Die Venezianer waren
damit nicht zufrieden: der Koenig von Spanien sowol als der von Frankreich
dachten selbst auf eine solche Unternehmung. Dennoch griff er mit seinem
gewoehnlichen Ungestueme die Sache an, und zwar persoenlich. Dieser kuehne
Schritt hielt Venedig und Spanien zurueck; jenes aus Furcht, dieses durch
die Begierde, das ganze Koenigreich Neapel zu erobern. Auf der andern Seite
zog der Papst den Koenig von Frankreich in sein Interesse, indem der Koenig
sah, dass der Papst einmal zugeschlagen hatte; und da er selbst die
Venezianer zu demuethigen wuenschte, so glaubte er jenen nicht durch
Verweigerung der Hilfstruppen offenbar beleidigen zu duerfen. Julius
brachte also durch seine ungestuemen Bewegungen zu Stande, was niemals ein
andrer Papst durch alle menschliche Klugheit ausgerichtet haette. Haette er
gezaudert, von Rom aufzubrechen, bis Alles gehoerig bestellt und alle
Anstalten vorlaeufig getroffen waeren, so wie andre Paepste es gemacht
hatten, so waere es ihm nicht gelungen. Denn der Koenig von Frankreich haette
tausend Entschuldigungen gefunden, und die Andern haetten ihm tausend
Besorgnisse erregt. Ich uebergehe alle seine andern Handlungen, welche
insgesammt dieser aehnlich sind und alle gelangen. Die Kuerze seines Lebens
hat nicht verstattet, dass er ein feindliches Schicksal erfuhr. Waeren aber
Umstaende eingetreten, die ein vorsichtiges Betragen erheischten, so waere
auch Er zu Grunde gegangen, weil er seinen natuerlichen Charakter in seiner
Handlungsweise nicht wuerde haben verlaeugnen koennen. Ich schliesse also,
dass, da die Gluecksumstaende veraenderlich sind, die Menschen aber bei ihrer
Weise eigensinnig beharren, es diesen nur so lange gut geht, als Beides
mit einander uebereinstimmt; sobald aber Disharmonie darin eintritt, Alles
missgluecken muss. So viel ist indessen wahr, dass allemal besser ist, muthig
darauf los zu gehen, als bedaechtig; denn _das Glueck ist ein Weib, und wer
dasselbe unter sich bringen will, muss es schlagen und stossen_. Es laesst
sich eher von dem, der es so behandelt, unterjochen, als von dem, der
ruhig und kalt zu Werke geht. Deswegen ist es auch als ein aechtes Weib den
jungen Leuten gewogen, weil sie weniger bedaechtig sind, muthiger und
dreister ihm befehlen.(23)




         26. Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien.


Erwaegt man nun alles bisher Vorgetragene und ueberlegt mit mir, ob
augenblicklich wol in Italien die Zeitverhaeltnisse so sind, dass man einen
neuen Fuersten zu Ehren bringen und dass ein tapferer und besonnener Mann
eine neue Verfassung schaffen koennte, die ihm selbst zum Ruhme gereichte
und der Nation Vortheil braechte, so scheinen mir jetzt so viele Umstaende
zusammenzukommen, dass nie ein guenstigerer Zeitpunkt dazu vorhanden war.
Wie gesagt, die Kuenste des Moses konnten sich nicht entwickeln, wenn die
Juden nicht in der Dienstbarkeit Egyptens gewesen waeren; die Groesse des
Cyrus waere nicht erkannt, wenn die Perser nicht von den Medern vorher
unterdrueckt waeren; den Theseus beruehmt zu machen, mussten die Athenienser
zu seiner Zeit zerstreut leben; und so musste auch, damit ein italienischer
hoher Geist sich zeigen koenne, Italien so tief sinken, sklavischer werden,
als die Juden je gewesen sind, unterdrueckter als die Perser, zerstreuter
als die Athenienser, ohne Kopf, ohne Ordnung, geschlagen, ausgepluendert,
zerrissen, ueberrannt, - das italienische Volk musste auf alle Weise zu
Grunde gerichtet sein. Und wenn sich gleich bis daher in Einem oder Anderm
einiger Schein gezeigt hat, als ob er von Gott dazu berufen sei, Italien
zu erloesen, so sind solche doch im Verfolge der Begebenheiten durch das
Schicksal so zurueckgeworfen, dass Italien noch immer wie todt daliegt und
auf den harrt, der es von den erlittenen Schlaegen herstellen, den
Pluenderungen und Verheerungen der Lombardei, dem Aussaugen und
Erpressungen des roemischen Gebietes und Koenigreichs Neapel ein Ende
machen, und die durch die Laenge der Zeit so tief hinein brandig gewordenen
Wunden heilen wird. Seht, wie das Volk zu Gott ruft, er moege Jemand
senden, der es von der Grausamkeit und dem Uebermuthe der Barbaren erloese!
Seht, wie geneigt es ist, der Fahne zu folgen, wenn nur Jemand da waere,
der sie aufpflanzte. Es ist aber jetzt Niemand zu finden, auf den man
hoffen duerfte, ausser in eurem erlauchten Hause, welches durch seine hohen
Eigenschaften und durch seinen Gluecksstern(24) (unter Beguenstigung Gottes
und der Kirche, an deren Spitze euer Geschlecht gegenwaertig steht)
Anfuehrer der Befreiung werden koennte. Dies wird euch nicht schwer werden,
wofern ihr nur die von mir vorgehaltenen Beispiele vor Augen behaltet. Und
obwol diese von seltnen und bewunderungswuerdigen Maennern herruehren, so
waren sie doch auch Menschen: die Gelegenheit aber nie so guenstig als
gegenwaertig; denn ihre Unternehmungen waren weder gerechter noch leichter,
noch auch hat sich Gott ihnen guenstiger bewiesen als euch. Hier ist
gerechte Sache: denn dieser Krieg ist gerecht, nothwendig. Hier sind
fromme Waffen: deswegen hoffet auf nichts Anderes, als auf sie. Alles ist
dazu vorbereitet, und mithin kann es keine grossen Schwierigkeiten haben,
wenn man nur die von mir aufgestellten Beispiele zum Muster nimmt.
Ausserdem sind Zeichen und Wunder geschehen ohne Beispiel, und die von Gott
kommen; das Meer hat sich aufgethan, eine Wolke hat euch den Weg gezeigt,
ein Fels hat Wasser ergossen, Manna ist geregnet: Alles hat sich vereinigt
zu eurer Groesse; das Uebrige muesst ihr selbst thun. Gott thut nicht Alles,
um der Freiheit des menschlichen Willens keinen Eintrag zu thun, und uns
den Theil des Ruhmes zu lassen, der unsre Handlungen angeht. Auch ist es
nicht zu verwundern, wenn keiner von oben gedachten Italienern das hat
leisten koennen, was man von eurem erlauchten Hause hoffen darf, und wenn
es in so vielen Umwaelzungen von Italien und so vielen kriegerischen
Unternehmungen den Anschein gehabt hat, als sei alle kriegerische Tugend
erloschen. Dies beweist nur, dass die alten Anordnungen nichts taugten, und
bisher Niemand neue zu erdenken gewusst hat. Nichts bringt einem neu
aufsteigenden Helden mehr Ehre, als die Erfindung neuer Gesetze und neuer
Anordnungen. Sind diese gut begruendet und ist darin eine gewisse Groesse, so
erwerben sie ihm Verehrung und Bewunderung, und es fehlt in Italien nicht
an Materie zu jeder neuen Gestalt. Kraft genug ist in den Gliedern, wenn
sie nur nicht in den Koepfen gefehlt haette. Die Zweikaempfe und einzelnen
Gefechte unter wenigen Personen beweisen, wie viel Ueberlegenheit die
Italiener in Kraft, Geschicklichkeit und Verstand besitzen. So wie sie
aber in ganzen Heeren zusammen erscheinen, so sieht man nichts mehr davon;
Alles liegt nur an der Schwaeche der Haeupter, denn die es besser wissen,
gehorchen nicht; Jedermann aber will es so gut wissen als der Andre, da
bis jetzt noch Niemand aufgestanden ist, der Ueberlegenheit genug in
Tugend und Glueck gezeigt haette, dass die Andern ihm haetten weichen muessen.
Daher kommt es denn, dass seit zwanzig Jahren kein einziges Heer etwas
ausgerichtet hat, welches aus blossen Italienern bestand. Das beweisen die
Schlachten am Taro, Alexandrien, Capua, Genua, Vaila, Bologna, Mestri.
Wenn also euer erlauchtes Haus das Beispiel derer nachahmen will, die ihr
Vaterland befreit haben, so ist vor allen Dingen noethig (worauf ja jede
Unternehmung beruht), eigne Mannschaft anzuwerben, weil es keine treueren,
aechteren und besseren Soldaten gibt. Wenn gleich jeder Einzelne fuer sich
gut ist, so werden sie zusammengebracht noch besser, sobald sie von ihrem
eigenen Fuersten angefuehrt sind und sich von demselben geehrt und gut
behandelt sehen. Es ist also noethig, sich auf diese Art zu ruesten, um sich
mit italienischer Tapferkeit gegen die Fremden zu vertheidigen. Und
obgleich die schweizerischen und spanischen Fussvoelker fuer furchtbar
gelten, so haben doch beide ihre Fehler, die einem Dritten Gelegenheit zum
Widerstande und Hoffnung geben, sie zu besiegen. Denn die Spanier koennen
den Angriff der Reiterei nicht aushalten, und die Schweizer geben dem
Fussvolke nach, wenn sie auf solches stossen, das eben so hartnaeckig im
Gefechte ist, als sie selbst. Die Erfahrung hat dieses bewiesen; die
Spanier koennen eine franzoesische Reiterei nicht abhalten; die Schweizer
unterliegen spanischem Fussvolke. Von dem letzten haben wir noch keine
vollstaendige Erfahrung: jedoch hat sich ein Probestueckchen davon in der
Schlacht bei Ravenna gezeigt, als die Spanier mit deutschen Truppen
zusammentrafen, welche dieselbe Art zu fechten haben wie die Schweizer.
Die Spanier drangen naemlich durch die Gewandtheit des Koerpers und durch
Hilfe ihrer kleinen Schilder tief auf sie ein, unter ihre Piken, und waren
dabei im Angriffe gedeckt, ohne dass die Deutschen sich gegen sie wehren
konnten. Waere die Reiterei nicht dazu gekommen, so waren sie Alle
verloren. Da man also die Maengel jener Mannschaft zu Fuss erkannt hat, so
kann gegenwaertig eine neue Einrichtung derselben eingefuehrt werden, welche
der Reiterei zu widerstehen vermag und andres Fussvolk nicht zu fuerchten
braucht. Dieses wird nicht durch die Beschaffenheit der Waffen, sondern
durch Stellung und Anordnung der Mannschaft bewirkt werden. Dieses sind
die Erfindungen, welche einen neuen Fuersten gross machen und seinen Ruhm
gruenden. Die gegenwaertige Gelegenheit moege also nicht voruebergehen, damit
Italien endlich nach so langer Zeit seinen Erretter sehe. Ich vermag es
nicht auszudruecken, mit welcher Begierde ihn alle Laender aufnehmen wuerden,
die so viel von den fremden Ueberschwemmungen gelitten haben; mit welchem
Durste nach Rache, welcher unueberwindlichen Treue, welcher frommen Liebe;
wie viel Thraenen fuer ihn fliessen wuerden! Welche Thore wuerden wol ihm
verschlossen werden? Welches Volk koennte es versagen, ihm zu gehorchen?
Wie duerfte der Neid sich gegen ihn regen? Welcher Italiener koennte sich
weigern, ihm zu folgen? Einen Jeden ekelt diese fremde Herrschaft an! So
ergreife denn euer erlauchtes Haus den Entschluss, mit dem guten Muthe und
der Hoffnung, womit gerechte Unternehmungen angefangen werden, damit das
Vaterland unter seinen Fahnen wieder geadelt werde, und die Prophezeiung
des Petrarca eintreffe:

"Die Tugend wird gegen die wilde Wuth in Waffen treten und das Gefecht
bald entschieden sein; denn die alte Tapferkeit ist in der Brust der
Italiener auch heute noch nicht erstorben!"





                              ERLAeUTERUNGEN.




                                    1.


Charakteristisch fuer den Standpunkt des Verfassers sind sogleich die
ersten Worte. Ein heutiges politisches Handbuch wuerde etwa beginnen: "Die
Verfassungen der Voelker im staatsbuergerlichen Vereine". Dagegen heisst es
hier: "Die Gewalten, welche Herrschaft ueber die Menschen ausueben". Dieser
Herrschaft setzt Macchiavelli die Freiheit entgegen, wie die Griechen und
Roemer Tyrannei und Republik einander entgegensetzten. Aber in seinen
Betrachtungen ueber die Republik (_Discorsi sul Livio_) ist eben sowol als
im Buche vom Fuersten nur von der Befriedigung des Ehrgeizes und der
Herrschsucht, hier des Einzelnen, dort der Partei, die im Staate regiert,
und den aeussern Verhaeltnissen die Rede. Nach einer von Simonde Sismondi am
Schlusse seiner Geschichte der italienischen Republiken vortrefflich
ausgefuehrten Bemerkung sind in diesem Gemeinwesen des Mittelalters, wie in
den griechischen und roemischen, die Ideen von Freiheit und Unabhaengigkeit
nur auf diese aeussern Verhaeltnisse und nicht auf den einzelnen Buerger
angewandt, auch nur der herrschenden Mehrzahl zu Gute gekommen; waehrend
dagegen der Genuss der Freiheit und des Vermoegens jedes Einzelnen, so weit
dies Alles mit der Ordnung des Ganzen vereinbar ist, den Hauptgegenstand
der politischen Speculation unserer Zeit ausmacht. An dieser fuer das
menschliche Geschlecht sehr wohlthaetigen Veraenderung hat die Neigung zu
metaphysischen Spekulationen unverkennbar grossen Antheil, und das darf bei
der Beurtheilung des Zeitgeistes im achtzehnten Jahrhunderte nicht
uebersehen werden. Die Entwickelung abstracter Begriffe ueber die Rechte der
Menschen in der buergerlichen Gesellschaft erregt meistentheils bei denen,
die die wirkliche Welt im Auge haben, nur ein mitleidiges Laecheln.
Allerdings gehen aus dem Spiele mit abstracten Begriffen oft Theorien
hervor, die auf Nichts anwendbar sind, und diese haben unsinnige und
verderbliche Unternehmungen erzeugt. Aber die Versuche wesentlicher
Verbesserungen der rechtlichen Verhaeltnisse im Staate, mit denen sich
unser Zeitalter so ernstlich beschaeftigt, erhalten durch die sorgfaeltige
Pruefung und Sonderung allgemeiner Begriffe eine bestimmte Richtung. Wir
verdanken daher der Metaphysik wirklich weit mehr, als diejenigen glauben,
welche sich mit der Verbesserung der Gesetze beschaeftigen und sich des
Einflusses der ihnen verhassten oder von ihnen verachteten Systeme
abstracter Begriffe auf ihre eignen Arbeiten nicht bewusst sind.




                                    2.


Dies Kapitel zeigt kurz die Vortheile, die es dem gebornen Fuersten so
leicht machen, sich zu erhalten, so lange nicht ein Sturm von aussen sich
erhebt, der alle Berechnungen der Politik zu Schanden macht. Betrachten
wir kurz die Ursachen, welche solche Katastrophen herbeizufuehren im Stande
sind.

Wenn es den erblichen Regenten so leicht ist, sich gegen innere Gefahren
zu sichern, warum werden sie so oft ein Raub aeusserer Feinde, denen zu
widerstehen die Kraefte des Staates doch noch wol zureichten? - Weil sie
diese Kraefte so wenig gebrauchen. Eben weil es so leicht scheint, und
wirklich so leicht ist, eine angeerbte Herrschaft zu behaupten, so
schlaefert das Bewusstsein dieser Sicherheit ein. Die Fuersten werden
sorglos, indem sie sehen, wie das Volk ihnen anhaengt, und dass es ihnen
anhaengen muss. Ihre Rathgeber wissen es nur zu gut, dass Alles, was den
Menschen werth ist, die Sicherheit des Eigenthums und die Erhaltung aller
gewohnten Verhaeltnisse, mit demjenigen steht und faellt, der das oberste
Glied der Kette in der Hand haelt. Hierauf verlassen sie sich. Aber alle
moralischen Bande unter den Menschen sind gegenseitig. Das Volk erkennt
mit seinem geraden Sinne und unverdorbener Empfindung, dass es seiner
Obrigkeit unterthan sein muesse, um frei zu leben und das Seinige sicher zu
geniessen. Die Religion heiligt dieses Verhaeltniss durch die Lehre, dass alle
Ordnung von Gott kommt, der diejenigen eingesetzt hat, die sie handhaben.
Aber die Grossen und ihre Rathgeber, welche nichts empfinden, was der
rechtlichen Denkungsart des Volks entspricht, verkennen ihren Gehalt. Sie
halten die Anhaenglichkeit desselben, worin ihre eigne groesste Staerke liegt,
fuer Eigennutz, und verachten sie als Beweise einer knechtischen
Gemuethsart. Daher duerfen sie es denn auch nicht wagen, ihre Unterthanen in
der Gefahr mit Bewegungsgruenden aufzufordern, die ihr eignes Betragen fuer
leere Worte erklaert hat.

Die Anhaenglichkeit eines Volkes an das Haus seiner Fuersten beruht auf
Ueberlieferungen der Ahnen: sie ist mit der Liebe zu alten ererbten
Einrichtungen zu der Verfassung und den Maximen der Verwaltung, die dem
ganzen Stamme des Volkes und seiner Haeupter eigen sind, innigst verwebt.
Wer mit diesen tief gegruendeten Verhaeltnissen willkuerlich spielt, zerstoert
den Grund, auf dem die Sicherheit des Staates und der regierenden Familie
beruht. Es kann der Eitelkeit schmeicheln, Einrichtungen des Staates nach
Gefallen abzuaendern und seinen eignen Willen an die Stelle alles dessen zu
setzen, was auf die Einsichten und die Autoritaet einer Reihe von
Geschlechtern gegruendet war. Wenn aber der Sinn des ganzen Volkes
widerstrebt, so entstehen Schwierigkeiten, die der Kraft des maechtigsten
Herrschers unueberwindlich sind. Bricht der allgemeine Unwille in
offenbaren Widerstand aus, so ist die groesste Kriegsmacht nicht immer
vermoegend, ihn zu ueberwaeltigen. So verlor Joseph der Zweite Belgien, als
er die alten politischen und religioesen Ordnungen mit einem Schlage
vernichten und einen neuen Staat nach seinen Ideen an die Stelle setzen
wollte. Kommt es nicht so weit, so ist der blosse unthaetige Widerstand der
Untergebenen, die alle Mitwirkung verweigern, und das, was ihr guter Wille
leisten sollte und koennte, den Dienern hoehere Befehle ueberlassen, schon
hinreichend, die Anschlaege der Allgewalt zu vereiteln, die sich ohnmaechtig
fuehlt, wenn sie von den eignen Dienern verlassen wird, welche nichts mehr
ausrichten koennen. Eben so wenig vermag der Eigensinn des maechtigsten
Regenten, der an ererbten Gewohnheiten festhaelt, welche mit dem
Beduerfnisse der Zeiten und der veraenderten Denkart des lebenden
Geschlechts in Widerspruch gerathen. Man hat gesehen, dass Regierungen, die
Recht und Macht auf ihrer Seite zu haben schienen, in solchen
Unternehmungen bei der ersten Erschuetterung gefallen sind; und wenn sie
bestehen bleiben, so vergeht dennoch das, was sie festzuhalten vermeinten,
ohne dass sie es merken, unter ihren eignen Augen und Haenden.

Das persoenliche Betragen, wodurch ein Erbfuerst sich bei seiner Wuerde
behauptet, ist z. B. von Haller in seinem "Handbuch der Staatenkunde"
vortrefflich dargestellt. Wenn dieser Autor aber hinzufuegt, dass
Macchiavelli sich viel vergebliche Muehe damit gemacht habe, Mittel
auszudenken, wie die Herrschaft aufrecht erhalten werden koenne, da dieses
doch aus ihren natuerlichen Gruenden ganz von selbst erfolgen muesse, so
vergisst er, dass Macchiavelli nur von den Mitteln redet, eine neue
Herrschaft zu gruenden und zu erhalten, die nicht, wie sein Tadler von
aller Regierung voraussetzt, aus natuerlichen Verhaeltnissen erwachsen,
sondern von Einem Manne willkuerlich geschaffen ist. Und damit hat er sich
so wenig eine vergebliche oder ueberfluessige Muehe gegeben, dass vielmehr oft
ein Zweifel entsteht, ob der Schriftsteller, der doch Alles geleistet hat,
was die Kraefte des menschlichen Verstandes in dieser Absicht vermoegen,
genug gethan habe. Denn es liegt, wie die Folge dieser Betrachtungen
zeigen wird, in der Sache selbst, dass aller Aufwand von Verstand, und
sogar die Ueberspannung aller Mittel, die sich aus demselben ziehen
lassen, oftmals nicht zureicht, eine aus blosser Selbstsucht errungene
Herrschaft zu befestigen.




                                    3.


Dies Kapitel behandelt also die Mittel, ein fremdes Land zu unterjochen,
nicht den Zweck selbst. Davon sagt der Autor nur vorsichtig: "Solche
Unternehmungen werden immer bewundert" - nicht: "Sie verdienen bewundert
zu werden".

Ein ewiger Friede ist unmoeglich. Das Bestreben der Voelker, ihren Zustand
zu verbessern, fuehrt natuerlich Gelegenheiten herbei, kriegerische Talente
und Tugenden zu zeigen, und die _Helden_ solcher Kriege sind es, die von
ihrem Volke als Wohlthaeter verehrt, von der ganzen Welt bewundert werden.
Dagegen taeuschen sich die _Eroberer_, die nur eine wilde Herrschsucht zu
befriedigen suchen, wenn sie die abgedrungene Schmeichelei der in Furcht
gesetzten Voelker fuer Beweise der Verehrung nehmen. Ihre Zeitgenossen
verfluchen sie. Das folgende Geschlecht, das sie nicht mehr zu fuerchten
hat, schaetzt sie gering.

Wenn Macchiavelli auch an alles dies gedacht hat, so hielt er vermuthlich
dafuer, es sei vergeblich, es den Grossen zu sagen, die Lust haben, auf
Eroberungen auszugehen. Aus dem Gluecke der Menschen, das sie aufopfern,
machen sie sich nichts, und an dem Erfolge ihrer Unternehmungen pflegen
sie nicht zu zweifeln. Auch von _der_ Seite ist ihnen schwer beizukommen.
Wenn denn also erobert werden soll, so muessen die Mittel erwogen werden,
wie eine eroberte Provinz behauptet werden kann. Hierueber sagt
Macchiavelli sehr viel Treffendes. Dennoch uebersieht er das sicherste
Mittel, wodurch Eroberungen dauerhaft werden koennen. Dasselbe liegt ausser
seinem Gesichtskreise, da er nur die Neigungen und das persoenliche
Interesse des Machthabers beachtet, ohne die Voelker an sich selbst fuer
etwas gelten zu lassen. Durch diese engherzige Denkart wird das System des
scharfsinnigsten politischen Schriftstellers mangelhaft: durch sie ist
auch Napoleon I., der es vielleicht besser als je Einer im wirklichen
Leben dargestellt hat, zu Grunde gegangen.

Welches andere Mittel gibt es denn, die neuerworbene Herrschaft ueber ein
fremdes Volk zu sichern, welches man beim Macchiavelli vermisst? Es ist
dies: eine Behandlung, welche Achtung und Zutrauen gegen das ganze Volk
beweist, und indem sie die eigne Zufriedenheit desselben zu ihrem naechsten
Zwecke macht, dadurch zugleich das kraeftigste Mittel fuer die Zwecke des
Herrschers erzeugt. Wenn man dem Volke die Verfassung laesst, die ihm lieb
ist, und es von seinem vorigen Regentenhause nichts mehr zurueckwuenscht,
als die Personen, so hat man die Erinnerung daran nicht so sehr zu
fuerchten. Wer Menschen fuer sich gewinnen will, muss ihnen die Ueberzeugung
beibringen, dass Er es ist, durch den sie erhalten koennen, was sie
verlangen. Wer sie nur fuehlen laesst, dass er ihnen nehmen kann, was ihm
gefaellt, und dass sie Alles als Gnade annehmen muessen, was er ihnen wol
lassen will; wer hiermit freiwillig auf alle feineren Beweggruende Verzicht
leistet, und blos auf Gewalt trotzt, spielt ein gefaehrliches Spiel; denn
Gewalt ist stets, und waere sie auch noch so gross und schiene sie noch so
fest begruendet, feindlichen Zufaellen unterworfen.




                                    4.


Schon von Hume (_Essays_ 1, 3) ist, wie ich sehe, bemerkt, dass das von
Alexander eroberte Persien nicht so beschaffen war, wie Macchiavelli es
darstellt, und dass die Fortdauer der von Jenem gegruendeten griechischen
Herrschaft auf andern Ursachen beruht habe. An sich selbst aber ist das
Raisonnement des Macchiavelli zutreffend und vollkommen auf die Geschichte
des Mittelalters anwendbar, in welchem die Verfassungen sich gebildet
hatten, die Macchiavelli vor Augen lagen. In den Verhaeltnissen, die er
darstellt, war die Ursache des abwechselnden Erfolges der langen Kriege zu
suchen, die Frankreich und Spanien mit einander fuehrten. Unruhige Grosse,
die fremde Feinde hereinriefen und von ihnen abfielen, sobald die
Verblendung aufhoerte, mit der sie erwarteten, diese wuerden nicht fuer sich
selbst, sondern fuer _sie_ kaempfen und erobern. Ludwig der Vierzehnte
daempfte diese Unruhen, indem er den Uebermuth der Vasallen, woraus der
Factionsgeist Nahrung zog, demuethigte. Seit jener Zeit hat sich auch der
tuerkische Staat veraendert. Die Verhaeltnisse der Statthalter in den
Provinzen zum Sultan sind nicht mehr ganz dieselben, und daher findet das
Raisonnement des Macchiavelli keine genau zutreffende Anwendung in der
neueren Geschichte von Europa.




                                    5.


Macchiavelli hat Voelker vor Augen gehabt, die heftigeren Leidenschaften
unterworfen und groesserer Aufopferungen faehig waren, als die meisten
Nationen der spaetern Zeit. Er redet von Zerstoerung ganzer Staedte, von
voelliger Aufloesung von Staaten, wie von ganz gewoehnlichen und nothwendigen
Dingen. Dies ist bei einem Schriftsteller natuerlich, der die Zeiten der
Guelfen und Ghibellinen im Sinne hatte: Zeiten, da Staedte wie Mailand vom
Kaiser Friedrich dem Ersten zur Vernichtung verurtheilt wurden, mit nicht
mehr Bedenklichkeit, als womit heut zu Tage ein Edelmann etwa in Laendern,
wo noch Leibeigenschaft herrscht, seine Bauern verpflanzt, um ihre Hoefe
einzuziehen. Nimmt man hierzu die unversoehnliche Rachsucht, die ewige
Mordlust, die verblendete Wuth des italienischen Volkes, so wird es
begreiflich, wie er Grundsaetze aufstellen konnte, die nachmals bis zum
Ende des achtzehnten Jahrhunderts der allgemeinen Denkungsart und den
Empfindungen der Gewalthaber selbst widerstritten. Die neuere
Regierungsweisheit, ihre Finanz- und Kriegskunst, lehrt aus der
Unterjochung der Voelker Vortheile ziehen, die mit so gewaltsamen Massregeln
unvereinbar sind. Damals erforderte die geringere Macht der Fuersten und
die Unvollkommenheit ihrer Veranstaltungen ein ganz anderes Verfahren.
Wenn man erwaegt, wie klein das Heer war, das Karl der Fuenfte als Herr von
Spanien und Indien, von Belgien und einem Theile von Deutschland und
Italien mit aller Anstrengung dieses unermesslichen Reiches auf Einen Punkt
zusammenzubringen vermochte, wie schwer es ihm ward, das erforderliche
Geld anzuschaffen, und wie unsicher dadurch alle Eroberungen wurden: so
sieht man wohl, dass damals andere Massregeln ergriffen werden mussten, als
in den Zeiten, in denen die Herrscher ueber Armeen von Hunderttausenden und
vermittelst eines grenzenlosen Credits ueber alles Geld der Voelker
disponiren.




                                    6.


_Savonarola_ war ein halb religioeser, halb politischer Schwaermer. Waehrend
des Exils der Medici in den ersten Jahren des sechzehnten Jahrhunderts
machte ihn ein grosser Theil des florentinischen Volkes zum Abgotte. Der
religioese Fanatismus war der Grund, auf dem sein politischer Einfluss
beruhte, und er haette die Florentiner dadurch so unumschraenkt beherrschen
und seine Plaene durchsetzen koennen, etwa wie Mahomed, wenn er nicht in der
Quelle seiner Gewalt selbst angegriffen waere. Die Zwistigkeiten seines
Ordens mit andern Moenchen erregten ihm Neider und Nebenbuhler, die eben so
ausschweifende Wunderthaten des Glaubens ankuendigten, als er selbst. So
ward das Volk irre und sah ruhig zu, wie ein Mann verbrannt ward, der
wenige Monate vorher dreist haette wagen duerfen, seine Gegner zum Feuertode
zu verdammen. - So unsicher ist Alles, was auf der Combination heterogener
Dinge beruht! Wenn der ehrliche Fanatiker zu Grunde geht, sobald er seine
Schwaermerei gebrauchen will, sich politischen Einfluss zu verschaffen; wie
muss es dann erst dem ergehen, der nur die Maske davon annimmt, und sich
dessen, was bei Jenem in allem Ernste Beweggrund war, nur als eines
armseligen Kunstgriffs bedient.

Es bedarf uebrigens kaum einer Erinnerung, dass Alles, was Macchiavelli von
der geringen Kraft der Neuerungen und von der Unzuverlaessigkeit ihrer
Anhaenger sagt, nur auf die Unternehmungen bezogen werden darf, die von
einzelnen unruhigen Koepfen herruehren. Wenn diese Neuerer auch anfangs
schwach und an Zahl unbedeutend sind, so koennen sie es durch ihren
lebendigen Feuereifer und ihre hartnaeckigen Anstrengungen doch bald dahin
bringen, die Majoritaet, die unter sich nicht einig ist und nur schlaffen
Widerstand leistet, zu beherrschen und sie zu zwingen, ihre Ansichten
anzunehmen und sich ihrer Fuehrung zu unterwerfen.




                                    7.


Wahrscheinlich geht es dem Leser bei der ersten Lectuere dieses Kapitels
wie den Bewohnern von Cesena, als sie den ermordeten Remiro d'Orco
ausgesetzt fanden: staunend verstummten sie bei dem Anblick. Man sollte
fast glauben, Macchiavelli habe diese Geschichte idealisirt, um Etwas
aufzustellen, das in seiner Art nicht zu uebertreffen war. Vielleicht war
der Richter nicht blos ein harter aber gerechter Mann von etwas grausamer
Gemuethsart, sondern er befriedigte seine eigenen schlechten
Leidenschaften, unter dem Vorwande der Gerechtigkeit, die er handhaben
sollte. Caesar Borgia hat ihm vielleicht eine Zeit lang nachgesehen, weil
er ihn sonst brauchbar fand, und am Ende der Gerechtigkeit selbst ein
Opfer gebracht, indem er ihn hinrichten liess. War er aber wirklich das,
wofuer Macchiavelli ihn ausgibt, so war auch dieser einzige falsche Streich
des Fuersten hinreichend, zu verhindern, dass sich nie wieder ein Mann von
Ehre und zuverlaessiger Gesinnung zu seinem Dienste hergab. Und eines
Mannes von Ehre und zuverlaessiger Gesinnung bedurfte doch der Herzog von
Valentinois zur Ausfuehrung seiner Plaene.

Dieser Held des Macchiavelli, dessen Betragen er so oft allen denen zum
Muster aufstellt, die nach der Herrschaft streben, war klueger,
entschlossener, und ging zusammenhaengender zu Werke, als die grosse Zahl
derer, welche sich damals, so wie Er, Alles erlaubten, um sich zu erheben.
Die Herren, die er zu Sinigaglia ermorden liess, wie Macchiavelli in einer
besondern Erzaehlung ausfuehrlich berichtet, waren um nichts besser als er,
und in Ruecksicht auf ihre Unterthanen viel schlechter. Insbesondere liest
man von dem Oliverotto, Herrn von Fermo, eine solche Reihe von
Schandthaten, dass es eine Art von Beruhigung gewaehrt, zu erfahren, dass er
am Ende durch einen maechtigern boesen Geist bestraft und von der Erde
hinweg geschafft worden. Wo der ganze Haufe der Maechtigen sich den
wildesten Leidenschaften ergibt und die Menschheit auszieht, da ist es ein
grosser Gewinn, wenn Einer durch die Ueberlegenheit seines Verstandes die
Oberhand behaelt. Dieser wird, um seines eignen Vortheils willen, manches
Gute thun, manches Ueble hindern. Der Caesar Borgia war unstreitig listiger
und hatte dabei etwas Groesseres in der Gesinnung, als seine Mitwerber. Ob
er aber wirklich ein solches Ideal von Verstand war, wozu ihn Macchiavelli
machen will, koennte noch bezweifelt werden. Das Gespraech mit dem, dessen
Macchiavelli gedenkt, kann den Verdacht erregen, dass es einigen Einfluss
auf sein Urtheil gehabt habe. Es war allzu schmeichelhaft, von dem
furchtbaren Manne, der Geissel seiner Zeit, einer vertraulichen Mittheilung
gewuerdigt zu sein, als dass derselbe nicht dadurch ein groesseres und
bewunderungswuerdiges Ansehen erhalten haben sollte. Er mag inzwischen den
Ruhm, den Macchiavelli ihm beilegt, verdient oder nur erschlichen haben:
von groesserem Interesse ist die Frage, ob es denn wirklich, so wie
Macchiavelli behauptet, fuer eine Vollkommenheit des Regenten gelten kann,
wenn er die Menschen insgesammt nur als Werkzeuge seiner Absichten
ansieht, und sich aller Empfindungen fuer sie entaeussert, um grosse Zwecke zu
erreichen.

Dass Grosse der Erde so denken, ist ja etwas sehr Gewoehnliches. Man braucht
dazu auch nicht Regent zu sein. Vielmehr ist es noch eine Frage, ob es
nicht den Geringern oefter gelingt, Hoehere und Maechtige, die sich das nicht
traeumen lassen, so zu missbrauchen, als den Grossen, welche die Geringern
bei Weitem nicht so gut kennen, als sie von ihnen gekannt werden. Ist es
aber die rechte Denkungsart fuer die Ausfuehrung grosser Entwuerfe, wenn man
die Menschen um sich her nur als eine eigne Art von Maschinen ansieht,
deren Kraefte und Wirkungen der Berechnung unterworfen werden koennen, und
das ganze verwickelte Gewebe ihrer Verhaeltnisse als ein Spiel betrachtet,
in welchem man, eben so wie in andern Gluecksspielen, nur so lange
gluecklich sein kann, als man sich der eignen Empfindung entschlaegt und
alle Handlungen von dem eiskalten Verstande bestimmen laesst?

Die Triebfedern der Menschen liegen doch nicht so deutlich vor Augen, dass
ihre Wirkungen nach klaren Gesetzen mit Sicherheit vorher bestimmt werden
koennten. Der groesste Kenner wird unzaehlige Male durch unerwartete Anomalien
ueberrascht. Wie selten findet man einen nur maessig consequenten Menschen!
Wer vermag die uebrigen mit einiger Zuverlaessigkeit zu errathen?

Eben so wenig kann man sich selbst zu einem blossen Werkzeuge seines eignen
Verstandes machen. Wenn der Macchiavellische Politiker auch von sich
selbst ganz sicher sein koennte und sich nie verriethe, so thut doch sein
erkuensteltes Betragen nicht die rechte Wirkung. Wer von lebhafter
Empfindung ergriffen ist, reisst Andere mit sich fort. Diese Kraft des
wahren Gefuehls ist nicht durch eine, wenngleich noch so gut ausgedachte
und gespielte Rolle zu ersetzen. Die Menschen lassen sich auf die Laenge
nicht so anfuehren. Gerade die Einfaeltigsten sind darin oft zum Bewundern
scharfsichtig. Sie sind nicht im Stande, sich selbst klar zu machen, warum
ihnen so uebel zu Muthe ist: aber ihre eigne ehrliche Gesinnung verraeth
ihnen, dass sie nur zum Spiele des ueberlegenen Verstandes dienen sollen. So
gluecklich auch einzelne schlau ausgesonnene Streiche ausfallen, so
verfehlt das ganze Gewebe der Kunst doch seinen Zweck.

Endlich verzeiht das allgemeine Urtheil dem, der sich Alles erlaubt, die
Schlechtigkeit seiner Mittel, doch nur dann, wenn er das Ziel wirklich
erreicht hat. Wer es wagen will, sich ueber die Moralitaet ganz
hinwegzusetzen, muss also wenigstens des Ausganges gewiss sein. Er muss zum
Voraus Alles uebersehen, auf jeden Fall gefasst sein und nie einen falschen
Schritt thun. Caesar Borgia, den Macchiavelli als das vollkommenste Muster
eines politischen Betragens aufstellt, hat doch Einen Fehler gemacht. Und
gerade durch diesen Fehler ist er zu Grunde gegangen. Denn eben die
Papstwahl, wobei er den Schritt verfehlte, den er thun musste, um sich
sicher zu stellen, stuerzte ihn in die Gefangenschaft, worin er sein Leben
beschloss.

Wenn aber auch in einem ganzen langen Leben, unter den schwierigsten
Umstaenden, durchaus kein Fehler gemacht wuerde, - eine Sache, die leichter
zu denken, als auszufuehren ist - so bleiben noch immer die zufaelligen
Begebenheiten uebrig, die sich gar nicht voraussehen lassen. Wer nicht sich
selbst aufs Spiel setzen und seine ganze Zufriedenheit daran wagen will,
wie die Karte faellt, wird bei jedem unerwarteten Vorfalle darauf
zurueckgefuehrt, dass die reine Absicht mehr werth ist, als alle Kunst; die
aechte Guete des Willens mehr, als aller Verstand, der seiner Natur nach dem
guten Willen dienen sollte, statt dass er verkehrter Weise zum Herrn
eingesetzt wird.

Bisher ist von der klugen Benutzung guenstiger Umstaende die Rede gewesen.
Wie aber, wenn das Glueck, dem so Viele, die gross geworden sind, die
Gelegenheit dazu verdanken, seinen Beistand versagt? Alsdann muss
derjenige, der herrschen will, auch diesen Mangel ersetzen und sich selbst
den Weg eroeffnen. In einem vollstaendigen Lehrbuche des Ehrgeizes darf die
Anweisung hierzu nicht fehlen, und davon handelt Macchiavelli im achten
Kapitel.




                                    8.


Die angefuehrte Ueberschrift schon gibt zu erkennen, welche Gesinnungen man
zu erwarten hat.

Es gibt mehrere Wege zum Throne. Grosse Verdienste: dreiste Verbrechen.
Beide kommen in der Geschichte vor. Von beiden muss hier erklaert werden,
wie man gluecklich durchkommt oder untergeht.

So viel ist wahr: allgemeine Gesetzlosigkeit ist der schlimmste Zustand,
in den ein Volk gerathen kann. Das erste Beduerfniss jeder menschlichen
Gesellschaft ist buergerliche Ordnung; Gesetze und Gewalt sie
einzuschaerfen. Man muss aber erst Herr sein, ehe man regieren kann. Die
Zuegel muessen also mit starker Hand ergriffen werden, und es moechte
immerhin Einer fuer sich selbst Ausnahme von allen moralischen Gesetzen
machen, wenn er dadurch in den Stand gesetzt wuerde, alle Andern zu ihrer
Befolgung anzuhalten. Ein einziges Verbrechen, das dahin fuehrt, koennte als
nothwendige Abweichung von der Regel entschuldigt werden, wenn es das
einzige bliebe. Das liesse sich aber nur von dem erwarten, bei dem es nicht
aus dem Herzen entsprungen, sondern vernunftmaessig beschlossen waere, weil
es mit ruhiger Ueberlegung als das einzige Mittel zu grossen und guten
Zwecken erkannt worden. Hat aber die Geschichte wol Maenner aufzuzeigen,
die ein grosses Verbrechen begangen haetten, blos um wohlwollenden Neigungen
einen freieren Wirkungskreis zu eroeffnen? So meint es auch Macchiavelli
selbst nicht. Er sieht die Sache nur aus dem Gesichtspunkte des Ehrgeizes
an. Fuer diesen gibt er Lehren: die dadurch errungene Herrschaft mag dann
gebraucht werden, wie es dem Maechtigen gefaellt.

Besondere Beachtung verdient noch die letzte Bemerkung dieses Kapitels, da
sie nicht nur fuer den hier behandelten Fall gilt, sondern auf jeden
Regenten Anwendung findet. Bei allen harten Verfuegungen, zu denen man
durch ausserordentliche Umstaende veranlasst wird, ist es immer sehr
wohlgethan, Macchiavelli's Rath befolgend, mit einem einzigen Schlage zu
vollfuehren, was man vorhat. Vorzueglich trifft diese Erinnerung die
Behandlung grosser Staatsverbrecher. "Schlage den Hirten und die Schafe
werden sich zerstreuen." So lange aber diese in Ungewissheit bleiben und
Strafe fuer das Vergangene besorgen, werden sie gereizt, sich durch
Erneuerung der fehlgeschlagenen Entwuerfe zu retten. Haben sie nichts mehr
zu fuerchten, so verlieren sie allmaehlich das Interesse an der Sache und an
den Fuehrern, die dafuer gelitten haben, und bemuehen sich es Andere
vergessen zu machen, dass sie an der verunglueckten Unternehmung Theil
gehabt. Grosse politische Verbrecher nehmen ferner ausser ihren
entschiedenen Anhaengern leicht eine Menge ihrer Mitbuerger durch blendende
Vorwaende ihrer verraeterischen Anschlaege fuer sich ein. Diese, welche, ohne
selbst fuer die Sache thaetig gewesen zu sein, guenstig von ihr dachten und
den Unternehmern wohlwollten, sind nicht leicht eines Bessern zu belehren.
Aber sobald sie die Hoffnung aufgeben muessen, dass die Sache gelingen
koenne, so werden sie gern glauben, sie sei vergessen. Darueber vergessen
sie sie wirklich am Ende selbst. Dazu aber ist nothwendig, dass sie sobald
als moeglich fuer beendigt erklaert werde. Alsdann wird die Aufmerksamkeit
des grossen Haufens bald durch die neuen Angelegenheiten des Tages
abgelenkt.




                                   10.


Ueber dies treffliche Kapitel ist nichts weiter zu sagen, als dass es einen
Zustand der Welt voraussetzt, der nicht mehr existirt. Sobald Heere von
Hunderttausenden auf dem Kriegstheater erscheinen und die Uebermacht
entscheidet, kann nicht mehr von der Vertheidigung kleiner Herrschaften
die Rede sein. Damals bedeutete jeder einzelne Fuerst, der eine Stadt
besass, und jede kleine Republik etwas, sobald Verstand da war, die
geringen Kraefte zu gebrauchen und unter der grossen Menge der Nachbarn
durch geschickte Unterhandlungen Hilfe zu suchen. In solchen Zeiten haben
alle Kraefte des Verstandes und des Gemuethes Gelegenheit zu freier
Entwicklung. In Perioden aber, wo eine uebermaechtige Gewalt Alles besiegt
und unterjocht, kommt nichts auf, was Interesse zu erregen verdiente. Die
Nachwelt aber uebt Gerechtigkeit aus: sie mag nichts von den Thaten dessen
hoeren, der doch waehnte, sie werde sich ganz allein mit ihm beschaeftigen!




                                   11.


Dieses Kapitel ist das duerftigste oder vielmehr das einzige schwache im
ganzen Werke. Macchiavelli hat im Eingange versprochen, von den
verschiedenen Arten der Herrschaft zu reden. Man erwartet hier also
Bemerkungen ueber die eigenthuemlichen Verhaeltnisse, in denen sich die
geistlichen Fuersten befinden, ueber die starken und die schwachen Seiten
ihres weltlichen Ansehns und ueber die in der That hoechst merkwuerdige
Rolle, die sie in der Geschichte spielen. Wenngleich Macchiavelli
ueberhaupt die Unternehmungen, die Grundsaetze, das Betragen der Fuersten, in
Beziehung nicht auf die regierten Voelker, sondern nur auf die Befestigung
der Herrschaft selbst betrachten wollte, so war noch immer genug ueber die
geistlichen Fuerstenthuemer zu sagen. Diese, sagt er, bestehen unter dem
Schutze des religioesen Vorurtheils, und wenn einer nur durch glueckliche
Intrigue oder Zufall auf den heiligen Stuhl erhoben worden, so wird von
ihm nichts weiter gefordert, um sich zu behaupten. Hat er Geist genug,
sein Glueck zu benutzen, und Sinn fuer den einzigen Genuss, der eines Fuersten
wuerdig ist, fuer die Befriedigung der Herrschsucht, so wird er es machen,
wie Sixtus der Vierte, Alexander der Sechste, Julius der Zweite, Leo der
Zehnte. Hat er das nicht, so mag er sein Leben mit Beten zubringen, oder
mit Schlemmen, wie es ihm gefaellt. Abgesetzt wird er dafuer nicht werden.
Mit diesem boesen Spotte fertigt Macchiavelli den heiligen Stuhl ab. Jene
Paepste, von denen er hin und wieder redet, waren Maenner von heftigen
Leidenschaften und Meister in der Politik, die in Italien zu ihrer Zeit
die hoechste Ausbildung erhalten hatte und deren Geheimnisse Macchiavelli
aufdeckt. Sie waren insgesammt seine Zeitgenossen, und er hatte keinen
Andern auf dem paepstlichen Stuhle gesehen.

Aber es hat auch Perioden in der Geschichte gegeben, in welcher die
Haeupter der Kirche in ganz anderm Geiste auf die Angelegenheiten der
Voelker einwirkten; wo sie Schiedsrichter der Koenige waren und durch ihr
friedliches Ansehn groessere Kriege beilegten, als der feurige Ehrgeiz
Julius des Zweiten erregt hat. Auch dies hing von dem persoenlichen
Charakter und den Talenten einzelner Paepste ab. Aber die Mittel, wodurch
sie so grosse Dinge ausgefuehrt haben, lagen in der Natur ihrer Wuerde. Die
veraenderte Denkart verschiedener Zeiten erforderte jedesmal besondere
Modificationen. Im sechzehnten Jahrhunderte konnte die Sache nicht durch
einen hingeschleuderten Bannstrahl ausgemacht werden, wie zu der Zeit
Gregor des Siebenten; aber das Verhaeltniss des heiligen Stuhls zu den
weltlichen Monarchen war doch im Grunde immer dasselbe, wenn es gleich
nicht mit so hoher Hand geltend gemacht werden durfte.

Die Paepste genossen als Oberhaeupter der christlichen Kirche ein Ansehn,
das allemal um so viel groesser und unverletzlicher war, jemehr sie sich
bemuehten, im Geiste ihrer Wuerde zu handeln und das Interesse ihrer
weltlichen Besitzungen und ihrer Familien so weit zu verlaeugnen, dass es
wenigstens nicht als naechste und vorzueglichste Triebfeder hervorleuchtete.
Alle Verhandlungen, die mit dem paepstlichen Hofe gefuehrt sind, oder in
welche dieser auch nur verwickelt gewesen ist, haben einen eignen
Charakter. Der ueberlegnen Macht darf der Schwaechere nicht wagen entgegen
zu setzen: "_Ich will nicht_" (_non volumus_). Aber wenn sein demuethiges:
"_Ich kann nicht_" (_non possumus_) durch den Zusatz "_wegen meines
Gewissens_" geschuetzt wird, so erhaelt er vielleicht Gerechtigkeit fuer
Andre, wenigstens Schonung fuer sich selbst. Die Verhandlungen unter den
erbittertsten Gegnern nehmen einen ganz andern und sanftern Charakter an,
wenn eine Person dazwischen tritt, die sich gegen Beleidigungen nicht
wehren kann, die man aber nicht beleidigt, ohne sich selbst mehr zu
beschimpfen, als seinen Gegner. Wie oft hat die Dazwischenkunft eines als
Fuersten ohnmaechtigen, aber wegen der allgemeinen Verehrung der Voelker
gegen seine geheiligte Person gefuerchteten Papstes die entschlossensten,
ehrgeizigsten, ungestuemsten Kriegshelden aufgehalten, und ganzen Laendern
einige Jahre Ruhe verschafft! Wenige Fuersten haben es gewagt, _gegen sie_
die Haerte, den Ungestuem, den Eigensinn zu aeussern, wodurch ihre
Uneinigkeiten unter sich so fuerchterlich werden. Die Politik des roemischen
Hofes besteht in geschicktem Zaudern. Durch unendlichen Aufschub,
Wiederholung derselben Aeusserungen in andrer Gestalt und mit veraenderten
Wendungen ist dort unzaehlige Male einbrechendes Ungewitter abgeleitet. Von
wem anders haette man sich das gefallen lassen, als von dem, der in seinen
Verhandlungen mit weltlichen Maechten die Sprache des alten Mannes zu der
feurigen Jugend redete, und den diese Sprache wohl kleidete. Wenn man in
der Geschichte findet, wie die Gesandten der groessten Maechte ihrer Zeiten,
franzoesische und spanische Abgeordnete, unter dem Vorsitze eines
paepstlichen Legaten, der nur ermahnen soll und gar nicht drohen kann,
wenigstens den Anschein friedlicher Gesinnungen annehmen und durch den
Anstand gegen den gemeinsamen Vater der christlichen Voelker zu einem
nachgibigen Betragen verleitet werden, so kann man sich nicht enthalten zu
wuenschen, dass noch jetzt eine Autoritaet vorhanden sein moechte, der diese
Mittel zu Gebote staenden.

Die Religion bezieht sich auf die Beduerfnisse, die Rechte und Wuerde der
menschlichen Natur, auf welche der Geringste wie der Hoechste und
Maechtigste Anspruch machen darf. Wie die buergerlichen Verhaeltnisse auch
beschaffen sein moegen, in der Kirche sind die Menschen an sich selbst
etwas: da duerfen sie nicht als blosse Werkzeuge und Untergebene ihrer
Herren betrachtet werden. Dem Oberhaupte einer solchen geistlichen
Gemeinheit steht es daher sehr wohl an, Bewegungsgruende vorzubringen und
an Grundsaetze zu erinnern, die in dem Munde des weltlichen Staatsmannes
vielleicht verlacht wuerden.

Der Einfluss der geistlichen Gewalt auf die Angelegenheiten der Welt ist
zwar eben sowol dem Missbrauche unterworfen, als die Herrschaft des
Schwertes; und es ist doppelt empoerend, wenn das angebliche Seelenheil der
Menschen nur zum Vorwande der naemlichen Leidenschaften dient, die der
Kriegsheld auf andern Wegen zu befriedigen sucht. Ein Lehrbuch der
geistlichen Regierungskuenste, von einer Feder wie Macchiavelli's, muesste
noch unangenehmere Empfindungen erregen, als die Stellen im Buche vom
Fuersten, die das Gefuehl am meisten beleidigen. Dieser Missbrauch der
geistlichen Herrschaft hat den Bemuehungen der weltlichen Regenten, ihr
Ansehn zu vernichten, allgemeinen Beifall verschafft. Die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts hat entschieden fuer diese Partei genommen, und
nach den Grundsaetzen eines spekulativen Naturrechts die geistliche
Autoritaet aus der buergerlichen Verfassung verwiesen. Aber die Staaten der
wirklichen Welt sind nicht nach reinen Abstractionen angeordnet, und ihre
Verhaeltnisse koennen nicht nach einfachen Principien beurtheilt werden. Der
urspruengliche Beruf des christlichen Priesterthums, der die Gelehrsamkeit
als seine vorzueglichste Beschaeftigung voraussetzt, hat auf die ganze
innere Verwaltung und auf die aeussern Verhandlungen der geistlichen
Fuerstenthuemer einen grossen Einfluss. Selbst die Hofhaltung des Oberhauptes
der katholischen Kirche ist danach eingerichtet, und die ganze Politik
desselben sucht die weltlichen Angelegenheiten einem hoehern, zwar nicht
immer wohl verstandenen, aber an sich selbst ehrwuerdigen Interesse
unterzuordnen.

Zu den Zeiten Macchiavelli's war die Hierarchie von demselben
verderblichen Geiste ergriffen, der ganz Italien verwirrte. Aber der Sinn
fuer literarische Cultur und Liebe zu den Wissenschaften, die sich mit der
groessten Schnellkraft entwickelten, erzeugte einen neuen Charakter, den
auch die hohe Kirche annahm. Bald nach dem Zeitalter Macchiavelli's
bestieg ein Mann den heiligen Stuhl, der die Satyre, die wir gelesen
haben, mit der That widerlegte, und bewies, was Regententugenden auf jener
Stelle vermoegen. In einer kaum fuenfjaehrigen Regierung hat Sixtus der
Fuenfte nicht allein sein Ansehn bei fremden Maechten eben so gut und noch
weit mehr behauptet, als Alexander, Julius und Leo. Er vollbrachte daneben
in dieser kurzen Zeit Alles, Alles, was die thaetigste fuerstlichste
Verwaltung zu leisten vermag. Ruhe und Ordnung wurden hergestellt,
oeffentliche Sicherheit geschafft, die vorher im Kirchenstaate Niemand
kannte; Gerechtigkeit gehandhabt, der Wohlstand befoerdert, und dabei eine
unglaubliche Menge der glaenzendsten Unternehmungen vollendet, die der
Stadt Rom die Bewunderung der hinstroemenden Welt verschafften.

Dieser Sixtus gehoerte zu den seltenen Maennern, denen Alles zu gering ist,
was allein persoenlichen Ehrgeiz oder Familieninteresse befriedigt, die
nichts ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Bemuehungen werth achten, als
oeffentliche Ordnung und Wohlfahrt; fuer die nichts so grossen Reiz hat, als
was das Interesse des menschlichen Geistes angeht. Solche Menschen koennen
auch auf Thronen geboren werden. Aber in der Beurtheilung der Beduerfnisse
des Privatlebens wird ihnen der immer ueberlegen sein, der durch diese
selbst hindurchgegangen ist. Hierin koennte ein Vorzug der Verfassung
liegen, worin die Regenten nicht durch das Recht der Geburt bestimmt
werden. Aber in welchem Wahlreiche wird man durch jene Eigenschaften auf
den Thron erhoben, ausser im geistlichen? Wenn in einem andern der
Privatmann hoffen darf, die Intriguen der Familien und Parteien durch
persoenliches Verdienst zu ueberwinden, so ist es nur der Kriegsheld. Die
Geschichte des Dejoces, den die Meder wegen seiner Gerechtigkeitsliebe zum
Koenige gewaehlt haben, gehoert in die alten Zeiten, von denen man gar viel
erzaehlen kann. Auf den paepstlichen Stuhl aber sind in allen Perioden von
Zeit zu Zeit Maenner erhoben, von deren Herkunft Niemand etwas wusste, und
die sich blos durch persoenliche Vorzuege den Weg gebahnt haben.

Familienintrigue hat zwar oft auf die Wahl von Paepsten und auf die Politik
derselben einen entscheidenden Einfluss gehabt, und die Nepoten haben nicht
blos in der innern Staatsverwaltung, in welcher ihnen keine staendischen
Rechte Widerstand leisteten, grossen Schaden gethan; sie haben auch oft die
Staatshaendel aller Maechte von Europa verwirrt, die das Ansehn des heiligen
Stuhls vielmehr haette besaenftigen sollen. Die Farnese, die Caraffa, die
Barberini spielen keine schoene Rolle in der Geschichte. Aber das ganze
Gebaeude der hohen Kirche beruht so wesentlich auf der Bildung des Geistes,
ihre weltliche Macht, Reichthum und Einfluss ist so sehr mit den Anstalten
fuer wissenschaftliche Cultur verwebt, dass Verdienste um diese letztere
immer in guten Zeiten einen ueberwiegenden Einfluss haben, und selbst in den
schlechtesten nicht ganz zurueckgesetzt werden koennen. Wenn man zum
Beispiel die Schilderung liest, die der Cardinal Bentivoglio, selbst ein
ausgezeichneter Staatsmann und Schriftsteller, von dem Cardinals-Collegium
und dem paepstlichen Hofe macht, so wie er es unter Clemens dem Achten bei
seinem ersten Eintritte in die Welt fand, so erstaunt man ueber die Menge
von Cardinaelen und andern hohen Dignitaren, die sich durch Gelehrsamkeit
oder durch grosse Geschicklichkeit in Staatshandlungen zu ihrer Wuerde
emporgeschwungen hatten, ohne durch irgend etwas Anderes empfohlen zu
sein. Rom hat nicht zu allen Zeiten eine so ehrwuerdige Praelatur besessen;
aber Talenten, Einsichten und Kenntnissen ist der Weg zu hohen Wuerden
niemals ganz verschlossen gewesen, selbst nicht unter den Paepsten, die
ihre Erhebung keinen persoenlichen Vorzuegen verdankten.

Die deutsche hohe Geistlichkeit, welcher man das in mancher Ruecksicht
verdiente Lob durch einseitige Schilderung aller Nachtheile der ehemaligen
deutschen Reichsverfassung mit Unrecht zu entziehen sucht, ist jedoch
hinsichtlich des persoenlichen hervorstechenden Glanzes einzelner Praelaten
weit hinter der italienischen zurueckgeblieben. Man hat es schon in sehr
fruehen Zeiten darauf angelegt, den Weg zu hohen Stellen allen denen zu
verschliessen, die sich nur auf Verdienste berufen konnten; und diese
Bemuehungen des deutschen Adels, alle Stellen in hohen Stiftern in dem
Kreise gewisser Geschlechter festzuhalten, in welchem sie nach einer
gewissen Billigkeitsrolle vertheilt werden muessten, ist nicht ohne Wirkung
geblieben.

In Rom hat man nie lernen koennen, so zu denken. Der Besitzstand, bei dem
die deutschen Praelaten sich so wohl befanden, war gar nicht hinreichend,
die Absichten und Beduerfnisse der ganzen Hierarchie zu befriedigen. Der
Einfluss, den sie immer zu erweitern strebte und nur mit ausnehmender und
ununterbrochener Aufmerksamkeit aufrecht erhalten konnte, erforderte
vielmehr eine grosse Thaetigkeit und Bekanntschaft mit der ganzen Welt, mit
der vergangenen und mit der lebenden. Es ist daher ganz falsch, was
Macchiavelli von der Geistlichkeit sagt: dass ihre Haeupter auf ihren hohen
Stellen durch die Kraft der Traegheit, die in alten Einrichtungen liegt,
erhalten werden, sie moegen sich auffuehren wie sie wollen. Vielmehr hat
sich in der Geschichte keines einzigen Staates deutlicher gezeigt, wie
viel wahrer Verstand und gute Gesinnung in der Welt vermoegen, als gerade
in der Geschichte der Paepste.

Die Philosophen und Geschichtschreiber der neuern Zeiten haben sich mit
grossem Erfolge bemueht, die geistliche Gewalt verhasst zu machen, indem sie
ihr Alles zur Last legen, was Geistliche gethan haben, ohne zu beachten,
ob sie die Kraft dazu durch ihren geistlichen Stand erhielten, und ob man
der Herrschsucht ihr Gift genommen haette, wenn ihr das geistliche Kleid
ausgezogen waere. Die franzoesischen Schriftsteller insbesondere machen sehr
bittere Bemerkungen darueber, wie viel Unheil die Cardinaele in der
Staatsverwaltung gestiftet. Richelieu und Mazarin fanden es zwar sehr
vortheilhaft, ihrer Person durch den roemischen Purpur Schutz zu
verschaffen. Wuerden sie aber anders regiert haben, wenn sie als weltliche
Minister die Macht besessen haetten, die sie nicht ihrer geistlichen Wuerde,
sondern persoenlichem Einflusse auf die Gemuether ihrer Regenten verdankten?
Der geistliche Beruf hat freilich einem Alberoni Gelegenheit gegeben, sich
dem Regenten von Spanien zu naehern und das Schicksal mehr als Einer
Monarchie zum Spiele seines Ehrgeizes zu machen; aber auch dem Ximenes,
d'Ossat und andern grossen Maennern den Weg zu Stellen eroeffnet, die den
vorzueglichsten Menschen so schwer zu Theil werden, wenn sie nicht durch
die Geburt beguenstigt sind.

Die Philosophie haette sich also begnuegen sollen, die Anmassungen der Kirche
in billige Schranken zurueckzuweisen, ohne sie zu vernichten, um dagegen
ein fuer die Wuerde der menschlichen Natur eben so gefaehrliches System der
buergerlichen Ordnung nach den Gesetzen des aeussern Rechts zu erheben.

Das leichtsinnige und fehlerhafte Urtheil des Macchiavelli ueber die
geistlichen Fuersten erforderte diese Betrachtungen ueber die Vortheile,
welche das System der katholischen Hierarchie gewaehrt. Es ist hier nicht
der Ort, von den wesentlichen Fehlern derselben zu reden, welche die
Veranlassung zu der Trennung der Protestanten von ihr gegeben, und die
Wiedervereinigung kaum moeglich machen. Diese Fehler werden nicht durch die
Veraenderungen gehoben, welche vermoege der neuern Denkart in der
katholischen Kirche entstanden sind, und die ihr zugethanen Voelker laufen
daher Gefahr, die Vortheile zu verlieren, welche sie besassen, ohne durch
diejenigen entschaedigt zu werden, die die protestantischen errungen haben.

In dem kirchlichen Systeme dieser Letztern findet die Einwirkung einer
geistlichen Gewalt auf Staatsverhandlungen mit andern Maechten gar nicht
statt. Was aber ihren Einfluss auf innere Landesangelegenheiten betrifft,
so kann hier nur der Gesichtspunkt im Allgemeinen angegeben werden, von
dem die Untersuchung darueber ausgehen muss.

Es ist ueberhaupt das groesste Problem des natuerlichen Staatsrechts und der
Politik, wem man in der buergerlichen Gesellschaft die Befugniss ertheilen
solle, sich der willkuerlichen Gewaltthaetigkeit zu widersetzen. Das Gesetz
Gottes geht ueber das Gesetz der Menschen. Seit den rasenden Tyrannen Roms,
die sich zu lebenden Goettern erklaerten, hat selten ein Regent gewagt,
seinen Voelkern ins Gesicht zu sagen, er wolle, dass ihm mehr gehorcht
werde, als Gott. Aber wie soll die Stimme des unsichtbaren Gottes
durchdringen? Wer soll sie erklaeren? Soll derjenige, den das Volk fuer
ihren Ausleger haelt, gar keine weltliche Macht in Bewegung setzen koennen,
so wird er zu einer leeren Stimme in der Wueste, sobald es dem Regenten
gefaellt. Soll er Mittel besitzen, sich Gehorsam zu verschaffen, so
entsteht ein innerer Krieg, sobald seine Vorschriften mit dem Willen des
weltlichen Regenten disharmoniren. Diese letzten schrecklichen Folgen hat
die katholische Kirche oft erfahren. Jenem Nachtheile ist die
protestantische ausgesetzt, sobald die Geistlichkeit, wie es nach den
eingeschraenkten Ideen derer sein sollte, die einem duerren Systeme zu
Gefallen alle Verhaeltnisse moeglichst vereinfachen, als besoldete Diener
des Regenten betrachtet werden, welche bestellt sind, Moral zu predigen
und die buergerlichen Gesetze einzuschaerfen. Wo sollte wol ein solcher
bestellter Officialis der Sittlichkeit den Muth hernehmen, seinem Herrn,
den alle Welt fuerchtet, ins Gewissen zu reden? Friedrich Wilhelm dem
Ersten von Preussen hat doch ein Landprediger den Vers aus der Bibel
vorgehalten: "Wer einen Menschen stiehlt", um damit seine gottlose
Menschenraeuberei fuer die Potsdamer Garde zu strafen. Wer wird dergleichen
unternehmen duerfen, wenn es weder Vorsteher der Nation gibt, die von ihr,
und nicht vom Regenten abhaengen; noch auch Lehrer goettlicher Weisheit, die
einen hoehern Beruf anerkennen, als ein Bestallungspatent!

Die Reformatoren der Kirche haben dies Alles wohl gefuehlt. Sie verkannten
ihren Beruf nicht. Sie haben den geistlichen Stand, dem die Sorge
anvertraut ist, eine hoehere Bildung des Menschengeschlechts zu erhalten,
nicht zu Dienern des irdischen Gemeinwesens, zu Staatsdienern
herabgewuerdigt. Die Fuersten der Zeit haben sich nicht vermoege ihrer
fuerstlichen Wuerde zu Haeuptern der Hierarchie erklaert. Das haette das
damalige Volk nicht gelitten. Die deutschen Fuersten haben als natuerliche
Beschuetzer der Kirche, deren maechtigste Glieder sie waren, die
bischoeflichen Rechte und Pflichten auf sich genommen, nachdem die
Gemeinden sich von der katholischen Hierarchie losgemacht hatten. Dieser
wesentliche Unterschied wird kaum mehr beachtet, seitdem die Speculationen
ueber das Staatsrecht und ueber die Staatsklugheit eine angeblich
metaphysische Wendung genommen haben, vermoege deren ein strenges aeusseres
Recht das Wesentliche aller sittlichen Verhaeltnisse der buergerlichen
Gesellschaft ausmachen soll: da doch die Menschen, aus denen der Staat
besteht, die Gesetze ueber aeusseres Recht nicht eher begreifen, und die
Verpflichtung sie zu besolden nicht anerkennen, bis sie durch viele
religioese Bemuehungen und moralischen Unterricht dazu faehig gemacht sind.




                                   12.


Der Hauptgedanke, auf welchen diese lehrreiche Darstellung der vergangenen
italienischen Zeiten fuehrt, ist ganz allgemein wahr und zu allen Zeiten
nuetzlich. Selbst ist der Mann. Jeder muss sich selbst zu schuetzen suchen,
so viel er kann. Man darf nie Andere fuer sich tapfer, vorsichtig, klug
sein lassen und sie dafuer bezahlen; denn wer Schaetze hat, fremden Schutz
zu erkaufen, dem werden sie gerade von demjenigen genommen, den er zum
Waechter zu bestellen dachte. Der Genuss des Reichthums erschlafft und nimmt
selbst dem, welchem es nicht an Einsicht fehlt, die Kraft zu handeln.
Daher hat grosser Reichthum der Voelker von jeher schlimme Perioden
herbeigefuehrt: entweder Unterjochung von Aussen oder Revolutionen im
Innern, wodurch die Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten und das
Eigenthum der Nation in die Haende derjenigen Classen gerieth, die bis
dahin noch keinen Antheil am Ueberflusse gehabt hatten. Hieraus ergibt
sich auch die Ursache, warum Seemaechte, trotz des groessten Reichthums und
selbst des uebertriebensten Luxus, den er veranlasst, gross und maechtig
bleiben koennen. Die Quelle ihrer Schaetze fuehrt das Heilmittel selbst bei
sich. Die Schifffahrt gelingt nur durch die aeusserste Anstrengung aller
Kraefte des Geistes und des Koerpers. Daher noethigt der Seehandel, der den
groessten Gewinn bringt, zugleich zu dem emsigsten Bestreben nach einer
Ausbildung, die auch im Kriege Ueberlegenheit gibt. Wenn eine Seemacht
jemals andere Nationen in Sold naehme, um fuer sich die Gefahren und
Muehseligkeiten der Schifffahrt zu uebernehmen, so waere sie verloren. Aber
auch nur dann. Die grosse Seefahrt und die Gesetze, die sie veranlasst,
werden gewoehnlich nur aus dem eingeschraenkten Gesichtspunkte des
Handelsgewinns angesehen. Die Veranstaltungen, die sich darauf beziehen,
sind aber noch weit wichtiger in moralischer Ruecksicht. Sie befoerdern die
ernsthafte Beschaeftigung und Abhaertung, sie erhalten einen maennlichen
Charakter in der Nation. Und da das Seewesen einer grossen Menge von
wissenschaftlichen Kenntnissen bedarf, so entsteht daraus das Phaenomen
einer kriegerischen Macht, die zugleich alle Kuenste des Friedens zu
vervollkommnen sucht; wohingegen eine sehr kriegerische Nation auf dem
festen Lande immer Gefahr laeuft, in Rohheit der Sitten zurueckzusinken.




                                   15.


Macchiavelli kannte die Begriffe von Recht und Sittlichkeit und ihren
Einfluss auf die Menschen sehr wohl. Aber sie galten ihm nur als
Erscheinungen im menschlichen Gemuethe, die gleich andern Neigungen und
Vorteilen in die Berechnungen ueber die Triebfedern der menschlichen
Handlungen mit aufgenommen werden mussten, ohne ihnen einen Werth an sich
selbst zuzugestehen. Eben so kannte einer von seinen Schuelern, die ihn am
besten begriffen hatten, die sittlichen Triebfedern der Menschen gut
genug, um sie fuer seine Zwecke und zu dem Verderben derer zu missbrauchen,
die er dadurch zu seinen Werkzeugen machte. Aber dieser Mann, Napoleon der
Erste, verkannte die Natur der Dinge, wenn er die ganze lebende Welt um
ihn her nur im Verhaeltnisse zu seiner Person beurteilte, und in Beziehung
auf sich ordnen wollte. Er waehnte, sich fuer ein personificirtes Schicksal
erklaeren zu duerfen. Der maechtigste Mensch bleibt doch immer nur ein
Triebrad des Schicksals unter vielen. Er ist und bleibt abhaengig, so wie
Andre, nur auf andre Art. Es ist daher etwas Verkehrtes in der Sinnesart,
die alles Allgemeine, Hoehere, Edlere der Persoenlichkeit unterordnet, und
deshalb kann sie schon vor dem Richterstuhle des blossen Verstandes nicht
bestehen; wohingegen derjenige, der sein persoenliches Interesse hoeheren
Zwecken unterordnet, auch alsdann mit sich einig bleibt, wenn er diese
verfehlt, und sogar, wenn er selbst darueber untergeht.




                                   16.


Diese Bemerkungen sind von der groessten Wichtigkeit fuer jeden Regenten. Die
Freigebigkeit ist eine natuerliche Eigenschaft des hohen Sinnes. Man fuehlt
sich ueber andre Menschen erhaben, indem man ihnen wohl thut. Sie ist also
ganz eigentlich eine fuerstliche Tugend. Der Geiz hat etwas Kleinliches und
ist daher in einer hohen Stelle unanstaendig. Bei dem, der nach der
Herrschaft strebt, kommt noch hinzu, dass er des Beistandes so Mancher
bedarf, und denselben durch alle Mittel suchen, ihn also auch oft erkaufen
muss.

Betrachtet man aber die Folgen, so sieht man auf der Seite der
Freigebigkeit undankbare Guenstlinge, die immer mehr fordern, je mehr sie
erhalten haben; ganze Classen, die als ein Recht ansehen, was Einem unter
ihnen zugestanden worden; die, wenn sie das gesammte fuerstliche Gut unter
sich getheilt haben, denjenigen gering schaetzen, der nichts mehr zu geben
hat und sich gegen ihn auflehnen; misslungene Unternehmungen, weil es an
Mitteln fehlt; unbelohntes Verdienst, ungerechte Vorenthaltung
rechtmaessiger Forderungen, allgemeine Unzufriedenheit, zuletzt Verachtung.

Der Geiz hingegen, nicht aber die Habsucht, die vielmehr mit
leichtsinniger Verschwendung nahe verwandt ist, kann wol mit
Gerechtigkeitsliebe bestehen. Strenge Wirthschaftlichkeit macht den Grund
aller guten Regierung aus. Ist aber der Geiz nicht die Folge ernstester
Ueberlegung und Vorsicht, entspringt er vielmehr aus Neigung, so faellt er
auf die Gegenstaende, welche nicht die wichtigsten sind, sondern nur die
naechsten; er laesst grosse Dinge fahren, um Kleinigkeiten zu ergreifen, freut
sich nicht ueber den Zweck der guten Haushaltung, sondern nur ueber das
Ersparen selbst, missgoennt daher Jedem die wohlverdiente Belohnung
geleisteter Dienste und erzeugt allmaehlich die tiefe Abneigung, welche
derjenige stets einfloesst, dessen Macht man fuerchtet, ohne seinen Charakter
zu achten.




                                   17.


Die Lehren dieses Kapitels sind einleuchtend. Dennoch wird es Maennern von
menschenfreundlicher Gemuethsart sehr schwer, sie anzunehmen. Sie hoffen
immer, die Menschen werden zu ihren Gunsten eine Ausnahme machen. Ihre
eignen Gesinnungen verleiten sie auch in Andern entsprechende zu wuenschen
- vergeblich zu erwarten. Aber es wird im Gegentheil demjenigen, der
einmal im Rufe der Menschenliebe steht, von allen Seiten angesonnen, sich
gefallen zu lassen, was keinem Andern widerfaehrt, und das ist der wahre
Grund, warum die angebliche Tugend der Gutmuetigkeit - sehr verschieden von
der Liebe zum Guten - so allgemein erhoben wird. Sie ist in Wahrheit nur
Schwaeche eines harmlosen Gemueths und schon im Privatleben veraechtlich. Wer
den Menschen im Ernste wohl will und fuer sie thaetig sein moechte, muss
kaempfen und ueberwinden, den widerstrebenden Eigennutz der
Schlechtgesinnten in Furcht setzen, die Schwachen zwingen mitzuwirken und
oft diejenigen selbst, denen er wohlthun will, noethigen, ihr eigenes
Bestes zu besorgen. Im oeffentlichen Leben gibt es gar keinen groesseren
Fehler, als jene Gutmuethigkeit, die immer nachgibt: Schlechte schont und
Gute preisgibt; bescheidene Selbstverleugnung vorschuetzt, um
zurueckzubleiben, wo es die Pflicht erfordert, hervorzutreten, und die
veraechtlichste Feigheit mit dem nichtswuerdigen Ruhme der Suendhaftigkeit im
Leiden, da wo man sich wehren sollte, beschoenigt. Vorzueglich ist
Nachgibigkeit und unzeitige Schonung im Verhaeltnisse zu Untergebenen
verderblich. Die Liebe zu Vorgesetzten erfordert einen ueberwiegenden
Zusatz von Achtung. Diese ist mit der Furcht naeher verwandt, als mit der
Zuneigung. Ein anderer Bestandtheil der Liebe zu Vorgesetzten ist
Vertrauen auf ihren Schutz. Dazu gehoert wieder die Ueberzeugung, dass Andre
sich vor ihnen fuerchten. In einem andern Sinne als Macchiavelli es
behauptet, ist es in der That wahr: die Furcht ist das Band der
buergerlichen Gesellschaft.




                                   18.


Unter allen Lehren, die Macchiavelli den Grossen gibt, haben diese den
allgemeinsten Beifall gefunden. Auf ihn berufen sich alle Staatsmaenner,
die Vertraege und Zusagen brechen und den Betrug mit dem Namen der Politik
rechtfertigen moechten. Doch hat ein so erfahrener Mann unmoeglich sagen
wollen, dass ohne Gefahr immer und immer nur betrogen werden koenne. Das hat
er auch nicht gesagt, denn er verlangt ja von seinem Fuersten, dass er gegen
Tugend und Laster nur gleichgiltig sein, Eines wie das Andere ueben und
beides nur als Mittel gebrauchen solle, Absichten zu erreichen. Die Grossen
und Maechtigen begehren gewoehnlich von den Fesseln moralischer Gesetze
befreit zu werden, um ihre Leidenschaften zu befriedigen. Das aber gewaehrt
ihnen Macchiavelli nicht. Es fordert vielmehr keine noch so strenge Moral,
so grosse Aufopferungen, als diejenige Staatskunst, welche von keiner Moral
etwas wissen will, und Alles, was der Mensch thut, den kalten Berechnungen
des Verstandes unterwirft, um einen einzigen Zweck zu erreichen. Wer
danach strebt, Herrschaft zu erringen, und wenn er sie hat, zu erweitern,
darf nichts Anderes wuenschen. Macchiavelli sagt gar nicht, der Fuerst darf
sich ueber die Moralitaet ganz wegsetzen, sobald es ihm beliebt, weil er
maechtig genug ist, es ungestraft zu thun. Dazu kannte er das Volk zu gut
und beurtheilte zu richtig, was auf dasselbe wirkt. Er verlangt aber
vollkommene Gleichgiltigkeit gegen die Tugenden im Herzen selbst. Der
Fuerst soll den Redlichen und Unredlichen spielen, so wie es die Umstaende
verlangen. Es ist also auch nicht damit gethan, sich gegen Gefuehl und
Gewissen abzuhaerten und bei keinem Verbrechen anzustossen, das in den Plan
des Ehrgeizes gehoert. Wer dies leistet, hat nur die Haelfte der Forderung
erfuellt. Er muss sich daneben das Ansehn aller Tugenden geben. Hier aber
erkennt man den scharfsinnigen Beobachter der Menschen gar nicht.
Aristoteles, der in seiner Politik (im fuenften Buche, elften Kapitel) dem
Tyrannen Lebensregeln gibt, die ueberhaupt mit dem Macchiavelli ziemlich
uebereinstimmen, verlangt ebenfalls, dass er den Schein aller Tugenden
annehme, die ihm fehlen. So noethig sind die wahrhaft koeniglichen Tugenden
jedem Herrscher, dass er den Ruf, sie zu besitzen, nie ganz entbehren kann.
Aber Aristoteles raeth ihm, sich ihnen moeglichst zu naehern, davon
anzunehmen, was er nur vermag, und wenigstens den Schein der andern zu
suchen. Macchiavelli hingegen verbietet ihm die Tugenden selbst, weil sie
ihm hinderlich sein wuerden; verlangt aber dabei, dass er ihren Schein
annehme, so oft er ihrer Wirkung nicht entbehren kann. Kann nun wol der
blosse Schein diese hervorbringen? Wir sehen schon im gewoehnlichen Leben,
wie wenig Zutrauen und welche tiefe Abneigung diejenigen Menschen erregen,
denen es nur auf den Effect ankommt, die sich daher selbst immer im Auge
haben und einen Spiegel mit sich umhertragen. Sie moegen sich noch so gut
darauf verstehen, andre Menschen anzufuehren, sie werden dennoch bald fuer
das erkannt, was sie sind. In den kleinsten Zuegen ihres Betragens liegt
ein "Huete dich!" das seine Wirkung nicht verfehlt. Die Grossen sind
vielleicht maechtig genug, das vorwitzige Urtheil ihrer Unterthanen zu
unterdruecken. Aber auch der Nachwelt? Und doch hat schwerlich jemals ein
Fuerst existirt, der Geist genug hatte, die schwere Rolle zu spielen, die
Macchiavelli vorzeichnet, ohne den Wunsch zu hegen, dass er auch nach
seinem Tode so beurtheilt werden moechte, als er sich bemueht, vor seinen
Zeitgenossen zu erscheinen.

Wer maechtig genug ist, ehrlich handeln zu koennen, thut daher immer noch
besser, der Heuchelei zu entsagen. So lange Verstand gegen Verstand kaempft
und der Macchiavellische Fuerst sich auf seinem wohlbekannten Fechterboden
befindet, wo Verrath und Treulosigkeit von beiden Seiten angewendet
werden, die Absichten durchzusetzen, wird stets der Schlaueste den Sieg
davontragen. Wenn es aber darauf ankommt, nicht den Listigen zu
ueberlisten, sondern die Ehrlichkeit zu beruecken und die gerade Einfalt des
Herzens sich nicht mehr anfuehren lassen will, so vermag alle Kunst nichts
mehr, und Satan selbst hat nicht Verstand genug, um die Tugenden des
Gemueths zu ersetzen, die fortan allein etwas auszurichten vermoegen.

Was insbesondere die Wortbruechigkeit betrifft, von der Macchiavelli als
von einer notwendigen und gewoehnlichen Sache redet, so bedarf es einer
genauen Bestimmung, wann sie dem Fuersten erlaubt sein kann. Es ist ein
alter und mit religioeser Ehrfurcht bewaehrter Ausspruch, dass das Wort der
Fuersten heilig sein solle. Die Wahrhaftigkeit ist ueberhaupt das Band, das
die menschliche Gesellschaft zusammenhaelt. Selbst die einzelne Luege kann
nur da etwas wirken, wo Wahrheit allgemeine Regel ist. Von Andern verlangt
sie daher auch ein Jeder, und der aergste Luegner schreit immer am lautesten
gegen den Betrug, der gegen ihn gespielt wird. Die ganze Welt aber
vereinigt ihre Stimme, denjenigen, der sich nicht etwa einmal eine
Unwahrheit oder einen Wortbruch zu Schulden kommen laesst, sondern in dessen
Charakter es liegt, durchaus unwahr zu sein, wie eine Pest der
Gesellschaft zu fliehen.

Die Natur hat aber dem Menschen die List nicht umsonst gegeben. Sie ist
die Schutzwehr des Schwachen gegen Staerkere; sein Vertheidigungsmittel
gegen uebermaechtige Gewalttaetigkeit. Mit Recht sagt daher Macchiavelli, dass
der Fuerst sich darauf verstehen muesse, den Fuchs und den Loewen zu spielen.
Weil er unter Menschen wandelt, die mehr von der thierischen Natur an sich
haben, als vom Geistigen, so muss er gleichfalls die Bestie herauskehren,
wenn es Noth thut. Beides soll er koennen, den Fuchs spielen und den Loewen.
Der Loewe ist stark, wirft Alles nieder und verzehrt, was ihm gefaellt. Wenn
er theilt, so nimmt er das beste Stueck, weil er Loewe heisst. Der Fuchs
hilft sich mit List, um zu erlangen, was er zu seiner Erhaltung bedarf.
Aber den Wolf, den Feind aller Geselligkeit, der selbst mit seines
Gleichen nur Verbindungen des Augenblickes eingeht, um ueber den Dritten
herzufallen und nie in einer friedlichen Gemeinschaft angetroffen wird,
dieses ganz ungesellige Thier soll kein Mensch jemals nachahmen. Vielmehr
soll ja der Fuerst, wie Macchiavelli selbst sagt, den Loewen machen, um die
Woelfe zu vertreiben. Noch in andern Stellen seiner Werke spricht er
nachdruecklich gegen diejenigen, die wie die Woelfe unter Menschen leben.
Wenn denn also dem Menschen die Schlauheit des Fuchses gegeben ist, damit
er die Woelfe ins Verderben ziehe, gegen die er sich nicht wehren kann,
wohlan, so gebrauche die List, so oft sie nothwendig ist. Luege, brich dein
Wort, verschwoere dich, verleite deinen Gegner durch die hinterlistigsten
Vorspiegelungen und stich ihm den Dolch ins Herz, indem du ihn umarmst.
Aber beweise, dass dies Alles nothwendig war, um dich von der Noth zu
befreien, die die Bosheit ueber dich brachte: und du bist gerechtfertigt.
Zeige, dass es nothwendig war, um das dir anvertraute Volk vom Untergange
zu retten - und du wirst als ein wohlthaetiger Schutzgeist verehrt werden.
Wer kann sich der lebhaftesten Theilnahme erwehren, wenn die
Unternehmungen des selbstsuechtigen, unersaettlichen, gegen Wohl und Wehe
der Menschen gefuehllosen Ehrgeizes und der Habsucht durch die
Verschlagenheit des Unterdrueckten auf den Urheber der Misshandlung
zurueckfallen?

Es ist um so viel notwendiger, die Kuenste der List und Verstellung richtig
zu wuerdigen, da sie einen ganz eigenthuemlichen Reiz fuer die Grossen haben,
der aus den besondern Verhaeltnissen ihrer Lage entspringt. Wer so viel
vermag, sollte man denken, wird sich die Muehe nicht geben wollen, sich zu
verbergen. So Vieles kommt ihren geringsten Wuenschen entgegen. Sie
brauchen kaum zu wollen, so geschieht schon, was ihnen angenehm ist. Wie
selten hat Einer von denen, die sich ihnen nahen, die Dreistigkeit, etwas
zu tadeln, das sie thun. Aber das Alles trifft doch nur die Kleinigkeiten,
die ihre eignen persoenlichen Neigungen angehen. In Allem, was zu ihrem
politischen Leben gehoert, ist es ganz anders. Sie finden in den
verwickelten Anstalten der buergerlichen Ordnung, in der Organisation der
Gewalt selbst, mit der sie ihren Willen vollziehen, Schwierigkeiten und
Widerstand. Sie verachten die Menschen und missbrauchen sie ohne Scheu.
Dennoch koennen sie dieselben nicht zu Maschinen machen. Der
unumschraenkteste Monarch muss sich herablassen, ihre eignen Gesinnungen und
Empfindungen zu schonen. Ausserdem ist Alles, was ihn umgibt, unaufhoerlich
beschaeftigt, von jeder seiner Aeusserungen Vortheil zu ziehen. Er lernt
bald, dass Alles, was von ihm herkommt, von der groessten Wichtigkeit ist und
oft Wirkungen thut, die ihn selbst ueberraschen. Wenn er nicht etwa von dem
Feuer eines ungestuemen Temperaments beherrscht wird, das keinen Zwang
ertraegt, so wird er in sich selbst misstrauisch und geneigt zur
Verstellung.

Kommt hierzu noch eine verkehrte Bildung des Geistes, entschuldigt er bei
sich selbst den Mangel an Entschlossenheit und Muth mit dem Grundsatze, es
sei besser, Alles, was auf geradem Wege zweifelhaft sein koennte, mit
versteckter Kunst zu Stande zu bringen; findet er ein Vergnuegen darin,
Schwierigkeiten aufzusuchen, und bewundert seinen eignen Verstand, wenn er
mit seinen Mittelchen die Kraft des Willens zu ersetzen sucht, - so
entsteht zuletzt ein Gewebe, darin sich der Kuenstler, der es angelegt hat,
selbst verstrickt und verliert.

Die Wirkungen der Politik, die Macchiavelli lehrt, haben sich niemals
deutlicher gezeigt, als in der Geschichte der Familie, fuer die sein Buch
zunaechst bestimmt war.

Lorenzo von Medici, dem er es zugeeignet hat, ist nicht Herr von Florenz
geworden. Aber er scheint doch von den Rathschlaegen, die ihm hier ertheilt
werden, Gebrauch gemacht zu haben. Er hatte, wie es scheint, Anlage zu
einem Schueler des Macchiavelli im praktischen Leben. Ein frueher Tod
unterbrach seine Ausbildung. Aber er vererbte diesen Schatz von
Grundsaetzen auf seine Tochter. Catharina von Medici nahm sie mit sich nach
Frankreich. Dort ward das florentinische Gewaechs von den Landsleuten, die
sie dahin begleiteten, sorgfaeltig gepflegt. Die Geschichte der
franzoesischen Nation hat dadurch eine ganz eigne und ihrem urspruenglichen
Charakter fremde Wendung genommen. Der Herzog von Retz, den Catharina aus
Florenz kommen liess, hatte einen entscheidenden Einfluss auf die
Entschliessungen Karl des Neunten und Heinrich des Dritten, und brachte
Plaene zur Reife, die in franzoesischen Gemuethern schwerlich gediehen waeren.
Mehrere Italiener umgaben Heinrich den Dritten. Unter diesen der Abbate
del Bene, von dem sich jener Monarch, dessen Charakter und dessen Leben
ein sonderbares Gemisch von Wollust, Traegheit, Leichtsinn und tiefer
Verstellung, dreister Thaetigkeit und Grausamkeit war, in den Stunden, wo
es ihn anwandelte, Politik zu studiren, den Tacitus, Polybius und mehr als
diese den Fuersten von Macchiavelli vorlesen liess.(25) Die Lehren, die er
hier vernahm, uebte er auch dann und wann einzeln, nach Laune aus. Und
damit bekraeftigte er selbst recht nachdruecklich die Bemerkung seines
Lehrers, dass die Menschen selten den Muth und die Beharrlichkeit haben,
etwas recht und ganz zu sein, und dass sie eben dadurch zu Grunde gehen.

Die Mutter aber war anders. Beides, natuerliche Anlage und Bildung durch
die Lehren des Meisters in der italienischen Politik, vereinigten sich in
ihr, und in ihrer Lage fanden sich Veranlassungen, die ganze Rolle zu
spielen, die er vorgezeichnet hatte. Ihre Ansprueche auf die Regentschaft
waehrend der Minderjaehrigkeit ihrer Soehne waren zweifelhaft. So weit befand
sie sich mit dem Fuersten des Macchiavelli in gleichen Verhaeltnissen, und
die Schwierigkeiten, die ihr entgegenstanden, wurden noch durch ihre
fremde Abkunft vermehrt. Grosse persoenliche Vorzuege waren erforderlich, sie
zu ueberwinden, und solche hat sie unstreitig besessen.

Catharina von Medici hatte so viel Verstand und Talent, als irgend eines
der Weiber, die in der Geschichte beruehmt geworden sind. Der begeisterte
Verehrer ihrer Vorzuege, der Geschichtschreiber Davila, haelt ihr bei der
Erzaehlung ihres Todes folgende Standrede:

"Die grossen Eigenschaften dieser Frau, welche dreissig Jahre lang die Augen
von ganz Europa auf sich gezogen hat, erhellen besser aus ihrer
Geschichte, als ich sie in wenigen Worten darstellen koennte. Ihr Verstand
war unerschoepflich an Mitteln, um die unerwarteten Zufaelle zu verbessern,
und die Wirkungen des ueblen Willens der Menschen zu vereiteln. Hierdurch
ertrug sie waehrend der Minderjaehrigkeit ihrer Soehne die Last der
buergerlichen Kriege, waehrend welcher sie zu gleicher Zeit den
Religionseifer, die Widerspenstigkeit der Unterthanen, die Bedraengnisse
des Schatzes, die Verstellung der Grossen und die ungeheuern Unternehmungen
des Ehrgeizes bekaempfte. Ihre Bestaendigkeit, ihr hoher Sinn, womit sie,
eine Fremde, es unternahm, das Ruder der Regierung den einheimischen
Grossen zum Trotze zu ergreifen, womit sie sich desselben bemaechtigte und
es festhielt gegen alle Kuenste der Widersacher und den Schlaegen des
Schicksals zum Trotze, hatte mehr Aehnlichkeit mit dem Geiste eines in den
grossen Welthaendeln gebildeten Mannes, als mit der Gesinnung eines an die
Weichlichkeit des Hofes gewoehnten und von ihrem Eheherrn unterdrueckten
Weibes. Aber die Geduld, die Gewandtheit, die Maessigung, womit sie sich zu
behaupten wusste, und ungeachtet des in ihrem Sohne selbst gegen sie
allmaehlich entstandenen Argwohns die Regierung so festhielt, dass er es
nicht wagte, ohne ihren Rath und ohne ihre Einwilligung zu handeln, selbst
da, wo er ihr nicht traute: dieses ist der groesste Beweis und das
kraeftigste Kunststueck ihrer vorzueglichen Gaben. Daneben wusste sie sich
stets ueber die natuerlichen weiblichen Schwaechen zu erheben und unterlag
nie den kleinlichen Neigungen, welche vom rechten Wege abfuehren. Sie hatte
einen hellen Verstand, wahrhaft koenigliche Anmuth in ihrem Benehmen gegen
die Menschen, maechtiges Talent zu reden, lebendige Neigung sich freigebig
und geneigt gegen die Guten zu beweisen, den bittersten und
unversoehnlichen Hass gegen die Andern. Sie liess nicht ab, ihre Anhaenger zu
beguenstigen und zu erhoehen, und dennoch konnte sie es nicht dahin bringen,
dass der franzoesische Stolz ihre italienische Geburt vergessen haette. Die
unruhigen Koepfe hoerten nie auf, sie als die Feindin ihrer Absichten zu
hassen, und insbesondere ist sie von den Hugenotten verleumdet worden, als
wenn sie nur aus unbegrenzter Begierde zu herrschen Rathschlaege gegeben,
wodurch Frankreich doch aus den groessten Gefahren gerettet worden ist. Mit
allen diesen Tugenden war sie der allgemeinen Unvollkommenheit der
menschlichen Natur unterworfen und hatte ihre Fehler. Man hielt dafuer, ihr
sei durchaus nicht zu trauen: etwas zu allen Zeiten, vorzueglich aber und
ganz besonders zu den unsrigen Gewoehnliches. Sie duerstete mehr nach Blut
oder verachtete das Menschenblut wenigstens mehr, als ihrem Geschlechte
wohl ansteht, und es ward bei vielen Gelegenheiten offenbar, dass sie alle
und jede Mittel, auch die ungerechtesten und verraetherischsten gut fand,
um nur zu ihrem Zwecke zu gelangen. Aber bei billigen Beurtheilern werden
diese Fehler, welche die Noth der Zeiten veranlasste, durch die erwaehnten
grossen Eigenschaften bedeckt."

Wenn man nun diese grosse Koenigin, dieses Ideal italienischer Politik,
deren Bild Davila hier beinahe mit denselben Ausdruecken entwirft, womit
Macchiavelli seinen Fuersten zeichnet; wenn man sie naeher betrachtet und
ihre Geschichte erwaegt, so wie sie von ihrem Lobredner selbst erzaehlt
wird, was findet man denn fuer grosse Wirkungen ihrer hochberuehmten
Eigenschaften? Die schlaue Frau wusste durch ein verstecktes Spiel, durch
die Kuenste der verfuehrerischen List, die sie in der That im vollkommensten
Masse auszuueben verstand, alle Parteien in gewissem Gleichgewicht und sich
ueber sie erhaben zu erhalten. Jede dieser Parteien ward zwar bald inne,
dass mit ihr gespielt werde, musste sich aber diesem Spiele hingeben, so oft
es ihr gefiel, es wieder anzuknuepfen, weil sie anfangs als Regentin die
rechtmaessige Gewalt und nachmals als geliebte und gefuerchtete Mutter einen
entscheidenden Einfluss hatte. Der heimliche Widerwille und das Misstrauen,
mit welchen diese Nachgibigkeit bestaendig verbunden war, vereitelte aber
auch auf jener Seite alle ernstlichen Unterhandlungen, und so ward es
unmoeglich, so lange sie lebte, die buergerlichen Unruhen beizulegen, welche
Frankreich solche Uebel zugefuegt haben, dass man wirklich nicht einsieht,
wovon Catharina das Reich errettet haben soll.

Die innern Kriege, die Frankreich vierzig Jahre lang zerrissen haben,
wurden beendigt, indem der rechtmaessige Erbe der Krone zu der Kirche
uebertrat, welcher bei weitem der groesste Theil des Volkes leidenschaftlich
anhing. Heinrich dem Vierten war es lange vorher gesagt, er werde den
Thron von Frankreich nie besteigen, wenn er das Volk nicht durch diesen
Schritt versoehnte. Er war selbst davon ueberzeugt und ging Jahre lang damit
um, durfte es aber nicht wagen, aus Besorgniss, die Partei, die ihm schon
anhing, zu verlieren, ohne der andern gewiss zu sein. Catharina hatte schon
Unterhandlungen mit ihm angefangen, die dahin fuehren sollten, und durch
deren gluecklichen Ausgang das, was einmal geschehen musste, zum Besten der
franzoesischen Nation viel frueher geschehen waere. Was vereitelte denn diese
Bemuehungen der kluegsten Frau ihrer Zeiten? Der geringe Umstand allein: der
kleine Naturfehler, ueber den Davila so leicht weggeht: - "Ihr war nicht zu
trauen." - Nachdem sie unzaehlige Male gelogen und betrogen hatte, da
konnte sich auch der treuherzigste Mensch auf der Erde nicht mehr von ihr
anfuehren lassen. Solche Politik ist gut, um Kriege anzuzetteln. Wenn man
aber das Feuer ausloeschen moechte, das durch so schlaue Kuenste angefacht
ist, so findet man _selbst_ mit Erstaunen, dass alle die Werkzeuge, wodurch
der feine Verstand so bewunderungswuerdiges Machwerk zu Stande gebracht
hat, nichts mehr vermoegen; dass das einzige Wort eines zuverlaessigen
redlichen Mannes eine sicherere Grundlage abgibt, als die kuenstlichsten
Veranstaltungen der List, und dass Achtung und Zutrauen der Menschen
kraeftigere Mittel sind, etwas Grosses zu vollbringen, als die
Ueberlegenheit des Verstandes, wenn sie gemissbraucht wird, Andere zu
bethoeren, die sich fuer die erlittene Demuethigung mit unversoehnlicher
Erbitterung raechen, sobald sie koennen.

Lange vor dem Macchiavelli und Davila hatte schon der juengere Philipp von
Macedonien ein Beispiel davon gegeben, was die Geschichte des Betrugs und
der List fuer einen Ausgang nimmt. Er versuchte sich zum Oberhaupte der
Griechen zu machen, um den Roemern die Spitze zu bieten. Ungefaehr so wie
Caesar Borgia sich eine ueberwiegende Macht in Italien zu erwerben
trachtete, um den Fremden zu widerstehen. Und mit denselben Mitteln. Was
war das Ende? Er hatte in allen griechischen Staaten so viel Misstrauen, so
viel heimliche und oeffentliche Feindschaft erregt, dass es ihm unmoeglich
ward, die Nation mit sich zu vereinigen. Er unterlag im Kampfe, ohne nur
einmal von seinem eignen Volke bedauert zu werden.

Die Menschen hoeren indessen nicht auf, den Verstand ohne alle Beziehung
auf die Eigenschaften des Gemueths, die ihm zur Unterlage dienen muessen,
wenn er wahren Werth haben soll, ausschliesslich zu bewundern. Der
scheinbare Erfolg seiner Kunststuecke im Einzelnen verleitet sie nicht
allein zu dem Vorurtheile, dass es in der Welt nur auf Verstand ankomme;
sie verkennen auch seine Natur. Das sichere treffende Urtheil, welches in
verwickelten Verhaeltnissen das Geringfuegige uebersieht und den Punkt
festhaelt, auf den Alles ankommt, ist ihnen zu einfach. Ein Gewebe von
kleinen Kuensteleien, von Auswegen des Augenblicks, die immer tiefer in die
Verwicklung fuehren, von verschmitzten Raenken, gefaellt ihnen besser.
Doppelzuengigkeit, Falschheit und List, ueber deren zweckmaessigen Gebrauch
Macchiavelli selbst Lehren gibt, die wol einiges Bedenken erregen koennten,
ob man sich auch zutrauen duerfe, sie so anzuwenden; diese Untugenden
gelten am Ende fuer Beweise von Verstand und Talent, oder sollen den Mangel
daran ersetzen. Wer gar keine Lust hat, die Maske des Loewen vorzunehmen,
die ihn auch schlecht kleiden wuerde, glaubt genug gelernt zu haben, wenn
er zu luegen, zu betruegen, sein Wort zu brechen weiss. So ist es zu gewissen
Zeiten in der Geschichte dahin gekommen, dass man ueberall, wo sich Jemand
in vollendeter Nichtswuerdigkeit nur recht schamlos beweist, den Geist von
Macchiavelli's Fuersten zu erkennen geglaubt hat. Zu diesem aber gehoert die
Tapferkeit des entschlossenen Gemueths eben sowol, als die Gewandtheit des
listigen. Nur in dieser Beziehung vertraegt die Welt die Unredlichkeit. Der
Abscheu, den diese einfloesst, nimmt dabei den Charakter einer grauenvollen
Bewunderung an; geht aber in Verachtung ueber, sobald diese nachlaesst: "_Du
sublime au ridicule il n'y a qu'un pas!_"




                                   19.


Interessant ist der Rath Macchiavelli's an den neuen Fuersten, sich nicht
an den Weibern seiner Unterthanen zu vergreifen.

Einem gebornen Prinzen wird es ja nicht schwer, solche Neigungen zu
befriedigen. Die Weiber kommen ihm natuerlich stets entgegen. Er ist immer
allein schoen, klug, liebenswuerdig. Er hat also wenig Versuchung, die
Schranken zu uebertreten, die ihm der Anstand vorschreibt, und in der
fuerstlichen Erziehung wird auf die Erhaltung des Anstandes so viel Werth
gelegt, dass er ihn wol einmal verletzen, aber sich schwerlich ganz darueber
wegsetzen wird. Anders der Privatmann, der zur Unabhaengigkeit von den
Gesetzen, die Andre binden, gelangt ist und keine Scheu vor dem
oeffentlichen Urtheile hat, er ergibt sich den Ausschweifungen der Wollust
nicht allein aus Sinnlichkeit oder Eitelkeit, sondern oft aus blossem
Uebermuthe. Manche neue Fuersten haben einen Genuss darin gesucht, ihre
Unterthanen auf diese Art zu beschimpfen, und die hierdurch gereizte Rache
hat mehr Fuersten das Leben gekostet, als der Patriotismus von
Republikanern.

Der neue Fuerst selbst beschaeftigt sich groesstentheils mit herrschsuechtigen
Plaenen und wird durch die Ruecksicht auf diese einigermassen zurueckgehalten.
Aber Soehne und Brueder, die ihre Erhebung nicht eignen Bemuehungen
verdanken, verlieren alle Besinnung im Rausche der neuen Groesse. Unzaehlige
Beispiele finden sich in der Geschichte der roemischen Imperatoren und des
neuen Italiens. Eines lag dem Macchiavelli vermuthlich zunaechst vor Augen.

Der alte Pandolfo Petrucci von Siena liess morden, zwang reiche Erbinnen,
seine Anhaenger zu heirathen, und verfuhr ueberhaupt gewaltthaetig mit den
Buergern, wo es in seinen Plan gehoerte. Dabei behauptete er sich bis an das
Ende seiner Tage. Aber sein Sohn, Borghese Petrucci, der die Fruechte der
vaeterlichen Bemuehungen von frueher Jugend an einerntete, wusste nicht was
Alles beginnen, um sie zu geniessen. Er beraubte Diesen und Jenen,
verfuehrte und missbrauchte mit Gewalt Weiber und Toechter. Dafuer ward er
verjagt. Nicht besser machte es in Florenz selbst Alessandro von Medici,
der nach Macchiavelli's Tode nicht durch eigne Talente und Bemuehungen,
sondern durch Protection Herzog geworden war: auch er ward deshalb
ermordet. Die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts enthaelt noch mehrere
Beweise, bis zu welchem Unsinne der Uebermuth der Emporkoemmlinge die
unnatuerlichsten Ausschweifungen der Wollust treiben kann. Was zum Beispiel
ein Pietro Luigi Farnese, Sohn des Papstes Paul des Dritten, mit dem
Erzbischofe von Bologna vorgenommen, als dieser ihn bei einem feierlichen
Einzuge bewillkommte, grenzt beinahe an das Unglaubliche ....




                                   22.


Es ist bereits einige Male Pandolfo Petrucci erwaehnt, der sich zum
Oberhaupte des Staats von Siena aufgeworfen hatte, ohne jedoch den Namen
eines Herrn zu fuehren. Er verdankte den ruhigen Besitz seiner hohen Stelle
vorzueglich dem Antonio Giordani von Venafro, der die Aemter eines Richters
und oeffentlichen Lehrers zu Siena bekleidet hatte, und dem Pandolfo als
Staatssecretair und in Gesandtschaften diente. Den Ratschlaegen dieses
Mannes werden die feine Politik und das feste Benehmen, seiner grausamen
Gemuethsart aber auch die Mordthaten zugeschrieben, wodurch sein Goenner
sich emporschwang und erhielt. Von der Sinnesart des Giordani und zugleich
vom Geiste der damaligen Zeit kann die Antwort als Probe dienen, die er
als Gesandter dem Papst Alexander dem Sechsten gab. Dieser fragte ihn, wie
er es anfange, die Sieneser zu regieren? - "Mit Luegen, heiligster
Vater." -

Der alte Petrucci brachte es dahin, dass sein Sohn Borghese Petrucci (seine
Mutter war eine Borghese) nach seinem Tode in seine Stelle einrueckte. Aber
der leichtsinnige und ausschweifende junge Mensch hatte nicht so viel
gesunden Verstand, dem alten Rathgeber seines Vaters zu folgen. Er hatte
einen Guenstling, Pochintesta, der sich die ausschweifendsten Misshandlungen
seiner Mitbuerger erlaubte. Antonio rieth ihm, sich durch die Hinrichtung
desselben die Liebe des Volkes zu erwerben. Er aber ergab sich ihm, dem
geliebten Genossen aller eigenen Bubenstuecke, immer mehr, anstatt ihn zu
zuechtigen. Die Partei, welche den Borghese Petrucci zu verdraengen suchte,
bemerkte bald, wo seine Staerke lag, und fing damit an, ihm den Antonio
verdaechtig zu machen. Der gedankenlose Borghese ging in diese Falle und
ertheilte dem beschwerlichen Mentor den Abschied mit angeblichem Bedauern
und in der Einkleidung eines Rathes, er moege der allgemeinen Abneigung
ausweichen und sich entfernen. Recht wohl, erwiderte Jener, ich werde
Ihnen das Quartier bestellen. Der junge Fuerst musste wirklich bald
nachfolgen. Die Petrucci hatten es mit den republikanisch gesinnten
Florentinern gehalten. Die Revolution zu Florenz, wodurch die Medici in
demselben Jahre wieder eingesetzt wurden, als Pandolfo starb (1512), zog
also natuerlich auch in Siena eine Katastrophe nach sich, wodurch unter dem
Schutze Papst Leo X. Rafael Petrucci, Bischof von Grosseto und Castellan
des Castel Sant' Angelo zu Rom, ein Vetter und geschworener Feind des
Borghese Petrucci und Anhaenger der Medici, statt des vertriebenen Borghese
auf kurze Zeit Oberhaupt von Siena geworden war. Antonio von Venafro war
gluecklich nach seiner Vaterstadt entkommen und beschloss daselbst sein
Leben in Ruhe. Borghese aber ward wahnsinnig und starb bald darauf in
Neapel.

Der Fuerst von Siena und sein Minister moegen in Einem verdienten Schicksale
untergegangen sein und mit so vielen Andern vergessen werden. Was gehen
sie uns weiter an? Aber das Mittel, wodurch der alte Rathgeber entfernt
und der Fuerst seiner Stuetze beraubt worden, verdient Aufmerksamkeit.
Dieser liess sich ueberreden, sein Freund sei allgemein verhasst; durch die
Entfernung desselben werde ihm die Liebe des Volkes erhalten und seine
Herrschaft gesichert werden. Eben so erregten die Guenstlinge Koenigs Karl
des Zweiten von England, denen der unbestechliche Clarendon im Wege war,
zuerst ein leises Gemurmel: der Kanzler fange an verhasst zu werden, er sei
auch gar zu wenig nachgibig, sein Benehmen allzu rauh. Es fanden sich
ihrer bald genug, die mit einstimmten, weil er sich geweigert hatte, ihre
unziemlichen Begehren zu erfuellen, und so gelangte eine angeblich
allgemeine Stimme vor den Thron, der Koenig muesse seinen Minister
entfernen, um selbst bei dem Volke beliebt zu bleiben. Clarendon musste
weichen, und nur sein Andenken hat eine verspaetete Genugthuung von der
unparteiischen Nachwelt erhalten.

Noch viele andere Fuersten sind in aehnliche Schlingen gefallen. Auch
bessere, und diese eben durch den Missbrauch, den man von ihren
vorzueglichsten Eigenschaften gemacht hat; ihrer Achtung gegen das
oeffentliche Urtheil und gegen die Gesinnungen des Volkes. Dazu gehoert
wahrlich nicht einmal die Schlauheit eines Arlington oder Buckingham.




                                   23.


Nie ist das alte, wenn man so sagen will, abgedroschene Kapitel der Moral
die uralte Lehre, die schon jener griechische Philosoph beim Stobaeus
seinem jungen Prinzen ertheilt: "Huete dich vor Schmeichlern!" so lebendig
und eindringend vorgetragen als hier. Nur ist der Satz: "Die Menschen sind
ihrer Natur nach schlecht" hier nicht recht passend, wenigstens zu
allgemein gefasst. Die Menschen sind nicht _alle_ schlecht - wenn auch
unlaeugbar die ueberwiegende Mehrzahl. Sie sind nicht _alle_ eigennuetzig,
von straeflichen Leidenschaften getrieben, wahrer Zuneigung und Vertrauens
unwerth. Durfte wol Heinrich der Vierte den Sully fuer schlecht halten? Und
haette dieser eine solche Meinung ertragen? Aber nur ein Fuerst, der wie
dieser die Schmeichelei verschmaeht, kann einen Sully finden. Macchiavelli
hat vorhin in Kapitel 22 selbst einen Minister aufgestellt, dem der Fuerst
unbedingt vertrauen und den er in sein eignes Schicksal verflechten soll.
Der Autor durfte doch kaum gemeint haben, dass der Fuerst dies mit einem
"schlechten", wenn auch noch so klugen Menschen wagen solle.




                                   25.


Die Geschichte der grossen Weltereignisse sowol als die einfache
Lebenserfahrung bestaetigt ohne Zweifel die in diesem Kapitel vorgetragenen
Lehren. - Jedes Zeitalter hat seinen eignen Charakter. Es hat nicht allein
eine jede Generation ihren besondern Geschmack, ihre eigenthuemlichen
Grundsaetze und Empfindungsweisen, sondern auch viele Begebenheiten, welche
zufaellig scheinen, weil ihr Zusammenhang mit den Gesinnungen und Neigungen
der Menschen nicht klar vor Augen liegt, nehmen etwas von jenem
eigenthuemlichen Geiste der Zeit an. Nur derjenige kann hoffen, eine grosse
Wirkung hervorzubringen, dessen Talente in gewissem Verhaeltnisse zu seinen
Zeitgenossen stehen, und der in das, was sie treiben, auf die rechte Art
eingreift. Dies Verhaeltniss des einzelnen handelnden Mannes zu dem, was ihn
umgibt, laesst sich nicht immer in bestimmten Ausdruecken angeben und auf
Grundsaetze zurueckfuehren. Der Beobachter der Welt stoesst in der Geschichte
und im taeglichen Leben haeufig auf ein unerklaerliches Etwas, welches
vollkommen gut ausgesonnene Plaene vereitelt. Es war nicht die rechte Zeit.
Ein altes Spruechwort sagt: "Der Mensch, der des Morgens mit dem linken
Fusse zuerst aus dem Bette tritt, stoesst den ganzen Tag ueber allenthalben an
und laeuft Gefahr, ein Bein zu brechen." Wer das Unglueck hat, in seine
Laufbahn mit einem ersten falschen Schritte einzutreten, kommt den ganzen
Tag seines Lebens ueber nicht in den rechten Tact, und findet stets
Widerstand.

Die groessten Talente, ja auch Vorzuege des Gemueths, haben nur eine gewisse
Zeit, waehrend welcher sie vollgiltig sind. Gluecklich, wenn ein guenstiges
Geschick den Mann von vorzueglichem Geiste abfordert, ehe die Periode
abgelaufen ist, in welcher er etwas zu leisten vermag; oder wenn er den
rechten Augenblick trifft, sich aus der thaetigen Welt herauszuziehen, um
dem herben Schicksale zu entgehen, ungeachtet der groessten Anstrengung,
geringeren, aber gerade jetzt besser angebrachten Kraeften weichen zu
muessen.

Macchiavelli sah selbst wohl ein, dass es unmoeglich ist, dem Menschen
vorzuschreiben, wie er handeln soll, ohne darauf Ruecksicht zu nehmen, ob
er, nach seiner individuellen Gemuethsart, gerade er so handeln kann. In
einem Briefe an Piero Soderini, worin er nicht mit der feierlichen Miene
des Lehrers der Fuersten auftritt, sondern vertraulich seine Meinung
mittheilt, drueckt er es ganz vortrefflich aus. "So wie die Natur," sagt
er, "den Menschen verschiedene Gesichter gegeben hat, so haben sie auch
verschiedene Gemuethskraefte und verschiedene Launen. Auf der andern Seite
sind auch die Zeiten gar sehr von einander verschieden. Demjenigen gelingt
Alles _ad votum_, der es mit dem Zeitalter in seinem Verfahren recht
trifft, und derjenige ist ungluecklich, der mit demselben in Widerspruch
geraeth. Die Zeiten und die Umstaende aendern sich aber gar oft, ohne dass die
Menschen ihre Einfaelle und Handlungsweise danach abaendern. Wer so
gescheidt waere, Zeit und Umstaende allemal zu kennen und sich danach zu
richten, wuerde immer gluecklich sein oder sich doch vor Unglueck hueten. So
wuerde der Weise wirklich den Sternen und dem Schicksale zu gebieten
scheinen. Aber solche gibt es nicht: _die Menschen koennen ihre Natur nicht
so aendern_."

Koennen das die Menschen nicht? Haengt ihr Betragen also auch nicht blos von
der richtigen Beurtheilung der Umstaende allein ab? Bestimmt wirklich die
eigenthuemliche Gemuethsart, der Charakter des Menschen, auf welche Art er
in das Gewebe der Begebenheiten, das ihn umgibt, eingreifen, und ob er
etwas ausrichten werde? So ist es ja falsch, worauf doch das ganze System
des Macchiavelli beruht: dass der Fuerst sich ohne Vorliebe fuer irgend Etwas
ganz allein von der kalten Beurtheilung leiten lassen muesse, um in seinen
Unternehmungen gluecklich zu sein. Am Schlusse des Kapitels, wo er Alles
uebersieht, was der Fuerst gethan haben mag, und das Schicksal aller seiner
Unternehmungen so treffend weissagt, gesteht der Lobredner des Verstandes
selbst ein, dass zu einem grossen Manne etwas ganz Anderes erfordert wird
als Verstand, und dass es die Kraefte des Gemueths sind, welche die Rolle
bestimmen, die er spielen wird.




                                   26.


Das Schlusskapitel, der Aufruf zur Abschuettelung der fremdherrlichen
Ketten, hat jetzt fuer uns nur als ein Meisterstueck der Beredtsamkeit
Interesse.

Es fand sich thatsaechlich damals in Italien kein Fuerst, der der
Unternehmung gewachsen gewesen waere, durch neue Anordnungen der Nation
Einheit und Unabhaengigkeit zu verschaffen. Die Intrigue fuhr daher fort,
das Land zu zerreissen, und die Voelker blieben ein Spiel fremder Maechte. -
Der Historiker _Sismonde de Sismondi_ sucht (in seiner _Histoire des
republiques de l'Italie_) die Ursachen des tiefen Verfalls des
italienischen Volkes seit dem fuenfzehnten Jahrhundert in dem Untergange
der grossen Republiken in der Lombardei, wodurch zuletzt auch das Ende der
Freistaaten in Mittelitalien und die Unterwerfung der ganzen Nation unter
fremde Herrschaft herbeigefuehrt worden ist. Es ist begreiflich, dass die
rohe Gewaltthaetigkeit, wodurch die Herrschaft in allen Landschaften und
Staedten von Italien unzaehlige Male genommen und verloren worden, in
Unbaendigkeit des schwelgerischen Genusses ueberging, und dass allgemeine
Erschlaffung erfolgen musste, sobald Nachfolger und Enkel jener
Emporkoemmlinge zum ruhigen Besitze der Gewalt gelangten. Aber dagegen
schuetzt auch die republikanische Verfassung nicht. In der Geschichte von
Venedig entwickelt sich zufolge der Darstellung, welche _Daru_ (_Histoire
de la republique de Venise_) aus urkundlichen Quellen entworfen hat, in
ihrem Entstehen, Fortschreiten und Verfallen der Verfassung derselbe
Charakter, der den gleichzeitigen italienischen Einzelherrschern eigen
ist.

In den Bewegungen eines von Parteien zerrissenen Volkes werden alle
Anlagen des Geistes und des Gemuethes gereizt, sich zu entwickeln, aber
nicht blos die schlechten, auch die besten und edelsten. Man sieht daher
in Republiken, auch in Zeiten der groessten Verdorbenheit, einzelne grosse
Buergerseelen aufstehen; dahingegen unter der Tyrannei nichts von Allem
aufkommt, was bei Macchiavelli _virtu_ heisst. Sie verschwand sehr bald in
Florenz unter den Grossherzogen, und von dieser Seite hat die fruehere
Erhebung der Visconti und Sforza zu Herren von Mailand der Nation viel
geschadet. Aber die Unabhaengigkeit von Italien wuerde schwerlich durch die
Herstellung der mailaendischen Republik bewirkt sein. Diese wuerde gleich
den toscanischen Freistaaten nur dahin gestrebt haben, schwaechere Nachbarn
zu unterdruecken, statt mit ihnen einen grossen Verein zu bilden, um sich
gegen fremde Uebermacht zu schuetzen. Schon vormals hatte die Geschichte
des alten Griechenlands ein Gleiches gezeigt.

                              --------------

Wenn man nun den ganzen mit Macchiavelli zurueckgelegten Weg hier nochmals
mit einem Blicke uebersieht, so wird man von einer sonderbaren Empfindung
ergriffen. Jedes einzelne Urtheil, jeder Rath, jeder Anschlag ist so
zutreffend, dass man der ueberredenden Kraft nirgends widerstehen kann,
sobald man sich einmal von dem Rade hat ergreifen lassen, welches
unaufhaltsam mit sich fortreisst. Vorausgesetzt, dass der erste Schritt
einmal geschehen sei, so kann er nicht besser verfolgt werden. Es muss
Alles so kommen, wie Macchiavelli sagt. Man muss also auch so handeln, wie
er angibt, um die Abgruende zu vermeiden, zwischen denen sich der Weg
hinzieht. Dennoch bleibt immer in der Tiefe des Gemueths etwas, das
widerstrebt und die Ueberzeugung zu Schanden macht. Macchiavelli kann
dreist seine Leser auffordern, etwas gegen seine einzelnen Urtheile
einzuwenden. Aber wer koennte wol das Ganze fuer mehr als fuer ein Spiel des
Verstandes halten? Das ist es eben: _das ganze Buch ist nur die Frucht des
Verstandes_. Von Theilnahme am Schicksale der Menschen, von Ruecksichten
auf ihre Empfindungen, von ihrer Zufriedenheit als einem Zwecke an sich
selbst ist gar nicht die Rede. Man vermisst durchaus Alles, was vom Gemuethe
abhaengt und aus der Empfindung fuer Andere entspringt, oder was der Sinn
fuer einen erhabenen schoenen Zweck eingeben koennte. Daher bleibt der Leser
immer unbefriedigt, so viel er auch zu bewundern findet. Moralisches
Gefuehl hat Macchiavelli entweder gar nicht gehabt, oder es ist in ihm von
politischen Leidenschaften ganz unterdrueckt. _Was aber blosser Verstand zu
leisten vermag, das hat er erreicht._ Und deswegen ist im Einzelnen so
viel von ihm zu lernen; auch fuer den, der die ganze Denkungsart und die
Grundsaetze, die im Buche herrschen, verabscheut. Niemals hat ein
politischer Schriftsteller die Handlungen der Menschen und ihre Folgen mit
mehr Scharfsinn entwickelt, und gerade vom gewoehnlichen Fehler der
Scharfsinnigen findet sich bei ihm keine Spur: von der Ueberfeinheit.
Keiner hat jemals besser gewusst, jedesmal den Punkt, auf den Alles
ankommt, zu treffen. So wie man von seinem grossen Landsmanne Michel Angelo
erzaehlt, dass er immer mit dem Meissel in den Marmor geradezu hinein gehauen
und auf ein Haar getroffen habe, wie weit er gehen muesse, eben so gibt
Macchiavelli immer mit Einem Worte das Rechte an, verwirft alle
Kuensteleien, die nur verwirren, und sagt den Maechtigen auf den Kopf zu,
was in ihrem Sinne tief verborgen liegt. Hiermit stimmt auch sein Vortrag
ueberein. Es ist bekannt, dass die Italiener ihn fuer ihren besten
_Prosaisten_ halten. Von der Weitschweifigkeit, dem verwickelten und weit
ausgesponnenen Periodenbau der meisten italienischen Schriftsteller, von
diesem allgemeinen Fehler, der fast der Sprache selbst eigen zu sein
scheint, ist er ganz frei. Die Vollkommenheiten seines Vortrages, der
gedraengte Inhalt und der kraeftige Ausdruck sind aber am auffallendsten im
Buche vom Fuersten. Dieses thut denn auch eine Wirkung, welche der groessten
Erwartung entspricht, die der Verfasser davon gehabt haben mag. Man fuehlt,
dass es unmoeglich ist, besser anzugeben, wie man die Herrschaft erwerben
und behaupten koenne, sobald es nur um dieses zu thun ist, und alles Andere
nicht beachtet werden soll.

Aber das Bild dieser Herrschaft steht auch in Begleitung aller furchtbaren
Genien, die sie herbeigefuehrt haben, der Gewalt, der List, der
Treulosigkeit, Heuchelei und Schamlosigkeit, mit ihrem Gefolge, dem
dumpfen Misstrauen der Unterworfenen, und der tiefen Verschlossenheit ihres
gedemuethigten Herzens, dies Alles steht in der schrecklichsten Verbindung
zu einem Ganzen vor den Augen des Lesers, und laesst nicht ab, ihn zu
verfolgen. Wer die Geschichte selbst durchgedacht hat, wird unablaessig
aufgefordert, immer wieder aufs Neue zu pruefen, wie denn diese Resultate
der Beobachtung dessen, was geschieht und was geschehen kann, mit den
Grundsaetzen ueber das, was geschehen sollte, die Niemand verlaeugnen kann,
in Uebereinstimmung gebracht werden moegen.

Diese Untersuchung, deren Hauptmomente in den Bemerkungen ueber das Buch
angegeben sind, ist um so viel interessanter, da es nicht nothwendig ist,
eine gaenzliche Unempfindlichkeit gegen das Wohl andrer Menschen, und einen
selbstsuechtigen Ehrgeiz bei dem Schueler Macchiavelli's vorauszusetzen. Ein
Kopf, der von schwaermerischen Plaenen zur Verbesserung des
Menschengeschlechts und seiner Verhaeltnisse im Grossen eingenommen ist,
kann sich auch wol verleiten lassen, alle einzelnen Menschen als Werkzeuge
seiner gutgemeinten grossen Absichten anzusehen und alle Verpflichtungen,
die sich auf die gewoehnlichen Vorschriften der Sittlichkeit gruenden, einem
erdichteten hoehern moralischen Zwecke aufzuopfern.

So ist der Geist der Politik, die Macchiavelli lehrt, auch in
philosophischer Gestalt und mit einer moralischen Larve, in dem
Grundsatze, dass der Zweck die Mittel heilige, zum Vorschein gekommen. So
sehr aber dieser Lehrsatz auch von den Leidenschaften beguenstigt wird, die
sich vortrefflich darauf verstehen, ihre Wuensche dem angeblichen hoehern
Zwecke unterzuschieben, so ist doch die gewoehnliche Moral zu tief in den
Empfindungen gegruendet, als dass man haeufig Menschen finden sollte, die
sich in einem ganz consequenten Betragen darueber weggesetzt haetten.

Dieses geheime Gefuehl der moralischen Bande wird oft unterdrueckt, erwacht
aber immer wieder. Daher kommt es denn, dass die Menschen in ihrem Benehmen
(so lautet eine der beruehmtesten und treffendsten Bemerkungen
Macchiavelli's in seinen "Discursen" 1, 27) nie ganz gut oder ganz boese
sind, und eben deswegen in so vielen grossen Unternehmungen verungluecken.

Sie moechten wohl: aber da sie doch nicht duerfen, so wollen sie auch nicht
recht. Sie fangen an, in Hoffnung, der Zufall werde das Uebrige thun.
Verweigert dieser seinen Beistand, so bedenken sie sich, Schritte zu thun,
von denen sie doch voraussehen konnten, dass sie unvermeidlich sein wuerden.
Einige Treulosigkeit, einige Verraetherei, einige Verletzung der
allgemeinen Gesetze der Sittlichkeit haelt Jeder im Gedraenge der Umstaende
fuer erlaubt, und verzeiht man einander allenfalls. Wenn es aber dadurch so
weit gekommen ist, dass ein letzter dreister Streich zum Ziele fuehren
wuerde, so versagt das Herz. Waeren die Menschen etwas besser, so blieben
sie von Unternehmungen zurueck, die sie in solche Verwicklungen fuehren;
waeren sie etwas schlechter, so verfolgten sie ihre Zwecke ohne
Bedenklichkeit bis ans Ende, opferten alles Andre auf und verloeren
vielleicht Manches, erhielten aber doch das Eine, worauf es abgesehen war.
Sie erhielten es vielleicht in einzelnen Faellen. Aber wohin fuehrt ein ganz
consequentes unsittliches Betragen? Lassen sich dadurch Zwecke erreichen,
die eines wirklich grossen Geistes wuerdig waeren? Macchiavelli selbst
gesteht ein, dass es dazu nicht hinreicht, indem er von seinem Idealfuersten
verlangt, er solle trotz seiner innern Gleichgiltigkeit gegen die
Moralitaet den Anschein und den Ruf aller Tugenden erwerben, die er ihn im
Herzen zu verachten befiehlt. Was aber davon zu halten ist, das haben wir
vorher gesehen.


                                  Ende.






                               ANMERKUNGEN


    1 Man vergleiche zu dem Folgenden Macaulay's geistvolle Abhandlung
      "Macchiavelli" in Moellenhoffs gewandter Uebersetzung (Univ.-Bibl.
      Nr. 1183).

    2 Wir besitzen darueber hinreichend befriedigende Quellen.
      _Macchiavelli's florentinische Geschichte_ schliesst zwar schon mit
      1492, aber seine uebrigen Werke enthalten auch einzelne Zuege zur
      Beurtheilung der folgenden Begebenheiten. Neben _Guicciardini's
      italienischer Geschichte_ haben wir eine Menge florentinischer
      Geschichtsbuecher. Ausser dem fleissigen Benedetto _Varchi_, der eine
      vollstaendige und ausfuehrliche Erzaehlung aller Begebenheiten, an
      denen er Anfangs selbst Antheil genommen, aus den besten Quellen,
      welche ihm von allen Seiten eroeffnet wurden, zusammengetragen hat,
      und der Geschichte des ehrlichen _Nardi_, die vorzueglich wegen der
      Nachrichten von dem schwaermerischen Demagogen Savonarola merkwuerdig
      ist, sind noch ein paar Werke vorhanden, in deren Verfassern man den
      Geist wahrer Staatsmaenner nicht verkennen kann. Bernardo _Segni_,
      ein Schwestersohn des Niccolo Capponi, welcher waehrend der Jahre
      1527 und 1528, bei dem letzten Versuche, die Republik herzustellen,
      Haupt des Staats und Anfuehrer derer war, die eine auf Gerechtigkeit
      und Billigkeit gegruendete Verfassung einzufuehren wuenschten, und
      Filippo _de Nerli_, ein verstaendiger Freund republikanischer
      Freiheit, und genauer Bekannter der Maenner welche frueher im Jahre
      1522 einen vergeblichen Versuch machten, eine Republik herzustellen,
      und deren vornehmster Rathgeber Macchiavelli war. Nerli schloss sich
      nachmals im Gedraenge des demokratischen Fanatismus an die Medici an,
      die allein Schutz gegen die Wuth des erhitzten Poebels geben konnten,
      und ward zuletzt unter den Herzoegen Senator. Sein Werk enthaelt die
      besten Anzeigen und treffendsten Beurteilungen der so oft
      veraenderten Verfassung. Die Erzaehlung geht bis 1555.

_    3 Memorie Storico-Critiche della Citta di Siena, che servono alla
      vita civile di Pandolfo Petrucci dal 1480 al 1512. da Gio. Ant.
      Pecci, Patrizio Sienese. Siena 1755._

    4 Diese wenigen Nachrichten finden sich in der Geschichte Filippo de'
      Nerli's, welcher alle genannten Personen und besonders den
      Macchiavelli genau gekannt hatte, und der Partei selbst wohlwollte.

    5 Varchi, Geschichte von Florenz. Sie war also bekannt. Schon dieser
      Umstand spricht gegen die Vermuthung, dass das Buch nur ein geheimer
      Rathgeber des Fuersten habe sein sollen, dem es zugeeignet ist.
      Ausserdem aber ist der Ton des Buchs vom Fuersten mit dieser Ansicht
      nicht zu vereinigen. Zu einem solchen Zwecke haette der Verfasser
      doch bestimmte Anwendungen auf die Verhaeltnisse des Augenblicks
      machen, und Massregeln gegen die Mitwerber um die Herrschaft von
      Italien und gegen einzelne Staaten angeben muessen: und dazu waere
      Macchiavelli sehr geschickt gewesen, wie seine Berichte an die
      florentinische Regierung waehrend seiner haeufigen Gesandtschaften
      beweisen Aber das Buch vom Fuersten hat ganz den Charakter eines
      literarischen Kunstwerks. Als ein solches uebertrifft es nicht allein
      Alles, was damit verglichen werden koennte, sondern auch die uebrigen
      Schriften des Verfassers selbst. Und ein solches Meisterstueck sollte
      er nicht fuer die Welt bestimmt haben?! - - - -

    6 Fuenfzig solcher Maenner machte er zu Staatsraethen mit hohem Range und
      hoher Besoldung, wofuer sie sich um Nichts bekuemmern durften -
      angenehme Sinecuren, wie sie aehnlich noch heute im gelobten Preussen
      einige evangelische Domherren haben, die fuer einen Jahresgehalt von
      ca. 36,000 Mark einmal jaehrlich eine Quittung unterschreiben und ein
      opulentes Fruehstueck verzehren muessen! -

_    7 Gaultier de Brienne_, der als Erbe eines Kreuzfahrers den Titel
      Herzog von Athen fuehrte.

    8 Die erste Veranlassung zu der beruehmten Verschwoerung der Pazzi gegen
      die Medici lag in der Heirath eines Pazzi mit einer reichen Erbin,
      welcher man ihr Erbrecht unter dem Vorwande zweifelhafter Gesetze,
      in der That aber dem Lorenzo von Medici zu Gefallen entzog, um die
      Familie seines Gegners zu entkraeften.

    9 Man behauptet zwar, das Buch sei 1515 gedruckt, also nicht allein
      bei Lebzeiten des Verfassers, sondern sogar auch des Lorenzo, dem es
      dedicirt ist. Allein der Herausgeber einer vollstaendigen Sammlung
      aller Werke des Macchiavelli (Florenz, 1782, in 6 Quartbaenden),
      behauptet, Niemand habe den angeblichen Druck gesehen; der erste sei
      vom Jahre 1532, wo Giunti es mit Privileg des Papstes edirte.

   10 Ueber die Widmung vgl. Moellenhoff, Macaulay's kritische Aufsaetze,
      Bd. 2, Macchiavelli, (Univ.-Bibl. No. 1183) S. 49.

   11 Man denkt jetzt (1879) an Lothringen oder Bosnien!

   12 Erinnerung an Ovids (_Remed. Am._ 91) Vers: _Principiis obsta, sero
      medicina paratur_.

   13 Della Rovere, der den Namen Julius der Zweite gefuehrt hat.

   14 Wer in einer ausfuehrlichen Erzaehlung der Thaten dieses Menschen ein
      Beispiel aus der alten Geschichte lesen will, wie weit kriegerische
      Eigenschaften in Verbindung mit gaenzlicher Immoralitaet es darin
      bringen koennen, grosse Dinge auszufuehren, die nichts bleibendes Gutes
      erzeugen der lese Diodor, Buch 19 und 20.

   15 Ein grosser Liebling des florentinischen Poebels, den im Jahre 1381
      die Obrigkeit wegen einer Gewaltthaetigkeit, die er beging, um ihr
      einen verhafteten unruhigen Kopf zu entreissen (eine Unternehmung, an
      der der Poebel Wohlgefallen zu finden pflegt), hinrichten liess, ohne
      dass der Aufstand, auf den er hoffte, erfolgt waere. Ja, es fand im
      Gegentheil auch diese Hinrichtung Beifall.

   16 Ein Krieger von englischer Abkunft, der am Ende des vierzehnten
      Jahrhunderts das Handwerk trieb, wodurch so viele in der Folge als
      Condottieri beruehmt wurden.

   17 Die italienischen Worte _misero_ und _avaro_ sind von den deutschen,
      durch welche sie uebersetzt werden koennen, in der feinern Bestimmung
      des Sinnes etwas verschieden. Uebrigens ist _filzig_ von _geizig_ zu
      unterscheiden: geizig ist, wer noch daneben zu erwerben trachtet;
      _filzig_, wer sich enthaelt zu benutzen, was er besitzt.

   18 Das ist nun freilich eine ueberaus kuehne Interpretation der
      griechischen Sage!

   19 Ferdinand von Arragonien scheint gemeint zu sein.

   20 Er besann sich, ob er den Antrag annehmen solle. Da ihm zugeredet
      ward, wenn er ein aechter Bentivoglio sei, so wuerde er den Antrag
      nicht ablehnen, und das Volk von Bologna ihn auch nicht verlassen,
      wagte er den Schritt: und nun kam es auch so. Er bewies sich des
      Blutes wuerdig, das man in ihm voraussetzte, und machte sein Recht
      dadurch geltend. So viel vermag die Geburt, wenn sie nicht allein
      Alles thun soll.

   21 Catharina, Tochter des Francesco Sforza und Schwester des Ludwig.
      Ihr Gemahl war Hieronymus Riario, Neffe Papst Sixtus des Vierten.

   22 Eine weitere Ausfuehrung der in diesem Kapitel enthaltenen Gedanken
      findet man in den Discorsi ueber den Livius im 2. Buche, 24. Kapitel.

   23 Vorzueglich wahre Sentenz!

   24 Nardi erzaehlt im 6. Buche seiner Geschichte von Florenz, dass die
      Astrologen dem Papste Leo X. in den ersten Monaten seiner Regierung
      vorhergesagt haben, sein Bruder Giuliano (der als Herzog von Nemours
      starb) werde Koenig von Neapel, und sein Neffe Lorenzo Herzog von
      Mailand werden.

   25 Das erzaehlt _Davila_, der durch seinen Bruder, einen Kammerherrn der
      Catharina, mit Heinrich dem Dritten und seinem Hofe genau bekannt
      war. Davila, selbst ein Italiener, spricht von der Catharina und
      ihren Soehnen mit der sympathetischen Empfindung des Landmanns. Daher
      ist seine Geschichte dieses mehr italienischen als franzoesischen
      Hofes so natuerlich, so lebendig, so anziehend. Er fuehlte ganz
      anders, wie die florentinischen Gemuether gesinnt waren, als
      franzoesische Schriftsteller. In den Erzaehlungen solcher
      Geschichtschreiber sieht man die Menschen selbst vor sich; in den
      Bemerkungen andrer ueber die ihnen fremden Gestalten entgeht das
      Eigenthuemlichste und Feinste. Ueber aecht franzoesische Charaktere muss
      man hingegen franzoesische Schriftsteller lesen: ueber Heinrich den
      Vierten den Voltaire. Den Helden der Galanterie und des Point
      d'honneur stellt dieser mit eben so vielem Talente dar, als Davila
      die Catharina, die er wegen ihres verschmitzten Herrschertalents
      vergoettert.





                       BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT


Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr
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***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MACCHIAVELLIS BUCH VOM FUeRSTEN***



                                 CREDITS


May 27, 2012

            Project Gutenberg TEI edition 1
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any volunteers associated with the production, promotion and distribution
of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works, harmless from all liability, costs
and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from
any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of
this or any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} work, and (c) any Defect
you cause.


                               Section  2.


           Information about the Mission of Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}


Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} is synonymous with the free distribution of electronic
works in formats readable by the widest variety of computers including
obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the
efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks
of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance
they need, is critical to reaching Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}'s goals and ensuring
that the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} collection will remain freely available for
generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation was created to provide a secure and permanent future for
Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} and future generations. To learn more about the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations
can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at
http://www.pglaf.org.


                                Section 3.


   Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation


The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of
Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service.
The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541.
Its 501(c)(3) letter is posted at
http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full
extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr.
S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North
1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information
can be found at the Foundation's web site and official page at
http://www.pglaf.org

For additional contact information:


    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org


                                Section 4.


  Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive
                                Foundation


Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} depends upon and cannot survive without wide spread
public support and donations to carry out its mission of increasing the
number of public domain and licensed works that can be freely distributed
in machine readable form accessible by the widest array of equipment
including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are
particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United States.
Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable
effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these
requirements. We do not solicit donations in locations where we have not
received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or
determine the status of compliance for any particular state visit
http://www.gutenberg.org/fundraising/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we have
not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against
accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us
with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make any
statements concerning tax treatment of donations received from outside the
United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods
and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including
checks, online payments and credit card donations. To donate, please
visit: http://www.gutenberg.org/fundraising/donate


                                Section 5.


      General Information About Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works.


Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
concept of a library of electronic works that could be freely shared with
anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~}
eBooks with only a loose network of volunteer support.

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all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright
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